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Liebe Leserïnnen, 

das Wählen hat auf den ersten Blick wenig mit Technik zu tun, dabei gibt es durchaus interessante Alternativen zum gewohnten Setting aus Wahlkabine, Kugelschreiber, Stimmzettel und Wahlurne. Wenn im Vatikan ein neuer Papst gewählt wird, Schreiben die Kardinäle einen Namen auf einen Zettel. Den werfen sie in eine Urne und zugleich eine Kugel in eine Schale, die anzeigt, dass alle genau einmal eine Stimme abgegeben haben. Die Stimmzettel werden vorgelesen und anschließend  mit einer Nadeln auf einen Faden gespießt. Vor aller Augen am Faden hängend können sie nicht so einfach manipuliert werden. Gibt es kein klares Ergebnis, werden die Wählenden so lange eingeschlossen, bis schließlich ein Wahlgang einen klaren Sieger hervorbringt. Das Einschließen des Wahlvolkes bis zu einem brauchbaren Ergebnis hätte sicherlich auch Vorteile bei der Wahl zum deutschen Bundestag, deren Ausgang Politikerïnnen vor fast unlösbare Probleme der Koalitionsbildung stellen kann, aber natürlich ist so ein barocker Vorgang nicht praktikabel.

Technisch gesehen hat sich am Vorgang des Wählens seit Jahrhunderten kaum etwas verändert und das wurmt natürlich Digitalisierende. Es kann ja nicht sein, dass das so umständlich mit Stift und Papier passiert, wenn doch das Aufaddieren von Stimmen geradezu prädestiniert scheint, vom Computer erledigt zu werden. Das ist aber nicht so einfach. Folgendermaßen:

An Wahlen sollen hierzulande drei Kriterien geknüpft werden: Sie sollen frei, gleich und geheim stattfinden. Jedermensch soll beim Wählen und Auszählen zuschauen und sich davon überzeugen können, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Da scheiden Computer völlig aus, denn dem kann eins nicht ansehen, ob durch eine Manipulation im Laufe des Prozesses das Wahlergebnis verfälscht wird. Um das zu überprüfen, sind fortgeschrittene IT-Kenntnisse nötig. Schließlich reicht es nicht, sich einen Quellcode zeigen zu lassen, es muss geprüft werden, ob die Maschine wirklich das tut, was sie soll. Wir erinnern uns, wie VW die Motoren so programmierte, dass sie erkannten, wenn sie sich im Prüfstand befanden. Nur dort produzierten sie die gewünschten Abgaswerte, was erst nach Jahren auffiel. Eins stelle sich einmal vor, was es für Demokratie und Gesellschaft bedeutet, wenn Jahre Regierungs- und Parlamentsarbeit in Frage gestellt werden, weil dann eine solche Manipulation an Wahlmaschinen auffällt.

Informatikerïnnen kommen immer wieder mit kreativen Scheinlösungen für das Problem. Die meisten drehen sich um kryptographische Schlüssel und Verfahren, die eine Manipulation sicher stellen sollen, aber nur mit höheren Mathematikkenntnissen nachvollziehbar sind, weshalb auch sie für das Kriterium der Nachvollziehbarkeit ausscheiden. Andere verzichten auf das Wahlgeheimnis: Die Stimme wird gezählt und zugleich mit der Identität der Wählerïn gespeichert, sodass alle sich davon überzeugen können, ob ihre Stimme richtig gewertet wurde. In Vereins- und Gesellschaftsversammlungen mag es völlig in Ordnung sein, offen abzustimmen und nur bei Bedarf geheime Abstimmungen durchzuführen. Aber ich glaube, wir sind uns einig, dass das für politische Wahlen in einer Demokratie so nicht geht. Nicht nur weil es Stimmenkauf ermöglicht, sondern auch weil Wählerïnnen nie sicher gehen können, ob sie einst Repressionen zu befürchten haben, sollte der Staat irgendwann mal weniger demokratisch sein als heute. Trotzdem hat sich Estland für diesen Weg entschieden (Öffnet in neuem Fenster), um unbedingt die Wahl über das Internet zu ermöglichen. Deren Argument läuft darauf hinaus, dass sie schwören, die Daten niemandem zu zeigen.

Jedenfalls: Wahlcomputer sind keine gute Idee. Und nein, Eugene, auch nicht in der Blockchain (Öffnet in neuem Fenster). Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht (Öffnet in neuem Fenster) so. Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, findet Informationen beim CCC (Öffnet in neuem Fenster). Das hindert natürlich niemanden daran, trotzdem Wahlcomputer auf höherer Ebene einzusetzen. In den Wahllokalen werden die Auszählungsergebnisse in eine Software namens "PC Wahl" übertragen und an die höheren Stellen übermittelt, um die Zahlen nicht telefonisch oder per Fax durchgeben zu müssen. Natürlich fällt "PC Wahl" mit Sicherheitslücken (Öffnet in neuem Fenster) auf. Eins möchte es nicht so genau wissen.

Bleibt der Wahlvorgang der alte, so hat die Digitalisierung doch einigen Einfluss auf Wahlkampf und Wahlentscheidung. Zu den Medien Rede, Plakat, Flyer, Fernsehen und Radio ist noch das Internet mit den sozialen Medien und Platformen hinzu gekommen und die Parteien, besonders die so genannte AFD, genießt es, ihre Propaganda mit Facebook, Twitter, Instagram, Youtube und Tiktok ohne journalistische Intermediäre, die womöglich widersprechen oder einordnen könnten, direkt an ihre Zielgruppen bringen zu können.

Diesem größeren Potenzial an politischen Fake News stehen aber auch immer bessere  Möglichkeiten gegenüber, sich informieren zu können. Eines der wichtigsten Mittel, sich zu informieren, ist der Wahl-O-Mat (Öffnet in neuem Fenster) der Bundeszentrale für politische Bildung. Ich sehe den durchaus kritisch. Warum, habe ich ausführlich im t3n-Magazin aufgeschrieben (Öffnet in neuem Fenster). Der wichtigste Aspekt: Im Wahl-O-Mat geht es um Themen, wir wählen aber Köpfe. Die Erfahrung zeigt, dass Wahlprogramme ein fiktionales Genre sind, und zwar schon deshalb, weil keine Partei auch nur ansatzweise in der Nähe der Chance ist, alleine ohne Koalitionspartner regieren zu können. Wichtiger als Versprechen, die sich vielleicht ein wenig verwässert und kompromissbehaftet im Tausch gegen drei fette Kröten im Koalitionsvertrag wiederfinden, der vielleicht abgearbeitet wird, vielleicht aber auch nicht – wichtiger als das sind die Köpfe, die wir wählen. Das sind die Kanditatïnnen, denen wir unsere erste Stimme geben, aber auch die Menschen auf den Listen, die wir mit der zweiten Stimme wählen. Trauen wir diesen Köpfen zu, zu regieren und dabei unsere Interessen zu vertreten? Wie gehen diese Köpfe mit Problemen um, von denen wir gerade noch nichts ahnen?  Die Frage kann uns kein Wahl-O-Mat beantworten.

Oder doch? Es gibt da nämlich noch Deinwal.de (Öffnet in neuem Fenster). Die Seite nimmt nicht die Parteiprogramme als Grundlage, sondern die Abstimmungen der letzten vier Jahre im Bundestag: Beantworte eine Reihe von Fragen und am Ende wird angezeigt, wie stark das Abstimmungsverhalten der Parteien mit den eigenen Ansichten übereinstimmt. Das bedeutet leider auch, dass Deinwal keine Parteien berücksichtigen kann, die nicht im Bundestag sitzen. Das ist schade, aber der Hauptwitz liegt meiner Meinung nach auch darin, das eigene Wahl-O-Mat-Ergebnis mit dem Deinwal-Ergebnis zu vergleichen. Nur im Parlament können Programmatik und Abstimmungsverhalten miteinander verglichen werden. In meinem Fall war das Ergebnis durchaus überraschend. 

Der Wahl-O-Mat sagt mir, dass ich mit der SPD inhaltlich zu 72% übereinstimme und mit der CDU/CSU zu 29%. Bei Deinwal komme ich für beide Parteien auf 50%. Gut, das ist nicht wirklich überraschend sondern zeigt den Effekt der (nicht mehr so) Großen Koalition: Sie trifft sich in der Mitte. Die SPD stimmt weniger links ab, als sie möchte, die CxU weniger rechts, in der Mitte liegt der Kompromiss und ich finde erstaunlich, dass ich tatsächlich bei akkuraten 50% für beide Parteien lediglich mit Abweichungen hinterm Komma herausgekommen bin. Das erklärt auch den Effekt, warum die CDU besonders unter Rechten als fast schon sozialdemokratisch wahrgenommen wird und sich linke Wählerïnnen immer wieder von der SPD verraten fühlen.

Ganz anders müsste es bei den Oppositionsparteien aussehen. Die sind schließlich an keine Koaltionsverträge gebunden und können abstimmen, wie sie wollen. Eigentlich müssten also die Wahl-O-Mat-Ergebnisse mit denen von Deinwal grob übereinstimmen. Tun sie aber nicht. (In meinem Fall jedenfalls.) Wahl-O-Mat sagt mir, ich habe 92% Übereinstimmung mit der Linken, konkret im Parlament stimmt sie laut Deinwal aber nur zu 72% so ab, wie ich es gut fände. Eins könnte also auch formulieren: Teilweise hält die Linke ihre Wahlversprechen und Programmatik nicht ein, obwohl sie in der Opposition ist. Das gleiche gilt auch für die FDP nur umgekehrt. Der Wahl-O-Mat findet, dass ich nur zu 37% inhaltlich mit der FDP übereinstimme, beim Abstimmen im Bundestag sind es dann aber 47% laut Deinwal. Aus meiner Perspektive ist die FDP also besser als ihr Ruf, aber aus Perspektive derer, die inhaltlich mit ihr übereinstimmen, schneidet die FDP änlich schlecht ab wie die Linke.

Nur Grüne und AfD stuft der Wahl-O-Mat in etwa genauso ein wie das konkrete Abstimmungsverhalten nach Deinwal. Das empfinde ich als echte Entscheidungshilfe, wobei es sich natürlich nur um eine Stichprobe handelt, die bei anderen Menschen auch ganz anders ausfallen kann. Selber experimentieren lohnt sich.

Und damit, liebe Leserïnnen, wünsche ich ein schönes Restwochenende.

Enno Park

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