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Schlaflied Freiheit!

Bei den Liberalen rumort es. Eine FDP-Splittergruppe hat sich, um ihren Unmut zu verbalisieren, eines eigentlich schönen Genres bedient - des Brandbriefes. Ein Brandbrief ist ein offener Brief, der wütend ist und zugleich dringlich; ein Text, der Anklage erhebt und Hilfe einfordert.

„Weckruf Freiheit!“ (Öffnet in neuem Fenster) lautet der fdpoetische Titel des Schriftstücks. Weckruf Freiheit. Das weckt Erwartungen! Da wird man hellhörig! Da hofft der Hörer auf den ganz großen Wurf! Und wird, wieder mal eher FDP-typisch, enttäuscht trotz geringer Fallhöhe.

Die Vorwürfe der Brandbriefler sind so altbekannt wie vorhersehbar: Die Bundes-FDP mache sich zur „Komplizin“ irgendwie schlechter Politik, der Atomausstieg sei irgendwie doof, das Heizungsgesetz noch doofer, und wenn irgendwer am doofsten ist, dann, wer sonst, die Grünen. Die arme, arme, quasi zur Regierung gezwungene FDP verbiege sich „in dieser Koalition bis zur Unkenntlichkeit“.

Das altbekannte Lied: Alle machen Freiheit falsch – außer die FDP.

Unterm politischen Alleinvertretungsanspruch der Freiheit machen es manche Liberale nicht mehr. Ich zitiere:

„Mit dem drohenden Niedergang der einzigen liberalen Partei zeichnet sich eine existenzielle Katastrophe für den Liberalismus in Deutschland ab. Ohne Liberalismus übergeben wir das politische Feld den Kollektivisten und verlieren genau die Kraft, die einmal glaubhaft für Bürger- und Freiheitsrechte kämpfte.“

Die so krude, im Kern illiberale Logik: Wer nicht in der FDP ist, ist Kollektivist. Ein Freiheitsbegriff, der an der eigenen Individualverantwortung endet. Verantwortung ist in diesem Weltbild höchstens was für Kita-Mitarbeiter. Wer angesichts Klimakrise, Kriegen und globalem Kollaps ein wenig Gemeinwohl organisieren will: Sozialist, Umerzieher, Freiheitsfeind.

So bekannt, so intellektuell dürftig das „Schlaflied Freiheit“.

In einem haben die Autoren ja recht. Die Ampel ist eine Zweck-WG. Eine gemeinsame Wohnung, die man nicht deshalb zu dritt bezogen hat, weil man sich menschlich so mag oder weltanschaulich immer auf Augenhöhe liegt, sondern weil nichts anderes frei war in Berlin, weil der Wohnungsmarkt dazu zwingt. Und so wohnen und werkeln sie halt da: Der Porsche-Snob, der büchergeile Germanist und der Typ mit der Augenklappe und den Erinnerungslücken. Die Ampel-Regierung ist eine Zwangsgemeinschaft, die zustande gekommen ist, weil die Wähler und Wählerinnen abgestimmt haben wie sie nun mal abgestimmt haben – nicht weil alle es so wollten.

Auf der Diagnose-Ebene stimmt es also.

Grün, Rot und Gelb passen nicht immer gut zusammen; und das merkt man auch mal mehr, mal weniger oft.

Fraglich nur, welche Schlüsse man aus dieser Erkenntnis zieht.

Man wundert sich ja durchaus, wie beratungsresistent eine Partei sein kann, der die Wähler weglaufen; deren Partner in der Koalition inhaltlich gegen sie sind; die ja selbst erkennt, dass sie mit Mühe und Not und Glück und viel Lobbyarbeit vielleicht nochmal 5 Prozent zustande kriegt. Da könnte man doch mal checken, dass man mit dem jetzigen Freiheitsbegriff, dem jetzigen Selbstverständnis und der jetzigen Politik nicht auf der tempolimitbefreiten Autobahn unterwegs ist, sondern auf dem Holzweg.

Die FDP aber fährt munter geradeaus und schreit „Überall Geisterfahrer!“.

 

Der Regierungskurs der FDP (Symbolbild).

Die Brandbriefschreiber von „Weckruf Freiheit!“ wollen kein Umkehren und keine Erkenntnis. Sie wollen ein „Mehr davon!“. Sie wollen, dass die irrlichternden Liberalen aufs Gaspedal drücken, nicht schnell genug geht ihnen die Geisterfahrt.

Im Zweifel auf einer anderen Autobahn:

„Wir fordern den Parteivorstand auf, sich mit diesen Alternativen ernsthaft auseinanderzusetzen und ggfs. Nach anderen Koalitionspartnern zu suchen, die für die Interessen Deutschlands und nicht für eine quasireligiöse Ideologie arbeiten.“

Die anderen – „quasireligiös“. Man selbst „für die Interessen Deutschlands“. Solche Sätze „unterkomplex“ zu nennen, ist eigentlich noch zu höflich. Es ist Freiheitspopulismus unterster Schublade. Armer Patient Deutschland, verzage nicht, der Onkel Doktor kommt und horcht mit gelbem Stethoskop nach deinem Wohlbefinden. „Allein wir sind für Deutschland, die anderen dagegen“ – ein nationalistisches wie falsches Argument, das man so vor allem von einer Partei kennt: der AfD.

Man selbst heimatliebend vernünftig, die anderen eine irre Sekte!

Man selbst hat „Werte“, die anderen haben „Ideologie“!

Man selbst „regiert“, die anderen „regulieren von oben“!

Man selbst besteht auf Regeln, die anderen erlassen Verbote!

Es ist ein rechtspopulistischer Sound, der sich mittlerweile etabliert hat. Nicht nur in Teilen der FDP. Auch Friedrich Merz klang exakt so in seinem Sommerinterview (Öffnet in neuem Fenster). Der Rechtsruck, der durch die Narrative der Nation geht, ist ebenso verstörend wie gefährlich. Natürlich ist es gut, sich am Wettstreit der Ideen zu beteiligen, unterschiedliche Lösungsansätze für politische Probleme vorzuschlagen. Mehr noch: Exakt das ist das Wesen der Demokratie. Den politischen Gegner allerdings als gemeingefährlichen Spinner darzustellen, der aus ideologischen Gründen an Dynamitfässern zündelt – das ist eine Dämonisierung des politischen Gegenübers, die mit einem fairen demokratischen Wettbewerb nichts zu tun hat. Des fairen politischen Diskurses unwürdig. Nebenbei: Man darf sich durchaus die Frage stellen, wie viele Frechheiten und Beleidigungen sich die Grünen von ihrem momentan bei 5% stehenden Juniorpartner gefallen lassen wollen. Auch eine Zweck-WG hat ihre Anstandsgrenzen.

Im gelben Wutbürgermanifest heißt es weiter:

„Die derzeitigen Weltrettungsphantasien und die »wertebasierte« und schulmeisternde Außenpolitik der Koalitionspartner haben dem Ansehen Deutschlands und der deutschen Wirtschaft bereits Schaden zugefügt.“

Hört, hört! Wer nicht bereit ist, Menschenrechte, Werte und Normen auf dem Altar des Kapitals zu opfern, der hat die schönen, schönen Euroscheine gar nicht verdient!!!!11!!!einself!! Wer sich nicht zum willigen Spielball von Autokraten macht, wer nicht den Elon Musks dieser Welt den Teppich ausrollt, wer es wagt, das böse Wort mit M – „Moral“ – auch nur in den Mund zu nehmen: Weltretter, Schulmeister, Dreckshippie.

Mein persönliche Lieblingsstelle aus dem Brieflein:

„Es sind große Themen, für die unsere FDP Antworten bieten kann – es aber aus unbekannten Gründen nicht tut.“

Hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens. Die FDP biete, so die Brandbriefler, die besten Antworten auf gesellschaftliche Fragen und politische Probleme. Allerdings erkennt dies nicht nur der Wähler nicht, das kleine Dummerchen; nein, auch die regierende FDP selbst sei aus „unbekannten Gründen“ außerstande, die auf der Hand liegenden liberalen Problemlösungen anzubringen.

Hier gleitet die Logik fast schon ins Esoterische. Die Wirklichkeit verschiebt sich vollends.

Wie ein Hobby-Koch in einer Fernsehsendung, der beim Testessen darauf besteht, nicht die eigene Kochkunst sei missraten (oder zumindest das Gericht des Abends missglückt), sondern die Bewertung der Gäste sei „aus unbekannten Gründen“ schlecht. Selbstkritik? Kein Stück. Das ist meist der Moment, wo Frank Rosin kurz an die frische Luft muss, um resigniert in eine Kamera zu wüten.

Weiter geht’s mit:

„Deutschland braucht einen aktiven Liberalismus.“

Wie sehr Deutschland einen aktiven Liberalismus FDPscher Couleur braucht, sehen wir ja in den Umfragen. Im Oktober 2023 würden circa fünf Prozent (Öffnet in neuem Fenster), also ziemlich genau jeder zwanzigste wahlberechtigte Deutsche, die FDP wählen. Wenn wir uns dieses Deutschland, von dem hier die Rede ist, das einen Lindner-Liberalismus „braucht“, mengenmäßig als Geburtstagsparty mit hundert Gästen vorstellen: Dann sind das genau fünf Partygäste von hundert. Und das ist nicht nur nicht die Party, sondern, jeder kennt es, fünf Partygäste können sogar unbemerkt verschwinden. „Gebraucht“ werden eher die restlichen 95.

Trauriger wird das Manifest nur an der Stelle, an der es um Migration geht. Über Menschen aus dem Ausland heißt es:

„Im schlimmeren Fall zeigt er [„der Asylbewerber“] unternehmerische Initiative und steigt z.B. in den Drogenhandel ein. Dies lässt sich vielerorts gut beobachten. Menschen ohne Aufgabe kommen nun einmal auf »kreative« Gedanken.“

Der Ausländer als der „kreative Kriminelle“ mit „unternehmerischer Initiative im Drogenhandel“. Herzlichen Glückwunsch, liebe Freiheitsfreunde, ihr seid ganz unten angekommen beim Niveaulimbo. Der AfD-Stammtisch applaudiert.

Wie katastrophal sich rassistische Stereotypen auswirken, sieht man immer wieder. Erst vor wenigen Tagen schrieb der Spiegel: „Zuspruch für Rechtsextremisten (Öffnet in neuem Fenster) – Infineon sorgt sich um Fachkräfte aus dem Ausland“:

„Fachkräfte aus dem Ausland werden dringend gebraucht. Zugleich bekommen Rechtsextreme großen Zuspruch. Der Chiphersteller Infineon warnt vor den Folgen und appelliert an Politiker und Bürgerinnen und Bürger.“

Da hat man natürlich richtig Bock aus dem Ausland nach Deutschland zu kommen, wenn eine Partei wie die FDP einen schon BEVOR MAN DA IST als möglichen Drogenhändler tituliert. So schaden die Liberalen schließlich jener Sache, für die sie sich angeblich so sehr einsetzen: Den Interessen Deutschlands.

Ich schließe mit einem kleinen Tipp des Parteichefs Lindner (Öffnet in neuem Fenster):

 

 MfG,

Dr. Jan Skudlarek (Öffnet in neuem Fenster)

PS: Wer sich für Freiheit interessiert, aber nicht für FDP-Freiheit (Öffnet in neuem Fenster):

(Öffnet in neuem Fenster)

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