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In Deutschland ein Desaster, im Original ein Meisterwerk: Alan Wake 2 Review

Ich hatte riesige Erwartungen an Alan Wake 2 - und Remedy scheint sie nach 13 Jahren Hype allesamt übertreffen zu wollen. Wieso das so gut gelingt und wieso die deutsche Version eine respektlose Frechheit darstellt, erfahrt ihr in Robins ausführlichem Video-Review!

https://youtu.be/VXEVD0FuoQE (Öffnet in neuem Fenster)

Review in Textform:

Remedy ist einer meiner absoluten Lieblings-Entwickler. Max Payne 2 öffnete meinem jugendlichen Ich eine völlig neue Medienwelt - die von James McCaffrey vorgetragenen, metapher-durchtränkten Noir-Monologe gemeinsam mit der noch heute fast unerreichten Third-Person-Action machten aus Max Payne 2 ein Videospiel, das meinen Geschmack für Medien allgemein ganz wesentlich formte. 2010 wiederholte Remedy das Kunststück mit dem Action-Thriller Alan Wake, der zwar spielmechanisch deutlich weniger revolutionär daherkam als sein zu diesem Zeitpunkt bereits 7 Jahre alter Vorgänger, ihm atmosphärisch aber in nichts nachstand. Charaktere, Geschichte, Schauspiel und Szenario fusionierten zu einem Spieleuniversum, von dem ich nicht genug bekommen konnte und in den folgenden Jahren saugte ich alles, was Remedy produzierte auf, immer auf der Suche nach neuen Brotkrumen mit Hinweisen über den Verbleib von Alan Wake. Nach Cameos im Zeitreise-Live-Action-Experiment Quantum Break war es dann 2019 tatsächlich so weit, und der federführende Remedy-Creative-Director Sam Lake fand mit meinem damaligen Spiel des Jahres, Control, einen Weg, alle ihre Spiele ganz offiziell zu einem einzigen, großen Universum zusammenzuführen. Damit einher ging auch die große, offizielle Rückkehr von Alan Wake selbst. Das erste Mal seit dem 2012 erschienen Spin-Off Alan Wake’s American Nightmare wuchs der gequälte Autor über eine Cameo-Rolle hinaus und wurde wieder integraler Bestandteil der Geschichte, samt eigenem DLC, der seine endgültige Rückkehr in Alan Wake 2 vorbereite. Und nun ist es so weit. 13 Jahre nachdem die Cliffhanger-Zeile “It’s not a Lake, it’s an Ocean” mir das erste Mal schlaflose Nächte aufzwang, kehrt Remedy zurück nach Bright Falls. Doch Alan Wake 2 verbringt wenig Zeit damit, zurückzublicken. Statt gemütlichem Fanservice, der Altes neu aufkocht und mich begeistert schnippsend einfach nur alte Charaktere in neuer Grafikpracht wiedererkennen lässt, bietet Remedy mit Alan Wake 2 eines der originellsten Videospiele, das ich je gespielt habe. Eine Mischung aus unmöglichen Ideen, die entgegen aller Wahrscheinlichkeiten zu einer völlig einzigartigen Vision fusionieren - und aus Alan Wake 2 ein genre definierendes Meisterwerk machen.

Das soll nicht bedeuten, dass Remedy für den lang erwarteten zweiten Teil alle Stärken des Vorgängers zurücklässt. Stattdessen werden sie neu verpackt. Eine der großen Alleinstellungsmerkmale von Alan Wake war das unglaubliche Gefühl für Bright Falls, das die so gruselige wie gemütliche Herbststimmung des pazifischen Nordwestens in den Vereinigten Staaten perfekt einzufangen wusste. Alan Wake 2 hebt diese Stärke auf eine völlig neue Ebene - Technik und Art Design kommen hier zusammen, um das grafisch beeindruckendste Videospiel auf den Bildschirm zu zaubern, das ich je gesehen habe. Zu verschiedenen Tageszeiten ziemlich frei durch Bright Falls laufen zu können ist ein wahrgewordener Fan-Traum, eine Einlösung des Versprechens, dem Alan Wake 1 mit seinen engen Level-Fluren nie wirklich gerecht werden konnte. Doch wir streifen nicht eben wie damals mit Alan Wake selbst durch das trügerische Idyll der amerikanischen Kleinstadt - denn dieser befindet sich seit nun 13 Jahren im Dark Place, und versucht mit seinen literarischen Werken, die dank der Macht der Dunkelheit in und um Bright Falls zur Realität werden können, zu entkommen. Stattdessen stecken wir in den Schuhen von Saga Anderson, einer FBI-Agentin, die durch eine Reihe von rituellen Morden nach Bright Falls beordert wird. Und in den 13 Jahren hat sich einiges getan: Gebäude wurden abgerissen und neu aufgebaut, Bewohner sind verstorben oder weggezogen. Als eine der wenigen altbekannten Institutionen finden wir noch immer Kellnerin Rose im Oh Deer-Diner, die Polizeichefin Sarah Breaker hat dagegen ihren Job aufgegeben und ist nun woanders für das FBI tätig. Es ist ganz wunderbares World Building, das Bright Falls nicht etwa wie in einer Zeitkapsel einfriert, um uns nun das identische Städtchen noch einmal erleben zu lassen - stattdessen gibt es genauso viele neue Figuren wie altbekannte und die, die wir wiedersehen, haben sich manchmal ganz schön verändert. Das alles lässt das Örtchen wahnsinnig echt und lebendig wirken - erst recht, weil wir dank der neuen Spielstruktur nun auch noch ein deutlich besseres Gefühl für die unmittelbare Umgebung erhalten. Denn Saga darf nicht nur Bright Falls erkunden, sondern auch die Wälder um Cauldron Lake & das im ersten Teil nur sehr nebensächlich erwähnte Örtchen Watery. Was mich zum nächsten Teil von Alan Wake 2 bringt, den ich absolut liebe: Remedys Einbindung ihrer lokalen, finnischen Kultur.

US-Amerikanische Medien dominieren unsere Kulturwahrnehmung völlig. Wir alle haben in verschiedenen Filmen, Serien und Büchern vermutlich schon so viel Zeit in New York verbracht, dass wir uns besser mit den dortigen Nachbarschaften auskennen, als der nächstgelegenen deutschen Großstadt. Sam Lake selbst ist das Vorzeigebeispiel dafür: Er lebte sein ganzes bisheriges Leben in Finnland und weiß doch wie kaum ein Anderer, US-amerikanische Stereotype und Gewohnheiten in seinen Videospielen darzustellen und zu erzählen. Wie er selbst sagt, war sein Medienkonsum schon immer gezeichnet von US-Medien, die sein Talent für Storytelling wesentlich beeinflussten. Dass Alan Wake etwa von David Lynchs Twin Peaks inspiriert wurde, ist wohl für niemanden mehr eine Neuigkeit. Alan Wake 2 macht aber einen großen Schritt weg von der bloßen Replizierung dieser US-Amerikanischen Stereotype und nutzt sie stattdessen als Form, die bis zum Rand gefüllt wird mit anderweitigen Einflüssen - allen voran der finnischen Herkunft von Remedy und Sam Lake - der eigentlich Sami Järvi heißt. Nirgendwo wird dies besser vor Augen geführt als in Watery. Einem kleinen, mittlerweile leicht verfallenen Städtchen, das einst von finnischen Auswanderern gegründet wurde und noch heute von ihnen dominiert wird. Im TV wird finnisches Bier beworben & als wir die lokale Kneipe betreten, singt dort der aus Control bekannte Charakter Ahti ein finnisches Lied . Von Anfang bis Ende spielt Alan Wake 2 mit seinen finnischen Wurzeln, was perfekt personifiziert wird vom Charakter Alex Casey. Alex Casey ist Max Payne. Im ersten Teil wurde klar, dass Max Payne eine Kreation von Alan Wake selbst war, der mit dessen Geschichten zu einem international gefeierten Star-Autor wurde. Da Remedy aber nicht über die Rechte zu Max Payne verfügte, änderten sie einfach dessen Namen - doch die Intention war offensichtlich. Und um auch ja keine Zweifel aufkommen zu lassen, wurden Ausschnitte aus den Büchern um Alex Casey im ersten Teil bereits vorgelesen von, ihr habt es erraten, James McCaffrey - dem ikonischen Sprecher von Max Payne. Alan Wake 2 schnappt sich diese Prämisse und legt noch einmal 20 Meta-Ebenen oben drauf: Alex Casey ist einer der prominentesten Nebencharaktere im Spiel - aber nicht nur als fiktiver Noir-Polizist, sondern auch als im Kontext der Welt von Alan Wake real existierender FBI-Agent und Partner von Hauptcharakter Saga Anderson. Noch immer mit der Stimme von Max Payne & noch immer gespielt von Sam Lake selbst, der Max im ersten Teil von Max Payne bereits seinen ikonischen Gesichtsausdruck lieh. Es ist Fanservice und Untergrabung des Fanservice gleichzeitig: Hier ist Max Payne, aber er ist es nicht und er ist aktiv GENERVT davon, dass er ständig mit dieser seiner Meinung nach furchtbar geschriebenen Klischee-Figur verglichen wird. Die es gleichzeitig aber ebenso gibt, denn während Saga in Bright Falls, Watery & Cauldron Lake die Morde aufzuklären versucht, spielen wir Alan Wake selbst in der anderen Hälfte der Geschichte und versuchen mit ihm, aus dem Dark Place auszubrechen - der als ideales Kontrastprogramm zu der Naturidylle Washingtons die Form einer fiktiven Albtraum-Version von New Yorks annimmt. Und da trifft er schon bald ebenfalls auf Alex Casey - allerdings eben der von ihm kreierten, fiktiven Version. Wobei das Wort “fiktiv” hier sehr vorsichtig benutzt werden muss: Saga befindet sich lediglich in Bright Falls, weil Alan Wake die Geschichte im Dark Place so schrieb - und das gleiche gilt natürlich auch für den, in Anführungszeichen, echten Alex Casey. Alan Wake 2 spielt auf hervorragende Art mit dem Medium und lässt sämtliche Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Künstler und Kunst zerfließen. Sam Lake selbst ist als Autor und Schauspieler gleichermaßen zentraler Teil des Spieles, und wer glaubt, dass die Meta-Ebenen da schon aufhören, der wird schnell eines Besseren belehrt. Alan Wake 2 ist eine faszinierende Analyse von künstlerischer Intention, Ursache und Effekt & der Macht des Kreativen. Das ist ein ganz schön großes Vorhaben, wieso also nicht gleich auch noch die Grenzen zwischen verschiedenen Medienformen einreißen? Quantum Break erzählte sich teilweise über eine neben dem eigentlichen Spiel laufenden Live-Action-Serie, die alle paar Stunden eine neue Folge in das Hauptspiel quetschte. Das war wenig elegant und sorgte nur dafür, dass der große, qualitative Unterschied zwischen den Spiel -und Filmsequenzen noch offensichtlicher wurde - zu einem einzigen, stimmigen Kunstwerk wurden Spiel und Serie dagegen nie. Alan Wake 2 ist nun 7 Jahre später die Realisierung dieses Vorhabens. Vor allen Dingen in Alans Spielszenen sind Filmsequenzen allgegenwärtig. Mal werden sie dynamisch in die Spielwelt projiziert, mal sehen wir einfach ganze Zwischensequenzen mit echten Schauspielern. Und natürlich werden auch innerhalb der Geschichte wiederum Filme gedreht, die wir als Spieler dann ebenso zu Gesicht bekommen. Alan Wake 2 enthält neben einem ziemlich langen Videospiel auch noch mehrere Kurzfilme und verpackt diese Geschichte in den Kontext zweier Bücher, die Alan Wake im Dark Place schreibt. So sehr wie es um die faszinierenden Charaktere geht, so sehr geht es auch um die Zusammenführung verschiedener Medien in ein großes Kunstprodukt, das zwar immer selbstreferentiell bleibt, aber nie vergisst, dass wir die Figuren und Geschichte noch immer ernst nehmen können müssen.

Erzählerisch und inszenatorisch ist Alan Wake 2 also ein voller Erfolg - so ein großer Erfolg, dass ich nun 3 Skriptseiten damit verbracht habe, über diese Aspekte zu philosophieren und mit noch keinem einzigen Wort das Gameplay erwähnt habe! Ist es so schlimm, dass ich versuche, es vor mir herzuschieben? Nein, zum Glück nicht - das Gegenteil ist der Fall. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger ist Alan Wake 2 kein reines Action-Spiel mehr, sondern lupenreiner Survival-Horror. Inspiriert scheint es dabei von den Resident-Evil-Remakes zu sein, ohne deren Format und Struktur aber exakt zu kopieren. Stattdessen besteht Sagas Hälfte des Spiels aus drei separaten Gebieten, die wir nach dem ersten Freischalten relativ frei erkunden dürfen. Und das lohnt sich: Die Gebiete sind vollgestopft mit Collectibles, die allesamt einen spielerischen Nutzen haben: Wer fleißig erforscht, der hat später in den Kämpfen dank ordentlicher Munitionsvorräte deutlich weniger Probleme, mal ganz von den Waffen-Upgrade abgesehen, die die Handvoll Schießeisen teils wesentlich verändern und verbessern. Als Sahnehäubchen oben drauf werden alle Collectibles dann auch noch erzählerisch kontextualisiert und kommentiert. Wer aber nur an der Geschichte interessiert ist, darf sich auch einfach an den auf der Karte eingezeichneten Wegen halten und unmittelbar von Missionsziel zu Missionsziel rennen. Regelmäßig landet ihr dann in tatsächlich linearen Leveln, die aber Teil der größeren Welt bleiben. Remedy verlässt sich dabei insgesamt deutlich weniger aufs Kampfsystem als beim Vorgänger. Den größten Teil eurer Spielzeit verbringt ihr mit dem Erkunden der Umgebung und Lösen von unterschiedlichsten Rätseln. Gerade Alans Spielsektion ist da spannend: An einer Tafel markiert er sich automatisch die wichtigsten Locations eines Levels. Nach und nach sammeln wir neue Ideen für eine Geschichte und kombinieren dann selbstständig die Idee mit der Location - was sie als Konsequenz ohne große Ladezeiten direkt vor unseren Augen verändert, und etwa aus einem traditionellen Ballsaal den Schauplatz eines grausigen Opfer-Rituals macht. Eine geniale Kombination von Gameplay, Erzählung und Setting, die zwar spielerisch nie besonders anspruchsvoll wird, weil die Kombinationsmöglichkeiten immer begrenzt sind. Sie passt aber so hervorragend zum Spiel und bleibt technisch immer so beeindruckend, dass die fehlende Herausforderung mir nie negativ auffiel. Stattdessen hatte ich extrem viel Spaß daran, jede Location nach jeder Transformation genauestens zu untersuchen und jede kleine Veränderung in mich aufzusaugen. Zudem gibt’s sowieso schon reichlich Herausforderung in den Kämpfen: Anstatt uns wie im ersten Teil ununterbrochen Dutzende Gegner in endlosen Wellen entgegenwerfen, gibt’s in Alan Wake 2 deutlich weniger, dafür aber stärkere Gegner, die dann auch noch seltener auftauchen. Das baut einerseits wunderbar die Atmosphäre auf: Teilweise attackiert 10, 15, 20 Minuten lang kein einziger Taken, aber die Level und ihre Soundkulissen sind so bedrohlich, dass man nie weiß, wie lange es noch so bleibt. Andererseits sind die Kämpfe dann auch spielerisch wunderbar intensiv: Wie im ersten Teil auch müssen wir zunächst ihr Schild mit unserer Taschenlampe wegbrennen, bevor wir mit diversen Gewehr, Pistole, Schrotflinte oder Armbrust auf sie draufballern dürfen. Headshots und Treffer von leuchtenden Schwachpunkten machen besonders viel Schaden, dank eines Dodge-Buttons haben die Schießereien eine angenehm hohe Dynamik. Wenn ein Taken uns aber tatsächlich trifft, dann macht er auch richtig Schaden & dank der limitierten Ressourcen will jeder Schuss gut gezielt sein. Insbesondere das hervorragende Trefferfeedback hilft dabei, dass sich jeder abgegebene Schuss aus der Schrotflinte mächtig und wertvoll anfühlt, die herumfliegenden Feinde tun ihr Übriges. Wer dagegen in Ruhe die Geschichte genießen will, der darf im “Story”-Schwierigkeitsgrad die spielerischen Aspekte des Survival-Horror-Genres größtenteils ignorieren. Schwieriger wird das bei den unablässigen Jumpscares: Immer wieder schneidet Alan Wake 2 zu den schreienden Gesichtern der nun bösartigen Opfer der Dunkelheit, begleitet von einem lauten Sound-Endeffekt. Meiner Meinung nach passt das wunderbar zur Atmosphäre des Spiels: Mit gigantischen Lettern und einem begleitenden Knall wird jedes neue Kapitel eingeführt, in jeder Sekunde ist Alan Wake 2 zutiefst maximalistisch, sei es nun bei Grafik, Inszenierung oder dem Writing: Ein Vorhaben, dass bereits mit dem ursprünglichen Teaser-Trailer angekündigt und nun konsequent umgesetzt wurde.

Die laut schreienden Gesichter machen bei mir deshalb nicht den Eindruck eines billigen Jumpscares, einer plötzlich ins Bild rennenden Katze in einem ansonsten langweiligen Horrorfilm. Sie sind für mich ein kleiner Stein im großen Atmosphäre-Mosaik, das Alan Wake 2 so zielsicher zusammensetzt. Nichtsdestotrotz wird das vielen Spieler*Innen anders gehen und eine Option, sie entweder völlig auszustellen oder zumindest stumm zu schalten, würde der großartigen Stimmung des Spiels kaum schaden. Ganz im Gegensatz zu der deutschen Lokalisierung. Ich habe Alan Wake 2 vor Release auf dem PC auf Englisch durchgespielt und nach der Veröffentlichung dann nochmal auf der Xbox Series X auf Deutsch. Mit einer Ausnahme sind die deutschen Stimmen überraschend gut gewählt: Nichts kann für mich je an den unglaublich ikonischen Stimmen von Alan Wake und Max Payne herankommen, die deutschen Sprecher dieser Figuren sind aber verdammt gut gecastet und kommen ziemlich nah dran. Die Ausnahme ist leider ausgerechnet Hauptcharakter Saga Anderson, die in der deutschen Version spricht, als wäre sie einem Benjamin-Blümchen Hörspiel entsprungen. Sie scheint konstant mit einem süffisanten, unbeschwerten Lächeln zu reden, was mit Hinblick auf die Atmosphäre des restlichen Spiels denkbar unpassend daherkommt. So richtig schlimm ist das im Endeffekt aber nicht, weil auch mit einer perfekt gesprochenen Saga die deutsche Version ein unerträgliches Desaster wäre: Eigentlich wollte ich nur kurz ins erste Kapitel reingucken, aber die Dialoge waren so voller Übersetzungsfehler, dass ich mich stattdessen dazu entschloss, das ganze Spiel noch einmal auf Deutsch durchzuspielen. Die Untertitel behielt ich auf englisch, damit ich ganz unmittelbar die Übersetzung überprüfen konnte. Häufig ist die einfach nur seltsam steif, immer wieder im Kontext unpassend und manchmal ganz schlicht und ergreifend falsch. Ein paar Beispiele: In dieser Szene sagt Saga im Original “I’m set for coffee” und meint damit, dass sie schon einen Kaffee hatte und keinen weiteren will. Im Deutschen sagt sie das genaue Gegenteil, was es sehr seltsam macht, dass dann nur ihr Partner Casey einen Kaffee nimmt: Als wir einen Tatort verlassen, an dem einige Polizistenleichen völlig blutüberströmt zurückgelassen wurden, informiert Saga im Original die anderen Polizisten mit dem Kommentar “There are officers down”, und untertreibt im Deutschen dagegen ordentlich: “I’m getting my bearings” wäre richtig übersetzt mit “Ich orientiere mich gerade noch”, wurde im Deutschen aber scheinbar mit “I’m getting my belongings” vertauscht: Saga erzählt hier, dass ihre Tochter Logan in Virgina geblieben ist. “Back in Virginia” wird in der Deutschen Version aber fehlinterpretiert, sodass Saga stattdessen sagt, dass Logan nach Virginia zurückgekehrt sei: In diesem Monolog spricht Alex Casey in der Allgemeinen Form im Konjunktiv über sich selbst und philosophiert darüber, wie die Stadt einem weh tun kann, wenn man nicht aufpasst - so wie man es eben von Max Payne kennt In der deutschen Version erzählt er dagegen eine Geschichte über eine unbekannte Gruppe Menschen, denen all das tatsächlich angetan wurde Hier wird’s besonders spannend, weil gleich zwei blödsinnige Dinge passieren: Zunächst einmal SIEZEN sich hier zwei Brüder, und dann wird “fuck off”, was hier für ein neckendes “Halt die Klappe” steht, auch noch völlig unpassend mit “Verpiss dich” übersetzt: Allgemein ist das Siezen und Duzen eine Katastrophe - Freunde aus Kindestagen Siezen sich genauso wie Brüder, teilweise wechseln Figuren die Höflichkeitsformen auch einfach hin und her. Das waren jetzt nur eine Handvoll Beispiele, ich habe aber noch ein Dutzend mehr in meinen Notizen - die konstanten Fehlübersetzungen, die ganz grundsätzlich die Bedeutung der Dialoge verändern und zu Unsinn werden lassen, haben sich von Anfang bis Ende durch das Spiel gezogen. Dazu kommen zahllose technische Fehler, dank denen auch mit deutsche Sprachausgabe Charaktere plötzlich englisch reden, einmal schob Alan Wake in meinem Playthrough sogar einfach einen Satz auf japanisch dazwischen: Aber das war es immer noch nicht. Denn selbst wenn die Übersetzung keine Katastrophe & einer der Hauptcharaktere nicht mies vertont wäre und die Sprache nicht ständig hin und her wechseln würde, dann würde die Dialogregie TROTZDEM dazu führen, dass ich die deutsche Version niemandem je empfehlen würde. Ich habe ja bereits erwähnt, wie wichtig die finnische Kultur für viele Charaktere in diesem Spiel ist. Dazu gehört auch ihre Sprechweise: Der bereits erwähnte Charakter Ahti spricht im englischen Original nicht nur mit einem sehr krassen, finnischen Akzent, sondern nutzt zu einem wesentlichen Teil direkt finnische Worte in seinen Dialogen, die für mich dann unverständlich sind und sein sollen. Es ist einer der tollsten Charaktere im ganzen Spiel, völlig einzigartig und seltsam. In der deutschen Version wurden alle finnischen Worte konsequent rausgelöscht und von seinem starken, finnischen Akzent ist nichts übrig geblieben, außer einem gerollten R. Ansonsten spricht die Figur nun einfach: Hochdeutsch. Das gilt für alle Figuren in diesem Spiel. Als ich etwa auf einen Russen treffe, hört der sich im englischen Original so an: Huch, ist das etwa ein Akzent? Etwas, was seiner Stimme Charakter gibt und uns ganz nebenbei auch später dabei hilft, die Figur anhand von Beschreibungen zu identifizieren? Nein! Das darf nicht sein! Und hört sich in der dt. Version dann so an:

Ich lege hier so viel Wert auf die deutsche Version, weil sie wesentliche Aspekte des Spiels - das Storytelling, die Atmosphäre und die Präsentation - extrem negativ beeinflusst. Offensichtlich mussten die Übersetzer völlig ohne Kontext arbeiten und die verantwortlichen Dialogregisseure hatten wenig Interesse dran, die künstlerische Vision des Originals beizubehalten und umzusetzen. Die zahllosen Fehler und technischen Probleme setzen dem ganzen Debakel dann noch die Krone auf. Im Optionsmenü könnt ihr die Sprache der Sprachausgabe und Untertitel separat voneinander einstellen. Wenn euer englisch nicht so gut ist, empfehle ich euch, zur englischen Sprachausgabe mit deutschen Untertiteln zu greifen. Auch dann leidet ihr aber unter den zahllosen Übersetzungsfehlern - ich empfehle also dringend in beiden Fällen die englische Originalversion. Und bin vollends bestürzt darüber, mit wie wenig Respekt und Sorgfalt die Arbeit von Remedy in der deutschen Spielversion untergraben wurde.

Auch in der englischen Version gibt’s aber leider ein paar Probleme: Alan Wake 2 hätte ganz offensichtlich noch 2, 3 Monate Feinschliff vertragen können, denn leider traf ich in meinem Spieldurchlauf auf nicht eben wenige Bugs: Auf der Xbox startete das Spiel ohne Sound, auf dem PC ging regelmäßig das Caseboard kaputt, an dem ich als Saga manuell Hinweise einzelnen Fällen zuordne, was hier so etwas wie das Questlog darstellt. In beiden Fällen half nur ein Neustart, ein Progression Blocker am Ende des Spiels sorgte dagegen dafür, dass ich Remedy selbst um Hilfe bitten musste - nur dank dem von ihnen zugesandten Save Game konnte ich das Spiel überhaupt durchspielen. Immerhin: Der entsprechende Bug soll mittlerweile gefixt sein. Bei der Performance gibt’s dagegen nichts zu meckern: Die PC-Version ist lange nicht so anspruchsvoll wie vor Release befürchtet: Mit der Laptop-Version einer Geforce 3070 und einer AMD Ryzen 7 6800 CPU konnte ich das Spiel mit guter Performance und ohne Raytracing auf mittleren bis hohen Einstellungen spielen, auf der Xbox wählte ich den deutlich hübscheren Quality-Mode, wer will darf aber auch für 60 FPS den Performance Mode auswählen. Alan Wake 2 ist eine Offenbarung. Die Realisierung einer Vision, an der Sam Lake in verschiedenen Iterationen nun schon seit über einer Dekade arbeitet. Es ist die Zusammenführung von verschiedensten kreativen Einflüssen zu einem Multimedia-Meisterwerk, das es in dieser Form bisher noch nie gegeben hat. Ideen, die man sonst nur in völlig zügellosen Indie-Projekten ohne zu befriedigende Geldgeber im Hintergrund erwartet, werden kombiniert mit den bestmöglichen Produktionswerten und machen aus Alan Wake 2 ein gnadenlos ambitioniertes, visionäres, singuläres Kunstwerk, das sich für mich nicht nur zwischen den Klassikern des Horror-Genres einreihte, sondern des ganzen Videospiel-Mediums. Max Payne 2 definierte für mich die Grenzen der Videospiele neu - und nun, 20 Jahre später, schafft Remedy dieses Kunststück mit Alan Wake 2 erneut.

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