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Noltes Notizen | 5. August 2022

Liebe KLup-Freund:innen,

"es ist alles wahr - traurig und wahr ... Ganz viel tiefer kann man nicht mehr agieren, als wenn Betroffene erneut missbraucht werden ... Manchmal fragt man sich, für welchen Laden man arbeitet." 

So schrieb mir heute ein Vertrauter aus dem Epi-Zentrum des Erzbistums Köln, nachdem wir heute Morgen über die Enthüllungen des Kölner Stadt-Anzeigers (KStA) zu PR-Strategien und versuchter Journalisten-Vereinnahmung rund um Kardinal Rainer Maria Woelki und seine Berater berichtet haben. (Hier findet Ihr unseren Beitrag.) (Öffnet in neuem Fenster)

  • "Für die Fehler von WSW muss echte Wut gezeigt werden", lautet demnach die Empfehlung an Woelki und seinen Generalvikar im Betroffenen-Beirat, um am 29. Oktober 2020 dessen Zustimmung zur Nicht-Veröffentlichung des ersten Missbrauchs-Gutachtens zu erhalten. Tags darauf wurde die Entscheidung - mit Verweis auf die Unterstützung des Beirats - veröffentlicht.

  • "Emotionen, Glaubhaftigkeit und Echtheit" - darauf müsse man im Betroffenenbeirat setzen, heißt es von den PR-Beratern.

  • Denn: "Jede Entscheidung, die ausdrücklich das Vertrauen der Betroffenen genießt oder im Einvernehmen getroffen wurde, ist automatisch besonders glaubwürdig."

Schließlich greift Kardinal Rainer Maria Woelki selber zum Telefon (Bild oben/Foto: Imago) und versucht, einen der renommiertesten Kirchen-Journalisten in Deutschland, FAZ-Redakteur Daniel Deckers für sich zu gewinnen. Die PR-Berater waren auf der Suche nach einem "einflussreichen und glaubwürdigen" Journalisten für eine "ausgewogenere" Berichterstattung, schreibt der KStA mit Verweis auf das PR-Konzept, nach einem "Fürsprecher". Deckers bestätigte das, sagt der KStA. Und lehnt ab.

Man kann nur mit dem Kopf schütteln. Um es gelinde zu sagen. Zu Recht ist auch die Missbrauchs-Beauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus entsetzt (Öffnet in neuem Fenster) (Bild oben /  Foto: Imago): "Betroffene im Kontext von institutionellen Aufarbeitungsprozessen zur Verfügungsmasse zu degradieren und neuerlich die sich beteiligenden Mitglieder eines solchen partizipativen Gremiums massivster Machtmanipulation zu eigenem Nutzen zu unterwerfen, ist anmaßend und empörend."

Und sie setzt hinzu: Sollten sich die Recherchen des "Kölner Stadt-Anzeigers" bewahrheiten, zeige dies, wie wenig Woelki und sein Leitungsteam vom Wert der Betroffenenbeteiligung verstanden hätten, sagte Claus.

Wir haben keinen Anlass, an der Wahrheit der Recherchen des geschätzten Kollegen Joachim Frank (Bild oben / Foto: Christoph Hardt) zu zweifeln, der die KStA-Geschichte von heute Morgen als Chefreporter der DuMont-Gruppe in Köln recherchiert und geschrieben hat. Es gibt keinen Grund zu zweifeln - nicht nur weil er bei uns im Bistum Münster, näherhin in Burgsteinfurt (Kreis Steinfurt) aufgewachsen, Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten und immer wieder auch willkommener Gast-Kommentator bei "Kirche-und-Leben.de" ist.  Für seine Recherchen über den Umgang mit dem Missbrauchsskandal im Erzbistum Köln wurde er überdies 2021 völlig zu Recht von der renommierten Fachzeitschrift "Medium Magazin" als "Journalist des Jahres geehrt". 

Aufgrund dieses Vertrauens haben wir heute Morgen als erstes katholisches Online-Medium über die Recherche von Joachim Frank im KStA berichtet - natürlich rein referierend; wir haben seine Erkenntnisse nicht ungeprüft zu unseren gemacht, selbstverständlich nicht. Aber sie deshalb gar nicht zu veröffentlichen, bevor auch die Gegenseite gehört und genannt ist, das hielt ich heute Morgen wegen der Seriösität der Quelle für nicht richtig. 

Wann was veröffentlichen?

Die Kolleg:innen von "katholisch.de" und von der Katholischen Nachrichtenagentur hingegen haben erst am frühen Nachmittag veröffentlicht - inklusive der besagten Reaktionen der Missbrauchs-Beauftragten Claus, des betreffenden PR-Berater Torsten Rössing, des das Erzbistum Köln beratenden Medien-Anwalt Carsten Brennecke und der Entscheidung der Erzdiözese, sich nicht äußern zu wollen. Die Kolleg:innen der beiden Redaktionen begründen ihre späte Berichterstattung in einer auf gewisse Irritationen darüber auf Facebook aufkommenden kleinen Diskussion damit, sie hätten nicht 1:1 den Bericht des KStA abschreiben wollen. 

Womöglich sind wir damit gemeint "Kirche-und-Leben.de". Denn wir haben - wie gesagt - genau das gemacht. Wir haben berichtet, was Joachim Frank an Belegen für eine offenbar sehr genau überlegte PR-Strategie herausgefunden hat. Für uns haben diese Erkenntnisse allein Nachrichtenwert - auch ohne die Reaktionen derer, die darin alles andere als gut wegkommen. Ebenso selbstverständlich: Sobald es diese Reaktionen gibt, gehören auch sie veröffentlicht. Natürlich haben auch wir das getan. (Öffnet in neuem Fenster) 

"Eigendarstellung Woelkis"

Die Erkenntnisse des KStA aber sind auch ohne sie deshalb so bedeutsam, weil sie ziemlich überzeugend und meines Erachtens glaubwürdig nahelegen, dass es mitnichten um eine schlichte Medienstrategie darüber ging, wie über unangenehme Dinge berichtet werden soll. Es ging offenbar vielmehr um die "Eigendarstellung Woelkis im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung", wie es die KNA-Kollegin Anita Hirschbeck in einem äußerst lesenswerten und manche weitere für Unmut sorgende Aspekte analysierenden Hintergrundstück auf den Punkt bringt (Öffnet in neuem Fenster). Ihr Stück haben wir am Ende dieses für das Erzbistum erneut turbulenten Tages veröffentlicht. 

Anders gesagt: Es ging, wie laut KStA ein anderes Kölner PR-Konzept im November 2021 benannt wurde: "Wie 'überlebt' der Kardinal bis März 2021" (da endete seine "Auszeit"). 

Wer die Kirche zum Laden macht 

Wir haben heute einmal mehr den ganzen Tag über fast nichts anderes als Missbrauch, das Erzbistum Köln und Kardinal Woelki berichtet. Das tut auch mir nicht gut, ich spüre das körperlich. "Manchmal fragt man sich, für welchen Laden man arbeitet", hatte mein Vertrauter aus dem Epi-Zentrum des Erzbistums Köln mir heute Mittag geschrieben. Das stimmt. Und ich weiß, dass er wahrlich nicht der Einzige im Epi-Zentrum unserer Kirche ist, dem es so geht, immer wieder, immer mehr.

Ich weiß aber auch, und da kann ich nicht anders als womöglich eine Spur zu pathetisch zu werden: Wir berichten über diese fürchterlichen Dinge, weil unsere im Glauben an den lebendigen Gott verbundene und in der Taufe mit königlicher und priesterlicher Würde geadelte Gemeinschaft aus "Verkündigern des Lebens" (1 Joh 1,2) von manchen Menschen zu einem solchen "Laden" gemacht wird. Das darf nicht sein. Darum berichten wir. 

Und wir berichten über diese fürchterlichen Dinge, weil uns die Kleinsten, Ärmsten, Ausgestoßenen und Verletzten und Zum-Schweigen-Gebrachten die Wichtigsten sein müssen. Ich meine das verdammt ernst. Mir gefällt, dass der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck darum auch vom "Lehramt der Betroffenen" spricht. Manche haben eben sehr wohl verstanden. Gott sei Dank.

Euch alle ein sommerliches, erholsames Wochenende - und einen gesegneten Sonntag!

Guet goahn!

Markus Nolte (Chefredakteur Online)