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10.11.2020 Tödliche Teufelsaustreibung wegen Kinderlosigkeit

Prozess: Hodscha, Ehemann und Schwiegereltern sollen 22-jährige Ehefrau getötet haben

Die 22-jährige Nesma wünscht sich, wie ihr Mann, ein Kind. Vor vier Jahren kam die junge Frau aus dem Libanon. Sie lernte hier als Erstes Deutsch und will an der TU Berlin studieren. Ihr Ehemann Wajdi kam schon als 5-jähriger mit seinen Eltern nach Deutschland und ist Diplomingenieur.. 2011 heiraten Nesma und er. Sie kommt nach dem Abitur nach Berlin. Nur die Eltern von Ehemann Waydi scheinen etwas sorgenvoll: wo bleiben die Enkelkinder? Nachdem die Ärzte dem jungen Ehepaar sagen, dass der unerfüllte Kinderwunsch nicht organische bedingt sei, soll der Schwiegervater zu einem islamischen Wunderheiler, einem "Hodscha" gegangen sein, behauptet die Staatsanwaltschaft. Nach knapp acht Tagen der "Salzwasserkur", die "böse Geister, den Teufel" vertreiben soll  aus Nesma, ist die junge Frau tot.

Ein Fall, die Anklage einer Staatsanwaltschaft zu hinterfragen, den Islam zu verteufeln, oder auch die christlichen Religionen kritisch zu hinterfragen? Bilden Sie sich selbst ein Urteil, wie das Landgericht Berlin, dass seit November 2020 gegen einen Ehemann verhandelt, der Witwer wurde, die Schwiegereltern, die wie der "Hoschda" mit angeklagt sind.

Die Eltern und die Schwester Nesmas warten im Libanon voller Trauer, dass fünf Jahre nach der mutmaßlichen Tat ein Urteil gesprochen wird.

Tödliche islamische „Salzwasserkur“ für eine Schwangerschaft?

Ein Kind wünschten sich Nesma und ihr Mann schon einige Jahre. Sie hatten es versucht. Aber: als Nesma als 19-jährige aus dem Libanon zu ihrem Mann nach Berlin kam nach der dortigen Heirat im Jahr 2011, waren dem Ehepaar Kinder noch nicht so wichtig. Wajdi H., Nesmas Mann war als Fünfjähriger mit seinen Eltern aus dem Libanon nach Berlin gekommen. Im Sommerurlaub im Libanon hatte er Nesma kennen- und lieben gelernt. Er war strebsam und: als Diplomingenieur jetzt viel beschäftigt. Nesma, kaum aus ihrer Heimat nach Berlin gekommen, besuchte einen Deutschkurs nach dem anderen, denn: nach dem Abi im Libanon  wollte sie jetzt in Deutschland endlich studieren an der Technischen Universität in Berlin. Irgendetwass Technisches am liebsten. Unbedingt. Nur die Eltern von Ehemann Waydi schienen ab und zu etwas sorgenvoll: wurde es noch etwas mit Enkelkindern, nachdem ihr Sohn mit Nesma schon über vier Jahre verheiratet war? Wajdi und seine Ehefrau wohnten in der derselben Straße im Berliner Bezirk Tempelhof, nicht einmal einen Kilometer von den Eltern bzw. Schwiegereltern entferntr entfernt. Ein bürgerliches Viertel mit niedrigen Plattenbauten, viel Grün und: genug Mieterparkplätzen, weit weg von den Landsleuten aus dem Libanon in Kreuzberg und Neukölln.  

Das junge Ehepaar nahm seinen Kinderwunsch ernst, auch dabei wollten sie wohl Erfolg haben. Die beiden besuchte Ärzte und machte Termine in einer „Kinderwunschklinik“. Doch nichts deutete auf organische Ursachen hin, warum die Schwangerschaft ausblieb, war die Diagnose der Fachärzte durchweg.

Da sollen die  Schwiegereltern Nesmas aktiv geworden sein. Sie sollen einen Hodscha um Hilfe gebeten haben, um den ersehnten Kinderwunsch erfüllt zu bekommen von der Schwiegertochter und ihrem Sohn, ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft. Hodscha wird in der Anklageschrift als „islamischer Wunderheiler“ übersetzt. Viele Moscheebesucher sehen einen Hodscha als Helfer des Imam beim Gottesdienst an. Jener Hodscha namens Mazen K., heute 49  Jahre alt, soll zuerst vom Schwiegervater aufgesucht worden sein: seine Schwiegertochter müsse von einem bösen Geist besessen sein, so der Hodscha laut Staatsanwaltschaft, denn sie wurde nicht schwanger. Der böse Geist, der "Teufel", müsse mit der „Salzwasserkur“ ausgetrieben werden“, dann werde sie schwanger. Er kenne das, habe das schon einmal erfolgreich durchgeführt und die Frau sei dann schwanger geworden. Sein lt. Staatsanwaltschaft erteilter verhängnisvoller Rat soll also gewesen sein: Eine „Teufelsaustreibung“ durchzuführen bei der 22-jährigen Nesma M.. Am besten sei die einwöchige „Salzwasserkur“, so der Hodscha laut Ermittlern. Der angeklagte Ehemann Nesma M.s, ihre Schwiegereltern und der auch der Hodscha sollen gemeinschaftlich die schließlich zum qualvollen Tod führende Salzvergiftung der jungen Ehefrau und Schwiegertochter zu verantworten haben. Dann brach der Telefonkontakt  zwischen Nesma und ihren im Libanon lebenden Eltern ab, so der Nebenklageanwalt der Eltern der Toten, die ihre Tochter verloren.

Eine Woche lang musste Nesma M. Salzwasser trinken, behauptet die Staatsanwaltschaft.  Sie lag im Wohnzimmer auf dem Sofa. In der anderthalb-Liter- Plastikflasche war das Salz aufgelöst, dass die junge Frau langsam von innen vergiftete und austrocknen ließ. Ihr Blut wurde dicker, die ohnehin schon verhandene und bekannte Gerinnungsstörung ihres Blutes und ein fiebriger Infekt habe dazu beigetragen, dass der Gesundheitszustand der jungen Frau im ehelichen Wohnzimmer sich schnell verschlechterte, davon sind die Ermittler überzeugt. Ihre Schwiegereltern und und ihr Ehemann, der extra eine Woche Resturlaub genommen hatte, sollen die „Teufelsaustreibung unter wechselnder Aufsicht“ überwacht haben. Der Hodscha soll zeitweise die sogenannte „Salzwasserkur“ begleitet haben mit Gebeten und Lesungen aus dem Koran. Weil der Salzwassermix übel schmeckte, soll Nesma M. sich zuerst geweigert und schließlich nur mit Widerwillen gefügt und getrunken haben. Das Salzwasser trage zur Reinigung ihres Körpers bei, wurde ihr suggeriert, so die Staatsanwaltschaft. Bald schon soll es ihr erkennbar schlecht gegangen sein: Gangunsicherheit beim Aufstehen von der Couch im Wohnszimmer, Verdauungsstörungen und eine lallende Ausprache setzten ein, behauptet die Staatsanwaltschaft, kein Wunder, denn Herz, Gehirn und Nieren seien durch die hohe Natriumdosis täglich mehr geschädigt worden.

Als M. die Kräfte mehr und mehr schwanden, sollen Schwiegereltern und Ehemann ihr die Salzwasserflasche an den Mund geführt und ihre Arme dabei festgehalten haben. Blutergüsse sollenfür die Staatsanwaltschaft auf einen gewissen Zwang hindeuten. Insgesamt wurde acht Tage, bis zum Tod der jungen Frau, geheimgehalten, wie die vier Angeklagten versuchten, die „bösen Geister“ aus Nesma M. zu vertreiben. Es wurde kein Arzt geholt, so die Ermittler, selbst als es M. sehr, sehr schlecht ging. Die Prozedur sei nur wirksam, wenn sie geheim bliebe, dieser Überzeugung seien Ehemann, Schwiegereltern und Hodscha gewesen.  

Stefan Conen vertritt den angeklagten sogenannten Hodscha, der im Prozess vorerst, mit tief heuntergezogener Kapuze, wie auch die Schwiereltern und der angeklagte Ehemann der Getöteten schweigen wird.

Nur einmal soll Besuch zu Nesma M. aus ihrer Familie vorgelassen worden sein in dieser Zeit: ihre Tante, die als einziges Mitglied ihrer Familie in Berlin lebt, soll M. besucht haben ganz zu Beginn der „Teufelsaustreibung“. Raida A. berichtete den Ärzten und Ermittlern, dass ihre Nichte deutlich benommen gewesen sei. Später sei es weder ihr  noch den im Libanon lebenden Eltern Nesmas möglich gewesen, sie wenigstens am Telefon zu sprechen. Am 7. Dezember 2015 starb Nesma M. Sie hatte zuletzt ihren Mann und die Schwiegereltern nicht mehr erkannt, war oft gestürzt und musste zur Toilette getragen werden. Zuletzt war sie in einen Dämmerzustand verfallen, davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Am Morgen des 7. Dezember sollen ihr Schwiegeeltern oder Ehemann nach gemeinsamen Tatentschluss noch einmal Salzwasser mit mindestens 64 Gramm Salz eingeflösst haben. Da zog die Staatsanwaltschaft Schlussfolgerungen, statt genau zu wissen: die Ermittler nahmen das Köörpergewicht von 64 Kilogramm Nesmas auf ein Meter 68 zu Hilfe: ein Gramm Slz pro Kilogramm Körpergewicht gilt als tödlich. Als muss Nesma M., so die Staatsanwaltscjhaft, über 64 Gramm in Wasser gelöst zu sich genommen haben. Eine reine Vermutung also.  M.s Kreislauf brach zusammen, sie wurde bewusstlos. Kurz nach Neun Uhr rief ihr angeklagter Ehemann die Feuerwehr per Notruf. Obwohl der Notarzt bereits vier Minuten später vor Ort war in der Wohnung in Berlin-Tempelhof, konnten die Retter zuerst nur den Atemstillstand feststellen. M.s Ehemann fuhr schließlich mit ins Krankenhaus, soll aber gegenüber den Notfallmedizinern mit keinem Wort die „Salzwasserkur“ erwähnt haben. Zweimal noch wurde M. ins Leben zurück geholt, aber schließlich starb sie am Nachmittag des 7. Dezember 2015 im Krankenhaus an einer Lungenembolie und einem Hirnödem laut Rechtsmedizinern, die nur wegen des jungen Alters der Toten eine Obduktion durchführten. Die Anklage suggiert: der Hoscha war dran schuld, auch wenn Schwiegereltern und Ehemann mitwirkten...

Seit 25 Jahren bereits lebten die aus dem Libanon geflüchteten Schwiegereltern Nesma Ms in Deutschland. Ihr Ehemann kam als kleines Kind mit fünf Jahren hierher. Auch der mitangeklagte Hodscha wurde im Libanon geboren, lebt aber ebenfalls schon lange mit seiner Familie in Berlin Neukölln. Dass er als „Hodscha“ und Heiler in der Neuköllner Al-Nur-Moschee bekannt sei, wurde im Strafverfahren ermittelt. Der Schwiegervater Nesma M.s soll dort ebensfalls verkehren und dort Gemeindemitglied sein. 

In 2020 erschienenen Berliner Verfassungsschutzbericht wird die Al-Nur-Moschee als eine der drei islamischen Gebetshäuser erwähnt, die von Salfisten bevorzugt würden. Ein Viertel der Besucher seien dort salafistisch geprägt. Da auch der Vorstand und die Hauptakteure diesem Spektrum zuzuordnen seien, handele es sich bei dieser Moschee „um eine salafistisch dominierte Einrichtung“. Ob das mit dem tödlichen Geschehen zu tun haben könnte, wird mutmaßlich ebenfalls Gegenstand des Prozesses werden, jedenfalls könnte das von der Staatsanwalt thematisiert werden. 

In der rechtsmedizinischen Literatur jedenfalls sei die tödliche Teufelsaustreibung mittels Salzwasser ein seltenes Phänomen, so die Staatsanwaltschaft im jetzt verhandelten Berliner Fall. In Frankreich habe es den Fall einer 19-jährigen Muslimin gegeben, deren Familie ihrer „Teufelsaustreibung“ zugestimmt habe. Die junge Frau habe dort nur einen Tag die „Salzwasserkur“ überlebt.   2014 wurden vier Männer aus dem Umfeld einer christlichen evangelischen Sekte  zu Freiheitsstrafen von bis zu acht Jahren verurteilt, weil sie eine 19-jährige eine Woche  lang hungern ließen und sie regelrecht folterten bei einer „Teufelsaustreibung“. Die katholische Nachrichtenagentur (KNA) meldete im Februar 2018: "Viele Christen glauben nicht mehr an die Existenz des Bösen". Deshalb gebe es zu wenige junge Priester, die bereit seien, "die Lehre und die Praxis der Seelenbefreiung zu lernen" Seit 1994 gibt es eine Internationale Vereinigung der Exorzisten, der nicht nur Priester angehören. 2014 erkannte die vatikanische Kleruskongregation den Zusammenschluss offiziell an. 400 Priester sollen dort aktiv sein. Nach den Richtlinien von 1999 besteht dieser Exorxismus aus Gebeten, Segens- und Beschwörungsformeln. Ein katholoscher Exorzist muss danach sorgfältig überprüfen, ob tatsächlich ein Fall von Besessenheit vorliegt. Gegebenenfalls soll er sich mit Medizinern und Psychiatern beraten.

Religiöse Hintegründe jedenfalls sieht, ganz im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft, der Verteidiger des mutmaßlichen Hodscha,Stefan Conen nicht.

Die Staatsanwalt tat sich schwer mit der Anklage: im Dezember 2015 starb Nesma M. Schon an dem Tag ihres Todes gab es Hinweise auf die angeklagte Teufelsaustreibung mittel Salzwasser. Trotzdem tat sich jahrelang die Staatsanwaltschaft schwer mit dem, was geschehen war. Erst im Februar 2020 wurde Anklage erhoben, über vier Jahre nach dem Tod der 22-jährigen. Nun ist geplant, noch in diesem Jahr 2020 das Urteil zu sprechen, mutmaßlich wegen der angeklagten gemeinschaftlichen fahrlässigen Körperverletzung mit Todesfolge. Eine jahrelange Haftrafe, aber auch Bewährung sind möglich bei einer Verurteilung. Die Eltern Nesmas haben noch eine zweite Tochter. Die lebt noch als Englischlehrerin in ihrer Heimat. Alle drei warten gemeinsam im Libanon dass die deutche Justiz nach fünf Jahren endlich Recht spricht.

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