Wenn im Kindergarten subtile Gewalt herrscht
Logische Konsequenzen oder doch schon Strafen?
Wie schnell dürfen erste Trennungen gehen?
Wirken sich andere Erziehungsmethoden im Kindergarten negativ auf mein Kind aus?
Oder doch lieber kitafrei, trotz des ganzen gesellschaftlichen Gegenwindes?
Eine Mama fragte mich:
"Hallo liebe Lisa,
Mein Sohn ist Ende Juli 3 geworden. Er ist hochsensibel, braucht länger um Vertrauen und Beziehungen aufzubauen und ist schnell reizüberflutet.
Wir haben ihn auf Mitte September für den Naturkindergarten bei uns im Ort angemeldet. Der Start war gut, ich hatte zuvor ein Gespräch, in dem ich meine Wünsche und Bedürfnisse kommunizieren konnte und mir verischert wurde, dass sich zwar an das Berliner Modell orientiert wird, aber auf jedenfall nach dem Einzelnen geschaut wird, wie viel Zeit benötigt wird.
Die ersten Tage waren schön, mein Sohn hat hin und wieder schon mit seiner Bezugserzieherin (ca. 60-70% da) gesprochen, war sehr neugierig, hat mich überall mit hingenommen und wir haben die Tage so gestaltet, wie es für uns gepasst hat. Er ist auch schon nach einigen Tagen für ein paar Minuten aus meinem Sichtfeld gewesen und hat mit der Bezugserzieherin gespielt. Das finde ich einen sehr enormen Schritt für uns und ich war sehr zufrieden mit dieser Entwicklung. Jedoch bekam ich durch das dort sein und miterleben des Tagesablauf auch einiges mit, was ich nicht in Ordnung fand, mich schockiert hat und zum Nachdenken gebracht hat. Von einer Mitarbeiterin dort (arbeitet rund 30 Jahre in ihrem Beruf) hörte ich zu einzelnen Kindern so Sätze wie "xy warum weinst du denn jetzt schon wieder", "nicht mal heute hört das das auf mit dem geweine/ gestreite" "immer bockt einer rum, so macht das keinen Spaß" usw. ich war sehr schockiert. Desweiteren gab es eine Situation in der ein Kind im Morgenkreis seinen Geburtstag gefeiert hat. Die Zeremonie ging schon ca. 15-20 min als zwei Kinder anfingen miteinander "zu kaspern" und kein Sitzfleisch mehr hatten. Sie wurden darauf hingewiesen, dass es schön wäre noch kurz zuzuhören usw. (fand ich vollkommen in Ordnung), die Kinder hatten allerdings kein Sitzfleisch mehr und zogen sich 10 m weiter zurück und spielten miteinander. Eine Erziehering ging nach innen und holte die Morgenkreissteine (jeden Tag wird ein Stein mit einem Namen darauf gezogen und dieses Kind darf sich Lieder aussuchen, die im Morgenkreis gesungen werden und sich aussuchen in welches Waldstück sie heute gehen) der besagten Kinder und sagte ihnen, dass wenn sie sich nicht hinsetzen, sie ihnen die Morgenkreissteine entzieht und sie erstmal kein Morgenkreiskind sein dürfen. Ich sehe das als Bestrafung und fand es nicht in Ordnung. Habe das auch in einem Telefonat kommuniziert und mir wurde erklärt, dass das eine logische Konsequenz für sie ist. Die Regel sei dort am Morgenkreis teilzunehmen, zumindest sitzen zu bleiben. Mir wurde damals, im Vorgespräch, erklärt, dass wenn ein Kind nicht teilnehmen möchte, es das auch nicht muss. Beim Telefonat entgegnete sie mir, dass die Kinder dann ruhig an einen anderen Tisch sitzen können, dies aber dort nicht der Fall war und deshalb dies die logische Konsequenz wäre.
Diese und noch einige mehr Situationen die ich dort für mich negativ erlebt hatte, haben mich anfangen lassen zu zweifeln. Es wird beispielsweise auch viel bewertet, was die Kinder tun, ob etwas gut oder schlecht/nicht schön ist (Verhalten, wie auch zb Bilder/Erschaffenes). Sie werden aufgefordert, manchmal sogar gezwungen sich zu entschuldigen bei einem anderen Kind (es sei ihnen wichtig, dass sie Kinder lernen sich zu entschuldigen, wenn sie es nicht tun, wird ihnen gesagt, wie unschön ihr Verhalten ist). Dann auch Thema "sag mal danke" "sag mal bitte" "wie sagt man?"
Mir wurde in der zweiten Woche dann gesagt, dass sie jetzt langsam die erste Trennung wollen, ich habe mitgeteilt, dass ich das noch nicht gut finde, da mein Sohn einige Male sehr überfordert war, das hat sich im Kindergarten mit starkem Weinen geäußert, und das er gesagt hat, er mag nach Hause und ich ihn nur noch tragen sollte und sich zu Hause dann in dollen Wutanfällen und Schlafwandeln geäußert hat. Ich habe es trotzdem versucht, mich überreden lassen bzw. fühlte ich mich sehr unter Druck gesetzt und habe mit meinem Sohn geredet (er hat häufig gesagt, dass er nicht möchte, dass ich gehe und er mich noch lange braucht). Ich habe ihm verischert, so lange zu bleiben, wie er mich braucht und ihm auch erklärt, wenn er den Erziehern Bescheid gibt, dass er mich braucht, sie mich gleich anrufen und ich komme. Er hat die Tage sehr viel Bindung getankt, sowohl mit mir als auch mit dem Papa. Am Tag der ersten Verabschiedung habe ich nochmal mit ihm gesprochen. Zu Hause teilte er mir mit dass er es nichr gut findet und mich lieber da hätte. Wir haben viel geredet und Bindung aufgetankt. Er hat morgens gleich ins Spiel gefunden und ist losgezogen. Ich habe mich dann nach ca. 15 min zu ihm begeben (zwischendrin hatten wir auch immer wieder Kontakt) und ihm gesagt dass ich mich jetzt verabschieden würde. Er hat mich gehört, aber weiter gespielt und es "ignoriert". Ich habe es nochmal zu ihm gesagt und meine Hand dabei auf seine Schulter gelegt. Er hat es weiterhin "ignoriert" und ich merkte schon, dass es ihm unangenehm ist, er es aber entweder versuchen mag und sich noch unsicher ist oder er es überhaupt nicht in Ordnung findet, es aber "runter schluckt". Ich war 10 min weg (habe in der Zeit komplett geweint und meinen Mann angerufen). Zu meiner Person fehlt vielleicht noch zu sagen, dass ich ebenfalls hochsensibel bin, sehr viel nachdenke und sehr emotional bin und viel reflektiere.
Das Wiedersehen war ebenso wie die Verabschiedung. Er zeigte weder große Freude noch anderes. Hinterher haben ich ihn am Auto gefragt, wie es für ihn war, als ich mich verabschiedet habe. Er schaute zu Boden und meinte "gut, ich hab gar nicht geweint" das kam mir sehr komisch vor, denn so haben wir das noch nie kommuniziert. Klang auch so als ob weinen etwas negatives wäre, was er so nie von uns erfahren hat. Dann fiel mir ein, dass die Woche zuvor ein Kind bitterlich geweint hat und der Mama panisch hinterlergelaufen ist und geschrien hat, als sie gegangen ist. Das ging ca 20 Minuten, dann hat das Kind aufgegeben. Ich glaube das hat er stark wahrgenommen. Zu Hause haben wir uns ausgeruht und sind nachmittags zum Einkaufen gefahren. Dort im Laden ist er dann vollkommen explodiert, hat Sachen aus den Regalen geworfen und ist schreiend durch den Laden gerannt. Er wollte eine bestimmte Süßigkeiten, die wir allerdings in ähnlicher Form 2 Tage zuvor schon gekauft haben. Er war zuerst überhaupt nicht zu erreichen. So kannte ich ihn nicht. Er hat auch zu Hause natürlich häufig Gefühlsausbrüche aber so war es mir nicht bekannt. Wir beschlossen freitags Pause zu machen und haben den Tag und das Wochenende schön als Familie genutzt. Mein Mann sagte erst Samstag Abend zu mir, dass er ihn jetzt langsam wieder anfängt wiederzuerkennen. Davor war er wie verwandelt. Hat oft geweint, einen Gefühlsausbruch nach dem anderen gehabt, hat auf Ansprachen nicht mehr reagiert und war richtig rastlos und "wild". Komplett reizüberflutet fand ich. Ich habe mir das Wochende über viele Gedanken zu Kitafrei gemacht, habe ich mir die Monate zuvor auch schon und finde es sooooo schön. Müsste meinen Job kündigen (ich bin Heilerziehubgspflegerin) und würde dann auch so schnell nicht mehr in dem Bereich arbeiten können. Gibt sehr viel zu überlegen und durchzuspielen dazu kommt der gesellschaftliche Druck, ich würde meinem Kind Schlechtes tun, es zu Hause zu lassen, ihm etwas so tolles vorenthalten, seiner Entwicklung schaden. Ich würde Klammern, sei eine "Übermutter" etc. dabei liegt es nicht am Loslassen, sondern daran ihn gut aufgehoben zu wissen. Ich weiß, dass mir das egal sein könnte, gleichzeitig fällt mir das aber sehr schwer, da ich sehr viele Glaubenssätze aus meine Kindheit in mir trage.
Montag haben wir so gestartet wie Freitag aufgehört (fand ich gut) Verabschiedung und Widersehen war gleich (zu Hause sind unsere Verabschiedungen sowohl zu mir als aucb meinem Mann sehr innig, mit Umarmungen, Küssen und winken etc.).
Dienstag blieb er zum Morgenkreis 1 Stunde insgesamt alleine und Mittwoch wollten sie es schon bis über die Vesperzeit 1,5 Stunden. Morgen wollen sie ihn eine Zeit mit in den Wald nehmen. Denke dann so 2,5 bis 3 stunden. Ich habe das Gefühl, dass er das jetzt natürlich auch alles toll und spannend findet, es aber zu schnell geht und sich das in ein paar Wochen oder Monaten zeigen wird. Nur bekommt das kein Gehör im Kindergarten, denn die Erzieher haben einen anderen Eindruck von ihm, weil er eben sehr neugierig ist, mit ihnen redet und auch am Morgenkreis freudig teilnimmt usw.
Die Kommunikation ist sehr schlecht und die Absprachen werden ohne mich getroffen, ich werde wenn überhaupt davon in Kenntnis gesetzt und auch nicht gefragt, was ich für einen Eindruck habe. Ich habe mich jetzt um ein Gespräch bemüht, welches am Freitag stattfinden soll. Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht so richtig wie es weitergehen kann. In meinem Kopf hängt das kitafreie Leben, ich bin da auch in engem Austausch mit meinem Mann, der sagt, dass wir einen Weg finden werden und ich zu Hause bleiben kann, wenn das unser Weg ist, sich beruflich auch etwas neues auftun kann usw. denn wir wollen eine gewaltfreie und auf Augenhöhe basierende Kindheit für ihn.
Wie schätzt du unsere Situation ein? Schadet ihm das dortige Verhalten wenn er täglich 5 Stunden dort ist?
Kannst du mir vielleicht irgendwelche Tipps geben? Vielleicht bin ich auch gerade zu emotional und schätze es doch falsch ein?! Ich bin ziemlich verzweifelt.
Viele Dank für deine wundervolle Arbeit!"
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