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Schnelle KI, langsame KI: Vom richtigen Tempo beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz

Generative KI wie ChatGPT einfach über den Browser zu benutzen, ist eine Sache. Aber was braucht es, um KI in einem großen Medienunternehmen wie dem Bayerischen Rundfunk schnell und nachhaltig einzusetzen? Ulrike Köppen trägt den sperrigen Titel „Head of AI + Automation Lab and Co-Lead of BR Data“ und befasst sich mit genau dieser Frage. Sie hat datengetriebenen Journalismus und Automatisierungen ebenso im Blick wie die KI-Strategie des Hauses. Uli und ich sind uns schon mehrfach begegnet, und es ist beeindruckend, wie klar, unaufgeregt und pragmatisch sie an komplexe Fragestellungen herangeht. Wahrscheinlich eine Grundvoraussetzung, um in diesem Job nicht die Nerven zu verlieren. Gut gelaunt und gut vorbereitet schaltet sich Uli zu unserem Gespräch über KI, den Hype, welche Hausaufgaben Medienunternehmen machen müssen – und wie sie es selbst schafft, sich zwischen Fokussierung und Fear Of Missing Out auszutarieren.

Tanja Deuerling: In vielen Unternehmen gibt es plötzlich Rollen mit KI im Titel. Du bist eigentlich Journalistin und beschäftigst dich schon seit vielen Jahren mit Daten und KI. Was war die Faszination, diesen Weg zu wählen?

Uli Köppen: Generell interessiere ich mich dafür, wie man Technologie einsetzen kann, um Journalismus besser zu machen. KI war ein logischer Schritt auf diesem Weg. Wir haben schon vor acht, neun Jahren ein Datenteam aufgebaut und haben Automatisierungswerkzeuge im Repertoire, um Daten zu untersuchen und daraus Geschichten zu erzählen. KI ist uns dabei schon sehr früh begegnet, und wir haben überlegt, wie man es einsetzen kann. Diese Welle mit generativer KI hat uns natürlich genauso erwischt wie alle anderen auch. Wir hatten nur ein bisschen mehr Zeit, uns damit auseinanderzusetzen. Was mich interessiert, ist, dass KI so voraussetzungsreich ist. Wenn man KI als Unternehmen einsetzen möchte, dann braucht man die richtigen Daten, Infrastruktur, neue Workflows. Das ist eine neue Welle der Digitalisierung. Und diejenigen, die ihre Hausaufgaben erledigt haben, können KI gut benutzen. Wir benutzen KI, um diese Hausaufgaben teilweise mitzuerledigen, als Vektor für Digitalisierung im Unternehmen. Das finde ich auch strategisch interessant.

Tanja: Du hast gerade etwas Wichtiges gesagt: Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden. Ist das auch Teil deines Jobs oder andersrum gefragt: Was umfasst dein Job im BR?

Uli: Ich darf die Daten- und KI-Teams im BR leiten. Wir sind vor allem im investigativen Journalismus unterwegs. Das heißt, wir benutzen diese Tools für Investigation und automatisierte Formate, etwa automatisierte Grafiken oder News-Briefings. Dann haben wir mittlerweile noch ein weiteres Produkt, nämlich Strategie. Das heißt, wir versuchen, das, was wir aus den Prototypen und Produkten lernen, in unsere Strategie einfließen zu lassen. Mein Job ist es also auch, der Anker zwischen den Teams und dem Management zu sein.

Tanja: Es kommen ja jede Woche neue Sachen auf den Markt, Stichwort Sora. Wo siehst du aktuell die größten Herausforderungen?

Unternehmensveränderung und Digitalisierung sind keine Dinge, die man nebenbei erledigt.

Uli: Persönlich versuche ich, mit meiner Zeit zu haushalten und die wichtigen Dinge vom Hype zu trennen, weil sehr viel Aufregung in diesem ganzen Thema ist. Das ist auch normal, wenn irgendwas gerade sehr trendet. Theoretisch könnte ich den ganzen Tag in Calls verbringen, aber ich versuche, das möglichst knapp zu halten, damit man auch noch zum Arbeiten kommt (lacht). Für den BR ist eine ganzheitliche Herangehensweise eine große Herausforderung. Was schnell und gut zu erreichen ist, sind Leuchtturmprojekte. Aber wichtig ist: Wie macht man KI nachhaltig nutzbar? Was priorisieren wir als Bayerischer Rundfunk? Und wie muss die Arbeit verschiedener Bereiche ineinandergreifen? Das ist eine große Herausforderung, weil das mit Unternehmensveränderung und Digitalisierung zu tun hat. Das sind keine Dinge, die man nebenbei erledigt.

Tanja: Du sprichst Veränderungen an. Das betrifft nicht nur den BR, sondern das betrifft jedes Medienunternehmen. Wie ist dein Blick auf die deutsche Medienlandschaft? Sind wir schnell genug? Sind wir veränderungsbereit genug? 

Ungeduld ist gut, weil sie uns schneller macht und agiler. Aber man muss erkennen, dass es zwei unterschiedliche Geschwindigkeiten gibt.

Uli: Die deutsche Medienlandschaft ist viel besser als ihr Ruf. Da ist gerade viel Experimentierfreude unterwegs und tatsächlich auch ein strukturiertes Vorgehen in den allermeisten Unternehmen, die ich so erlebe. Ich habe natürlich nicht den Innenblick auf diese Unternehmen, aber ich finde, dass gerade viele gute Dinge passieren und auch teilweise sehr schnell. Im Großen und Ganzen fühlt es sich natürlich immer zu langsam an. Wenn du ein Unternehmen verändern möchtest, möchtest du eigentlich am liebsten morgen Ergebnisse sehen. Aber kulturelle Veränderungen und auch Infrastrukturveränderungen, die mit Technologie verbunden sind, passieren nicht so schnell. Da muss man Ressourcen verschieben, man muss Entscheidungen treffen, man muss Teams zusammenbringen. Und das dauert immer länger als das, was gerade auf dem Markt passiert. Man muss unterscheiden zwischen dem, was man im Browser macht, also generative KI, die man einfach so benutzen kann – und wirklichen Unternehmensveränderungen, wo man an Systemen arbeitet, wo man Schnittstellen baut, und versucht, Daten in den Fluss zu bringen. Das sind unterschiedliche, aufeinander bezogene Vorgänge, und die haben unterschiedliche Geschwindigkeiten. Das macht einen immer ein bisschen ungeduldig, weil man den Eindruck hat, es kommen jeden Tag fünf neue Tools, Sprachmodelle, Veränderungen, Entwicklungen raus. Und wir müssen doch irgendwie auch genauso schnell sein! Die Ungeduld ist gut, weil sie uns schneller macht und agiler. Aber man muss erkennen, dass es zwei unterschiedliche Geschwindigkeiten gibt.

Tanja: Wie gehst du persönlich damit um?

Uli: Ich versuche zu viel Aufregung aus meinem Alltag rauszuhalten, weil ich für meine Arbeit einen guten Fokus brauche. Das heißt, ich bin nicht an jeder neuesten Entwicklung dran. Das ist der Abstrich, den ich mache. Ich lese nicht jeden Newsletter, und ich benutze nicht jedes Tool, sondern versuche für mich herauszufinden, wann möchte ich etwas ausprobieren, wann brauche ich zwei Stunden, um Arbeit fertig zu machen. Aber man hat auch immer so ein bisschen FOMO (lacht). Das gehört dazu, glaube ich.

Tanja: Auch wenn du versuchst, Aufregung herauszuhalten: Gibt es etwas, was dich in Sachen KI total begeistert oder total frustriert? 

Frustrierend finde ich immer wieder diese Infrastrukturanpassungen, die man vorher machen muss. Dass man erstmal in den Keller runtersteigen und schauen muss, wo liegen denn eigentlich meine Daten? 

Uli: Was mich begeistert, ist die Anwendungsfähigkeit dieser Technologie über alles hinweg. Dass man sie in verschiedenen Branchen und in verschiedensten Bereichen anwenden kann. Das finde ich so großartig. Im Medienbereich von der Barrierefreiheit, über die Produktion, von neuen Audios und Videos, hin zu investigativer Recherche. Das sind Bereiche, die vorher relativ getrennt voneinander existiert haben. Und jetzt gibt es eine Technologie, mit der du in nahezu allen Bereichen Workflows verändern und neue Ergebnisse erzielen kannst. Und das auch noch über verschiedene Industrien hinweg! Vom Radiologen bis zum Journalisten kann jeder neue Workflows ausprobieren. Das begeistert mich total, dass man eine Schlüsseltechnologie hat, die so viel auf einmal verändert. Das ist großartig! Frustrierend finde ich immer wieder diese Infrastrukturanpassungen, die man vorher machen muss. Dass man erstmal in den Keller runtersteigen und schauen muss, wo liegen denn eigentlich meine Daten? Haben wir eine Schnittstelle? Wie kommen wir denn da ran? Und das sind die Dinge, die dann einfach unfassbar langsam machen. Da braucht man Geduld. Das kann frustrierend sein.

Tanja: Du wurdest für das Women's Leadership Accelerator der Online News Association ausgewählt und hast erfolgreich teilgenommen. Worum geht es bei diesem Programm?

Uli: Das ist für Frauen in Führungspositionen in den Medien, die digital etwas verändern. Ich habe mich da sehr wohl gefühlt, weil du viele Leute in einer ähnlichen Situation kennenlernst. Meistens fühlt man sich zwischen den Stühlen: zwischen Produktentwicklung, Content-Produktion und Management. Das sind verschiedene Rollen, die man auch selbst prägt. Auch wenn wir in diesem Programm aus unterschiedlichen Kulturräumen gekommen sind, hatten wir sehr ähnliche Probleme und Leute, mit denen man diese Probleme teilt. Das war gut.

Tanja: Das Programm richtet sich speziell an Frauen. Hat das in deiner Domäne eine Bedeutung, dass man sich speziell an Frauen richtet?

Uli: Es gibt immer noch einen starken Männerüberhang, wenn du in den Medien ins Management guckst. Die einflussreichen Positionen sind immer noch stark in männlicher Hand. Ich persönlich hätte dieses Programm auch gemacht, wenn das gemischt geschlechtlich gewesen wäre, das hat für mich keine große Rolle gespielt. Für mich war es eher wichtig, dass man Leute in derselben Rolle und in dieser Position zwischen verschiedenen Gewerken im Journalismus kennenlernt, sodass man über neue Rollen und Entwicklungsmöglichkeiten sprechen kann. Diese Karrierepfade sind im Moment noch nicht ausgetreten. Dafür gibt es ganz wenige Role-Models. Das ist nicht schlecht, weil man sich Entwicklungsmöglichkeiten selbst bauen kann. Was aber den Nachteil hat, dass man sich mit wenigen Leuten darüber austauschen kann. Das war für mich der unique Selling Point dieses Programms. 

Tanja: Ich hasse es, irgendwelche Stereotypen zu bedienen, aber technikaffine Berufe werden immer noch stärker mit Männern verbunden. Trifft das in deinem Feld zu?

Uli: Ich glaube, die Schnittmenge Management und Technik ist im Journalismus nicht unbedingt männlich geprägt. Es gibt viele weibliche Leads, was die Datenteams angeht. Und im KI-Bereich ist es sehr ähnlich. Auch international, das sieht man auf den Konferenzen, gibt es viele Frauen. Ich habe aber keine repräsentativen Erhebungen, inwieweit da ein Ungleichgewicht herrschen könnte. Ich glaube, es ist eher so: je höher du aufsteigst auf der Karriereleiter, desto geringer ist die Chance, dass man Frauen trifft. Davon sind deutsche Newsrooms genauso betroffen wie in anderen Ländern. Technik, glaube ich, schreckt Frauen nicht unbedingt ab in diesen Jobs. 

Tanja: Letzte Frage: Was ist aus deiner Sicht der weiße Fleck, den KI momentan hat, der vielleicht auch am längsten noch erhalten bleibt?

Der blinde Fleck im Sprechen über KI ist, dass es nie die KI ist. 

Uli: Der weiße Fleck oder die Schwierigkeit beim Sprechen über KI ist, dass es für viele die KI ist. Es ist aber sehr Use-Case-abhängig, wie KI eingesetzt wird und wo. Blinde Flecken entstehen dann, wenn man Einsichten von einem Use-Case auf den anderen überträgt. Das funktioniert nämlich nicht immer gut. Das ist ein blinder Fleck im Sprechen über KI, dass es nie die KI ist.

Tanja: Vielen Dank, liebe Uli.  

Uli: Sehr gerne, danke für die Fragen.

Ulrike Köppen ist Head of AI + Automation Lab und Co-Lead of BR Data bei Bayerischen Rundfunk und arbeitet im Journalismus zu Automatisierung, Algorithmen und digitaler Strategie. Sie leitet interdisziplinäre Teams an der Schnittstelle von Journalismus und Technik, die sich auf investigative Datengeschichten, interaktives Storytelling und das Experimentieren mit Bots und maschinellem Lernen spezialisiert haben. Zusammen mit ihren Kolleg:innen hat sie BR Data und das AI + Automation Lab gegründet und zahlreiche Preise gewonnen. Als Nieman Fellow verbrachte sie ein akademisches Jahr in Harvard und am MIT und ist Teil des Women’s Leadership Accelerator der Online News Association. 

Kategorie Sprechen über KI