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Echt oder nicht? 

KI hilft bei Kunstfälschungen

Das Startup „Art Recognition“ will Kunstfälschungen mithilfe von Künstlicher Intelligenz entlarven. Gegründet wurde es vor fünf Jahren von der Rumänin Carina Popovici. Wir haben sie in Adliswil, in der Nähe von Zürich, besucht. 

Von Pauline Tillmann, Adliswil

Carina Popovici will nichts Geringeres als den Kunstmarkt revolutionieren. Die promovierte Teilchenphysikerin wechselte ins Finanzwesen und kam über einen Job in die Schweiz: als quantitative Analystin zur „Credit Suisse“. Anfang 2019 gründete sie zusammen mit einer Freundin „Art Recognition“. Ihr Arbeitsplatz befindet sich auf der zweiten Etage im Gebäude der Schweizer Versicherungsfirma „Generali“.

Im Gang steht ein Tischkicker, Post-ist hängen an den Wänden. Im sogenannten „Startup Hub“ herrscht eine innovativ angespannte Stimmung. Auf der einen Seite will man cool und gelassen rüberkommen, auf der anderen Seite ist Zürich ein teures Pflaster und die Anspannung und den Druck, immer wieder Risikokapital eintreiben zu müssen, ist deutlich zu spüren. Carina Popovici wirkt an diesem Nachmittag gelöst.

„Die Firma ist in den letzten zweieinhalb Jahren stark gewachsen“, erzählt sie. Sie habe mit ihrem Team Kunden in der Schweiz, aber auch in anderen europäischen Ländern und den USA. Der Grund, warum sie auf die Dienste von „Art Recognition (Öffnet in neuem Fenster)“ zurückgreifen ist so bestechend wie einfach. Popovicis Entwickler haben einen Algorithmus programmiert, der Kunstfälschungen mithilfe von Künstlicher Intelligenz erkennt. Damit will sie helfen, die Verbreitung von Kunstfälschungen zu stoppen.

Wie funktioniert das konkret?

Das heißt, die Entwickler haben ein neuronales Netzwerk erschaffen, das anhand von Fotos von authentischen Kunstwerken eines Künstlers die wichtigsten Merkmale „lernt“. Das Allerwichtigste sei der Pinselstrich, erklärt Gründerin Popovici. Die Handbewegung ändere sich, ähnlich wie bei der Unterschrift, nicht. Diese sei einzigartig. Daneben spielten Komposition, Farbe und die Grammatik eine wichtige Rolle. Diese Merkmale werden mit anderen Kunstwerken verglichen und anhand dieses Vergleichs berechnet der Algorithmus eine Wahrscheinlichkeit, ob das neue Kunstwerk vom gleichen Künstler stammt, das gelernt worden ist. 

Das befähigt das Team von „Art Recognition“ also eine Wahrscheinlichkeit anzugeben, ob ein Kunstwerk authentisch bzw. echt ist – oder nicht. Ihr Wettbewerbsvorteil sei, so Popovici, dass man das System bereits mit so vielen Daten trainiert hat. „Wir haben inzwischen hunderttausende Bilder, also Fotos von authentischen Kunstwerken bestimmt – von 300 verschiedenen Künstlern.“

Drei Jahre sei es nur darum gegangen, diese Bilder zu sammeln. Dabei sei wichtig, das System nicht zu verwirren und die Bilder tatsächlich von dem besagten Künstler stammten. Ansonsten komme es bei der KI zu Fehlern oder „Halluzinationen“, wie man das im Fachjargon nennt. Das Thema Datenschutz stellt sich in den meisten Fällen nicht, weil es sich in der Mehrzahl um Bilder von Menschen handelt, die seit mehr als 70 Jahren tot sind. Bilder von Vincent van Gogh landen am Häufigsten auf ihrem Schreibtisch. Aber auch schon ein Werk von Raphael hat für Furore gesorgt und wurde sogar vom renommierten „Wall Street Journal“ aufgegriffen. Weitere Informationen über bekannte Gemälde könnten nicht geteilt werden, weil im Vorfeld strenge Geheimhaltungsvereinbarungen getroffen werden.

Mit einem Stipendium gestartet

Zum Team gehören auch zwei Kunsthistorikerinnen, die die Überprüfung der KI durch zusätzliche Recherchen zum Beispiel in der Fachliteratur stützen. Der Prozess sei sehr aufwendig, deshalb glaube Carina Popovici nicht, dass man das „einfach so kopieren“ könne. Angefangen hat sie übrigens mithilfe eines Stipendiums der Europäischen Union. Das heißt, sie hat Forschungsgelder für zwei Jahre bekommen und war zunächst nicht auf Risikokapital angewiesen, wie die meisten anderen Startups. Ihr achtköpfiges Team konnte sich also ganz auf die Entwicklung des Produkts konzentrieren.

Das erleichterte auch den Zugang zu Privatinvestoren, die inzwischen dabei sind. Schließlich ist das Unternehmen inzwischen auch in der Lage, mit zwei funktionierenden Produkten Geld zu verdienen. Das erste Produkt ist ein Zertifikat, das eine Wahrscheinlichkeit von Ja oder Nein angibt und etwa 2.000 Euro kostet. Das zweite Produkt ist aufwändiger und teurer, weil lange und ausführliche Berichte angefertigt werden. Dabei wird beispielsweise auch erklärt, wie das System trainiert worden ist. Dieses Paket kostet rund 5.000 Euro.  

Was nach viel klingt, sind aber in der Kunstwelt eher Peanuts. Wenn man ein Kunstwerk von einem Experten beurteilen lassen möchte, muss man unter anderem noch die Kosten für den versicherten Transport dazurechnen. Am Ende kommt man da nicht selten auf Summen von 20.000 Euro und mehr. Das Problem: Manchmal kann es passieren, dass man von zwei Gutachter, die sich zum Beispiel bei Impressionismus auskennen, zwei komplett unterschiedliche Aussagen erhält.

Neue Entwicklungen mit KI

„Unsere Kunden – Privatsammler und Auktionshäuser – sind dann immer extrem frustriert und kommen deshalb zu uns. Bei uns gibt es keine Egos oder schwierige Charaktere“, erklärt Popovici. Außerdem sei es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Aufsehen erregenden Korruptionsfällen auf dem Kunstmarkt gekommen. Auch davor sei „Art Recognition“ gefeit. Die ehemalige Teilchenphysikerin findet es nicht „in Ordnung, dass nur ein einziger Mensch, die Macht hat, zu sagen, dass ein Gemälde 10 Millionen Euro wert ist – oder nur 200“. Sie führt das Beispiel des berühmten Fälschers, Wolfgang Beltracchi, an, der Kunstwerke von Max Ernst produziert hat und Experten bestochen haben soll. 

So etwas könne bei „Art Recognition“ nur passieren, wenn man die Daten manipuliere. Aber da es sich um ein Team handele, und nicht um eine einzelne Person, sei das Risiko dafür sehr gering. Am Ende schauen drei bis vier Mitarbeitende auf das Ergebnis. Deshalb sei die Gefahr für Bestechung so gut wie nicht gegeben, so die Gründerin. Um ein echtes Bild von einer Fälschung zu unterscheiden, reicht übrigens ein Bild von einem Handy mit einer guten Kamera. Eine spezielle Belichtung sei nicht notwendig.

Da KI ein Trendthema ist, experimentieren damit natürlich auch Künstler*innen. So gibt es Versuche, zusammen mit Robotern Gemälde zu erschaffen. Außerdem gibt es Gerüchte, wonach in Fabriken in China Kunstwerke von Robotern oder 3D-Druckern erschaffen werden, die im Anschluss für tausende von Euro verkauft werden. „Wenn jemand dafür Geld ausgibt, ist er selber Schuld“, meint Popovici. Da der Kunstmarkt hochgradig subjektiv und emotionalisiert ist, gibt es immer wieder auch kriminelle Machenschaften, die genau das ausnutzen.

Kunst und Programmieren zusammenbringen

Die persönliche Motivation beschreibt die gebürtige Rumänin so: „Ich liebe Kunst und bin ebenso begeistert vom Programmieren. Das sind also zwei Dinge, ich leidenschaftlich gerne mache. Für mich ist es eine großartige Möglichkeit, diese beiden Interessen zusammenzubringen. Außerdem mag ich unsere Mission, den Kunstmarkt transparenter und sicherer zu gestalten.“ Die Wahrscheinlichkeit kann das System übrigens mit 95 Prozent Echtheit beziffern. Wenn man ein teures Bild verkaufen möchte, reicht das aber nicht aus, so dass meistens noch eine Pigment-Analyse hinzukommen muss.

Ähnlich wie im Journalismus gibt es auch die Diskussion in Kunstkreisen, dass die KI Jobs wegnehmen könne. Popovici lächelt und sagt, dass sie zwar durchaus als Bedrohung wahrgenommen werde, aber es dafür keine echte Grundlage gebe. Vielmehr würde sie „Art Recognition“ gerne als zusätzliches Werkzeug sehen, das helfen kann, Kunstfälschungen im großen Maßstab zu entlarven. Skulpturen könne man im Moment nicht bestimmen, weil es sich nicht um zweidimensionale Gebilde handelt. Die räumliche Dimension schafft die KI also – noch – nicht.

Eine weitere Hürde bleibt, die Skepsis im konservativen Kunstmarkt. Zwar zeigen sich US-amerikanischen Expert*innen aufgeschlossen, aber gerade auf dem Schweizer Kunstmarkt schlägt der Gründerin – auch nach 500 erfolgreich durchgeführten Analysen – immer noch viel Skepsis entgegen. Da hilft nur: Durchhaltevermögen und weitere spektakuläre Analysen mithilfe des selbst gebauten KI-Systems.

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