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It's times like these you learn to live again
It's times like these you give and give again
It's times like these you learn to love again
It's times like these time and time again
(Foo Fighters)

Good evening, Europe!

August slipped away into a moment in time — and so did September and October.

Ich kann ja nicht jeden Newsletter mit der Feststellung beginnen, dass „schon wieder“ „so viel Zeit“ vergangen sei, aber here we are: kurz vor Halloween, kurz vor St. Martin (und damit der Martinikirmes, zumindest in Dinslaken), mithin kurz vor dem 1. Advent, Weihnachten, Silvester und dem nächsten ESC und Sommer.

Ich hatte eigentlich noch etwas über die Trauerfeierlichkeiten der britischen Königin schreiben wollen. Darüber, dass wir als Menschheit vermutlich nie wieder einer Veranstaltung solcher Ausmaße beiwohnen werden. Über das einende Element dieses Ereignisses in Zeiten, die uns so wild erscheinen. Darüber, dass wir als Menschheit offensichtlich etwas brauchen, das uns altbekannt ist und als kleinster gemeinsamer Nenner fungieren kann — sei es nun eine Monarchie, Fußball oder Religion. Darüber, dass solche Spender basalster Zusammengehörigkeitsgefühle - nennen wir sie „Traditionen“ - natürlich immer noch oft schwierig und ausgrenzend sind (Kolonialismus, Hooligantum, Religion — letzteres aktuell wieder aufs Schlimmste zu besichtigen im Iran, in Afghanistan und bei den sogenannten konservativen Christ*innen in den USA) und wir diesen Widerspruch aber auch irgendwie aushalten müssen, während wir gleichzeitig für mehr Gerechtigkeit kämpfen — weil eine Welt komplett ohne Traditionen eine Welt ohne Trost wäre und zumindest ich in einem derart nihilistischen Umfeld nicht leben wollen würde.

Ich hätte noch irgendwie den Bogen zu den Gedenkkonzerten geschlagen, die die Foo Fighters für ihren verstorbenen Schlagzeuger Taylor Hawkins gespielt haben (und nenn mir irgendetwas, das gleichermaßen so traurig und wunderschön wäre wie die Version von „My Hero“ (Öffnet in neuem Fenster), bei der Taylors 16-jähriger Sohn Shane am Schlagzeug sitzt — ich glaube, ich habe seit meinem zehnten Lebensjahr nicht mehr so geheult!) und zu der Bedeutung von Musik beim Klarkommen.

Allein: Irgendwie habe ich mich die ganze Zeit nicht dazu aufraffen können, das alles aufzuschreiben. Ich habe dann lieber Zeit mit meiner Familie verbracht, so dass Ihr auf meine tieferen Ausführungen zu diesen Themen vorerst verzichten müsst.

Auch zum Themenkomplex „Trauer und Trost“ passt „All There Is“ (Öffnet in neuem Fenster), der neue Podcast von Anderson Cooper.

Ich liebe Anderson Cooper, der einer der anchors, also Hauptmoderator*innen, bei CNN ist, sowieso; nicht zuletzt wegen seiner Bereitschaft, jederzeit on air ergriffen zu sein. Sein Vater starb, als er zehn Jahre alt war und sein älterer Bruder beging Suizid, als Anderson 21 war. 2019 verstarb auch Coopers Mutter, die Schauspielerin, Malerin und Autorin Gloria Vanderbilt, im Alter von 95 Jahren und Anderson ist offenbar im Moment damit beschäftigt, ihre Wohnung auszuräumen, in der sich noch jede Menge Erinnerungsstücke an seinen Vater und Bruder befinden — ein Auslöser für ihn, einen Podcast über Trauer zu machen.

In der zweiten Folge ist der ebenfalls von mir hochverehrte Stephen Colbert zu Gast, der seinen Vater und zwei seiner älteren Brüder bei einem Flugzeugabsturz verlor, als er selbst zehn war. Wie die beiden sich austauschen, darüber sprechen, wie sie immer gedacht hätten, selbst nicht alt zu werden — für mich ist es wunderschön und herzerwärmend. (Dieser Dialog jetzt ist quasi die Fortsetzung eines Gesprächs (Öffnet in neuem Fenster), das ich vor zweieinhalb Jahren schon einmal im Newsletter empfohlen (Öffnet in neuem Fenster) hatte.) Und auch die anderen Folgen sind alle sehr lehrreich und inspirierend. Es stellt sich nämlich (einmal mehr) heraus: Die Auseinandersetzung mit Trauer macht einen in der Regel nicht trauriger, sondern man findet Trost und Hoffnung — quasi überall und manchmal dort, wo man es wirklich nicht vermutet hätte.

Und wo wir gerade im Thema sind: Die Aachener Band Pale hatte sich 2007 eigentlich aufgelöst. 2019 wurde dann bei ihrem ehemaligen Gitarristen Christian ein Gehirntumor diagnostiziert, was die Mitglieder auf die Idee brachte, wieder gemeinsam Musik zu machen. Schlagzeuger Stephan Kochs hatte mit einer eigenen schweren Erkrankung zu kämpfen, dann kam die Pandemie und im Frühjahr 2021 ist Christian leider gestorben.

Trotzdem entstand aus alledem ein finales Album, das am 25. November bei meinen Freunden vom Grand Hotel van Cleef erscheint, und aus dem es inzwischen drei Songs zu hören gibt: Die Doppel-A-Seite „Bigger Than Life“ / „Man Of 20 Lives“ (YouTube (Öffnet in neuem Fenster), Apple Music (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster)) und die heute erschienene Springsteen-inspirierte Single „New York“ (YouTube (Öffnet in neuem Fenster), Apple Music (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster)). Außerdem wird es am 2. März 2023 im Kölner Gloria ein einmaliges, jetzt aber wirklich allerletztes Pale-Konzert geben.

Über all das, aber noch vieles andere, spreche ich mit Stephan in der neuesten Folge meines Podcasts „Woher kennen wir uns?“ (Öffnet in neuem Fenster), die ebenfalls heute online gegangen ist. Sie ist das Destillat einer fast zweistündigen Aufzeichnung (ich bin ja großer Fan der Kulturtechnik „Schnitt“, die mir auf dem deutschsprachigen Podcast-Markt sonst eher unbekannt scheint), die mir wieder großen Spaß gemacht hat.

Denn das ist wirklich das Wunderbare an diesem Format: Ich kann mich mit Menschen unterhalten, die irgendwie zu meinem Bekanntenkreis gehören, und jede Folge ist auf ihre ganz eigene Art ein echter Quell der Freude. Manchmal kann ich nur einen winzigen Teil meiner vorbereiteten Fragen unterbringen, weil das Gespräch in so viele andere Richtungen geht. Mit Stephan jetzt spreche ich zum Beispiel über Fünfziger-Jahre-Architektur, Regiolekte, Schlagzeuge, Grafikdesign, seine Erkrankung, das Usenet, Musik, Social Media, Bertolt Brechts Radiotheorie und Spaziergänge im Regen. Bei Apple Podcasts (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster) und überall sonst, wo es Podcasts gibt.

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Weihnachten kommt schneller, als man denkt — und Nikolaus erst recht!

Wenn Ihr mein Buch über den Eurovision Song Contest (Öffnet in neuem Fenster) mit Widmung verschenken wollt, schickt mir eine E-Mail (Öffnet in neuem Fenster) und wir kriegen das hin!

Was hast Du gehört?

Heute sind die neuen Alben von Taylor Swift, Carly Rae Jepsen, a-ha und Loyle Carner erschienen — also gebt mir bitte etwas Zeit!

Schon länger raus sind die neuen Alben von Muff Potter und Death Cab For Cutie, zu denen ich mir aber ehrlich gesagt auch noch keine richtige Meinung bilden konnte, weil ich die letzten Wochen vor allem mit „Microcosmos“ von Lou Turner verbracht habe, einem phantastischen, klugen, kleinen Folkalbum: Apple Music (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster).

Nur 17 Jahre nach dem Release (und 16 Jahre, nachdem einer der Songs bei - natürlich! - „Scrubs“ zu hören war), habe ich „Say I Am You“ für mich entdeckt, das zweite Album des Indie-Folk-Duos The Weepies (da lohnt sich auch mal ein kurzer Blick (Öffnet in neuem Fenster) in die Bandbiographie). Es ist wunderschön und traurig und passt somit in die Jahreszeit und diesen Newsletter: Apple Music (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster).

Außerdem: Zum Tod (wow, diese Ausgabe des Newsletters ist wirklich so lebensbejahend wie ein verregneter Novembersonntag!) von Fred Fussbroich hat der Deutschlandfunk Kultur mit dem Filmkritiker Uwe Mies gesprochen. Und wie der die Verdienste des ersten deutschen Reality-TV-Stars würdigt und einordnet, das ist schon sehr klug, unterhaltsam und wertschätzend: deutschlandfunkkultur.de (Öffnet in neuem Fenster)

Was hast Du gesehen?

„Obi-Wan Kenobi“ (Disney+ (Öffnet in neuem Fenster)). Ich möchte wirklich keine Serien aus dem „Star Wars“-Universum mehr sehen!

Außerdem endlich mal (und ebenfalls auf Disney+ (Öffnet in neuem Fenster)): Steven Spielbergs Neuverfilmung der „West Side Story“. Die Musik ist natürlich eh über alles erhaben, aber mit welcher Detailliebe Spielberg und sein Kameramann Janusz Kamiński nicht nur das New York der 1950er rekreiert haben (bis auf ganz wenige Szenen, in denen dieser furchtbare, künstliche Zack-Synder-Lensflare-Himmel zu sehen ist) und wie großartig und natürlich die allermeisten Schauspieler*innen agieren (und sei mal natürlich, wenn Du plötzlich zu singen und zu tanzen anfangen musst!), das ist schon wirklich großartig. Volle Empfehlung!

Amazon hat ja vor einiger Zeit das Filmstudio MGM gekauft und sich damit auch das James-Bond-Archiv gesichert — weswegen jetzt viele Bond-Filme (rätselhafterweise nur auf Deutsch) bei Prime Video zu sehen sind. Um aus diesen Rechten noch irgendwas Neues zu pressen (ohne den „Star Wars“-Weg mit Dutzenden uninteressanter Serien zu gehen, den die Bond-Produzent*innen explizit ausgeschlossen haben), hat Amazon die Dokumentation „The Sound Of 007“ (Öffnet in neuem Fenster) in Auftrag gegeben, die sich mit der Musik der Filmreihe beschäftigt. Das ist die meiste Zeit mindestens interessant, in den besten Momenten grandios — etwa, wenn sich Michael Caine (ja, der Michael Caine) daran erinnert, wie er eines Morgens, als er vorübergehend beim langjährigen Bond-Komponisten John Barry wohnte, zum ersten Menschen wurde, der den legendären „Goldfinger“-Song zu hören bekam.

Irritierenderweise ebenfalls „The Sound Of 007“ heißt ein Konzert (Öffnet in neuem Fenster), das Amazon Anfang Oktober in der Royal Albert Hall aufgezeichnet hat. Es beginnt mit der inzwischen 85-jährigen Dame Shirley Bassey, die „Diamonds Are Forever“ und besagtes „Goldfinger“ mit einer derartigen Energie, Eleganz und Selbstverständlichkeit zum Besten gibt, dass man sich fragt, was danach denn bitte noch folgen soll — eine Frage, die sich die Produzent*innen des Benefiz-Gala-Abends auch mal besser gestellt hätten. Natürlich ist es nett, zu sehen, wie Lulu (die übrigens 1969 den ESC gewann) noch einmal „The Man With The Golden Gun“ singt; wie Skin von Skunk Anansie „Live And Let Die“ abreißt; wie Komponist David Arnold „You Know My Name“ im Gedenken an den verstorbenen Chris Cornell selber singen muss, und wie Jamie Cullum „From Russia With Love“ (im Original übrigens von Matt Monro, dem britischen ESC-Teilnehmer von 1964) so lässig und selbstverständlich vorträgt, dass man sich fragt, warum er eigentlich noch keinen Bond-Song gesungen hat (und wir dafür so grauenhaften Mist wie besagtes „You Know My Name“ oder „Writings On The Wall“ von Sam Smith ertragen mussten). Nur: Für die Dramaturgie des Abends ist das alles natürlich einigermaßen tödlich. Eine vergnügliche Stunde ist das Konzert aber allemal.

Was hast Du gelesen?

Ich habe schon mehrfach (u.a. hier (Öffnet in neuem Fenster)) erzählt, wie ich als Elfjähriger angefangen habe, „Willemsens Woche“ zu schauen und mich Roger Willemsen in meinem Medienschaffen wahnsinnig geprägt hat. Nun gibt es in der Deutschen Kinemathek (Öffnet in neuem Fenster) in Berlin eine Auswahl seiner Interviews zu sehen, was wiederum ein Grund war, warum sich Nils Minkmar, der damals Redakteur bei „Willemsens Woche“ war und heute verdienter Journalist und Schriftsteller, noch einmal an die Zusammenarbeit mit Willemsen erinnert. Es wärmt mein Herz: uebermedien.de (Öffnet in neuem Fenster).

Wissenschaftler*innen haben untersucht, ob man aus schlechten Amazon-Bewertungen für Kerzen („Die riechen ja gar nicht!“) neue Covid-Wellen voraussagen kann: npr.org (Öffnet in neuem Fenster).

Was hast Du gelernt?

Wenn man eine Lizenz erhält, wird man lizenziert. Mit Z. (Öffnet in neuem Fenster)

https://www.youtube.com/watch?v=ylx5QKIxoLY (Öffnet in neuem Fenster)

Habt ein schönes Wochenende!

Herzliche Grüße, Euer Lukas

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Habt ein schönes Wochenende!

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