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Auch eine kaputte Uhr

Die CDU ist auf einem widersprüchlichen Selbstfindungskurs. Das ist ein Problem für uns alle.

Ende Juni, fast dreißig Grad, Summer in the City. Das Europawahl-Erdbeben scheint, mitsamt kleinerer Nachbeben, mittlerweile gesellschaftlich verstoffwechselt. Und so ist man, nein, besser: so sind wir alle übergegangen zum Business as usual, zur Akzeptanz des Gegebenen – kollektives Weitermachen. Was bleibt uns auch übrig, als Mensch, als Bürger, als Bewohner eines trubeligen Planeten in den Weiten eines tendenziell unbelebten Universums. Permanenter Alarm ist kein wünschenswerter Zustand, das wissen wir seit dem Hirtenjungen und dem Wolf (Öffnet in neuem Fenster). Auch die Löwin von Kleinmachnow ist damals, so urplötzlich wie sie erschien, wieder verpufft (falls Fabelwesen Geburtstag feiern: bald).

In Anlehnung an die Dichterin Gertrude Stein (Öffnet in neuem Fenster) also: Die Politik ist die Politik ist die Politik.

Und so ist die Politik in den letzten Tagen dazu übergegangen zu tun, was sie am besten kann: mit dem Finger zeigen. Der Finger des thüringischen CDU-Chefs Mario Voigt beispielsweise zeigt auf „den grünen Lifestyle“™ und sein Besitzer sagt, die Zeit dafür sei vorbei (Öffnet in neuem Fenster). CDU-Chef-Chef Friedrich Merz wiederum zeigt frisch verliebt mit dem Finger auf Wärmepumpen (Öffnet in neuem Fenster). Das Online-Team der Konservativen hat hingegen – ob per Zehnfingersystem oder Adlersuchsystem (Öffnet in neuem Fenster) ist leider unbekannt – auf der Homepage (Öffnet in neuem Fenster) Sätze formuliert, die man bei Greenpeace oder der Grünen Jugend verorten würde:

„Dafür müssen wir die Erderwärmung stoppen. Unsere Wälder müssen als grüne Lunge erhalten bleiben. Unsere Pflanzen brauchen Insektenvielfalt. Unsere Umwelt braucht Schutz und Pflege. Dazu müssen wir konsequent umdenken.“

Mixed Messages

Alles dabei von identitätspolitischer Ablehnung grüner Ideen über Spontan-Annexion grüner Ideen bis zur Proklamation grüner Ideen in Reinform. Die Union tischt uns ein Smörgåsbord (Öffnet in neuem Fenster)widersprüchlicher Botschaften auf, die unionspolitischen Finger zeigen in alle Himmelsrichtungen. Getreu dem Motto: Auch eine kaputte Uhr geht zweimal am Tag richtig. Bisschen grün schimpfen, bisschen grün reden – und schon ist für alle etwas dabei. „Merz entdeckt seinen inneren Habeck“, so fasst Autor Christian Stöcker (Öffnet in neuem Fenster) die paradox wirkenden antifossilen Gefühle zusammen, die Friedrich Merz plötzlich aus seinem Herzen wärmepumpt.

Ein besonderer Blick auf das Schisma der Union gelang diese Woche Dieter Schnaas von der linksradikalen Studentenzeitschr-, nein, äh, Moment, von „Deutschlands führendem Wirtschaftsmagazin“, der Wirtschaftswoche (Öffnet in neuem Fenster):

„Friedrich Merz steht zwei Parteien vor: einer wertefundierten, prowestlichen Europapartei im Westen – und einer aggressiv-konservativen Nationalpartei vor allem im Osten.“

In seiner stilistisch wie analytisch herausragenden Fundamentalkritik liest man u.a.:

„Die Union hat mit der negativen Fetischisierung einer angeblichen Verbots-, Moral-, Bevormundungs-, Genderzwangs- und Erziehungspolitik erst maßgeblich dazu beigetragen, dass der lebenskulturelle Hass auf alles Grüne, Woke, Diverse und Sensible vielen Deutschen inzwischen legitimer erscheint als scharfe Kritik an den Demokratieverächtern der AfD.“

Und so gehts weiter. Selten war ein Text pointierter, selten eine Demontage gründlicher. Wichtiger als die Schadenfreude, die man beim Lesen von Schnaas‘ Text empfindet (bei manchen wich die Schadenfreude gar dem Mitleid (Öffnet in neuem Fenster)), ist: Der Mann hat recht. In Zeiten, in denen die Klimakrise weltweit neue Negativrekorde (Öffnet in neuem Fenster)bricht, (Öffnet in neuem Fenster) bietet uns eine der sogenannten Volksparteien eine persönlichkeitsgespaltene Polit-Misere; statt Lösungen gibts ein Mixed-Messages-Feuerwerk. Umweltschutz und jene, die ihn verkörpern, werden einerseits verteufelt, während man andererseits gleichzeitig, mehr tollpatschig als überzeugend, versucht, selbigen für sich zu reklamieren. Aber Doppelmoral, ebenso wie „Ideologie“, haben immer nur die anderen. Oder um es erneut mit Christian Stöcker zu sagen (Öffnet in neuem Fenster): „Fakten zu Ideologie erklären und Ideologie zu Fakten, das ist bei den Freunden fossiler Brennstoffe sehr populär.“

Das Traurige: Eigentlich bräuchte Deutschland jetzt eine konservative Partei, die Klimaschutz- und Transformationspolitik ernst nähme, jenseits politischer Sonntagsreden und grüngewaschener Webseitenwerbeprosa. Wäre die Brandmauer zum verführerischen Rechtspopulismus und zur AfD nur halb so hoch wie die zu den Grünen – man könnte hoffnungsvoller in die Zukunft schauen.

A wie Arbeitsverweigerung

Von der Regierungsarbeit der Ampel ist indes auch wenig zu erhoffen. Die eh nur noch halb gefüllten Luftballons der rotgrüngelben Geburtstagsparty pendeln gefährlich nah über der Kerzenflamme.

Angesichts der Gesamtmisere muss man sich auf die üblichen Klimaschützer:innen verlassen. Eben erst haben Fridays for Future angekündigt, die Bundesregierung zu verklagen (Öffnet in neuem Fenster). Was zunächst wie ein cleverer PR-Stunt wirkt, ist beim genauen Hinsehen eine bitternötige Konsequenz angesichts der klimapolitischen Arbeitsverweigerung der Zweck-WG Bundesregierung (looking at you, Volker Wissing). Luisa Neubauer kommentiert (Öffnet in neuem Fenster):

„Der Staat hat eine Schutzpflicht den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber, sprich, sie vor der Klimakatastrophe zu sichern. Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 festgestellt: Diese Schutzpflicht gilt für alle Generationen gleichermaßen. Man darf die Gesellschaft von heute nicht der von morgen vorziehen. Das ignoriert die Bundesregierung immer wieder und tut so, als könnte sie selbst die einfachsten Maßnahmen wie ein Tempolimit endlos vor sich herschieben, und die Klimagefahren so kalkuliert immer weiter verschärfen. Im nächsten Schritt zwingt diese Art der Politik die Gesellschaft in fünf oder zehn Jahren dazu, auf einen Schlag ganz viele Klimamaßnahmen umzusetzen, um Klimaziele noch einhalten zu können. In dem Sinne verklagen wir die Bundesregierung darauf, dass sie Klimaschutzmaßnahmen, die heute möglich und notwendig wären, auch heute umsetzt.“

Schade, dass Neubauer nicht das Verkehrsministerium führt.

Zwangsoptimistisch kann man feststellen: Es tut sich was. Realpessimistisch muss man festhalten: Zu langsam. Als parteiübergreifender Konsens fehlt die Erkenntnis: Klimaschutz und Demokratie sind nicht zwei Anliegen, sie sind eines. Wer Demokratie will, muss effektiven Klimaschutz wollen – und umgekehrt. Und effektiver Klimaschutz läuft auf ein verbessertes Wirtschaften, ein nachhaltigeres Konsumieren und eine umweltethisch behutsame Lebensweise insgesamt hinaus; eine zumindest stückweite Reform des Kapitalismus (Öffnet in neuem Fenster) erscheint unausweichlich. Auch die von der CDU und liberalen Parteien so mantraartig angerufene Freiheit wird daran nicht kaputtgehen, im Gegenteil: Die nachhaltige Freiheit aller entsteht nicht durch Verbotsnarrative und AfD-Imitierung, sondern durch ein klimapolitisches „Wir schaffen das (Öffnet in neuem Fenster)“.

Sonnige Grüße,

Jan Skudlarek (Öffnet in neuem Fenster)

Für alle, die sich für Klimaschutz, Demokratie und Zivilgesellschaft interessieren: Ende Juni ist das diesjährige Stromseminar der EWS Schönau. Es gibt viele gute Panels und Diskussionen zu klimapolitischen Themen. Mich könnt ihr am Samstag auf zwei Panels hören. Gemeinsam mit Annika Brockschmidt (Journalistin und Autorin), Fritz Reusswig (Soziologe am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung) und Leonie Sontheimer (Journalistin und Online-Autorin) sprechen wir über „Klimaschutz und Energiewende im Visier der Populisten“. Kommt rum!

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