Eine Dekade Craftbeer in Hamburg
Von den ersten IPAs bis zur fünften Hamburg Beer Week: Geschichte und Zukunft einer Bewegung
„Esther, schreib‘ das auf: IPA“, sagte Lutz. „Wenn du an das Bier kommst, ich sag dir nur eins, dahin wird der Markt gehen.“ Das war 2006, und Esther Isaak de Schmidt-Bohländer, frisch gekrönte „Bierland“-Königin in Wandsbek, schrieb die Worte ihres dänischen Freundes nieder. Das „Bierland“ war ein Fachgeschäft für Biere, das Esther 2005 eröffnet hatte. Bier, da war sich Esther sicher, hatte mehr verdient als ein Dasein in der Ramschecke des Supermarktes, und ihr kleiner Laden im Souterrain eines Hamburger Mietshauses sollte ihm eine neue Bühne geben. Fast ein Jahrzehnt, bevor die Craft-Beer-Bewegung Hamburg vollends erfassen sollte, machte sich Esther auf die Suche nach dem besagtem IPA, das in Dänemark bereits ein Renner war. Ihre Suche endete damals in Belgien. In Hamburg war damals noch nichts zu holen.
Esther hat das „Bierland“ 2018 geschlossen und ist nach Wittenberge gezogen (wo sie unermüdlich Bierkultur predigt und zusammen mit einem bunten Autor:innenkollektiv die Geschichtensammlung “Unser täglich Bier gib uns heute (Öffnet in neuem Fenster)” herausbrachte). Craftbeer hatte die Supermarktregale erreicht, die Konkurrenz wuchs und am Ende blieb einfach nicht genug Umsatz für sie übrig. Es gibt einen wunderbaren HHopcast (Öffnet in neuem Fenster)mit der Pionierin der Bierbewegung, in dem sie eine Menge kluger Dinge sagt. Zum Beispiel diese:
Eine Brauerei ohne eigene Gastronomie hat es schwer. Biere im Supermarkt drehen sich nicht schnell genug, dabei ist Bier ein Frischeprodukt. Bier wird unter Wert verkauft. Es darf aber auch nicht zu teuer sein. Es braucht ein Brot-und-Butter-Bier, das neben all den schnell wechselnden Hype-Bieren die Kasse füllt und das kistenweise verkaufen werden kann. So etwas eben. Noch heute, sechs Jahre nach unserem Gespräch, wirkt der Podcast seltsam aktuell. Die Biervielfalt hat sich in Hamburg etabliert - aber sie hat es nicht leicht.
Besoffen vor Glück
Aber wo Schatten ist, ist auch Licht, und zwar eine ganze Menge! 2024 feiern wir die fünfte Ausgabe der Hamburg Beer Week (Öffnet in neuem Fenster). Davon hätte 2013 niemand zu träumen gewagt. Damals, als Hamburgs Bierliebhabende, unter ihnen Esther, noch ganz besoffen vor Glück das „Prototyp“ feierten. Das kalt gehopfte Lager war das erste seiner Art in Deutschland, gebraut von Oliver Wesseloh. Der war gerade erst mit seiner Frau Julia und den Kindern frisch aus den USA zurück nach Hamburg gekommen, um hier die Brauerei „Kehrwieder Kreativbrauerei“ zu eröffnen. Anfangs arbeitete er noch zusammen mit Diplom-Braumeister Friedrich Carl Richard alias Fiete Matthies, der später die erste Bio-Brauerei der Hansestadt gründen sollte. Zeitgleich brachten Axel Ohm und seine Mitstreiter die Idee von Craftbeer in das „Altes Mädchen“ in den Schanzenhöfen – und nach Hamburg. Die Bewegung erhielt ihren Namen. Die frühen 2010er Jahre waren in Sachen Bier geprägt von Aufbruchstimmung und hazy Träumen. Der Funke war übergesprungen, und es wurde ein kleines Feuer daraus, das eine stetig wachsende Schar von Biervernarrten wärmte. Auch die Pandemie konnte es nicht löschen. Ganz im Gegenteil. 2021 fand die erste HH Beer Week statt – sie glich einem Befreiungsschlag.
Im ewigen Wandel
2024 erfindet sich die Hamburg Beer Week teilweise neu. Ihre finite Form hat sie noch nicht gefunden, aber sie ist auch erst fünf Jahre alt, noch nicht einmal schulreif. Ein gutes Jahrzehnt Craftbeer in Hamburg hat gezeigt, dass das Thema Potenzial hat. Craftbeer hat eine treue Fangemeinde in dieser Stadt. Aber sie wächst zu langsam. Immer noch sind kreative Biere eine Nische. Deshalb braucht es neue Zugänge. Essen und Bier waren schon immer eine tolle Kombi, deshalb setzt die Beer Week hier einen neuen Akzent. Es könnte sich ein neuer Raum eröffnen für Entdeckungen und lokale Produkte. Es gibt Hamburger Brauereien, die mit der Idee spielen, Käse selbst herzustellen. Andere bauen im Dachgarten auf dem Brauereigelände Zutaten für Gerichte an oder kooperieren mit heimischen Food-Produzenten. Kollaborationen, so viel ist sicher, werden in Zukunft eine große Rolle spielen, um das Bier mit all seinen Spielarten voranzubringen.
Die Bewegung bleibt im Wandel. Vielleicht ändert sich irgendwann einmal ihr Name. Nicht wenige hadern mit dem Begriff Craftbeer. Angesagte Bierstile ändern sich ohnehin ständig. Das Helles von heute kann das Cold IPA von morgen sein. Auf dem Teller wie im Glas geht es derzeit geradlinig und bodenständig zu, aber Trends ändern sich. Was bleibt, ist die Leidenschaft für Bier in all seiner Vielfalt – und die Herausforderung, neben dem Brau-Handwerk noch eine ganze Menge andere Dinge stemmen zu müssen. Ewige Pioniere: Die Geschichte von Craftbeer in Hamburg hat viele Perspektiven. Sie ist noch lange nicht auserzählt.
10 Jahre Craftbeer in Hamburg. Die Doppelfolge. 1. Teil: Von null auf Beer Week
https://hhopcast-bierpodcast.podigee.io/120-10-jahre-craftbeer-hamburg-teil_1#t=4 (Öffnet in neuem Fenster)Die Hamburg Beer Week (Öffnet in neuem Fenster)findet statt vom 12. bis 15. September 2024.
Am 12.09.24 präsentieren HHopcast & Simon Puschmann von “It’s a wrap Brewing Company” das große Bier Quiz mit Foto Stories (Öffnet in neuem Fenster). (Ticket: 10 Euro inkl. Quiz & 6 Biere zum Verkosten, 12.09.24, 19.30 Uhr, Überquell St. Pauli. Tickets gibt’s hier. (Öffnet in neuem Fenster) )
Parallel zur HHBW findet auch Hamburgs Food Festival Open Mouth (Öffnet in neuem Fenster)statt. (12.-16.09.24)