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Wer CDU wählt, kriegt die AfD (Essay)

Mit „Paradigmenwechsel (Öffnet in neuem Fenster)“ beschreibt die Wissenschaft eine grundsätzliche Änderung der Sichtweise, eine umfassende Neuausrichtung einer Theorie hinsichtlich Ansatz, Begriffen und hinsichtlich ihrer Erklärungskraft. Alte Überzeugungen verlieren ihre Gültigkeit, an ihre Stelle treten neue. Ein weltbekanntes Beispiel für einen Paradigmenwechsel ist die kopernikanische Wende, d.h. die Erkenntnis, dass sich in Wahrheit nicht die anderen Planeten um die Erde drehen, sondern die Erde sich, als ein Planet von mehreren, um die Sonne (es gibt viele, viele weitere Beispiele (Öffnet in neuem Fenster)).  

Man kann durchaus sagen, dass es im deutschen Bundestag zu einem Paradigmenwechsel kam. Die berechtigte Kontaktscheu der demokratischen Parteien zur rechtsextremen AfD wurde von der Union verworfen. Die CDU/CSU unter Merz hat ihr Kooperationsverbot mit der AfD aufgekündigt, die innerdemokratische Brandmauer wurde abgeschafft. Zunächst hat die AfD gemeinsam mit der FDP erfolgreich für einen Unionsantrag (Öffnet in neuem Fenster) gestimmt, der eine Verschärfung der Migrationspolitik fordert. Wenige Tage später die ebenfalls unionsgeführte Debatte um das „Zustrombegrenzungsgesetz (Öffnet in neuem Fenster)“ (die Debatte läuft, während ich diese Sätze schreibe).

Ein Paradigmenwechsel also. Eine rechtsextreme Partei soll, so fordert es die Union unter Merz, selbst im Land des Nationalsozialismus, nicht mehr geächtet werden, sondern wird faktisch normalisiert, gleichbehandelt und inkludiert. Eine Partei wie jede andere, quasi. Eine Partei, mit der man aus Sicht der Union Mehrheiten beschaffen, Gesetze einbringen und Gesellschaftspolitik machen kann. Das ist neu.  

Andere, weniger akademische Worte für diesen Paradigmenwechsel lauten: „historischer Tabubruch (Öffnet in neuem Fenster)“, „ein Bruch in unserer demokratischen Kultur (Öffnet in neuem Fenster)“, „moralische Bankrotterklärung (Öffnet in neuem Fenster)“. In den sozialen Netzwerken war von einem „Brandmauerfall“ die Rede.   

Fritz, du warst früher ganz anders! (2021)

Diejenigen, um die es geht – die Union, bestehend aus CDU/CSU – sehen das freilich ganz anders: „Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen“, heißt es da von Friedrich Merz. Und natürlich: Wenn ein AfDler Wasser nass findet, wird es dadurch nicht trocken und wenn Alice Weidel „Guten Morgen!“ sagt, ist die Replik nicht automatisch „Schlechten Abend!“. Auch Rechtsextreme haben Meinungen, die wahr sein können, fernab ihrer politischen Überzeugung – selbstredend.

Innerhalb der politischen Meinungssphäre sollte man sich allerdings von menschenfeindlichem Gedankengut distanzieren. Wie Max Czollek schreibt (Öffnet in neuem Fenster):

„Die CDU argumentiert aktuell: Wir arbeiten nur mit der AfD zusammen, weil SPD und Grüne nicht zustimmen. Ich übersetze das mal: weil wir keine demokratische Mehrheit bekommen, arbeiten wir mit Rechtsextremen zusammen. Nur so als Gedanke: Wenn das so ist, vll. ist auch einfach eure Idee rechtsextrem.”

Wenn wir Freunde wären

Um den Austritt der Union aus der politischen Mitte in den Worten der legendären „Tic Tac Toe“-Pressekonferenz (Öffnet in neuem Fenster) zu beschreiben:

 „Wenn wir Freunde wären, dann würdest du so einen Scheiß überhaupt nicht machen!“

Die Brandmauer verläuft nun also jenseits der CDU (Öffnet in neuem Fenster), oder, um im Bild zu bleiben: Die Union – und die FDP übrigens auch, sie wird dieser Tage oft als AfD-Beihelfer vergessen; daran gefällt mir immerhin, dass es den jetzigen Status der FDP ganz gut beschreibt: leicht zu vergessen – hat sich mit der AfD angefreundet. Die CDU sagt zur AfD, um mit den popkulturellen Vergleichen in den Neunzigern zu bleiben: „Willst du mit mir geh’n?“ (Öffnet in neuem Fenster)

Das Problem: Die AfD will gar nicht. Schlimmer noch! Die AfD will, auf lange Sicht, die CDU sogar zerstören! Das orakelt nicht Jan Skudlarek in seinem linksgrünversifften Newsletter, nein, das sagt AfD-Zentralfigur Maximilian Krah ganz offen (Öffnet in neuem Fenster):

„Die politische Rechte kommt nur dann zum Erfolg, wenn die Christdemokraten verschwinden. Von daher setze ich nicht auf die CDU, ich setze auf die Implosion der CDU!“

Es gehe um die Zerstörung der CDU „in zwei Teile; in einen Teil, der rechstoffen ist und einen Teil, der eine Art Grüne 2.0 ist“. Mal abgesehen von der hanebüchenen Behauptung, nachweisbare Teile der CDU wären „Grüne 2.0“, nur weil sie nicht jeden, der das Wort „Asyl“ sagt, an der Landesgrenze niederknüppeln wollen: man darf beglückwünschen. Maximilian Krah, der zu den Radikalen des völkisch-nationalistischen Flügel der AfD gezählt wird und der seine Hoffnung auf den Zusammenbruch der Union schon im Herbst 2023 äußerte, dürfte seinem Parteiziel Anfang 2025 ein ordentliches Stück nähergekommen sein.  

Glückwünsche gehen raus

Beglückwünschen kann man auch all jene, die den unwürdigen Paradigmenwechsel des Friedrich Merz als das erkennen, was er ist: die offen ausgestreckte Hand an die geistigen Erben des Nationalsozialismus. Der rote Teppich für die Feinde unserer liberalen Gesellschaftsordnung. Manche von jenen, die das erkennen, ziehen die nötigen Konsequenzen. Deutlicher formuliert: Man kann jedem Parteimitglied, das jetzt aus der CDU, CSU oder aus der FDP austritt, wirklich nur gratulieren. Lieber raus als mit einem Bein in der AfD. Der bekannteste CDU-Parteiaustritt (Öffnet in neuem Fenster) ist zum jetzigen Zeitpunkt der jüdische Publizist Michel Friedman. Er spricht von einer "katastrophalen Zäsur" und einem "unentschuldbaren Machtspiel".

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Ebenso ging der Parteiaustritt eines internetbekannten evangelischen Pfarrers viral – Pfarrer Jörg Niesner erklärte auf Instagram (Öffnet in neuem Fenster), warum jetzt, nach 25 Jahren, sein endgültiger Bruch mit der CDU gekommen ist. Die Kirchen verurteilen (Öffnet in neuem Fenster) übrigens Merz‘ Migrationspläne ebenso, und die Satireseite Postillon witzelte:

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In Rente, aber trotzdem da / Angela Merkel Antifa

Und wenn eine ehemalige Kanzlerin sich aus der Rente meldet (Öffnet in neuem Fenster), um im Wahlkampf ihre eigene Partei zu kritisieren, dann, ja dann muss wirklich etwas fundamental schiefgelaufen, etwas fundamental ins Rutschen gekommen sein. Mit Bezug auf einen Vorschlag von Friedrich Merz aus dem November 2024 (!), der besagte, sich keine Mehrheiten mit AfD-Hilfe zu beschaffen (!!), schrieb die Altkanzlerin (Öffnet in neuem Fenster):

„Dieser Vorschlag und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung, die ich vollumfänglich unterstütze. Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen.

Stattdessen ist es erforderlich, dass alle demokratischen Parteien gemeinsam über parteipolitische Grenzen hinweg, nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts, alles tun, um so schreckliche Attentate wie zuletzt kurz vor Weihnachten in Magdeburg und vor wenigen Tagen in Aschaffenburg in Zukunft verhindern zu können."

Womit wir beim Auslöser oder, vielmehr Aufhänger, dieser politischen Fundamentalverschiebung wären: Dem schrecklichen Attentat von Aschaffenburg. In diesem Kontext möchte ich Kriminalkommissar Jan-Denis Wulff zitieren (Öffnet in neuem Fenster): „Sicherheit ist weitaus mehr als Abschiebungen“. Wer denkt, Deutschland könne sich in die Sicherheit hineinisolieren, irrt. Das Gegenteil ist der Fall: Wir müssen jene, die zu uns kommen und die hier bleiben, richtig integrieren, besser integrieren. Dazu gehören, neben einem schnellen Zugang zu Arbeit und Sprache, ebenso eine bessere psychiatrische Betreuung und viel mehr integrierende Sozialarbeit.

Mehr Integration, nicht weniger

Wir sollten also nicht weniger für Integration ausgeben, sondern deutlich mehr. Denn ja, Integration kostet Geld, sie kostet viel Geld. Mit der Integration verhält es sich allerdings so wie mit dem Klimawandel: Was jetzt Geld kostet, ist eine sinnvolle Investition in die Zukunft. Und andersherum: Jetzt kein Geld auszugeben, erhöht die zukünftigen Kosten um ein Vielfaches. Wer jetzt nicht gut managt, steht in der Zukunft unnötig vor dem Chaos.

Übrigens: Wenn man sagt, dass Menschen mit psychischen Krankheiten (Öffnet in neuem Fenster), wie der Täter von Aschaffenburg zum Beispiel, besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge benötigen, dann ist das keine Täter-Opfer-Umkehr, sondern, im Gegenteil, aktive Gewaltprävention und kluge Sozialpolitik. Wer stattdessen in eine stupide „Ausländer raus!“-Haltung (Öffnet in neuem Fenster) verfällt, wird weder der gesellschaftlichen Wirklichkeit gerecht noch seiner eigenen Problemlösungskompetenz. Darüber hinaus steht man damit in der Tradition der dunkelsten Geistesgeschichte, die Deutschland – ja vielleicht überhaupt ein Land – zu bieten hat.

Noch ist Wahlkampf

Was also tun? Die einfache Wahrheit, die auch dem jetzigen Rechtsruck unter Merz zugrunde liegt, lautet: Es ist Wahlkampf. Wir haben noch mehrere Wochen Zeit, um unsere Familie, unsere Freunde und unsere Bekannten, die bisher CDU wählen, zu fragen, ob sie diesen rechtsnationalen Kurswechsel unter Merz mitmachen wollen. Ob sie eine Politik, die rechtsextreme AfD-Sichtweisen billigend in Kauf nimmt bzw. aus strategischen Gründen fördert, mittragen. Wir müssen unsere CDU-wählenden Mitmenschen fragen, ob ihnen wirklich so wenig am demokratischen Gemeinwesen liegt, dass sie seine mögliche Abschaffung in Kauf nehmen – durch die bewusste Vermischung bürgerlich-konservativer und völkisch-nationalistischer Politik. Bestenfalls führen wir dieser Gespräche weniger in einem anklagenden Tonfall und vielmehr in einem sorgenvollen. Wer sich jetzt noch keine Sorgen macht, ist apathisch oder reichlich spät dran.

Was das Resultat dieser Überzeugungsarbeit angeht, habe ich keine Illusionen: Bei vielen werden wir es nicht schaffen, sie davon zu überzeugen, andere Parteien zu wählen als die CDU/CSU. Doch den Versuch ist es wert. Wir müssen alles unternehmen, damit die AfD nicht Recht behält, wenn sie sagt:

„Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an.“ - Bernd Baumann (Öffnet in neuem Fenster) (AfD)

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PS: Kriminalkommissar Jan-Denis Wulff wird der nächste Gast in meinem Podcast.

PPS: Meine neueste Podcastfolge findest du u.a. hier:

https://janskudlarek.podigee.io/#latest-episode-player (Öffnet in neuem Fenster)

PPS: In den Tagen vor der Bundestagswahl sind viele Demos geplant - Demos gegen die AfD, Demos gegen den Kurs von Merz. Wir haben noch etwas Zeit, um zu zeigen, wofür wir einstehen, was wir wollen - und was nicht. Jetzt heißt es: Druck aufbauen, sichtbar sein!

https://www.demokrateam.org/brandmauer/ (Öffnet in neuem Fenster)

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