Something In The Way
Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.
(Johann Wolfgang von Goethe)
145/∞
Good evening, Europe!
„August sipped away like a bottle of wine“ singt Taylor Swift in „August“ (Öffnet in neuem Fenster) und ich habe darüber (also über den Song und das langsame Ende des Sommers) einen Text für die „wochentaz“ (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben. Der ist am 31. August erschienen und der anschließende September verschwand dann wie eine Flasche ja!-Korn, die man auf Ex geleert und sich sicherheitshalber anschließend noch mal selbst über den Kopf gezogen hat, um sicherzugehen, dass die Kopfschmerzen auch wirklich kommen:
Ich habe gegen Nazis und den Klimawandel protestiert, bei der 90er/2000er-Party in der Postkutsche aufgelegt, meine Haare aus Versehen blond gefärbt, Fensterrahmen gestrichen, hatte einen überraschenden Hit (Öffnet in neuem Fenster) auf der Social-Media-Plattform Threads, war ein paar Tage am Meer und beim Konzert von Maro im Konzerthaus Dortmund und bin ein Jahr älter geworden.
Da war also schon viel Schönes dabei (auch wenn ich neun Jahre vor dem goldenen Gegen-Nazis-und-Klimawandel-Demonstrier-Abzeichen sagen muss: Ich würde das Thema gerne mal hinter mir lassen und mich neuen Problemfeldern zuwenden — oder besser noch: keinen), aber irgendwie hatte der Monat - dafür, dass er sonst mein liebster im Jahr ist - geopolitisch wie privat ein paar kleinere und größere Unwuchten, die sich unheilvoll addierten, so dass die Bewertung am Monatsende eher lautete: „6/10, muss nicht noch mal sein“.
Es war ein bisschen so, wie wenn man abends nur noch eben die Wäsche aufhängen will, bevor man sich vor den Fernseher setzt, und dann stellt man fest, dass die Waschmaschine nicht richtig abgepumpt hat. Man nimmt die nasse, schwere Wäsche aus der Trommel, setzt das Badezimmer unter Wasser, schraubt irgendwas auf, was man nur sehr bruchstückhaft versteht, tritt beim Unter-dem-Waschbecken-Liegen versehentlich gegen das Regal, woraufhin einem der Blumentopf, der oben drauf stand, auf den Fuß fällt (und zwar auf den, der beim Sport eh schon Probleme macht), kaputt geht und jetzt ist der Boden nicht nur nass, sondern auch voller Scherben und Erde und die Pflanze, die man zur eigenen Überraschung über so viele Jahre hatte retten können, bräuchte jetzt dringend Erste Hilfe, aber der Boden und die Wäsche und der Schlauch und der Fernsehabend und dann klingelt noch das Telefon und die Babysitter für morgen sagt ab und wo man gerade das Smartphone in der Hand hat, guckt man kurz ins E-Mail-Postfach und da ist eine Nachricht von einem Auftraggeber, der gerne alles noch mal anders hätte und … you get the idea.
Ich bemühe mich ja wirklich immer, in allem das Positive zu sehen, aber es gibt Tage (oder Wochen — oder Monate), wo ich irgendwann denke: „Das ist ein sehr schöner Teppich. Er fühlt sich weich an. Ich möchte jetzt einfach hier liegen bleiben. Für ‚Auf dem Boden liegen und schreien‘ ist es schon zu spät - sowohl, was meine Energiereserven, als auch, was die Nachbarn angeht -, aber ‚Auf dem Boden liegen‘ wäre gerade noch darstellbar.“
Jetzt gerade scheint die Sonne, was meine Laune grundsätzlich schon mal immer deutlich steigert, aber dieser enge Zusammenhang zwischen Wetter und Stimmung ist natürlich auch ein bisschen anstrengend, wenn der Herbst ansteht und man nicht gerade am Mittelmeer oder in Südkalifornien wohnt.
Aber gut: Ich hatte diese Woche eine längere philosophische Diskussion mit einem Zehnjährigen, der lieber keinen Feiertag gehabt hätte als einen Feiertag ohne anschließenden Brückentag. Wo Tennyson (Öffnet in neuem Fenster) auf die Fünf-Tage-Woche trifft.
Anderthalb Jahre lang, über 36 Ausgaben (Öffnet in neuem Fenster), haben wir bei Spotify (Öffnet in neuem Fenster) unsere kleine Musiksendung veröffentlicht, die genauso hieß wie unser Blog (Öffnet in neuem Fenster): Coffee And TV. Dann hat der böse, ausbeuterische Tech-Konzern die Möglichkeit abgeschafft, eine solche … nun ja: Radiosendung im Internet zu produzieren.
Ich habe ein bisschen gebraucht, um zu überlegen, wie wir weitermachen können, denn es gehört ja zu meinen tiefsten Überzeugungen, dass Schönheit geteilt gehört — und Ihr sollte ja weiter hören können, was ich gerade so höre. Die nächstgelegene Idee war dann natürlich eine Playlist — vorerst erstmal weiter bei Spotify (Öffnet in neuem Fenster), weil der Absprung von so einem Streamingdienst ungefähr so kompliziert ist wie ein Umzug mit drei Kindern und fünf Haustieren ins Ausland, aber auch bei Tidal (Öffnet in neuem Fenster), wo ich gerade ein Probe-Abo abgeschlossen habe, und die Musik wirklich hundert Mal besser klingt (außerdem kriegen die Künstler*innen mehr Geld).
Und weil eine Befragung auf Instagram ergab, dass Ihr gerne nicht nur Songs hintereinander hören, sondern auch Informationen und Meinungen dazu lesen wollt, habe ich auch ca. zwei Arbeitstage damit zugebracht, einen Begleittext (Öffnet in neuem Fenster) zu schreiben.
Ich erzähle Euch das aus drei Gründen:
1. Möchte ich natürlich, dass Ihr Musik hört, die mir gefällt und Euch gefallen könnte.
2. Würde ich mich freuen, wenn Ihr - falls Euch das Mixtape gefällt - auf unser neues Projekt aufmerksam machen würdet — auf Social Media, aber gerne auch einfach als privater Tipp an Leute, von denen Ihr glaubt, dass es ihnen gefallen könnte. Sharing is caring!
3. Freue ich mich natürlich auch selber über musikalische Tipps — ich kann meine Ohren ja nicht überall haben. Wenn Ihr also einen Song habt, der auf eines der nächsten Mixtapes (ab jetzt monatlich!) passen könnte, schickt ihn mir gerne! Entweder kommentarlos, aber gerne auch mit ein, zwei Sätzen fürs Blog, warum Euch der Song so gefällt.
Und wenn Ihr meine Arbeit im Blog und im Newsletter hier finanziell unterstützen wollt, könnt Ihr das hier tun:
Durch eine Verkettung merkwürdiger Zufälle begleitet mich die Band Nirvana durch dieses Jahr: Im April jährte sich der Todestag ihres Sängers Kurt Cobain zum 30. Mal, was ich als Vorwand genommen hatte, einen Bewusstseinsstrom in einen Blog-Eintrag (Öffnet in neuem Fenster) zu gießen.
Im Juli schloss ich ein dreimonatiges kostenloses Probe-Abo bei Audible ab und „kaufte“ mir als erstes Hörbuch die Autobiographie von Dave Grohl, gelesen vom ehemaligen Nirvana-Drummer und heutigen Frontmann der Foo Fighters selbst. Es ist auch insofern eine schöne Lektüre, weil es nicht dem klassischen „Und dann, und dann, und dann“-Muster vieler Lebensbeschreibungen folgt, weil Grohl lieber verschiedene Geschichten aus mehreren Zeitebenen miteinander verknüpft, die für ihn inhaltlich und emotional zusammengehören, was - und das dürfte, wenn Ihr diesen Newsletter schon länger abonniert habt, für Euch keine Überraschung darstellen - genau mein Ding ist. Wahrscheinlich deswegen heißt das Buch auch „The Storyteller“ und auch wenn es erschienen ist, bevor Foo-Fighters-Schlagzeuger Taylor Hawkins und Daves Mutter Virginia Grohl starben, kann man sich angesichts des Raums, den die beiden im Buch und im Leben des Musikers einnahmen, vorstellen, wie sehr ihn diese beiden Verluste getroffen haben müssen. (Und die weitere Trauerarbeit (Öffnet in neuem Fenster) fand ja dann auf dem Foo-Fighters-Album „But Here We Are“ aus dem vergangenen Jahr statt.)
Ich war gerade durch mit „The Storyteller“ und noch ganz gerührt, weil Dave Grohl, den man ja immer schon nur mögen konnte, mir dadurch noch enger ans Herz gewachsen war, da veröffentlichte der Mann ein Statement (Öffnet in neuem Fenster) auf Instagram: Er sei kürzlich Vater einer kleinen Tochter geworden, die „außerhalb [s]einer Ehe“ geboren sei. „Interessant“, dachte ich, „wo er doch im Buch so oft betont, wie wichtig ihm seine Ehe und seine Kernfamilie sind.“ Dann dachte ich: „Wenn jemand ein Anrecht auf eine midlife crisis hat, dann ja wohl der Mann, der gerade seine Mutter und zum dritten Mal einen seiner besten Freunde verloren hat.“ (schrieb der Mann mit den blondierten Haaren, die ihn aussehen lassen wie Kurt Cobain und sicherlich leichtfertig als „Midlife-Crisis-Frisur“ bezeichnet werden könnten.)
Dann dachte ich noch kurz, aber sehr intensiv: „Schon auch einfach ein bisschen dumm, mit 55 als Rockstar mit sog. abgeschlossener Familienplanung keine Vasektomie durchgeführt haben zu lassen“, aber damit war das Thema für mich auch - haha - durch, denn es ist eins für Dave Grohl, seine (Noch-)Ehefrau, die gemeinsamen Kinder, das neue Kind und dessen Mutter. Ich kann schon die Privatleben enger Freund*innen nicht beurteilen und will sie nicht bewerten, da muss ich keine Energie darauf verwenden, eine Haltung zu dem zu entwickeln, was mein Großvater als „Ehebruch“ bezeichnet hätte, begangen von einem verdammten Rockstar. Ich kann die Enttäuschung Vieler in den sog. Sozialen Medien verstehen, aber die Situation ist auch eine gute Erinnerung daran, Menschen (vor allem, aber nicht nur, fremde) nicht auf irgendwelche Podeste zu stellen, von denen man sie dann meist eh wieder mit großer Geste stoßen muss. Die Grenze, wo unakzeptables Verhalten beginnt, müssen wir alle einzeln ziehen.
Interessanterweise ist die jüngste Tochter von Dave Grohl damit ziemlich exakt so alt wie die Enkeltochter von Kurt Cobain. Frances Bean Cobain, Tochter von Kurt und Courtney Love, und ihr Ehemann Riley Hawk, Sohn von Tony Hawk dessen erster Ehefrau Cindy Dunbar, sind nämlich vor ein paar Tagen Eltern geworden (Öffnet in neuem Fenster).
(Kurzer Erklärbär-Exkurs für die zahlreichen Boomer und die paar GenZs, die hier mitlesen: Tony Hawk ist der bekannteste und bedeutendste Skateboarder aller Zeiten; Kurt Cobain war der Frontmann von Nirvana, der wahrscheinlich wichtigsten Band der 1990er Jahre. Dass die beiden - im Falle von Kurt Cobain: posthum - ein gemeinsames Enkelkind haben, ist ungefähr so, wie wenn Paul McCartney und Pelé oder Billie Eilish und Luke Littler gemeinsame Nachfahren hätten. Es macht gleich zwei ganze Generationen, X und Millennials, sehr glücklich und sehr alt. Eminem wird übrigens (Öffnet in neuem Fenster) auch Opa.)
Was hast Du veröffentlicht?
In der „wochentaz“ (Öffnet in neuem Fenster) habe ich vor vier Wochen über ein journalistisches Sub-Genre geschrieben, das sich zu jener Zeit großer Beliebtheit erfreute: das Warum-Oasis-immer-schon-scheiße-waren-Essay. Es war mein erster Beitrag zu einer schwelenden Feuilleton-Debatte jemals, aber wie immer, wenn ich irgendetwas in der Öffentlichkeit tue, hat sich absolut niemand dafür interessiert.
In der großen 25-Jahre-1999-Serie im Blog habe ich gleich zwei Jubiläen gewürdigt: das von „Reload“ (Öffnet in neuem Fenster) von Tom Jones und das von „Hallo Endorphin“ (Öffnet in neuem Fenster) von …But Alive.
Und für Übermedien (Öffnet in neuem Fenster) (aktuell noch hinter der Paywall) hab ich über ein Problem geschrieben, das man immer wieder bei Social-Media-Posts, auch von eigentlich seriösen Medienmarken, beobachten kann: Zahlen ohne Kontext.
Was hast Du gehört?
Seit dem Release Anfang Juli habe ich meiner gesamten peer group in den Ohren gelegen, dass sie sich bitte, unbedingt, keine Zeit zu Warten, „After Hours“ von Christian Lee Hutson anhören sollen. Nein: müssen! (vgl. letzter Newsletter (Öffnet in neuem Fenster)) Vergangene Woche ist das dazugehörige Album „Paradise Pop. 10“ (Anti; Apple Music (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster), Amazon Music (Öffnet in neuem Fenster), Tidal (Öffnet in neuem Fenster), YouTube Music (Öffnet in neuem Fenster)) erschienen, das zwar einen etwas prätentiösen Titel trägt, aber ein wirklich großartiges Album ist, das mich sicherlich durch den Herbst begleiten wird: Klavierballaden, melancholische Folksongs und etwas lärmendere Folkrock-Nummern für Fans von Elliott Smith und Bright Eyes. Wenn Ihr gerade Nerven für traurige Musik mit cleveren Texten habt, könnte das Euer Album sein!
Und dann habe ich endlich mal ins Hype-Thema („Thema“ sagen die Musikindustrie-Menschen zu Acts und ihrer Musik. Möchte man mit so einem Business irgendwas zu tun haben?!) der Stunde reingehört und feststellst, dass es ist noch besser ist, als alle sagen: „Manning Fireworks“ von MJ Lenderman (Anti; Apple Music (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster), Amazon Music (Öffnet in neuem Fenster), Tidal (Öffnet in neuem Fenster), YouTube Music (Öffnet in neuem Fenster)) klingt, als würde ich es schon mein halbes Leben kennen. Oder, anders: So, wie wenn The Get Up Kids und The Weakerthans sich vor 20, 25 Jahren in einer Scheune in Montana, in der zufällig noch ein paar Folk-Musiker sitzen, gegenseitig gecovert hätten.
Was hast Du gesehen?
„Paddington“ (Trailer (Öffnet in neuem Fenster)), den Realfilm von 2014 mit dem animierten Bären (im Deutschen: Elyas M'Barek, im Original: Ben Whishaw). Ich bin ja immer begeistert, wenn Filme, deren primäre Zielgruppe Kinder sind, trotzdem gute Drehbücher haben (so wie Pixar-Filme halt). Wenn sie dann noch in ungefähr jeder Szene mit irgendeinem bekannten Gesicht (Jim Broadbent! Peter Capaldi! Matt Lucas! Julie Waters! Nicole Kidman!) aufwarten, bin ich vollends zufrieden (aktuell im Abo enthalten bei Disney+ (Öffnet in neuem Fenster), Prime Video (Öffnet in neuem Fenster) und WOW (Öffnet in neuem Fenster)).
Was hast Du gelesen?
Eine (quasi-)wissenschaftliche Antwort (Öffnet in neuem Fenster) auf die Frage, ob die Titel von Popsongs tatsächlich immer später in den Lyrics auftauchen als früher!
Was hast Du gelernt?
Je höher der Lithiumgehalt im Trinkwasser, desto geringer die Suizidsterblichkeit (Öffnet in neuem Fenster). (Ja, das hat auch noch was mit Nirvana (Öffnet in neuem Fenster) zu tun.)
Was hat Dir Freude bereitet?
Jimmy Carter ist als erster ehemaliger US-Präsident 100 Jahre alt geworden. Nachdem er seine Wiederwahl verloren hatte (gegen Ronald Reagan, der Beginn des Niedergangs der Republikanischen Partei), zogen Carter und seine 2023 verstorbene Frau Rosalynn wieder in ihre Heimatstadt Plains, Georgia, wo er am Dienstag mit reichlich Erdnussbutter-Eis gefeiert wurde (Öffnet in neuem Fenster). Jimmy und Rosalynn haben mit dem non-profit Habitat for Humanity mit ihren eigenen Händen über viertausend Häuser (Öffnet in neuem Fenster) gebaut. Nach seinem 100. Geburtstag ist sein nächstes Ziel, bei der Präsidentschaftswahl für Kamala Harris abstimmen zu können.
https://www.youtube.com/watch?v=_RTAbAjfTes (Öffnet in neuem Fenster)Dieser Newsletter hat Dir gefallen? Dann schicke ihn schnell an eine Person, der auch gefallen könnte! Wenn Du es nicht tust, wird eine schwarze Katze von links nach rechts unter einer Leiter durchgehen! (Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber: Leute, wir müssen echt mal was an der Verbreitung machen!)
Habt ein schönes Wochenende!
Always love, Lukas