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Was ist Bewusstsein – und warum ist es vielleicht nicht das, was wir denken?

Eine erkenntnistheoretische Annäherung an das letzte große Rätsel

Bewusstsein – wir sprechen täglich darüber, ohne es erklären zu können. Es ist das, was diesen Text in deinem Inneren lebendig macht. Du siehst Worte auf einem Bildschirm, aber du erlebst sie. Du bist nicht nur ein informationsverarbeitender Körper – du bist da, in einer Erfahrung. Doch was genau ist dieses Da-Sein, dieses Erleben? Und lässt es sich wissenschaftlich erfassen?

Im Folgenden unternehme ich eine präzise und systematische Annäherung an das Phänomen – ausgehend von aktuellen Theorien der Kognitionsforschung, aber mit einem erkenntnistheoretischen Fokus, der tief in die Struktur unserer Wirklichkeit reicht.

Zwei Perspektiven auf Bewusstsein

In der heutigen Debatte lassen sich zwei grundlegende Sichtweisen unterscheiden:

1. Die materialistische Sicht:

Bewusstsein ist ein Produkt der Materie. Das Gehirn – durch evolutionäre Komplexität – erzeugt eine Art Selbstmodell, das sich wie ein Ich anfühlt. Manche Forscher (z. B. Daniel Dennett, Keith Frankish) sprechen sogar davon, dass das bewusste Ich nur eine Illusion ist: eine Simulation, erzeugt durch rekursive Prozesse im Gehirn, die Zustände beobachten, bewerten und interpretieren.

Diese Theorie ist funktional mächtig – sie erklärt kognitive Phänomene, Entscheidungsverhalten, Emotion. Doch sie stößt an eine Grenze, die David Chalmers das harte Problem des Bewusstseins nennt:

Warum fühlt sich das alles nach etwas an?

Denn das Erleben selbst – das „Innen“ – bleibt physikalisch unzugänglich.

2. Die idealistische oder phänomenologische Sicht:

Hier ist Bewusstsein nicht das Ergebnis der Welt, sondern ihre Bedingung. Alles, was wir wissen, denken, wahrnehmen – ist bereits in Bewusstsein enthalten. Die Vorstellung einer „äußeren Welt“ ist immer nur als Erfahrung im Inneren gegeben.

Der entscheidende Satz lautet hier:

Es gibt nichts, das du sicher wissen kannst – außer: dass du bewusst bist.

Diese Perspektive kehrt das moderne Paradigma um: Nicht das Gehirn erzeugt das Bewusstsein, sondern die Welt erscheint im Bewusstsein – so wie in einem Traum.

Ein erkenntnistheoretisches Argument

Die Stärke dieser idealistischen Perspektive liegt in ihrer radikalen Einfachheit.

Denn sie erfordert nur eine ontologische Annahme:

Es gibt Bewusstsein.

Die materialistische Sicht braucht zwei:

  1. Materie existiert.

  2. Aus ihr entsteht (irgendwie) Erleben.

Das ist philosophisch problematisch, da Erleben nicht ableitbar ist aus physikalischer Struktur. Keine Gleichung, kein Algorithmus, keine chemische Formel enthält subjektives Erleben als Variable.

Wenn also alles, was wir erfahren – inklusive aller Theorien, Gedanken und Beobachtungen – nur im Bewusstsein erscheint, dann liegt es nahe, dieses nicht als Produkt, sondern als Grundstruktur der Wirklichkeit zu begreifen.

Was bedeutet das für unsere Vorstellung vom Ich?

Die Einsicht, dass das Ich – das „Selbst“ – möglicherweise nur ein Modell ist, eine Art temporäres Konstrukt im Strom des Bewusstseins, hat weitreichende Konsequenzen.

  • Sie entzieht dem Ego die absolute Realität.

  • Sie öffnet den Raum für eine Betrachtung, in der das „Ich bin“ nicht ein persönliches Ich, sondern das formlose Gewahrsein selbst ist – wie es Eckhart Tolle beschreibt.

Diese Sicht ist übrigens nicht esoterisch. Sie ist radikal nüchtern.
Denn sie fragt einfach:

Was bleibt übrig, wenn man alles wegstreicht, was gedacht, erinnert, geplant, bewertet wird?

Antwort:

Das Bewusstsein – das, was sieht, aber nicht selbst gesehen werden kann.

Ausblick

Ob Bewusstsein ein emergentes Phänomen ist – oder das Grundprinzip der Wirklichkeit –, ist derzeit nicht empirisch entscheidbar. Doch philosophisch betrachtet spricht vieles dafür, dass Bewusstsein kein nachträgliches Nebenprodukt der Welt ist, sondern deren unhintergehbare Voraussetzung.

Was folgt daraus?

Vielleicht nicht die metaphysische Spekulation, sondern etwas Stilleres:
Eine neue Ernsthaftigkeit in der Frage, was Erfahrung ist.
Und was es bedeutet, sie bewusst zu erleben – ohne sich darin zu verlieren.

Hinweis

Wenn Sie dieses Thema persönlich vertiefen möchten, können Sie gerne eine individuelle Coaching-Session (Öffnet in neuem Fenster) vereinbaren.

Die Inhalte dieses Artikels dienen ausschließlich der Information und stellen keine medizinische, psychologische, rechtliche oder sonstige Beratung dar. Trotz sorgfältiger Recherche kann keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität übernommen werden. Die Anwendung der dargestellten Inhalte erfolgt in eigener Verantwortung.

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