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Wen wir beim Erinnern an den Holcaust vergessen

Zu den Dingen, die ich am Journalismus am wenigsten mag, zählt das Phänomen, über bestimmte Themen vor allem oder ausschließlich dann zu berichten, wenn es einen konkreten Anlass gibt – zum Beispiel ein Ereignis, das Dringlichkeit verleiht, oder ein konkretes Datum, das mit einer wiederkehrenden, ritualisierten Berichterstattung einhergeht. Terminjournalismus wird dieses Phänomen genannt, das im Ergebnis wirkt, als müsste mal eben etwas abgehakt werden, bevor es wohin auch immer weitergeht, meistens zum nächsten Termin. Je ernster ein Thema ist, je schwieriger und schmerzhafter für bestimmte Gruppen, desto zynischer kann diese mediale Praxis auf Menschen wirken, um die es in der Berichterstattung geht. Wahrscheinlich trägt das zu dem schlechten Ruf bei, den Journalist*innen in weiten Teilen der Gesellschaft haben. Dabei sind Ursache und Wirkung im Fall von Terminjournalismus schwer zu trennen: Einerseits steuern Medien öffentliche Wahrnehmung, andererseits folgt Berichterstattung oft dem, wovon Journalist*innen glauben, dass es die Öffentlichkeit interessiert. Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf? In den Medien- und Kommunikationswissenschaften beschäftigt sich ein ganzer Forschungsbereich mit solchen Fragen. Es geht um Ereignismerkmale, um Selektionskriterien, sogenannte Nachrichtenwerte und eben auch um die Frage, warum bestimmte Themen kontinuierlich Aufmerksamkeit erfahren, während andere kaum Beachtung finden.

Die Erinnerung an den Holocaust gehört in Deutschland zu den Themen, die viele wissenschaftliche Arbeiten hervorgebracht haben. Eine Studie, inwiefern dieser Teil der deutschen Erinnerungskultur bestimmten Ereignismerkmalen und Nachrichtenwerten folgt, ist mir aber nicht bekannt (falls jemand eine entsprechende Untersuchung kennt, freue ich mich über einen Hinweis). In meiner Wahrnehmung ist das Gedenken an die Verfolgung und Ermordung von sechs Millionen Jüd*innen leider ein geeignetes Beispiel für Terminjournalismus. Im Umfeld des 27. Januars – dem Datum, an dem russische Einheiten 1945 die Gefangenen das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreiten – setzt zuverlässig ein Interesse an 

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