Zum Hauptinhalt springen

1 Jahr

Ich erinnere mich genau an den ersten Geburtstag meines ersten Sohnes. Wir wohnten damals außerhalb Tel Avivs, zwei meiner besten Freundinnen waren extra aus London und Paris angereist, die ganze große Familie meines Ex-Mannes stand Spalier. Der kleine Hase trug eine Blumenkrone und eine andere Freundin spielte Puppentheater für die Kindergäste (und ein bisschen auch für uns Erwachsene, denn wer mag Puppentheater nicht?). Es war eine rauschende Party in unserem Garten. Nur die drei Katzen hassten es, Menschenmengen UND Kinderhände - nein danke, miau. Ich erinnere mich, wie ich den kleinen Jungen, der erst in mir und dann in meinen Armen gewachsen war, den ganzen Nachmittag verliebt ansah. Ein ganzes Jahr. Was für ein Jahr. Er hatte in dem Jahr gelernt, den Kopf zu drehen. Zu sitzen. Zu krabbeln. Und zu brabbeln. Zu stehen und fast zu gehen. Und ich hatte in dem Jahr gelernt, Mutter zu sein (und mir die Haare ratzekurz schneiden lassen, was auch irgendwie alles über das Jahr aussagt).

An den ersten Geburtstag meines zweiten Sohnes erinnere ich mich fast noch besser. Da waren wir schon wieder zurück in Tel Aviv und feierten auf einem Spielplatz, dessen Holzanlage “Made in Germany” war, was mich immer ein bisschen happy und auch ein bisschen sentimental machte. Mein “Großer”, der damals noch nicht ganz drei war, war mindestens genau so aufgeregt wie mein “Kleiner”. Auch er mit Blumenkrone (its a thing in Israel), der Kuchen von der Tante, die Mischpoke - alle da. Und wir: glücklich. Ein Jahr Leben. Ein Jahr Liebe. Ein Jahr ein neuer Mensch. Ein Jahr kleine Babyhände und glucksende Geräusche. Ein Jahr so viel von Allem, das man glaubte, überzulaufen.

Ein anderes Jahr

Heute feiert Kfir Bibas seinen ersten Geburtstag. Wobei “feiert” ein völlig falsches Wort ist. Heute wird Kfir ein Jahr alt. Er ist immer noch ein Baby. Und mehr als drei Monate seines Lebens hat er in Gefangenschaft der Hamas verbracht. Die Angst im Gesicht seiner Mama Shiri, als Hamas-Terroristen sie mit ihren zwei kleinen Kindern (Ariel, ihr zweiter, ist vier), die sie sich vor den Bauch gebunden hatte, entführten, ist uns allen in die Netzhaut eingebrannt. Das Gesicht von Papa Yarden Bibas aus dem Hamas-Propaganda-Video, in dem die Terroristen ihm mitteilen, dass seine Frau und seine kleinen Söhne tot sind, ebenfalls. An Kfirs erstem Geburtstag wissen wir nicht einmal, ob Shiri, Kfir und Ariel noch leben. Wir wissen nicht, wie es Yarden geht. Wir wissen gar nichts. Sie sind seit 104 Tagen weg. Seit 104 Tagen klafft ein Loch in unserem Land und in unseren Herzen.

In Berlin wird heute eine Ausstellung mit Kunst und Texten anlässlich des ersten Geburtstags von Kfir eröffnet. Falls ihr könnt, geht bitte hin. Wir müssen weiterhin alles versuchen, damit die Welt Kfir, Ariel, Shiri und die anderen mehr als 100 Geiseln, die immer noch in der Hölle sind, jeden Tag und jede Nacht, nicht vergisst.

(Öffnet in neuem Fenster)

Auch ich habe ein Gedicht für die Veranstaltung beigesteuert. Es ist schwer, in diesen Tagen, mit diesen Gefühlen, NICHT über den Schmerz zu schreiben. Es ist geradezu ein Kraftakt, hoffnungsvoll zu bleiben.

Ich habe es versucht, bitte versucht es mit mir.

#bringthemhome

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Gutenmorgentelaviv und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden