Fakt euch ins Knie – Gegen die Trumpisierung der Sozialen Medien
Noch bevor Donald Trump im Amt ist, kann er einen weiteren Erfolg für sich verbuchen: Die Trumpisierung der Sozialen Medien. Was mit der Übernahme von Twitter (jetzt „X“) durch Elon Musk begann und ganz maßgeblich zur Wiederwahl Donald Trumps beigetragen hat, geht nun nahtlos weiter mit einem Mark Zuckerberg, der sich ebenjene Übernahme zum Vorbild nimmt; zum Vorbild und zum Anlass, die sozialen Netzwerke von Meta fundamental umzugestalten.
Heißt im Klartext: Facebook, Instagram und Threads – letzteres für viele Twitterflüchtlinge, mich inklusive (Öffnet in neuem Fenster), über die letzten Monate zu einer nicht perfekten, aber halbwegs nutzbaren X-Alternative geworden – werden sich zukünftig von Faktenchecks verabschieden und sich an der Marschrichtung von Musk und Trump orientieren. In den wohlklingenden Worten des Meta-Chefs (Öffnet in neuem Fenster):
„Es ist an der Zeit, zu unseren Wurzeln zurückzukehren und den Menschen auf unseren Plattformen eine Stimme zu geben“.
Man wolle weniger eingreifen bei Themen wie Migration und Geschlecht, man werde Beschränkungen aufheben, die nicht „dem Mainstream-Diskurs entsprechen“, und Faktenchecks würden durch Community Notes ersetzt.
Ein Begriff fällt immer wieder: „Zensur“. Insgesamt verwendet Zuckerberg das Wort „Zensur“ in seinem kurzen Statement volle vier Mal. Die Botschaft: Bis jetzt hat uns der linke Zeitgeist zum Knebeln gezwungen, doch diese Ketten sind nun gesprengt. Friede, Freude, Fake News! Make Meta Great Again!
Make Meta Great Again
Die Schockwelle, die diese Ankündigung durch das Internet schickt, ist beachtlich – auf beiden Seiten (um brav auch in diesem Text den Zuckerbergsch gewollten bothsideism (Öffnet in neuem Fenster) zu bedienen).
Die Rechten sind begeistert, die Demokraten und Humanisten hingegen besorgt.
Wolfgang Kubicki (Öffnet in neuem Fenster), Alterspräsident der rechtslibertären Kleinpartei FDP, zeigt sich euphorisch:
„Mark Zuckerberg schafft die Faktenchecker bei Facebook ab und will ein System von Community Notes wie bei X etablieren. Gute Nachrichten für die freie Rede! Schlechte Nachrichten für die linkspopulistischen Grünen und ihren Heilsbringer Habeck, die künftig zwei Plattformen mit Regulierung und Verboten bedrohen müssen. WK“
Der übliche Freiheitspopulismus (Öffnet in neuem Fenster) also. Jene, die Steuern für Raub halten und ein Tempolimit auf Autobahnen für den ersten Schritt in die ökodiktatorische Unterjochung (kleine Erinnerung: fast jedes Land hat eins (Öffnet in neuem Fenster), nur Deutschland nicht), freuen sich diebisch, sobald ein Konzern ankündigt, gemeinwohlfördernde Regulierung herunterzuschrauben. Alle, die das mit berechtigter Sorge erfüllt, sind aus libertärer Sicht Spielverderber, Freiheitsfeinde und im Grunde quasi-totalitäre Verbieter.
Wie blind diese Art Libertarismus für unsere gesellschaftlichen und seine eigenen Voraussetzungen ist, hat die Vergangenheit bereits oft gezeigt. Und wie der demokratische Markt hinsichtlich libertärer Ideologien regelt, sieht man auch derzeit an der Wahlurne, wo die FDP, nach ihrer D-Day-dämlichen Ampelsabotage, momentan bei mickrigen 4% steht.
Zuckerberg verbreitet rechtsextreme Erzählung
Das CeMAS (Öffnet in neuem Fenster) wiederum sieht keinen Grund zum Feiern angesichts des Rechtsdrifts der weltweit größten sozialen Netzwerke. Das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Öffnet in neuem Fenster) (CeMAS) ist eine gemeinnützige Organisation mit wesentlicher Expertise im Bereich Verschwörungsideologien, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Desinformation. Eine anerkannte Institution, die Politik und Zivilgesellschaft gleichermaßen informiert und berät hinsichtlich gesellschaftspolitischer Radikalisierungstendenzen. Ihre Einordnung: Mark Zuckerbergs Ankündigung des Plattform-Politikwechsels reproduziert ein zentrales rechtsextremes Narrativ (Öffnet in neuem Fenster), nämlich die Vorstellung, demokratische Regierungen und ein vermeintlich linker Mainstream hätten es irgendwie geschafft, die freie Rede zu unterdrücken. „Die da oben“, so die seit Jahren propagierte Verschwörungserzählung, würden das Volk™ davon abhalten, seine Meinung zu sagen und sein Leben so zu leben, wie es eigentlich will; sodass dem armen, elitenunterjochten Volk schließlich nur die Möglichkeit bliebe, ins Völkische zu driften und Rechtspopulisten zu wählen.
Diese Gesellschaftsanalyse versagt schon auf deskriptiver Ebene. Sie ist, um es weniger akademisch zu formulieren, schlichtweg Quatsch.
Wo ist denn, bitte schön, dieser meinungsunterdrückende Mainstream, der die Menschen davon abhalte, ihre Meinungen zu sagen und rechten Parteien zu wählen?
Wo ist der viel gefürchtete Linksrutsch in einem Europa, das konstant politisch nach rechts rückt (Öffnet in neuem Fenster), und einem wiedergewählten Donald Trump in den USA, der vier Jahre nach dem Sturm aufs US-Kapitol kurz vor seiner zweiten Amtseinführung steht?
Die Antwort hierauf bleiben uns Zuckerberg, Musk, Kubicki und all die Pseudo-Unterdrückten schuldig. Allerdings kommt es auch hier wohl weniger auf die tatsächliche, faktische, empirisch belegbare Wahrheit an als auf die gefühlte, subjektive, bauchgefühlige Wirklichkeit.
Wagt man es, die Fakten wirklich zu checken, sieht die Lage anders aus:
Faktisch belegbar sind rechtsextreme Straftaten in Deutschland gerade auf einem Höchststand (Öffnet in neuem Fenster), gestiegen um über 17 Prozent. Das meiste davon sind Propagandadelikte und Volksverhetzungen.
Nicht mal die Rechtsextremen und die Neonazis scheinen sich sonderlich unterdrückt zu fühlen von einem angeblich linken Mainstream, sondern posaunen ihre menschenverachtenden und gleichzeitig strafbaren Ideologien so frei und so ungehemmt heraus wie nie.
Penis abgefallen
Auch die satirische Reaktion auf die angekündigte Faktencheckabstinenz ließ nicht lange auf sich warten. Im Stil einer NYT-Headline schrieb Jason Selvig (Öffnet in neuem Fenster) (bekannt als Hälfte des Satirikerduos „The Good Liars“ insbesondere für kuriose MAGA-Interviews) auf Instagram: „Meta to end fact-checking program in shift ahead of Trump term because Mark Zuckerbergs penis fell off“. Meta beendet Fact-Checking-Programm vor der Amtszeit von Trump, weil Mark Zuckerbergs Penis abgefallen ist. Auf ähnliche Weise verspottet (Öffnet in neuem Fenster) wurde letztes Jahr bereits Elon Musk für seine offensichtliche Abneigung gegen Fakten und ihre unabhängige Überprüfung: „Elon Musk – Dead at 52 – Says There Is No Need for Misinformation Laws“.
Was diese satirischen Beiträge verballhornen, liegt auf der Hand: In Zeiten sozialer Netzwerke und des Clickbait-Journalismus macht sich längst nicht jeder die Mühe, vermeintliche Nachrichten vor dem Teilen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Es wird geteilt, was provokant wirkt, was sich wahr anhört oder irgendwie mit dem eigenen politischen Bauchgefühl übereinstimmt.
Die Rechten wollen False Balance
Das neue System, an dem sich Instagram, Threads und Facebook orientieren sollen, heißt also Community Notes (Öffnet in neuem Fenster). Der zunächst plausible Grundgedanke: Anstatt Desinformationen und Verschwörungserzählungen einer externen Überprüfung zu unterziehen (und ggf. zu markieren oder, im seltenen Fall, zu löschen), verlässt sich ein Community-Notes-System auf das eigene Immunsystem einer Gemeinschaft, einer Community. Per Schwarmintelligenz soll somit jeder Falschbehauptung schnell eine Korrektur anbeigestellt werden.
Einer Falschbehauptung wie „Die Erde ist in Wahrheit flach, darüber belügt dich die Regierung!“ könnte also eine Notiz hinzugefügt werden, die auf die Erdkrümmung verweist und auf die überwältigenden Beweise, dass die Erde nicht flach ist, sondern rund. Nicht nur spart sich Meta (oder X, wo dieses System schon eingeführt wurde) auf diese Weise den Einkauf externer Expertise, da bei Community Notes niemand auf Honorarbasis recherchiert. Ebenso gibt man als Betreiberfirma seinen Usern eine wohlige Selbstwirksamkeitserfahrung, bei der jede Stimme vermeintlich gleichwertig auftritt und wo jede Expertise willkommen, jede Sichtweise gerngesehen ist. Es geht darum, „den Menschen auf unseren Plattformen eine Stimme zu geben“, um es in den Worten von Zuckerberg zu sagen.
Klingt zu gut, um wahr zu sein?
Ist es auch.
In Wahrheit zeigt die psychologische Forschung, dass allein die Konfrontation mit Verschwörungserzählungen (Öffnet in neuem Fenster) und Desinformation Menschen beeinflusst, und zwar Gegenrede (Öffnet in neuem Fenster) hin oder her. Weil wir eben keine Vernunftmaschinen sind, sondern bauchgefühlgeleitete Wesen, die sich nur bedingt an der faktischen Wirklichkeit orientieren – und nicht selten an bestehenden Vorurteilen und Meinungen festhalten, auch nachdem man uns korrigiert.
Selbst ein Satz wie „Impfungen verursachen keinen Autismus“ – die faktisch korrekte Zurückweisung einer populären Verschwörungserzählung (Öffnet in neuem Fenster), die u.a. der angehende US-amerikanische Gesundheitsminister Robert F. Kennedy JR. (Öffnet in neuem Fenster) vertritt – funktioniert nur, indem man die Konzepte „Impfungen“ und „Autismus“ zusammendenkt, und sei es als Negation.
Hier gilt abgewandelt, was die Antike schon als Sprichwort kannte: Audacter calumniāre, semper aliquid haeret. »Verleumde nur dreist, etwas bleibt immer hängen«. Dasselbe gilt für Verschwörungserzählungen und Desinformationen: Täusche nur dreist, etwas bleibt immer hängen. Wer mit Dreck wirft, wird schon irgendwen treffen. Sogar wenn es digitaler Dreck ist.
Besser als eine Publikation von Verschwörungserzählungen neben ihrer Widerlegung wäre es, gefährliche Desinformationen und Verschwörungserzählungen gleich zu löschen oder algorithmisch einzuschränken, bevor sie ein größeres Publikum erreichen.
Genau gegen solche Vorgehensweisen wendet sich Meta jetzt. Derartige Regeln seien, so die verdrehte libertäre Ansicht, „Zensur“ und würden „echter Freiheit (Öffnet in neuem Fenster)“ im Wege stehen.
Politisch radikale Meinungen, Desinformation und Verschwörungserzählungen sollen als gleichberechtigte Beiträge behandelt werden. Der eine sagt, die Mondlandung habe so stattgefunden, wie sie in den Geschichtsbüchern steht; der nächste sagt, die Mondlandung habe nie stattgefunden (Öffnet in neuem Fenster) und sei ein Lügenkonstrukt der Regierung; und beide Meinungen koexstieren vermeintlich friedlich nebeneinander, ganz ohne dass dich irgendein hochnäsiger externer Faktenchecker wissen lässt, dass du strunzblöden Bullshit laberst.
Wie gut das klappt, sieht man ja auf X – jener Plattform, die Elon Musk innerhalb von zwei Jahren in eine völkisch-nationale Radikalisierungsmaschine umgebaut hat, die vorgibt, für Meinungsfreiheit zu stehen, allerdings, Community Notes zum Trotz, vor allem völkisch-nationalistische, konspirative und unwahre Behauptungen amplifiziert. Ob man auf X eine Reichweite erhält, hängt nämlich weniger vom Wahrheitsgehalt des Beitrags ab, sondern von zwei simplen Tatsachen: ob man die Ideologie des Betreibers teilt und, noch wichtiger, ob man brav per Abomodell für seine bedingte „Meinungsfreiheit“ bezahlt (blauer Haken).
Elon Musk selbst hat die Community-Notes-Funktion bei seinem eigenen Account immer wieder abschalten (Öffnet in neuem Fenster) lassen. Zu oft wurde er korrigiert (Öffnet in neuem Fenster), zu öffentlich wurde er der Unwahrheit überführt, zu peinlich war ihm die Korrektur. Tja. Korrigiert werden darf jeder, nur der König nicht. „Des Kaisers neue Community Notes“ oder: grenzenlose Freiheit hat auf einer Tech-Oligarchen-Plattform nur der Tech-Oligarch.
Du kannst deine eigene Meinung haben, aber nicht deine eigenen Fakten
Eine schlechte Zeit für die Wahrheit also. Donald Trump, der sich erfolgreich durch vier Jahre Regierung und durch einen kompletten Wahlkampf gelogen hat, wurde nun zurück ins Weiße Haus votiert mit Unterstützung des reichsten Mannes der Welt und seiner hauseigenen Propagandamaschine.
Mark Zuckerberg wiederum macht den Musk und kippt Benzin ins Feuer. Zukünftig ist Online-Radikalisierung, Hassrede (Öffnet in neuem Fenster) und Desinformation noch einfacher, noch wahrscheinlicher und quasi von ganz oben abgesegnet. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wirds noch mehr Stimmungsmache geben, noch mehr Polarisierung, noch mehr Verschwörungserzählungen, noch mehr Hassrede.
Hinter den momentanen politischen Entwicklungen steht eine kleine Kaste Milliardäre, deren libertärer Opportunismus (Öffnet in neuem Fenster) ähnlich grenzenlos ist wie ihr Kontostand. Ein weiteres Kapitel in den Geschichtsbüchern darüber, dass Kapitalisten jederzeit bereit sind, sich Autokraten zu unterwerfen. Und dass die Demokratie käuflicher ist als befürchtet.
Um nicht nur negativ zu sein: Bluesky (Öffnet in neuem Fenster) ist eine gute, dezentrale Plattform ohne skrupellosen Milliardär. Eine plötzliche Drehung um 180-Grad ist dort nicht zu befürchten. So besorgniserregend die Entwicklung von Meta auch sein mag: Eine vollständige Privatisierung der Öffentlichkeit (Öffnet in neuem Fenster) wird es nicht geben. Und wo sie stattfindet, müssen wir sie bekämpfen. In diesem Kampf sind wir nicht allein: Die Europäische Union hat schon angekündigt (Öffnet in neuem Fenster), sich Metas Entwicklung nicht einfach gefallen zu lassen.
(Öffnet in neuem Fenster)Auch den Glauben an die Wahrheit sollten wir keineswegs aufgeben. Wahrheit gibt es (Öffnet in neuem Fenster). Nicht der Wahrheitsbegriff leidet momentan, sondern die Qualität der sozialen Medien. Fakten existieren nach wie vor, von Firmenpolitik gänzlich unabhängig. Die Wirklichkeit kann man besser oder schlechter beschreiben, zutreffender oder weniger zutreffend. Es liegt an uns, die Radikalisierungsunternehmer und ihre Anhänger wissen zu lassen: Deine eigene Meinung kannst du haben, niemals aber deine eigenen Fakten.
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