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IT’S BRITNEY, BITCH!

Von Lena Brasch und Sina Martens im Berliner Ensemble

(Foto: JR Berliner Ensemble)

Wir sind spät dran. Noch auf dem Weg zum Berliner Ensemble drücke ich mir meine E-Zigarette an. Schnelle, breite Schritte führen uns zum Eingang des neuen Hauses hinter dem Hauptsaal. Wir hetzen an den Tischen der Vorterrasse vorbei, auf denen ein Glas Aperol Spritz nach dem anderen steht. In drei Minuten geht die Vorstellung los. Meine Zigarette leuchtet noch, also nehme ich sie unauffällig in die Faust und zeige mein Ticket. Drinnen geht es eine Treppe hoch, eilig nehme ich die letzten Züge.

Als wir den Theaterraum betreten, ist er bereits voll. Es sitzen auffällig viele junge Menschen um uns herum. Vielleicht liegt es am Thema. Britney Spears. Ganz sicher ein Popphänomen meiner Generation. Um das soll es auch die nächste Stunde gehen. Eben um Britney Spears. Von ganz oben bis ganz nach unten gefallen. Ein Fotochen noch. Das Licht geht aus, ich packe mein Handy und meine E-Zigarette in meine Tasche. Scheinwerfer an. Ich sehe Britney Spears. Oder eine Schauspielerin, die Britney Spears verdammt ähnlich sieht. Wow. Sina Martens. In schwarz gekleidet, ne Leggings und nen T-Shirt, mehr nicht. Auf ihrem Kopf eine blonde Perücke, die Fußnägel sind neonorange lackiert. Sie steht, kniet, liegt auf einem quadriatischen Podest, eine Art Minibühne, an der ein paar Stufen befestigt sind, auf der sie auch ab und zu steht, kniet, liegt. Dass es eine Perücke ist, die auf Sina Martens Kopf sitzt, bekommt man schnelle raus. Schon nach wenigen Minuten zupft sie an ihr herum, schiebt sie weit nach hinten und wieder nach vorne. Zu hören ist ein Monolog, original Britneys Worte am Telefon bei ihrer Gerichtsverhandlung. Ich erkenne ihre Worte sofort, weil ich schließlich den Fall um ihre Vormundschaft sehr genau, sehr schockiert mitverfolgt habe. So wie der Rest der Welt. Die wichtigste Frage, die das Stück aufruft: Was zum Teufel hat Britney Spears mit mir zu tun?

Und hier hat das Stück mit nur einer Schauspielerin in petto keine Probleme. Nahtlos gehen die Originalworte über in eine Art Gedankenkette. Wie es eigentlich sein kann, dass man so sehr geliebt und in der nächsten Sekunde beiseite gelegt wird? Also zum Beispiel. Nicht wenigen weiblichen Stars ist es so ergangen. Sina Martens singt jetzt I'm a slave 4 u. Nicht in der bekannten Popversion, die Melodie ist nur schwach zu erkennen. Sina Martens singt wunderschön und doch gequält. Nach zwanzig Minuten reißt sie sich die Perücke vom Kopf. Und so geht es mit einer falschen Glatze im Zickzack weiter. Kommt jetzt ein Regenschirm? Natürlich. Kein Gegenstand stand 2007 so sehr für komplettes Durchdrehen, als Britney Spears damals versucht hat, mit einem Regenschirm ein Auto zu verkloppen. Wie sich eine Schauspielerin wohl fühlt, wenn alle genau auf sie gucken, weil es nichts anderes zu sehen gibt? Britney Spears jedenfalls hat es fast erledigt. Auf die Bühne gezwungen und auch noch von ihrem eigenen Vater. „Ich war nicht nur gut. Ich war großartig auf der Bühne.“ Ein Satz, den Sina Martens verzweifelt aufgesagt.

Alle Themen, jetzt mal kess behauptet, die an diesem Abend angesprochen werden, sind kleine Puzzelteile. Toxisches, sexistisches, jungfräuliches, zerstörrisches, liebendes, fehlendes. Britney Spears ist bloß das Gesamtbild. Ein Erzählanlass. Oft weiß man nicht, welches Ich jetzt genau zu uns spricht. Wie viel Erfahrung von der Schauspielerin selbst in den Text mithineingeflossen ist, was von jemand anderes kommt. Vier Autorinnen hat das Stück, darunter die Regisseurin Lena Brasch, lese ich später im Programmheft. Ich bleibe also gedanklich im Becken und versuche aufzupassen, wann es nicht mehr nur noch um Britney Spears geht. Wann genau es um mich gehen soll. Und ich spüre den Sitz unter mir vibriren und ich schaue direkt ins Licht, wenn der Scheinwerfer sich ganz plötzlich dreht. Kurz mal abbiegen: Das letzte Mal habe ich so einen genialen Effekt bei einer Werther-Inszenierung im Gorki gesehen, als ein riesiger Spiegel vor das Publikum gehalten wurde. Wir die Gesellschaft, ich fand das gar nicht so doof. Jedenfalls. Hier bin ich gemeint. Vielleicht. Eine Frau, mitte Dreißig, nicht Britney Spears, offensichtlich nicht, aber mit Erfahrungen, die gar nicht so furchtbar weit weg sein könnten. 

Nach dem Stück will ich unbedingt eine E-Zigarette rauchen. Schön in Ruhe. Und ich kann mich dabei nicht satt sehen an der untergehenden Sonne, der Spree am Schiffbauerdamm, am Berliner Ensemble mit dem Drehkreis oben drauf. Mann war die Schauspielerin dufte! Ich kann nicht genug von dem Anblick des berliner Panormas bekommen, nicht von den vielen Leuten, nicht von meinem Freund. Ich ziehe an meiner E-Zigarette und kippe meinen Kopf nach hinten. Oops I … Einen Ohrwurm habe ich natürlich auch.

Anmerkung der Redaktion: It's Britney, bitch! Von Lena Brasch und Sina Martens. Berliner Ensemble. Bitte hier entlang (Öffnet in neuem Fenster)

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