Apokalypse später
Liest man die Nachrichten der letzten Tage und Wochen, könnte man auf den ersten Blick meinen, die AfD habe zumindest mit einer Sache recht: Es geht bergab mit Deutschland. Die Negativnachrichten überschlagen sich. Die Jugend radikalisiert sich (Öffnet in neuem Fenster) online wie offline. Parteiübergreifend werden Politikerinnen und Wahlhelfer bepöbelt, bespuckt und bedroht, in einigen Fällen sogar verprügelt – im Fall Matthias Ecke bis ins Krankenhaus. Im World Happiness Report (Öffnet in neuem Fenster), dem Weltglücksindex, rutscht Deutschland von Platz 16 auf Platz 24. Um die Pressefreiheit darf man sich zwar nach wie vor sorgen, allerdings ist Deutschland im internationalen Ranking etwas aufgestiegen; weniger, weil es hier so gut läuft (nach wie vor gibt es Angriffe (Öffnet in neuem Fenster) auch auf Journalistinnen und Journalisten), sondern anderswo schlechter (Öffnet in neuem Fenster). Von Klimakrise und Eurovision Song Contest fangen wir lieber gar nicht erst an. Niedergang, wohin man blickt.
My only friend, the end
Was – trotz nuklearem Säbelrasseln aus Moskau – immerhin ausbleibt, ist der ganz große Knall, das apokalyptische Finale. Andererseits schrieb der Literaturnobelpreisträger und große Untergangsdichter T.S. Eliot:
„Auf diese Art geht die Welt zugrund / Nicht mit einem Knall: mit Gewimmer“ (“This is the way the world ends. Not with a bang but a whimper”).
Nicht jedes Ende ist laut. Der Gang der Dinge ist oft unscheinbar.
Haben die Früher-war-alles-besser-Krakeeler also recht? Saust der Fahrstuhl ungebremst nach unten? Höchste Zeit, das Handtuch zu werfen?
Nein. Bloß weil sich Katerstimmung breit macht, sind nicht alle Gläser halb leer. Die politische Wirklichkeit ist, wie üblich, etwas komplizierter als Populisten und Scharfmacher uns weismachen wollen. Und selbst angesichts reeller Probleme und suboptimaler Gesellschaftsentwicklungen: Wir sollten vorsichtig sein mit der Niedergangsrhetorik.
Wir erleben momentan tatsächlich eine erschütternde Gewaltwelle gegen Mandatsträger, gegen Wahlkämpferinnen und gegen politische Einrichtungen. Ziel der Gewalt sind nicht allein die Repräsentanten und Repräsentatinnen unserer Demokratie, sondern die repräsentative Demokratie selbst. Manche fühlen sich nicht ganz zu Unrecht um ein Jahrhundert zurückgeworfen. So schreibt Markus Feldenkirchen in seinem Artikel „Ein Hauch von Weimar (Öffnet in neuem Fenster)”:
„Natürlich kann man die Schulter zucken oder sagen: passiert. Und es stimmt: Keine der folgenden Nachrichten aus dem gerade laufenden Europawahlkampf ist für sich genommen ein Skandal. Zusammengenommen aber sind sie die Vorstufe einer Tragödie.“
Tatsächlich ist es ein schmaler Grat zwischen dem aufmerksamen Erkennen von Warnzeichen und gesellschaftlichen Verfallserscheinungen – und einem übersensiblen Alarmismus, vielleicht sogar dem verfrühten Ausrufen der Apokalypse.
Grausamkeit mit Ansage
Ohne die brutalen, antidemokratischen, gemeinwohlgefährdenden Gewaltereignisse der letzten Wochen relativieren zu wollen, muss man festhalten: Nichts davon ist neu. Leider. Nichts davon kann jene überraschen, die die Warnzeichen sehen. Dafür muss man kein Apokalyptiker sein.
Um zu verstehen, wer am Niedergang Interesse hat, müssen wir sehen, wer vom Niedergang profitiert.
Eine kleine Chronik. Fast sieben Jahre nachdem Alexander Gauland (AfD) verkündete „Wir werden sie jagen!“, zeigt sich mehr und mehr: Die Jagd läuft längst. Ähnlich lange ist es her, dass der Faschist Höcke (AfD) von einer „wohltemperierten Grausamkeit (Öffnet in neuem Fenster)“ faselte, die zur rechtsextremen Revolte nötig sei, auch gegen die eigene Bevölkerung. Dass CDU-Politiker Walter Lübcke für seine vermeintlich zu flüchtlingsfreundliche Politik vom Neonazi und AfD-Wahlkampfhelfer (Öffnet in neuem Fenster) Stephan Ernst per Kopfschuss ermordet wurde – im Juni fünf Jahre her. Und erst ein halbes Jahr ist das als „Wannseekonferenz 2.0“ bekannt gewordene Potsdamer Treffen her, das mit seinen Deportationsfantasien und Wunschvorstellungen rechtsextremer Allmacht schließlich Auslöser wurde für die größten prodemokratischen Demonstrationen in bundesdeutscher Geschichte. Jene Anti-AfD-Demos, an denen Millionen teilnahmen, auch ich; und die, man glaubts kaum, ebenfalls erst dieses Jahr stattfanden.
Wir leben, so scheint es, kollektiv das Tim-und-Struppi-Meme, wo Tim und Kapitän Haddock am Biertisch sitzen, und der Kapitän erschöpft und mit leerem Blick sagt „Was für eine Woche, oder...!?“, woraufhin Tim ihm entgegnet: „Kapitän, es ist Mittwoch!“.
Es ist erst Mittwoch
Der Resignationsmodus ist nachvollziehbar, besonders in Zeiten außerordentlicher Kraftanstrengung. So richtig produktiv ist Pessimismus nicht, weder politisch noch persönlich. Keine Sorge, ich werde an dieser Stelle nicht mit positiver Psychologie (Öffnet in neuem Fenster) anfangen; auch hier gilt es den schmalen Grat zu balancieren zwischen Schwarzmalerei und optimistischer Ignoranz.
Wenn jemand beim Plakate-Aufhängen zusammengeschlagen wird, hilft kein Schönreden. Wenn Faschisten und Rechtsextreme ihre von langer Hand angekündigte Grausamkeit Stück für Stück durchziehen, ist erst Aufmerksamkeit, dann Gegenwehr gefragt. Jenseits alarmistisch-apokalyptischer Tendenzen müssen wir die Lage beschreiben, wie sie ist: Kritisch, aber keineswegs hoffnungslos.
Und an dieser Stelle sei mir vielleicht doch eine Durchhalteparole erlaubt: Es liegt an uns, dass es mit dem Land nicht den Bach runter geht. Und daher ist es unsere Verantwortung dafür zu sorgen, dass präapokalyptische Narrative nicht überhandnehmen. Auch einige der momentan erscheinenden Weimar-Texte schießen, bei aller guten Absicht, übers Ziel hinaus.
Fakt ist: Die AfD will, dass wir uns als heruntergewirtschaftet, gefährdet und am Abgrund begreifen. Rechtsradikale wollen, dass wir uns als gebrochenes Land, als frakturierte Gesellschaft wahrnehmen, damit ihr rechtes Retternarrativ verfängt. „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“ ist ein Spruch des damaligen AfD-Pressesprechers Christian Lüth, der ebenfalls schon ein paar Jahre alt ist, aber ungebrochen aktuell. Und entgegen aller Niedergangsprosa von Thilo Sarrazin und Konsorten hat sich Deutschland nicht abgeschafft, im Gegenteil. Die AfD sinkt in den Umfragen (Öffnet in neuem Fenster), die deutsche Wirtschaft erholt sich langsam (Öffnet in neuem Fenster) und der Ausbau erneuerbarer Energien (Öffnet in neuem Fenster) läuft langsam, aber er läuft.
Extremisten profitieren von Weltuntergangsstimmung
Politische Extremisten profitieren davon, dass wir Menschen prädestiniert dafür sind, stets vor allem das Schreckliche zu sehen. „Negativity bias (Öffnet in neuem Fenster)“ nennt das die Psychologie. Die negativen Ereignisse bleiben hängen, dem Positiven schenkt unser Bewusstsein weniger Raum. Das gilt politisch, beim Blick in die Abendnachrichten, wo uns alles fürchterlich erscheint, (Öffnet in neuem Fenster) was wiederum eine kollektive Nachrichtenmüdigkeit bedingt. Teilweise ist von einer fünffachen Verzerrung die Rede – auf negative Nachrichten reagieren wir angeblich fünfmal stärker als auf positive oder neutrale. Und auch privat erinnert man eher das misslungene Kompliment, den sozialen Fauxpas oder die merkwürdige Situation als die vielen guten, komplett undramatischen Momente, die den eigenen Alltag mindestens fünffach dominieren. Der Deutsche spielt eher im Team „Muss ja!“ als im Team „Geht schon!“.
Die Wahrheit ist weniger dramatisch als ihre Dramatisierung. Natürlich: Der Versuch von Extremisten, unsere Demokratie zu korrumpieren, geht ungebrochen voran. Es ist eine Politik der kleinen Nadelstiche. Jede Bedrohung, jede Bepöbelung demokratischer Vertreter soll erstens zur schrittweisen Verschlechterung des sozialen Ist-Zustandes und zweitens zur Zerstörung des demokratischen Diskurses und der pluralistischen Gesellschaft insgesamt beitragen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und gegensteuern – aber ohne kollektive Resignation, ohne Weltuntergang und ohne Panik. Denn jene Panik ist genau das, was die Extremkräfte erreichen wollen.
„Demoracy dies in darkness“ lautet der teils gefeierte, teils parodierte Leitspruch der Washington Post. So sehr ich Alliterationen mag: Das Gegenteil ist der Fall. Demokratien sterben im helllichten Tagesslicht, an Wahlkampfständen. Im Internet. Vor aller aber: Sie werden ebenso dort gelebt, verkörpert und ebenso dort verteidigt.
Die resiliente Demokratie ist die gelebte Demokratie
Was also tun gegen diese immerwährenden Angriffe? Eine, schlichte, undifferenzierte und gleichzeitig wahre Antwort auf diese Frage gibt es leider nicht. Das ist ja das Problem: Dass die schlichten Antworten meist die falschen sind. Überlassen wir das dümmliche Vereinfachen also den Populisten, wagen wir den Versuch der Differenzierung.
Differenziert betrachtet – und positiv gesprochen – bleibt der Gesellschaft eine große Bandbreite an Verteidigungsmöglichkeiten und Abwehrmechanismen auf die Angriffe, die wir momentan erleben. Zunächst gilt es die Wahrnehmung zurechtzurücken. Stephan Zänker, Geschäftsführer des Hauses der Weimarer Republik, konstatiert (Öffnet in neuem Fenster):
„Wir sind weit, weit entfernt von den Rahmenbedingungen der Weimarer Republik, glücklicherweise, und man sollte jetzt auch nicht anfangen, das Ende der Weimarer Republik sozusagen schon für die Bundesrepublik zu prognostizieren.“
Teilweise erstarre man angesichts der Parallelen, ja, aber so fährt Zänker fort: „Demokratie wird immer angegriffen (Öffnet in neuem Fenster); es ist ein Normalzustand, dass es antidemokratische Kräfte gibt.“
Gleichzeitig muss man dem Bundeskanzler zustimmen, der dieser Tage sagte (Öffnet in neuem Fenster), Angriffe auf unsere Demokratie gingen uns alle an. Olaf Scholz fügt hinzu:
„Eine Antwort, die jede und jeder von uns geben kann, ist ganz einfach: wählen gehen!“
Dieser Forderung muss man sich allein argumentationslogisch anschließen. Insbesondere kurz vor der Europawahl muss man darauf hinweisen, dass nur eine gelebte Demokratie eine resiliente Demokratie sein kann. Gleichwohl ist die Aufforderung, wählen zu gehen und demokratische Parteien zu wählen, für sich genommen ein No-Brainer. Olaf Scholz macht es sich – Kritiker würden sagen: mal wieder – etwas einfach.
AfD-Verbotsverfahren jetzt
Wichtiger und mutiger wäre es, das Problem an der Wurzel zu packen. Und die Wurzel gilt in mehreren Bundesländern bereits als „gesichert rechtsextrem“ und heißt AfD. Von den Gewaltaufrufen der letzten Jahre bis hin zu den Spionagefällen der jüngeren Vergangenheit: alles „alternative“ Resultate. Auch die Gewalttäter von Dresden (Öffnet in neuem Fenster) sind offenbar AfD-Sympathisanten.
Eine Gesellschaft wiederum, die es mit der eigenen Resilienz und der eigenen Wehrhaftigkeit – und somit ihrem Fortbestehen – ernstmeint, muss ihre Gegner mit allen demokratisch legitimen Mitteln bekämpfen. Ein solches Mittel heißt selbstverständlich: AfD-Verbotsverfahren. Die Ungewissheit (Öffnet in neuem Fenster), wie ein solches Verbotsverfahren schließlich ausgeht, darf nicht zur Folge haben, es niemals anzustoßen.
Wer auf die eigene Notwehr verzichtet, ist nicht umsichtig, sondern dumm.
Dass die AfD mit ihrer völkischen Ideologie das Gemeinwohl und die Demokratie immer mehr gefährdet, kann keiner mehr übersehen. Seit Jahren schon weiß die Forschung, wie rechte Verschwörungserzählungen rechte Gewalt motivieren (Öffnet in neuem Fenster). Hinter den Wutbürgern, die auf wir auf den Straßen sehen, steht eine Wutpartei, welche die politische Wirklichkeit bewusst durch Desinformation verdreht.
Angriffe mit kleinen Nadelstichen hält man aus, indem die Haut dicker wird. Passive Resilienz, sozusagen. Viel wichtiger ist es aber, den Angreifern möglichst viele Nadeln wegzunehmen. Dies muss auch bedeuten, ein AfD-Verbotsverfahren einzuleiten. Um die Ressourcen, die dem Angreifer zur Verfügung stehen, auf demokratische Weise zu verringern.
Es stimmt also. Noch ist die Welt nicht untergegangen – und das wird sie auch so schnell nicht. Aber wehrhaft ist nur, wer sich wehrt.
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