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Guten Morgen Tel Aviv - Schuld und Sühne auf Berlinale Art

„Wenn das ist, was ihr mit eurer Schuld am Holocaust macht - will ich eure Schuld nicht“, über diese Worte des israelischen Regisseurs Yuval Abraham denke ich seit Stunden nach. Abraham hatte mit seinem palästinensischen Co-Regisseur Basel Adra auf der Berlinale einen Preis für seinen Dokumentarfilm „No other land“ bekommen. Eine Doku, die ich mir definitiv anschauen würde. Auch ich finde, dass (zumindest in israelischen Medien) zu wenig über die Gewalt der Besatzung geschrieben wird. Auch mich widert die aktuelle israelische Regierung an. Auch ich sehe die vielen moralischen und menschlichen Probleme, die die Besatzung mit sich bringt. Ja sogar die Behandlung der arabischen Bürger:innen innerhalb des Kernlandes Israel halte ich in vielen Teilen für ungerecht und höchst problematisch (übrigens auch die der halachaisch nicht-jüdischen Israelis, die im Land nicht einmal heiraten dürfen). Leider entschieden sich die beiden Regisseure bei ihrer Dankesrede aber für die Rhetorik des Hasses und der Propaganda. Ein aufgewühltes „während meine Leute zu zehntausenden von Israel in Gaza massakriert und abgeschlachtet werden“ des palästinensischen Regisseurs kombinierten sie mit einem schuldgetränkten „Wir sind nicht gleich“ und „Apartheid“-Ruf des Israelis. Die Hamas. Der 7. Oktober. Seine Brutalität. Die Geiseln. Ja, selbst die 20 Prozent arabischer Israelis, die natürlich auf dem Papier die gleichen Rechte haben wie jüdische Bürger:innen - all das existiert in der Schwarz-Weiß-Dichotomie dieser Künstler nicht. Wenn die es nicht einmal schaffen, eine ausgewogene, intellektuell ansprechende Rede zu halten, wie einseitig und propagandistisch ist dann erst der Film?

Yuval Abraham (li) und Basel Adra während ihrer Dankesrede auf der Berlinale (Bild: Instagram Yuval Abraham).

Ich bin weder als Jüdin noch als Israelin geboren. Und viele Jahre habe ich gedacht, dass ich deswegen zu nichts und niemanden überhaupt was sagen darf. Die deutsche Schuld, die uns Yuval Abraham verdreht und vor die Füße spuckt, kenne ich gut, seitdem ich sie verstanden habe. Aus ihr wächst meine Verantwortung für dieses „Nie wieder“, das so oft, so unangenehm, als reine Worthülse herumgetönt wird. Seit 2006 habe ich jeden Krieg hautnah in Israel miterlebt. Ich kenne noch das Gefühl, wenn man sich nicht in Tel Aviver oder Jerusalemer Busse traut. Als 2014 Raketen auf ganz Israel flogen, saß ich zitternd mit einem Baby im Bunker, während der Vater an der Front in Gaza war. Als 2023 Hunderttausende Israelis Woche für Woche für die Demokratie, für ein gerechtes Land, und ja, auch gegen die Besatzung („Keine Demokratie mit Besatzung“ war ein Spruch, den ich nicht nur einmal auf den Demos sah, sondern regelmäßig und mit Nachdruck) auf die Straße gingen, war ich dabei. Ich stand auch noch da, als Ben Gvirs Polizisten Blendgranaten auf uns warfen und mit ihren Pferden auf uns zuritten. Ich lebe seit 14 Jahren durchgehend in Israel und beschäftige mich seit fast 20 Jahren als Journalistin und Mensch mit dem Land. Gott, ich weiß nicht alles. Im Gegenteil, je mehr ich weiß, desto weniger weiß ich was. Aber eines ist mir trotz allem mittlerweile klar: Die Sicht auf Israel ist geprägt vom Judenhass. Ja, Judenhass, dieser Ideologie, die sich seit Jahrhunderten durch alle möglichen Gesellschaften und Gruppen zieht. Und dieser Judenhass ist heute wahrscheinlich so weit verbreitet, und wird so offen ausgelebt, wie zuletzt vor dem Zweiten Weltkrieg. Und das auszusprechen, darauf habe ich auch ich ein Recht. Als Deutsche. Als Wahl-Israelin seit 14 Jahren. Und dabei ist es mir mittlerweile gelinde gesagt schnuppe, von welcher Seite der Hass kommt.

Eine junge Frau hält bei Demokratie-Protesten in Tel Aviv ein Schild mit den Worten “Keine Demokratie mit Besatzung” hoch (Quelle X).

Trotzdem, es fühlt sich schon besonders beschissen an, wenn es eben nicht Helen Fares, sondern Deborah Feldman ist, die Propaganda gegen Israel verbreitet. Wenn es eben nicht nur der palästinensische Filmemacher, sondern auch der jüdisch-israelische ist, der Kritik mit Hass verwechselt und dabei sämtliche israelische Friedensaktivist:innen verrät, die am 7. Oktober brutalst ermordet wurden.

Ich war immer dagegen, wenn in Israel kritische Filme oder allgemein linksextreme Künstler mit Hass überschüttet werden, überhaupt, was sollen denn diese ganzen Hass-Fluten überhaupt bringen außer mehr Hass? Ich war immer dafür, dass auch die kritischsten Stimmen gehört werden sollten. Das gehört für mich zu einer guten Demokratie dazu. Dass Israelis die Besatzung kritisieren, sie anprangern, über sie berichten, sie bekämpfen - all das halte ich für lebenswichtig für unser Land.

Denn ja, es gibt in Israel eine Mehrheit, die das Leid der Palästinenser ignoriert oder sogar forciert. Es gibt eine knappe Mehrheit in Israel, die ein Gedankengut vertritt, mit dem ich persönlich mich nicht identifizieren kann. Und je mehr Querulanten dagegen angehen, umso besser. Aber: Wenn ihr euch in Berlin hinstellt und eine Rede haltet, die nur noch mehr Hass hervorruft, die einseitig und hetzerisch ist - dann werdet ihr Gegenwind bekommen. Und damit meine ich nicht die ekelhafte israelische Rechte, die Abrahams Familie bedroht und auch nicht die absurde Reaktion der deutschen Politik, die irgendwie noch nie so richtig kapiert hat, wie man mit Antisemitismus effektiv umgeht. Nein damit meine ich Leute wie mich. Die sich mit dem Thema auch ganz gut auskennen, und die zugucken und sich fragen: Gehts noch?

Das hat nichts mit German Guilt zu tun im Übrigen. Das hat mit Menschlichkeit und Intellekt zu tun. Das hat damit zu tun, dass wir sehr wohl in der Lage sind, Dinge differenziert zu betrachten und dass wir gerade als Deutsche geschult darauf sind, Ideologien zu erkennen, wenn sie uns als Hass ins Gesicht springen. Und als jemand, der immer alles liest, selbst Al Jazeera Propaganda, als jemand, der in der Lage ist, diese Texte zu konsumieren und kurz sein eigenes Meinungszentrum auszuschalten, frage ich mich, wenn ich Reden wie die von Yuval Abraham und Basel Adra höre, schon: Wie sehr kann man ein Thema einseitig auf Hass runterbrechen? Wie sehr kann man auf die Opfer des 7. Oktobers scheißen? Wie sehr auf die Palästinenser, die seit Jahrzehnten unter der jihadistisch-sadistischen Hamas leiden? Unter der Korruption und Brutalität ihrer eigenen Leute. Warum zum Teufel ist es nicht möglich, die Besatzung und die damit entstehende Ungerechtigkeit anzuprangern, und ja, auch den verheerenden Krieg in Gaza gerade, und GLEICHZEITIG den Terrorismus, der uns allen das Leben zur Hölle macht, zu verurteilen? Wann sind Menschen eigentlich so faul geworden, die ganze Welt nur noch in Schwarz-Weiß einzuteilen? Yuval Abraham, wenn es das ist, was du mit deiner Schuld an der Besatzung machst, dann will ich deine Schuld nicht.

  

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