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Es ist schön hier…

… am Rausch der Dahme

„Wir haben hier Trennklos“, erklärt Micha und führt uns zum Sanitär-Wagen. Einem alten grünen Bauwagen, dessen Farbe abbröckelt und der auch sonst eher nach „verschrotten“ aussieht als nach einer Toilette, geschweige denn einem Bad. Ich schlucke und erwarte Schlimmes, als Micha die Tür öffnet. Aber was ich da vor mir sehe, sprengt jegliche Erwartungen. Sofort schäme ich mich, weil ich etwas Schlechtes gedacht habe. Wie Phönix aus der Asche blinkt vor meinen Augen ein nigel-nagel-neu saniertes Bad. Die Duschwände glänzen, die Armaturen sind frisch poliert, es richt nach Reinigung.
„Ich mache gleich noch sauber“, sagt Micha in meine Sprachlosigkeit hinein und ich will gerade etwas erwidern, da ergänzt er noch „das habe ich heute noch nicht geschafft, tut mir leid.“
Ich schüttele nur den Kopf und murmele „alles ok, wirklich.“ Ich glaube, er hat mich nicht gehört, denn er erklärt jetzt, wie diese Art Toilette funktioniert:
„Für das Feste richtig nach hinten setzen, dann öffnet sich die Klappe. Solltet ihr doch mal nicht treffen, kein Problem, sagt einfach bescheid. Ich habe eine Lösung.“
Er meint das Ernst, ich nicke und schweige.

Ich habe wirklich schon viele Arten von Bädern gesehen und auch benutzt. Angefangen bei Omas und Opas altem Plumpsklo, kurz nach der Wende im Garten von Neu-Vehlefanz, über Uni-Sex-Klos in Berliner Keller-Clubs bis hin zu Meeres-Toiletten auf karibischen Inseln. Auf einer panamaischen Inselgruppe saß ich einmal auf einem ganz speziellen Klo. Bei jedem Geschäft plätscherte es merkwürdig oder es macht gar „plopp“, und Wasser spritzte. Da aber alles in einem schwarzen Loch verschwand, war mir nicht ersichtlich, wohin sich meine Exkremente verabschiedeten. Ein Schild wies darauf hin, ich solle auf gar keinen Fall Klopapier benützen und wenn doch dieses in den dafür vorgesehenen Eimer werfen. So weit verstand ich, was dort in spanischer Sprache geschrieben war.
Erst später entzifferte ich auch das von Hand dazu Geschriebene: „Die Fische vertragen kein Papier.“
Ich konnte es nicht fassen – Fische? Das Zimmer war auf einen Steg im Meer gebaut, die Toilette auch. Es war klar, was das bedeutete. Während weiter hinten Menschen im türkis-blauen karibischen Meer schwammen, fraßen sich hier Fische an meiner Wurst satt. Der Schock saß so tief, dass ich zwei Tage gar nicht aufs Klo gehen konnte. Danach hatte ich Angst, die Fischis schaffen „es“ nicht. Aber ich hatte keine Wahl und tat ich es doch, ich ging aufs Klo und hoffte, mein (damaliger) Freund würde nicht beim Kaffee trinken einen Schreck bekommen. Immerhin saß er weiter vorne auf der Terrasse. Nichts dergleichen passierte. Alles klappte.

Nun denn, ein Trennklo trennt, wie der Name schon sagt Pipi und Festes. In der Toilette befindet sich irgendetwas, dass Feuchtigkeit und Luft absorbiert. Dadurch ist es in dem Raum, in dem sich die Toilette befindet, völlig geruchsfrei. Ich kann es mir nicht vorstellen und fürchte mich vor morgen früh.

Als Nächstes führt Micha uns zu „unserem“ Zirkuswagen, geparkt unter großen Bäumen, vor einer riesigen Wiese sieht er ebenso abgerockt aus, wie der Sanitär-Wagen. Die Treppe sei nicht mehr frisch, da müsse er bald etwas machen, sagt Micha noch und dann öffnet er die knarrende Tür.
Diesmal bin ich vorbereitet und doch auch wieder überrascht. Das ist nicht neu und glänzt, aber eines der gemütlichsten Orte, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Ich kann mir sofort vorstellen, wie eine Artistin hier wohnte, kochte, liebte, lachte, schlief.
Der Wagen besteht aus drei Bereichen: Wohn-Küche, Wohnzimmer mit Holz-Ofen und Schlafzimmer – und die Terrasse mit Blick in die Natur. Und ich meine wirklich Natur pur. Da ist nur Wiese und am Horizont Wald.

Hinter unserem Wagen plätschert die Dahme, hier übrigens nur ein kleines Flüsschen, neben uns – mit großem Abstand – noch zwei weitere Bauwagen. Mir fallen fast die Augen raus, als ich versuche, einen Blick zu werfen, sieht genauso gemütlich aus. Später erfahren wir von Michas Sohn, dass unser Zirkuswagen der Schönste sei. Ja, das ist er.

Oh ist das wunderbar hier: Wir tragen Tisch und Stühle mitten auf die Wiese und sitzen förmlich im Grünen, so richtig mitten drin. Den Zirkuswagen schaue ich mir auch ganz genau an und erkenne noch die Schrift. Später am Lagerfeuer frage ich Micha, wie der Wagen hierher gekommen ist. Und werde erfahren, dass es leider viel unspektakulärer war, als ich gehofft hatte.

Vor meinem inneren Auge sehe ich einen kleinen Zirkus, der hier gastierte und eine Seiltänzerin, die sich in den Sohn des Müllers verliebte. Eine stürmische kurze Liebe. Sie wollte bleiben, ihr Vater brauchte sie aber in der Manege und wollte sie nicht hergeben. Der Sohn des Müllers beschädigte ihren Wagen, in der Hoffnung sie so bei sich zu halten. Aber sie ging mit ihrer Familie und ließ den Wagen zurück. Fortan lebte er in ihrem Zirkuswagen…
Es war natürlich ganz anders, einer kaufte den Wagen bei einem anderen, keiner kennt die Geschichte dahinter genau.

Aber Geschichten gibt es hier viele, die von Jonathan, der mit seinem Wohnwagen am anderen Ende des Gartens hinter der großen Scheune steht, lässt auch viel Platz für Fantasie. Er kam einst aus der niedersächsischen Provinz als 18-jähriger nach Berlin, um Musik zu machen.
„Irgendwann wollte ich nur noch raus aus der Stadt“, erzählt er mir.
Er kaufte sich einen Wohnwagen und war auf der Suche nach einem Stellplatz, da erinnerte er sich an Micha.
„Eigentlich wollte ich nur einen Monat bleiben und meinen Wagen ausbauen, aber dann wurde es ein Jahr. Es ist schön hier. Schön ruhig.“
Ich verstehe ihn, die Ruhe, die Natur, die Vögel – die mich gegen 3.00 Uhr morgens das erste Mal aus dem Schlaf zwitschern. Ich lausche ihnen und schlafe darüber wieder ein. Ich möchte Jonathan noch viel mehr fragen, aber er müsse sich jetzt abkühlen.
„Wie, du gehst baden?“, frage ich.
„Ja klar, vorne am Mühlrad“, antwortet er grinsend.
Micha staut dort Wasser der Dahme und erzeugt mit dem alten Mühlrad Strom zur Warmwasser-Aufbereitung. In dem winzigen „Stausee“ ist eine Leiter, über die Jonathan sich ins Wasser lässt, untertaucht und dann schnell wieder rauskommt.
„Ist sehr erfrischend“. Er lacht laut über mein ungläubiges Gesicht, als ich den Fuß reinhalte. Ich muss unweigerlich an Lappland (Öffnet in neuem Fenster) denken. Nein, Kälte kann ich gerade nicht schon wieder haben.

Ich schwebe zurück zu meinem Platz in der Sonne, auf der Wiese, zücke mein Notizbuch und weiß vor Glück gar nicht, wo ich anfangen soll. Neben dem Mühlhaus steht das alte Wohnhaus.
„Eigentlich sieht es noch genauso aus, wie früher“, bestätigt Micha meinen Eindruck. „Nur die Fenster mussten wir mal austauschen.“
Seit einem Jahr wohnt er fest hier draußen, vorher besuchte er immer nur seinen Bruder, der mit seiner Familie hier lebte. Der Bruder ist jetzt weg und Micha macht alles alleine. Alles. Das ist viel. Hinter dem Haus und der Mühle fließt die Dahme. Eine Brücke aus groben Holzlatten führt zum Hof: Drei Seiten, eine große Scheune und ehemalige Ställe für Tiere. Hinter der Scheune Land, viel Land. Es gibt einen großen Gemüsegarten, unzählige Obstbäume und einen Lagerfeuerplatz. Es ist traumhaft, aber sicher viel Arbeit.„Ich bin so viel glücklicher als in der Stadt. Auch wenn ich niemals alles schaffe. Aber es ist ein Paradies.“, schwärmt er. Sein Kumpel Ferdinand nickt. Er komme öfter aus Berlin, hilft Micha mit allem, was anfällt und hat dafür stets einen Platz im Grünen.

Abends sitzen wir lange draußen und beobachten den Sonnenuntergang im Feld, rot, orange, magisch, mystisch. Auf eine seltsame friedliche Art scheint die Welt hier noch in Ordnung zu sein. Vielleicht weil man hier scheinbar von der Welt abgeschnitten ist.
Es riecht nach Lagerfeuer. Die kleine Gruppe der Pfingstgäste versammelt sich andächtig an der Feuerstelle, wickelt sich in Decken, Hundedame Madita rollt ich auf Frauchens Schoß zusammen und unser Mädchen kümmert sich fachfraulich um die Glut. Sie hat vom Chef die Verantwortung bekommen und ist gleich fünf Zentimeter gewachsen. Morgen wird sie Nina auf dem Trampolin einen Salto beibringen.

Wir sitzen am Feuer und erzählen uns Geschichten. Die Magie eines Lagerfeuers ist immer wieder berauschend: Je dunkler es wird, desto redseliger die Menschen und spannender ihre Erzählungen. Ich wünschte, ich hätte mein Diktiergerät einfach laufen lassen. Aber dann wäre es sicherlich nicht dasselbe. Die Hälfte habe ich längst wieder vergessen, aber das Gefühl ist geblieben.
Die Ruhe des Ortes, das Knistern der Glut und die Hitze der Flammen. Die warme Hand des Liebsten auf meinem Oberschenkel und der Kopf des Mädchens auf meiner Schulter. Erst höre ich es schnaufen, dann geht ein kleines Grunzen von ihr aus. Zeit, ins Bett zu gehen. Die Bettwäsche riecht nach frischer Luft und nach „draußen-getrocknet“.

Am nächsten Morgen geht es mir sehr gut. Ich erwache früh, schleiche mich vor allen anderen aus dem Bett und wate durchs feuchte Gras. Meine Füße kribbeln von der Kälte der Nacht und werden gleichzeitig ganz heiß. Über dem Gemüsefeld ist der Sprenger schon an und dann muss ich auf die Toilette. Oh Schreck, das Trennklo. Ich habe keine Wahl, wünscht mir Glück.

Bleibt leicht&lebendig,
Helen

Urlaub im Zirkuswagen: neuemuehledahmetal.de (Öffnet in neuem Fenster)

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