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Zwischen Euphorie und Fatalismus: Vom Surfen der KI-Wellen

von Tanja Deuerling

In den vergangenen Wochen habe ich an unterschiedlichen Projekten gearbeitet. Auch wenn es primär gar nicht um KI ging, ging es am Ende doch immer wieder um KI. Dabei ist mir bewusst geworden, wie stark KI emotionalisiert:

Am Anfang stehen oft Ablehnung und Skepsis („Ich kann das nicht und will das nicht.“), dann Faszination und Begeisterung („Wow! Es ist leicht, bald geht alles von allein!“), und schließlich, wenn man die Möglichkeiten von KI bis zu Ende gedacht hat, machen sich Ratlosigkeit und Angst breit („Wie sollen wir das handeln? Werden wir bald komplett ersetzt?“).

Ich kann das sooo nachvollziehen, vor allem, wenn es um KI und meine geliebte Kreativität geht. Wie emotional ich dabei bin, wurde mir klar, als ich zusammen mit einer Gruppe von Fiktion-Redakteur:innen über den Einsatz von KI diskutierte. Die wunderbaren Drehbuchexperten Taç Romey und Markus Walsch waren eingeladen, um zu zeigen, wie ChatGPT und Claude ganz konkret beim Drehbuchschreiben assistieren können. Ich selbst nutze KI für die Entwicklung von Bewegtbildformaten und habe meine eigene Systematik dafür entwickelt. Umso mehr bin ich gespannt, wie Drehbuchprofis mit KI für fiktionale Serien Loglines, Storys und Charaktere entwickeln.

Innerhalb von knapp drei Stunden sind erste Ansätze für eine Serie entstanden. Wir alle sind – wie so oft – ziemlich geflasht, was uns GPT-4 & Co an Ideen anbietet. Klar, die Stories sind hier und da ein bisschen vorhersehbar und die Charaktere manchmal nicht wirklich vielschichtig. Dennoch:  Was uns KI in sehr kurzer Zeit liefert, ist zumindest ein gutes Niveau, für das ein Mensch schon einiges an Können, Talent und Berufserfahrung mitbringen muss. Und es gibt eine Ahnung davon, was noch möglich ist, wenn man tiefer einsteigt.

Noch bevor wir die Story zu Ende entwickelt haben, kommen wie an die existenziellen Fragen, die uns umtreiben: Was passiert, wenn KI wirklich gut sein wird – also quasi morgen? Was bedeutet das für die Ausbildung von Filmschaffenden? Was für die unterschiedlichen Berufsbilder? Was für unsere geliebte Arbeit? Werden Filme und Serien besser oder nur billiger? Macht KI uns dumm und zerstört alles, was uns wichtig ist?

Wir sind also beim Fatalismus angekommen: Wir können – oder wollen – uns die Zukunft und uns in ihr nicht mehr richtig vorstellen. KI ist zu komplex, zu viel, zu schnell, zu krass. Wie soll man da noch mitkommen, geschweige denn mit gestalten?

KI ist zu komplex, zu viel, zu schnell, zu krass. Wie soll man da noch mitkommen, geschweige denn mit gestalten?

Diese Fragen stelle ich mir ständig. Manchmal bin ich richtig euphorisch, wenn mir was Cooles mit KI geling. Dann bin ich wieder total gestresst und frage ich mich, wie ich den Überblick behalten soll und ob meine Spielwiese KI und Kreativität überhaupt Sinn macht. Lohnt es sich, mich mit irgendwelchen Tools herumzuschlagen, um sie für kreative Prozess zu nutzen, oder ist das in einem Jahre sowieso überflüssig, weil KI einfach alles kann?

Mich erinnert das ein bisschen ans Surfen: wenn ich es geschafft habe, über das Weißwasser zu schwimmen und endlich eine kleine Welle erwische, bin ich glücklich. Aber dahinter türmen sich neue, immer größere Riesenbrecher auf und dahinter der unendliche Ozean. Dann bekomme ich Angst und möchte mich einfach an den Strand legen und zuschauen.

Ich finde das Bild vom Surfen ziemlich passend. Surfen ist mega anstrengend, weil es unglaublich viel Kraft kostet, immer und immer wieder gegen die Brandung zu paddeln. Es ist mega frustrieren, weil man –  ich zumindest – immer wieder in den Wellen scheitert und dann durch geschleudert wird. Man muss sich was trauen, und man muss was können. Aber man kann es nur lernen, wenn man es tut. Dann kommt irgendwann die Belohnung: das fantastische Gefühl, auf einer Welle, auf dem Wasser stehend gegen den Stand zu brettern.

Mir macht es Spaß, mich mit KI und kreativen Prozessen zu befassen. Hier und jetzt. Auch wenn es vielleicht morgen keinen Sinn mehr ergibt, auch wenn ich ewig im Weißwasser kämpfe, auch wenn immer mehr und immer größere Wellen kommen, die ich vermutlich nie reiten kann. Zumindest lerne ich und werde immer besser.

Wenn ich an die unterschiedlichen Emotionen beim Surfen denke, weiß ich wieder, warum es Sinn macht, mich weiter mit KI zu befassen. Surfen macht mir Spaß, auch wenn man zwischendurch buchstäblich kotzt. So wie es mir Spaß macht, mich mit KI und kreativen Prozessen zu befassen. Hier und jetzt. Auch wenn es vielleicht morgen keinen Sinn mehr ergibt, auch wenn ich ewig im Weißwasser kämpfe, auch wenn immer mehr und immer größere Wellen kommen, die ich vermutlich nie reiten kann. Zumindest lerne ich und werde immer besser. Wenn ich noch so oft durch gewirbelt werde, erschöpft am Stand sitze und auf die Wellensets schaue, die heran rollen. Nicht ins Wasser zu gehen, ist auch keine Option, oder?

Aber zurück zu den düsteren Szenarien und Fragen, in die ich mich mit dem Fiktion-Profis hineingesteigert habe: Macht KI dumm und zerstört alles, was uns wichtig ist? Mit dieser Perspektive überkommt mich das Bedürfnis, am Strand zu sitzen und aufs Meer zu schauen.  Aber ich will nicht zusehen, ich will mitgestalten, auch wenn es nur im Kleinen ist. Also überwinde ich mich und fokussiere meine Welle. Auf das, was ich gerade über KI und Kreativität gelernt habe und was mir bei der Arbeit mit den klugen Fiktion-Profis klar geworden ist:

Hier und jetzt macht KI nicht dumm, und sie zerstört auch heute nicht die Kreativität und die kreative Arbeit, die uns wichtig ist. Sie zwingt uns vielmehr, die kreativen Prozesse zu hinterfragen und sie besser zu strukturieren. Um gut mit KI zu kommunizieren, also richtig zu prompten, muss man in der Lage sein, eine komplexe Aufgabe in ihre Einzelteile zu zerlegen. Man muss wissen, wie die Einzelteile funktionieren und wie sie sich zu einem Muster fügen. Und man muss eine Vorstellung haben, wie es am Ende aussehen könnte.

Um gut mit KI zu kommunizieren, also richtig zu prompten, muss man in der Lage sein, eine komplexe Aufgabe in ihre Einzelteile zu zerlegen. Man muss wissen, wie die Einzelteile funktionieren und wie sie sich zu einem Muster fügen.

Das funktioniert nur, wenn man sich in seiner Domäne – dem Drehbuchschreiben, dem Formatentwickeln oder was auch immer – richtig gut auskennt. Je besser, desto besser. Nur wer weiß, was er oder sie will und es präzise ausdrücken kann, kann in der richtigen Reihenfolge in den Dialog mit den Bots treten. Nur dann besteht die Chance auf ein gutes und möglicherweise kreatives Ergebnis.

Und nur, wer genug Wissen und Erfahrung in seinem Fachgebiet hat, kann am Ende auch beurteilen, ob das Ergebnis gut und kreativ ist. Wer nichts vom Formatentwickeln, Filmemachen oder Drehbuchschreiben versteht, wird auch mit KI keine guten Stoffe entwickelt. Eine alte Prompterweisheit besagt:  Wenn Du Müll reingibst, kommt auch Müll raus.

Mit diesen Erkenntnissen bin ich glücklich, und meine Begeisterung kehrt langsam wieder zurück. Wieder eine Welle genommen, wieder etwas verstanden. Und je mehr ich verstehe, desto mehr kann ich heute und in Zukunft mit gestalten.

Kategorie Denken über KI