Love Letter To
"I dream in colour
Hate the summer
Please don't tell me
this is all that I am
It's all that I am"
Viel zu spät schreibe ich dir. Seit mehreren Jahren trage ich diese Worte in mir, aber es gab nie die Gelegenheit, den Mut, die Zeit, die Kraft, dir das zu schreiben. Die Gegenwart brauchte ungebrochene Aufmerksamkeit. Lohnarbeit, Suche nach mir, konstruierte Zwänge standen immer im Weg.
Viel zu spät und zu spät.
Was uns gerade noch verbindet, sind verblassende Erinnerungen und deine Sorge um mich in Instastorys. Verblassende Erinnerungen an Massagen, alleine im Truck, die anderen waren schon vorgegangen, sich abkühlen, sich zurückziehen, vielleicht noch was trinken nach dem gemeinsamen schwitzen. Hinter dem Perlenvorhang eine Massageliege. Wir druksen herum. Unsere Körper aufgeheizt von der Sonne, der Bewegung, dem Tanzbox-Training. Waren wir beim Training schon Sparring Partnerin*nen? Oder kamen wir erst vor dem Truck zusammen? Kreuzten sich unsere Blicke. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern wie wir in den LKW von Pietre und Florentina und Marija geklettert sind. Mona Truck. Wie die anderen gegangen sind und wie ich es geschafft habe, stehen zu bleiben und nicht dem Gruppenzugehörigkeitswunsch nachzugeben und mit der Gruppe zu gehen zum nächsten Event, das mich nicht interessiert. An dem ich nur teilnehme, um nicht alleine sein zu müssen. Denn das macht mir noch mehr Angst als Gruppen. Du fragst ob du oder ich zuerst oder ob ich überhaupt Lust hätte zu massieren oder massiert zu werden. Wir sind unsicher der Zeichen die wir aussenden und die wir lesen. Ich habe Angst, massiert zu werden. und ich möchte nichts anderes als von dir massiert zu werden. Ich habe Angst, dass meine Erregung zu gut sichtbar wird, wenn du mich massierst und wenn ich dich massiere. Wir stehen uns gegenüber, schauen uns in die Augen und ich denke, ich würde dich gerne küssen.
Ich habe mich noch nicht geoutet, bloß ein paar hints hier und da. Die Angst vor der Ablehnung der anderen ist zu groß, die eigene Sichtbarkeit zu maskulin und auch wenn eine trans* Person es niemandem schuldig ist masc oder femme zu performen "Just because I can intellectualize it doesn't mean I feel it in my chest". Und die Angst bleibt real. Auch nicht geoutet der Person gegenüber mit der ich hier, während ich dir gegenüberstehe und dich gerne küssen würde, seit 6 Jahren in einer festen Beziehung bin und mit der ich später gemeinsam herausgefunden habe, dass das Konzept von Paarbeziehung hauptsächlich dazu führt, dass die Kompromisse dort getroffen werden, wo wir denken, dass wir die andere weniger verletzen. Ganz zu schweigen von der Vereinzelung, die durch diese Form entsteht. Nun also von einer geschlossenen zu einer offenen Beziehung gewechselt sind. (Das zu schreiben klingt kleinteilig und langsam und die Idee dass das von anderen Queeren Menschen gelesen wird und als lächerlich verstanden wird, weil das eigene politisch-sein nicht schnell genug ins eigene Handeln übergegangen ist scheint das schreiben darüber noch unmöglicher zu machen, wieder Angst nicht queer nicht trans* nicht radikal genug zu sein.) Veränderung braucht Zeit. Aber die Welt geht unter für so viele gerade. Warum sollte ich Zeit, gerade ich, Zeit haben? Vielleicht wäre der letzte gemeinsame Abend anders ausgegangen, hätte ich mich schon als trans* geoutet, hätten wir schon ein anderes Beziehungsmodell ausgewählt. Der Abend, Nacht, der eigentlich der Morgen nach der letzten Nacht im Sommer 2017 ist. An dem wir uns wieder gegenüber stehen, deine Erregung deutlich zu spüren ist, wir uns küssen, zum Abschied, meine Sachen schon gepackt, der Kuss, abgesehen vom Geschmack nach Alkohol und Zigaretten, perfekt ist, ohne geübt worden zu sein, und ich noch Zeit hätte aber einen Rückzieher mache. Mich dir nicht hingebe. Ich nicht deine Eichel lecke, mit meiner Zunge an ihr spiele und dich lecke. Aber das passiert noch. In einem Monat.
Gerade startet der Sommer noch.
Noch stehen wir uns zum ersten Mal gegenüber. Ich hole, oder du holst oder wir beide holen oder eine* von uns beiden holt massageöl aus dem hinteren Teil des Trucks. Wieder zögern. Nach meiner Bejahung das ich massieren möchte, legst du dich auf die Liege. Ziehst dein T-Shirt aus, forderst mich auf es dir gleich zu tun, damit das Öl nicht in meinem Oberteil bleibt, aber ich trau mich nicht. Lieber ein fettiges Oberteil als Oberkörperfrei. Mein Bauch, meine Brust sind mir zuwider. Auf Fotos von damals sind meine Wangen leicht eingefallen, meine Augen blitzen und mir passt Kleidungsgröße s, wenn ich eng tragen würde. Ich fühle mich voll, prall, dick, fett, (Keines der Wörter ist grundsätzlich negativ. Von innen fühlt sich die Gesellschaftliche Körperfeindlichkeit, das sich gegen sich selbst richten, trotzdem so an. Besetzt von Großeltern, die Kommentare über den Bauch der Eltern machen, die sich darüber freuen wenn "der Babyspeck" nicht mehr zu sehen ist, Magazine, Videos, Popstars, abnehmvideos, Tests, bei denen man die Haut an den Rippen nach oben zieht und dadurch angeblich schauen kann wie viel körperfett man hat -immer viel, weil immer haut nach oben zu ziehen ist an der Stelle. Irrational. Feindlich. Internalisiert.) eklig und abstoßend. Mein T-Shirt bleibt als Schutz an. Ich verteile das Öl auf deinen Schultern, deinem verschwitzten warmen rücken. Ich knete dich vom Nacken bis zu den Fußsohlen. Du stöhnst. Sagst mir wo ich mich stärker in deine Haut zwischen deine Muskeln graben kann. Ich knete und träume von deinem Körper.
- Ich denke an dich. Immer wieder immer und ich weiß das unsere Zeit vorbei ist. meine Unsicherheiten, meine Ängste, etwas falsches zu machen, zu sagen, zu sein, waren mir wichtiger als mich auf dich einzulassen. Sonnenuntergang, Sonnenaufgang gemeinsam erlebt und uns gefragt, wie weit wir eigentlich schauen können hier oben auf dem Bunker mitten in der Stadt. Viel zu spät schreibe ich dir. Und zum falschen Anlass. Aus einem Text über Freibad, Sommer und Love wurde ein Text über meine Sehnsucht nach diesem Sommer mit dir, über Disphorie über Essstörungen und nicht sichtbare Magersucht, verpasste liebe und Platz zur Sehnsucht. Massier mich noch einmal. In der Hitze der Klimaverbrechen. Im Sturm, zwischen fliegenden Bäumen, in Monas Truck. Ich möchte von dir umgeben sein, dich riechen, mit dir Kaffee trinken und Eis essen, mich an dich anlehnen, von deinem Wissen, deiner Sicht auf die Welt umgeben sein. Meinen Körper bei dir vergessen. Ich möchte dir sagen ich liebe dich und es meinen ohne Exklusivität, aber mit commitment. Ich vermisse dich. Immer und immer wieder. Draußen regnet es während ich das schreibe. Eine angehende liebe ist in der Stadt in der wir uns beide kennen gelernt haben und du bist auch da. Auf einem Rosa Fahrrad und Braids. Ich schicke Fotos vom beginnenden Urlaub an die Person die mir seit 10 Jahren die wichtigste ist um in dieser Welt zurecht zu kommen. Ich schaffe es nicht mehr klar zu denken. In meinem Kopf schwirren mehrere Tode. Sinedad O'Conor, der Tod von zwei liebenden, Queeren, an sich haltenden. Die den Druck ihrer Gesellschaft nicht mehr aushalten konnten, auch im Tod noch versuchend die Gesellschaft zu Queeren, und die Story von einem schwulen Lokführer, der den Personenschaden nicht vereiteln konnte. Eine Therapeutin hat erklärt dass die Präparate der Endokrinologie nicht bei akuten Selbstmord Gedanken raus zu geben sind, weil sie zunächst den Todeswunsch bestätigen könnten. Ich wünschte eine Endokrinologin* und eine Therapeutin* hätten Zeit für mich, denn ich möchte seit langem nicht mehr sterben. Ich muss nicht mehr gerettet werden. Ich brauche nur ein wenig Unterstützung.
Ich küsse dich zum Abschied. Diesmal lässt du mich stehen. Du bleibst in meinem Herzen. Egal wie kitschig das klingt.
Leise flüstere ich Love you und Hot girl Summer forever.
Dieser Text wurde zuerst im Rahmen der „Sommerakademie - Lernen von Dichter*innen: Freibadgeschichten“ von „Dreaming in Women*“ am 6.9.23 der Öffentlichkeit präsentiert.