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Liebe*r Utopist*in!
Kannst du dich in Zeiten von ständigen Starkwettern und Finanzkrisen immer weniger auf das große Ganze verlassen, sind deine kleinen Strukturen im Nahumfeld umso wichtiger, um alltägliche Bedürfnisse erfüllen, für- und vorsorgen zu können. Es lohnt sich, da allmählich die Fühler auszustrecken ... Hier zwei (von vielen möglichen) Optionen, die ich zumindest im Auge behalte. Beide sind übrigens mögliche Vorläufer für das, was im JuliTopia-Universum "NahNetzwerke" heißt ...
Gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften
Anfang Juli war ich auf einem Netzwerktreffen für gemeinschaftsbasierte Gründer:innen. Menschen mit Ideen für neue Geschäftsmodelle oder mit bestehenden Gemeinschaften haben sich im schönen (gemeinschaftsbasierten) Tübinger Coworking-Space Franz!Werk ausgetauscht. Die Teilnehmenden befassen sich mit so unterschiedlichen Projekten wie Solidarischer Landwirtschaft, auch Foodcoops, Abomodelle für ökofaire Modeläden, Dorfzentren, gemeinschaftsbasierte Unternehmens- und Finanzberatung, u.v.m.
Bei allem geht grundsätzlich darum, einen (kleinen) Kreis von Mitgliedern zu gewinnen, die sich verpflichten, für einen bestimmten Zeitraum die Gründerperson zu unterstützen und ihre Dienstleistungen/Produkte zu nutzen. Die Gründerperson macht in einer anfänglichen Bieterrunde ihren Bedarf transparent und alle Mitglieder geben das dazu, was sie können, bis dieser Bedarf gedeckt ist.
Foto: privat
Die Stimmung war richtig schön, Essen, Schlafen und Zusammensein natürlich gemeinschaftsbasiert organisiert, sodass es gut leistbar war. Ein gutes Gefühl, zu wissen, dass überall an den Wurzeln sich Neues regt! In dieser Podcast-Folge (Öffnet in neuem Fenster) kannst du übrigens nachhören, wie Initiator Timo vom Myzelium Bildungsnetzwerk das Treffen erlebt hat.
Nachbarschafts-Netzwerken mit nebenan.de
Während des Hochwassers im Juli 2021, als bei uns der Keller vollstand und natürlich wegen Überlastung keine offizielle Hilfe zur Stelle war, war er plötzlich da, der Zusammenhalt mit den Nachbarn, mit denen man zusammen den Keller ausräumt. In den stark betroffenen Gebieten müssen die Leute das noch umsomehr gespürt haben ...
Eine schöne Plattform, um sich schnell und einfach mit Menschen zu vernetzen, die man bisher nicht kennen gelernt hat, obwohl sie nur einige Meter über, unter oder neben einem wohnen, ist nebenan.de. Egal, ob du einen gebrauchten Toaster suchst, dein Fahrrad kaputt ist oder du gerne jemanden hättest, der mit dir joggen geht - hier wirst du fündig. Letztens habe ich ein fast neuwertiges Bügelbrett für kleines Geld bekommen, das bei einer Nachbarin zwanzig Jahre ungenutzt im Keller stand. Und eben auch für Notfälle ist es gut, auch ohne ÖPNV, Handy und Internet vernetzt zu sein.
Hier kannst du schauen, wie viele in deinem Viertel schon dabei sind:
https://nebenan.de/ (Öffnet in neuem Fenster)Das Utopische Fenster zeigt dir Ausblicke in die Welt von Kyara, die 2055 in einer Welt lebt, die wesentlich ausbalancierter und resilienter ist als die jetzige. Was natürlich nicht heißt, dass es keine Herausforderungen mehr gibt ;-) Die ganze Story monatlich mitlesen kannst du hier:
Dieses Mal geht es passenderweise um die Stärke der lokalen Lösungen ...
Mehrere Menschen saßen auf dem Sechssitzer. Ein älterer Mensch mit Fellmütze und Stoppelbart stand neben der Kutsche auf dem Bürgersteig. Als er sie sah, kam er ihnen einige Schritte entgegen.
„Wo müsst ihr hin?“
„Richtung Sonnenhöhe“, sagte Kyara hoffnungsvoll.
„Dann rein mit euch! Bis ganz hoch fahre ich nicht, aber ich kann euch so weit bringen, wie es geht. Kann ja nicht sein, dass hier niemensch nach Hause kommt.“
Kyara strahlte. Das Dunkle, Satte und Wohlige zirkulierte nun in ihrem ganzen Körper. „Danke!“
Yon dagegen sah überrumpelt aus. Vielleicht wurmte es ihn auch, dass die Lösung so plötzlich und so ohne sein Zutun erschienen war. „Bist du sicher, dass das nicht zu kalt wird?“, fragte er zweifelnd. „Es ist weit.“
„Hier sind Decken für euch. Ich denke, dass wir zwischendurch Trab reiten können und gut durchkommen.“
Der Kutscher hatte sich auf den Bock gesetzt und warf den Sitzenden ein paar Decken zu. (...) Sie quetschten sich auf eine Bank neben jemensch mit Schal und Schnauzbart, ihnen gegenüber zwei bunt geschminkte Gestalten (wahrscheinlich Frauen) in Vogelkostümen und ein junger blonder Mensch. (...) „Ich bin Costa-Er“, rief der Kutscher freundlich von vorne. Auch Yon stellte sich als Er vor.
„Fährst du ganz unvernetzt?“, rief er Costa zu.
„Klar. Diese Pferde brauchen auch kein Agenty, um einen Pflug zu ziehen.“ Der Kutscher sah flüchtig nach hinten. „Normalerweise bin ich ans Mobinetz angeschlossen und buchbar, klar. Ich bin an die Agenty-Weisungen gebunden. Aber das hindert mich nicht daran, in so einer Ausnahmesituation nachts frierende Passagiere nach Hause zu bringen, wenn es sein muss.“
„So soll‘s sein!“, sagte Alessia, die weißes kurzes Haar und einen hochstehenden Kragen trug. „Alles fällt aus, aber auf seine Viertel-Nachbarn kann man sich verlassen!“
„Ja, was auch sonst!“, sagte der Kutscher vorne. Achtung, los geht‘s!“
Die Kutsche setzte sich in Bewegung, die eingespannten Kaltblüter zogen an. Wahrscheinlich Pflugpferde. Kyara und Yon teilten sich eine Decke. Kyara bewegte ihre eiskalten Zehen. Der Geruch der Pferde hüllte sie ein, die Hufe klackerten in gemächlichem Takt. Yon saß reglos neben ihr, den Kranz tief ins Gesicht gezogen. Lichter der Laternen, Windräder und Fenster glitten an ihnen vorbei, stille, reglose Hydros und Mikrofahrzeuge am Straßenrand – ein komisches Bild, sonst waren sie immer irgendwo und irgendwie sanft in Bewegung ... Kyara zog die Decke bis zum Kinn hoch und fühlte dankbar, wie die dunkle, satte Wärme nun ganz wirklich da war.
Utopisches Glossar*
* Hier inspiriert u.a. durch das Glomo (Öffnet in neuem Fenster)-Modell von p.m.