Chaos, Lügen, demokratischer Verfall - 100 Tage Trump

Donald Trump ist 100 Tage im Amt – mit ihm regieren Chaos, Lügen und Verfall. Während nicht wenige Beobachter die USA am Rande der Autokratie sehen, tut Donald Trump, was er eben tut: sich aufführen wie ein König. Zeit für eine royale Zwischenbilanz.
Mit der Zukunft ist es so eine Sache. Sie vorherzusagen ist schwierig. Sind die Ereignisse jedoch bereits eingetreten, ist es leicht zu behaupten „Das habe ich so kommen sehen!“ (Öffnet in neuem Fenster). So ist es auch mit der zweiten Präsidentschaft Donald Trumps. Als am 20. Januar 2025 die narzisstische One-Man-Show zurückkehrte ins Präsidialamt der Vereinigten Staaten, gab es viele berechtigte Befürchtungen. Nun liegen die Fakten auf dem Tisch: Donald Trump und seine Republikaner haben eine Schneise der Zerstörung hinterlassen, die die meisten Befürchtungen locker um ein Vielfaches übertrifft. Der Chor jener, die „Ich habs doch gewusst!“ rufen, wird lauter. Bei aller Offensichtlichkeit: Werfen wir einen Blick zurück auf die letzten Monate, lassen sich einige Muster erkennen. Muster, die wenig Gutes erwarten lassen von den Regierungsmonaten und -jahren, die noch anstehen.
Loyalität ist alles, Kompetenz ist nichts
Es ist keineswegs immer so, dass im Leben jene weiterkommen, die es besonders verdienen. Jene, die besonders gut sind, besonders fleißig. Die gesamte Idee einer Leistungsgesellschaft ist fragwürdig (Öffnet in neuem Fenster) – und dient nicht selten dazu, einen ungerechten Status quo zu zementieren.
Doch vielleicht können wir uns darauf einigen, dass nur in seltenen Fällen Menschen auf Stellen befördert werden, für die sie auf geradezu comedyhafte Weise ungeeignet sind. Menschen, die auf atemberaubende Weise nichts können; oder zumindest nicht das, was die Jobbeschreibung hergibt. Die Inkompetenz im Kabinett Trump II ist so grotesk, dass selbst jene, die Schlimmstes befürchtet haben, mitunter erstaunt sind.
Da wäre zum einen Robert F. Kennedy Jr. Ein Impfgegner als Gesundheitsminister, dessen medizinische Falschbehauptungen so zahlreich sind, dass man leicht den Überblick verliert über all die Unwahrheiten (Öffnet in neuem Fenster) und Verschwörungserzählungen (Öffnet in neuem Fenster), die er verbreitet.
In letzter Zeit machte er Schlagzeilen mit der Absicht, ein Autismusregister einzuführen, das Betroffene und ihre Familien stigmatisieren würde – vom kulturgeschichtlichen Beigeschmack (Öffnet in neuem Fenster) solcher Register mal abgesehen. Christopher Banks, Präsident der Autism Society of America, zeigt sich schockiert (Öffnet in neuem Fenster): „Menschen mit Autismus sowie ihre Familien fühlen sich entmenschlicht, abgewertet und beschuldigt.“
Dann wäre da noch Pete Hegseth. Der ehemalige Fox-Moderator, der als Verteidigungsminister mit seinem privaten Handy diverse Signal-Chats erstellte, in denen er nicht nur Militärgeheimnisse ausplauderte, sondern ebenso die Kontrolle über die Gruppenchatteilnehmer verlor (aufgeflogen ist alles durch einen versehentlich eingeladenen Journalisten von The Atlantic). Jener Pete Hegseth, der die Chat-App Signal auf Pentagon-Computern installiert haben soll (Öffnet in neuem Fenster); sogar von einem persönlichen, steuerzahlerfinanzierten Make-Up-Studio (Öffnet in neuem Fenster) im Pentagon ist die Rede. Jener Pete Hegseth, der mal live im Fernsehen einen Musikanten versehentlichen durch einen Axtwurf verletzte (Öffnet in neuem Fenster) (ja, richtig gelesen).
US-Vizepräsident JD Vance wiederum hat zwar, diverser Internetgerüchte entgegen, sehr wahrscheinlich nicht den Papst umgebracht. Allerdings ist der Mann, der vor einigen Jahren Donald Trump noch als „Amerikas Adolf Hitler (Öffnet in neuem Fenster)“ bezeichnete, auch weniger durch Kompetenz und Sachkenntnis aufgefallen, sondern, wie alle Handlanger von Trump: durch Loyalität. Metaphorisch für seine Vizepräsidentschaft: Der Moment beim Selenskyj-Besuch, wo er den ukrainischen Präsidenten von der Couch aus angriff. Wer an Trumps Seite agieren will, muss nicht fähig sein, sondern folgsam; und aggressiv im Sinne des Chefs. Autokraten wie Trump brauchen keine Experten, keine Sachverständigen, keine fachliche Expertise. Der Autokrat will Loyalisten.
Aus den ersten 100 Tagen der neuen Trumpschen Regentschaft lernen wir also: Nichts braucht ein nackter Kaiser dringlicher als Jasager, Abnicker und Stiefellecker. Loyalität ist alles, Kompetenz ist nichts.
Sie verachten Europa
Die Jasager, Abnicker und Stiefellecker, mit denen sich Donald Trump umgibt, haben neben ihrer hündischen Loyalität zu ihrem Herrchen vor allem eines gemeinsam: Sie verachten Europa. Weniges ist ihnen mehr zuwider als „der alte Kontinent“. So fand sich im geleakten Signal-Chat ein Dialog zwischen JD Vance und Pete Hegseth darüber, wie sehr sie eine angebliche europäische Trittbrettfahrerei „hassen und verachten (Öffnet in neuem Fenster)“, die sei „erbärmlich“ („I just hate bailing Europe out again“ – JD Vance; „I fully share your loathing of European free-loading. It’s PATHETIC.“ – Hegseth).
So ähnlich klang es einen Monat zuvor, bei Vance‘ Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar – auch dort vor allem Vorwürfe und Verachtung (Öffnet in neuem Fenster). Diese Respektlosigkeit ist kein versehentlicher diplomatischer Axtwurf, sie hat Kalkül. Spätestens seit der Oval-Office-Demütigung von Selenskyj durch Trump und Vance muss der Weltöffentlichkeit klar sein, dass das transatlantische Tischtuch zerschnitten ist. Wer noch an eine Zivilisierung des US-europäischen Diskurses glaubt, dürfte – öffentlichkeitswirksam inszenierten Bildern (Öffnet in neuem Fenster) aus dem Petersdom zum Trotz – zukünftig enttäuscht werden.
Der Feind heißt Bildung, Wissen, Wahrheit
Die zwischenmenschliche und diplomatische Rüpelhaftigkeit des Trump-Kabinetts findet ihre Entsprechung in einem Anti-Intellektualismus, der typisch ist für autokratische und faschistische Systeme. Unbequeme Intellektuelle werden als „die anderen“ gelabelt, als Feind im Inneren (Öffnet in neuem Fenster) – und konsequent bekämpft. Universitäten und Professoren haben sich zu fügen, wie die Columbia University, oder zumindest zu schweigen, wie viele andere. Alternativ wird die Universität, traditionell Heimat kritischer Denkweisen und progressiver Politik, aggressiv bekämpft. So ergeht es momentan der Eliteuniversität Harvard, die sich laut und mutig weigert, den Ring zu küssen – und deswegen ihre staatliche Förderung zu verlieren droht. Sollten Trumps Einschüchterungsversuche langfristig vielleicht unwirksam sein (Öffnet in neuem Fenster), sind sie doch ein kurzfristig wirksam, insofern als dass sie unbequeme Denker wissen lassen: Wir haben euch im Blick. Ihr seid im Fadenkreuz.
So entsteht aus aggressivem Anti-Intellektualismus ein Klima der Angst, das systemkritisches Denken von Beginn an unterdrücken soll. Der Faschismusforscher Jason Stanley (Öffnet in neuem Fenster) fasst die Technik in seinem Buch Wie Faschismus funktioniert (Öffnet in neuem Fenster) wie folgt zusammen:
„Faschistische Politik will den öffentlichen Diskurs zersetzen, indem sie Bildung, Fachwissen und Sprache abwertet. Ohne Bildung mit Zugang zu unterschiedlichen Perspektiven, ohne Respekt vor dem Fachwissen anderer, wenn der eigene Sachverstand nicht mehr ausreicht, und ohne eine Sprache, die hinreichend differenziert ist, um die Realität präzise zu beschreiben, wird eine vernünftige Debatte unmöglich. Sobald Bildung, Fachwissen und Sprache unterminiert sind, bleiben nur noch Macht und Gruppenzugehörigkeit.“ (Stanley, 2025, S. 67)
Einfacher ausgedrückt: Der Feind heißt Bildung, Wissen, Wahrheit. Eine ultranationalistische Politik, die auf Gefolgschaft und Gehorsam ausgerichtet ist, bekämpft kritische Köpfe aus Gründen des Selbsterhalts. Wer abweicht, wird verfolgt.
Wie sehr Trump II die antifaktische, anti-intellektuelle Politik seiner ersten Amtszeit fortsetzt und intensiviert, wurde in den ersten 100 Tagen an vielen weiteren Stellen deutlich. Seine Wirklichkeitsresistenz zeigt sich auch in stumpfen Lügen. So behauptete Trump kürzlich, Eier würden seit seiner Amtsübernahme weniger als ein Zehntel kosten als zuvor (“As you know, the cost of eggs has come down like 93, 94% since we took office.”). Daran stimmt exakt: nichts. (Öffnet in neuem Fenster) Eier sind nach wie vor teuer in den USA und einige Amerikaner und Amerikanerinnen haben die Osterfeiertage genutzt, um Traditionen neu zu interpretieren und haben als Notlösung u.a. Kartoffeln bemalt anstatt Eier (Öffnet in neuem Fenster).
Keine Besserung in Sicht
Während Trumps Zustimmungswerte zwar auf einem historischen Tiefpunkt stehen (Öffnet in neuem Fenster) und mehr als die Hälfte der US-Amerikaner unzufrieden sind mit ihrem Präsidenten, bleibt mit Blick auf die ersten 100 Tage wenig Hoffnung auf einen schnellen Kurswechsel. Ja, es mehrt sich die Kritik. Der demokratische Influencer Adam Parkhomenko brachte die Unzufriedenheit vieler auf den Punkt, indem er schrieb (Öffnet in neuem Fenster):

Und ja, es mehrt sich der Protest (Öffnet in neuem Fenster). In den letzten Wochen gab es immer wieder Demonstrationen gegen den Trumpschen Irrsinn. Dennoch deuten viele Zeichen momentan eher auf eine Verschlechterung als auf eine Verbesserung.
Da wäre u.a. die Tatsache, dass die Trump-Regierung weiterhin die demokratische Gewaltenteilung angreift, indem sie Supreme-Court-Urteile ignoriert (u.a. im Fall der Deportation von Kilmar Armando Abrego Garcia (Öffnet in neuem Fenster), der, trotz Gerichtsanweisungen, den unschuldig Entführten zurückzuholen, weiterhin in einem salvadorianischen Gefängnis sitzt); und einer Exekutive, die neben Touristen mittlerweile sogar unbequeme Richterinnen festnehmen (Öffnet in neuem Fenster) lässt. Trump wiederum zeigt sich von Umfrage-Einbrüchen ebenso unbeeindruckt wie von Börsencrashs; im Zweifel wird er beides schönlügen wie die Eierpreise (Öffnet in neuem Fenster).
So haben sich nach über drei Monaten Trump die Pessimisten als Realisten entpuppt. Was übel begann, wurde schließlich auch übel. Schlimme Befürchtungen wurden nicht nur wahr, sondern übertroffen.
Der Kaiser ist nach wie vor nackt – und wer ihn darauf anspricht, läuft Gefahr beschimpft, verhaftet und deportiert zu werden.
Ein Blick auf den Kalender hilft nicht gerade beim Hoffnung schöpfen. Bis zur nächsten regulären US-Wahl, am 7. November 2028, sind es noch 1287 Tage. Falls sie überhaupt stattfindet. Ja, falls (Öffnet in neuem Fenster).
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PS: Wer sich mal anständig das Gehirn verrenken will (und/oder denkt, ich übertreibe), liest bitte Trumps Interview ⬇️
https://time.com/7280114/donald-trump-2025-interview-transcript/ (Öffnet in neuem Fenster)PPS: Schon in meine letzte Podcastfolge reingehört? ⬇️
https://steadyhq.com/de/janskudlarek/posts/0ea2a99c-d479-4a7b-8561-ac20de7b95ca (Öffnet in neuem Fenster)
Literatur:
Stanley, Jason (2025): Wie Faschismus funktioniert. Westend Verlag. 3. Auflage.