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Schamlos gelassen

Nele Offner und Sabina Klein-Pal im Interview

Nele Offner und Sabina Klein-Pal sind beide Mitte 30 und haben seit sieben Jahren zusammen ein Fashion-Unternehmen namens „PAL OFFNER (Öffnet in neuem Fenster)“. Das Label der Stuttgarterinnen macht sogenannte Multisex-Mode. Auf einer Mode-Messe erzählen sie Mareike Graepel im Interview, was ihre Kleidung nachhaltig und für alle tragbar macht.

Es war ganz schön schwierig, einen Termin zu finden. Einerseits toll, aber andererseits: Haben Sie Lust, immer zu arbeiten?

Nele Offner: Es macht uns großen Spaß, aber wir sind beide Menschen, die auch ein Leben neben dem Job haben wollen und noch andere Interessen pflegen. Wir haben nur eine Halbtagskraft im Team und machen sonst alles selbst – bis auf die Produktion, das Nähen, das würden wir nicht schaffen.

Sabina Klein-Pal: Ich kenne das aus dem Agenturleben. Wenn dir ein Kunde Freitagnachmittag um 17 Uhr ein Briefing gibt und sagt, er braucht die Präsentation am Montag um 9 Uhr für ein Meeting – dann denkst du dir: ernsthaft? Wie stellt er sich das vor? Dass ich das ganze Wochenende durchrocke, weil der Termin so kurzfristig reingekommen ist? Bei unserer eigenen Firma wissen wir das anders zu planen. Es kommt vor, dass man am Wochenende arbeiten muss, aber das haben wir dann selbst in der Hand oder können es mit Vorlauf einplanen – wie zum Beispiel hier auf der Messe.

Nele Offner: Im ersten Jahr unserer Gründung, also 2014, haben wir 24/7 gearbeitet. Wir waren wie in einem Tunnel. Unsere Familien und Freunde haben sich schon ab und zu gefragt, wohin wir verschwunden sind. Wir haben kaum an privaten Treffen teilgenommen.

Sabina Klein-Pal: Man braucht ein Jahr, um einmal den gesamten Zyklus vom Entwurf bis zur Auslieferung an die Boutiquen, die unsere Mode verkaufen, durchzumachen. Das bedeutet auch, dass man ein Jahr lang jede Aufgabe zum ersten Mal macht. Danach saßen wir fix und fertig da – und haben gesagt: So geht es nicht weiter. Wir versuchen seitdem, pünktlich Feierabend zu machen, wenn irgendwie möglich.

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Ist eure Mode nachhaltiger, weil sie durch den Multisex-Aspekt individuell anpassbarer ist?

Nele Offner: Viele Leute denken, dass man Kleidungsstücke nicht mehr verändern kann, wenn sie einmal „fertig“ sind. Das merkt man auch daran, dass die Leute gar nicht mehr kreativ mit der Mode umgehen, die sie im Laden sehen, besonders bei Kleidung von der Stange bei großen Ketten. Wenn wir als Designerinnen vorschlagen, ‚Hey, wir können dir die Hose auch kürzen, wenn sie dir dann besser gefällt’ – dann sagen viele Menschen: ‚Nee, ich will es so, wie es da hängt.’

Sabina Klein-Pal: Wir haben allerdings auch Direktkunden, die kreativ mit unseren Stücken umgehen – weil sie bereit sind, mehr Geld auszugeben und die Kleidung wertschätzen. Ich denke aber, der wesentlichere Aspekt in puncto Nachhaltigkeit bei uns ist, dass die Wegwerf-Mentalität bei den Personen, die unsere Kleidung kennenlernen, eine andere ist. Unsere Kollektionen sind sehr zeitlos, wir bleiben zwar in der Ästhetik, probieren Neues in unserer eigenen Linie aus, aber unterwerfen uns nicht den Trends. Das heißt, wir achten auf Langlebigkeit in den Materialen sowie im Design und das schätzen auch unsere Kunden. Der Jeansstoff, den wir hier haben, ist aus organischer Baumwolle. Aber es ist für uns nach wie vor ein Spagat, weil nicht alle besonderen Stoffqualitäten, die wir benutzen möchten, nachhaltig hergestellt werden. Bei den Herstellern verändert sich da aber auch immer mehr.

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Was bedeutet Multisex-Mode?

Sabina Klein-Pal: Das ist der Kern unseres Statements: Wir wollen nicht in Kategorien oder Geschlechtern denken. Wir wollen die Grenzen zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit, Gradlinigkeit und Experimentellem, Zeitgeist und Zeitlosigkeit schmelzen lassen. Wir nennen das nicht Unisex, weil wir nicht neutralisieren wollen. Wir machen mehr als nur Oversized-Kleidung, sondern auch taillierte Designs, die alle tragen können. Unsere Kleidung hat die Größe 1 bis 6 und nicht die sonst gängigen Kleidergrößen, die quasi von 36 bis 48 gehen würden. Wir brechen so aus den klassischen Klischees aus und müssen nicht zwischen Damen- und Herrengrößen unterscheiden.

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Wie kann ich mir das konkret vorstellen?

Sabina Klein-Pal: Schlussendlich passen die meisten Kleidungsstücke unabhängig vom Geschlecht – dieselbe gerade geschnittene Jacke sieht bei einem Mann nach Straight Cut aus und bei einer Frau wirkt sie mehr tailliert. Die Designs wirken einfach unglaublich anders durch den Körper, der sie trägt. Das einzige Teil, das vielleicht aufgrund des Körpers unbequem für einen Mann zu tragen sein könnte ist unsere Leggings-Hose – aber da gilt: Allen, wie sie es mögen und worin sie oder er sich wohl fühlt. Die Hose ist immerhin super elastisch.

Nele Offner: Die größte Herausforderung besteht tatsächlich darin, die Größen so zu gradieren, dass möglichst viele Körper reinpassen. Während bei Frauen die Schultermaße eher gering steigen, steigt die Schulterbreite bei Männern mit jeder Größe deutlicher. Auch die Ärmellänge ist bei Männern in der Regel länger als bei Frauen. Hier haben wir Glück, dass extra lange Ärmel zu unserer Ästhetik gehören und diese bei Männern dann „gerade richtig“ sind – wobei man es nie allen recht machen kann. Das gilt aber genauso für Labels, die sich rein auf Frauen oder rein auf Männer fokussieren: Die eine Marke passt immer wunderbar, die andere will einfach nicht richtig sitzen. Der menschliche Körper ist individuell. Am Ende muss man einfach sein Lieblingslabel finden, das von der Ästhetik und der Passform zum eigenen Geist und Körper passt.

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Kann Multisex-Mode sich also der- oder demjenigen anpassen, die*der sie trägt?

Sabina Klein-Pal: Wir denken, dass man seine Maskulinität oder seine Femininität eher durch sein Verhalten und seine Körpersprache ausstrahlt und weniger durch die Kleidung. Auch wenn ich jetzt hier mit einer Tiefschritt-Hose sitze, glaube ich nicht, dass ich kein femininer Typ bin. Wir wollen das gar nicht einteilen in feminin und maskulin, weil Menschen dann am Schönsten sind, wenn sie sich wohlfühlen in ihrer Haut. Wenn sie natürlich sind, wenn sie authentisch sind. Das ist das A und O. Wenn Leute authentisch sind, sind sie sofort sympathisch. Und dann ist es auch völlig Wurscht, was er oder sie trägt. Egal, ob der Mensch als Mann ein Kleid trägt oder andersrum. Das normative Moment der Geschlechterrollen soll nicht über das Individuum bestimmen.

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Arbeitet ihr aus dem Bauch heraus oder mit einer knallharten Strategie? Was ist euer Erfolgsrezept?

Sabina Klein-Pal: Man designt nicht nur, was man selbst fühlt, sondern arbeitet mit einer Mischung aus eigenem Geschmack und den Interessen der Kunden und Kundinnen. Wir haben 2021 einen Print bei uns eingeführt, der komplett anders als das ist, was wir bis jetzt gemacht haben. So was zu wagen kann super gut ankommen, aber es kann natürlich auch sein, dass unsere Kunden sich denken: ‚Was soll ich denn mit einem Comicprint? Ich kaufe lieber meine Leinenjacke und finde dieses Natürliche schöner, das Reduzierte, was sich eher über Designdetails zeigt.’ Wenn der Druck sehr auffällig ist, dann ist der Schnitt cleaner. Aber man muss auch mal etwas Neues wagen, die Kunden brauchen nicht die dritte schwarze Leinenjacke. Wir bleiben durch die Formen und Schnitte dennoch in unserem Stil.

Nele Offner: Wir verkaufen weltweit. Die Menschen in Russland tragen andere Sachen als die Menschen in Japan und die Deutschen bevorzugen auch wieder andere Dinge. Wir sind der Überzeugung, dass man für jede Designausprägung die passende Zielgruppe findet... gerade jetzt, wo die Welt digital vernetzt ist.

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Wie gleichberechtigt ist die Mode-Branche in Deutschland und weltweit?

Nele Offner: Ich glaube, es studieren mehr Frauen Modedesign, aber dann brechen viele beim tatsächlichen „Praktizieren“ wieder weg. Ich glaube, bei den Designer*innen, die von sich reden machen, hält es sich wieder die Waage. In den großen Konzernen sitzen sicher viele Frauen in den Designabteilungen, aber in der Selbstständigkeit ist das anders.

Sabina Klein-Pal: Da spielt sicher auch rein, dass Männer mehr verdienen und bei einer Selbstständigkeit gegebenenfalls die Familienplanung auf der Strecke bleibt. Männer verdienen in unsere Branche sicher 20 Prozent mehr als Frauen. Bei ganz großen Designern wie Karen Millen gibt es sogar einen größeren Gender Pay Gap von fast 50 Prozent, habe ich kürzlich gelesen. Und die Männer erhalten oft höhere Boni.

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Wie seht ihr die Size-Zero-Thematik?

Sabina Klein-Pal: Wir bedienen mit unseren Größen ganz schmal bis ganz stark. Wir machen Kleidung bis Damengröße 48. Jeder möchte sich wohl in seiner Haut fühlen – und den Schnitt des Kleidungsstückes kann man so beeinflussen, dass er vorteilhaft oder weniger vorteilhaft ist. Es ist aber in der Tat nicht so einfach, Models zu finden, die uns nicht zu dünn sind.

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Welchen Einfluss kann Mode auf junge Menschen haben?

Sabina Klein-Pal: Unsere jüngsten Kunden haben gerade Abi gemacht. Und das sind Jungs, die ein Faible für Design und dadurch auch für unsere Kleidung haben. Sie sparen darauf, sich ein Teil bei uns zu gönnen oder lassen sich Gutscheine von uns schenken. Das feiern wir sehr. Wir haben das Gefühl, dass sich junge Leute heute viel mehr trauen. Die Digitalisierung liefert so viele Impulse, ihnen wird vorgelebt, wie man einen ausdrucksstarken Stil haben und diesen selbstbewusst tragen kann. Und gleichzeitig sind sie auch deutlich informierter und stellen kritische Fragen. So sind sie, obwohl sie noch nicht viel Geld zur Verfügung haben, bereit mehr zu zahlen, um Kleidung und auch andere Dinge von kleinen lokalen Betrieben zu kaufen.

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Was ist euer größter Traum?

Nele Offner: Wir sind beide keine Träumerinnen, wir stehen mit beiden Beinen auf dem Boden und sehen die Dinge sehr realistisch. Unser Wunsch oder Ziel ist es aber, dass wir in absehbarer Zeit so gut dastehen, dass wir uns ein bisschen Zeit freischaufeln können, und so auch die tollen Dinge, die uns passieren und die wir mit PAL OFFNER erreichen, mehr genießen können.

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