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Technik: Wie LLMs funktionieren – und warum das für Coaching entscheidend ist

Token, Kontext und Täuschung: Die technischen Grenzen von LLMs im Coachingeinsatz.

Für alle Leser die sich intensiver mit der Funktionsweise von Large Language Models (LLMs) befassen, möchte ich einige zentrale Aspekte aus meiner Forschung explizit machen – insbesondere mit Blick darauf, warum technische Strukturen die psychologische Wirkung im Coaching tiefgreifend beeinflussen.

1. Tokenbasierte Vorhersage statt Intention

LLMs wie GPT-4 basieren auf der Transformer-Architektur. Ihre primäre Funktion ist die Wahrscheinlichkeitsvorhersage des nächsten Tokens (also typischerweise Wortbestandteile), gegeben eine Sequenz vorheriger Tokens. Dabei gibt es kein internes Ziel im Sinne eines kohärenten Planes. Was wie ein "Gedankenprozess" erscheint, ist eine sequentielle Optimierung auf Basis statistischer Muster.

Im Coaching-Kontext hat das zwei Konsequenzen:

  • Scheinbare Intentionalität ist lediglich ein Effekt kontextsensitiver Sprachstatistik.

  • LLMs können keine übergreifende Perspektive oder strategische Ausrichtung im Sinne eines systemischen Coachings verfolgen.

2. Kontextfenster ≠ Gedächtnis

LLMs operieren innerhalb eines festen Kontextfensters (je nach Modell z. B. 8k, 32k oder 128k Tokens). Das bedeutet: Nur innerhalb dieses Fensters kann das Modell Informationen verarbeiten und darauf Bezug nehmen. Es gibt kein echtes Langzeitgedächtnis. Alle Formen von „Erinnerung“ sind entweder prompt-basiert (also in der Session eingebettet) oder durch externe Speicher implementiert (z. B. Retrieval-Augmented Generation, RAG).

Für Coaching bedeutet das:
Jede Sitzung beginnt technisch gesehen bei Null – es sei denn, es wird gezielt mit persistenter Speicherung gearbeitet. „Vertrauen“ oder „Beziehung“ entstehen also nicht durch Erinnerung, sondern durch stilistische Konsistenz im Sprachverhalten.

3. Scheinbare Tiefe durch Musterabgleich

LLMs erzeugen plausible Aussagen, weil sie auf Milliarden von Parametern trainiert wurden, die Sprachmuster erkennen und reproduzieren. Doch diese Tiefe ist rein syntaktisch, nicht semantisch. Die Modelle haben kein Weltwissen im klassischen Sinne, sondern approximieren semantische Kohärenz durch Nähe in einem hochdimensionalen Vektorraum (Embeddings).

Coaching lebt jedoch von semantischer Tiefe und Bedeutung – z. B. in der Frage: Warum reagierst du gerade so? – etwas, das keine LLM im eigentlichen Sinne "versteht", sondern lediglich in typischen Antwortmustern spiegelt.

4. Lineare Generierung – keine strategische Planung

Ein zentrales Missverständnis bei der Bewertung von LLMs ist die Annahme, dass das Modell bei der Generierung eines Textes einen „Plan“ verfolgt. Das ist nicht der Fall. Jedes Token wird auf Basis der bisherigen Token sequentiell generiert. Es gibt keine rekursive Konsistenzprüfung, keine Zielüberprüfung, keinen inneren Rahmen.

Das führt im Coaching zu einem Risiko: Die sprachliche Konsistenz kann eine inhaltliche Tiefe vortäuschen, die tatsächlich nicht vorhanden ist. Wer als Coach mit LLMs arbeitet, sollte daher wissen: Die Kohärenz ist emergent – nicht kontrolliert.

5. Der Mensch als interpretierender Agent

Die eigentliche Tiefe entsteht erst durch den Menschen – durch dessen Deutung, Auswahl, Zurückweisung oder Weiterverarbeitung der KI-Antworten. Die KI liefert Muster – der Mensch erzeugt Bedeutung. Genau hier liegt das Zusammenspiel zwischen automatisierter Struktur und menschlicher Semantik.

Dieses Verständnis ist nicht nur philosophisch, sondern methodisch entscheidend für jedes Coaching-Szenario, das auf technische Assistenz zurückgreift.

Ausblick: Was daraus folgt für den professionellen Einsatz

Technische Systeme wie LLMs lassen sich produktiv ins Coaching integrieren – etwa zur Strukturierung von Gedanken, zur Erzeugung alternativer Perspektiven oder zur emotional-neutralen Spiegelung von Sprachmustern.

Doch das erfordert technisches Bewusstsein auf Seiten der Coaches. Nur wer versteht, was die KI leistet und was sie nicht leisten kann, wird in der Lage sein, mit ihr verantwortlich, effektiv und reflektiert zu arbeiten.

Hinweis

Wenn Sie dieses Thema persönlich vertiefen möchten, können Sie gerne eine individuelle Coaching-Session (Öffnet in neuem Fenster) vereinbaren.

Die Inhalte dieses Artikels dienen ausschließlich der Information und stellen keine medizinische, psychologische, rechtliche oder sonstige Beratung dar. Trotz sorgfältiger Recherche kann keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität übernommen werden. Die Anwendung der dargestellten Inhalte erfolgt in eigener Verantwortung.

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