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Die Kraft von Bildern

Frauen und Künstliche Intelligenz

Medien, Social Media und das Internet sollen unsere Welt eigentlich möglichst realitätsnah abbilden. Allerdings sind dort Frauen, wie auch in der realen Welt, immer noch weniger sichtbar als Männer. Wenn sie überhaupt gezeigt werden, dann nur selten divers. In den Niederlanden gibt es Frauen, die genau das ändern wollen und weibliche Vielfalt in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.

Von Sarah Tekath, Amsterdam

Eine Schwarze Ärztin mit Stethoskop, eine Inderin mit Bindi in einer Richterinnenrobe, eine Muslima mit Kopftuch als Pilotin. Die Frauen schauen selbstbewusst in die Kamera. Jede von ihnen zeigt: Ich weiß sehr genau, ich bin verdammt gut in meinem Job. In Wirklichkeit gibt es all diese Frauen nicht. Sie sind das Ergebnis einer Künstlichen Intelligenz, kurz KI, die Bilder von Menschen in bestimmten Berufen erschafft.

Und zwar nicht von Menschen im Allgemeinen, sondern von Frauen im Speziellen. Denn KI kreiert aktuell nachweislich weniger Frauen; das ergab die Untersuchung der amerikanischen Kreativagentur ACE. Mitarbeitende hatten KI-Bild-Generatoren 100 Berufe visualisieren lassen. Weniger als 20 Prozent der Ergebnisse zeigten Frauen, die meisten dafür Weiße Männer.

Kurz gesagt, KI hat zum aktuellen Zeitpunkt rassistische und sexistische Züge. Das bestätigt eine Untersuchung (Öffnet in neuem Fenster) des KI-Unternehmens „Hugging Face“ und der Universität Leipzig von März 2023, die sogenannte Text-to-Image-Systeme, also Bild-Generatoren, anhand eines Schlagworts auf diskriminierende Faktoren kontrollierte.

KI bildet eine sexistische Welt ab

Um genau das zu ändern, ist „Miss Journey“ in den Niederlanden angetreten. Ein KI-Tool, das pünktlich zum Weltfrauentag 2023 eingeführt wurde und das ausschließlich Bilder von Frauen generiert und kostenlos zum Download bereitstellt.

Ziel ist nicht, diese als sogenannte Stockfotos, die für meist kostenpflichtige Bild-Datenbanken produziert werden, zu verkaufen. Vielmehr soll sie Menschen die Möglichkeit geben, sich einerseits selbst darin wiederzufinden und andererseits Nutzer*innen vor Augen zu führen, was KI im Moment alles noch nicht abbildet.

Der Name „Miss Journey“ leitet sich von „Midjourney“ ab, einer der international bekanntesten KIs, die Kunst erschafft, also auch Bilder. Hinter der Kampagne (Öffnet in neuem Fenster) „Miss Journey“ steckt „TEDxAmsterdamWomen“, eine Organisation, die angelehnt an die bekannten amerikanischen TED Talks Frauen eine Plattform bietet und Vorträge, Panels und Events organisiert.

Eine der Gründerinnen von „TEDxAmsterdamWomen“ und Ideengeberin hinter „Miss Journey“ ist Helen Pink. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Männer dominieren und sichtbarer sind als Frauen. Die Künstliche Intelligenz, die wir erschaffen haben, lernt davon und verstärkt das Problem noch. Für den Rassismus und den Sexismus in unserer Gesellschaft wirkt sie wie ein Vergrößerungsglas“, erklärt Pink.

Sie weiß, KI lernt nicht selbstständig. Algorithmen werden von Menschen – meist von Weißen Männern, die in der Tech-Branche arbeiten – geschaffen und bedienen sich an den ihnen zur Verfügung gestellten Datensätzen, die das aufgreifen, was im Internet am prominentesten ist: Männer und die Meinungen von Männern. Das ist nicht nur für die Sichtbarkeit von Frauen und People of Color problematisch, sondern kann auch in der Medizin zu erheblichen Komplikationen führen.

Heutzutage wird KI nämlich schon bei der Entwicklung von Medikamenten oder beim automatisierten Diagnostizieren von Krankheiten eingesetzt. „Wenn eine KI anhand der Symptome eines Herzinfarktes bei einem Mann lernt, dann erkennt sie möglicherweise Herzinfarkt-Symptome bei Frauen nicht. Das Gleiche gilt auch für Hautscreening. Wenn die KI einzig Datensätze von weißer Haut bekommt, werden möglicherweise Ekzeme oder Hautkrebs bei Schwarzen Menschen nicht als solche bemerkt“, so die Gründerin von „TEDxAmsterdamWomen“.

KI basiere auf einem bereits voreingenommenen Internet, das wiederum durch unsere Gesellschaft geprägt sei. „Wir hören ‚doctor‘ und denken an einen Mann. Wir hören ‚top surgeon‘ und wir denken an einen Mann. Wir haben das schon internalisiert und hinterfragen das gar nicht mehr und KI spiegelt uns das jetzt zurück“, erklärt sie. Wie sehr mittlerweile auch Frauen die verstärkte Sichtbarkeit von Männern verinnerlicht haben, belege laut Pink der folgende Fall.

Abbildung von Frauen fällt negativ auf

Nach der Veröffentlichung von „Miss Journey“ wurde das KI-Tool in einer bekannten niederländischen Talkshow besprochen. Allerdings war niemand von „TEDxAmsterdamWomen“ dabei anwesend, weil sie nicht eingeladen waren. Helen Pink erinnert sich: „Eine der Frauen sagte in der Gesprächsrunde, dass ‚Miss Journey‘ ja auch sexistisch sei, weil es nur Frauen abbilde.“ Es ärgere sie bis heute, dass sie damals nicht die Möglichkeit gehabt habe, darauf zu reagieren.

„Wenn wir überall nur Männer sehen, nehmen wir das als normal hin. Wenn wir Männer und Frauen sehen, auch. Aber wenn wir nur Frauen sehen, dann stört uns das plötzlich. Selbst Frauen stört es“, sagt sie. Darum sei es umso wichtiger, User*innen ihre eigenen voreingenommenen Sehgewohnheiten vor Augen zu führen und die Sichtbarkeit diverser Frauen zu normalisieren. Nur so könnten sich Frauen und Mädchen an diesen Beispielen orientieren. 

„Denn nur, wenn zum Beispiel durch KI erstellte Bilder nicht voreingenommen sind, dann kann jede Person, egal welcher Herkunft, welchen Glaubens, welchen Geschlechts sich darin repräsentiert sehen. Das gibt ihnen Vorbilder, anstatt dass die Gesellschaft ihnen bestimmte Rollen zuweist. Dann können sie sein, wer auch immer sie sein wollen“, meint die Initiatorin.  

Keine Sichtbarkeit von Frauen mit Behinderung

Eine, die weiß, wie es sich anfühlt, ohne so ein Idol aufzuwachsen, ist Sophie-Anne Onland. Als sie zur Welt kommt, ist ihr linkes Bein 25 Zentimeter kürzer als ihr rechtes. „Meine Eltern haben mich behandelt wie jedes andere Kind. Ich bin mit meiner Prothese auf Bäume geklettert und Seil gesprungen“, erinnert sie sich. Aber als sie in die Pubertät gekommen sei, habe sie angefangen, sich mit nichtbehinderten Kindern zu vergleichen. „Ich habe von da an eine Beinprothese getragen, die so unauffällig war wie möglich. Die gleiche Beinform, der gleiche Hautton“, erzählt Onland.

Frauen, die aussehen wie sie oder eine andere sichtbare Behinderung haben, habe es so gut wie keine gegeben, lediglich einmal sei kurzzeitig eine Frau mit Behinderung im niederländischen Fernsehen zu sehen gewesen. „Ich dachte, endlich eine Frau, die so aussieht wie ich und so geht wie ich“, erinnert sich die 31-Jährige. Aber die Moderatorin sei schnell wieder aus der Sendung verschwunden.

Selbst auf Social Media habe ihr der Algorithmus niemanden angezeigt, mit der sie sich hätte identifizieren können. Sie haben aktiv nach #disability oder #prostethicleg suchen müssen. Dabei sei sie auf das brasilianische Model Paola Antonini gestoßen, die ein Bein bei einem Autounfall verloren hat und sich jetzt selbstbewusst mit einer Prothese ablichten lässt. Das hat Sophie-Anne Onland inspiriert, ebenfalls selbstbewusst mit ihrem Körper umzugehen. Mittlerweile trägt sie bei öffentlichen Auftritten – zum Beispiel bei „TEDxAmsterdamWomen“ – modische Prothesen mit Glitzer und Strasssteinen.

„Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, hätte ich früher Vorbilder gehabt, wäre mein Umgang mit meiner Behinderung ein ganz anderer gewesen“, sagt Onland. „Deshalb will ich heute genau für diese Sichtbarkeit stehen. Und ja, der Wortwitz mit dem Stehen war Absicht.“ Damit ist sie aber immer noch die Ausnahme, denn in niederländischen Medien, Popkultur, Kampagnen etc. finden Frauen und Mädchen mit Behinderung schlicht nicht statt. „Es ist nicht einmal möglich, sich über Stereotype von Frauen und Mädchen mit Behinderung zu beschweren, weil sie einfach nicht zu sehen sind“, sagt Onland.

Diesen Eindruck bestätigt auch eine Untersuchung der Erasmus Universität Rotterdam, die die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung im Fernsehen erhebt. Dafür wurden mehr als 1.000 Sendungen bekannter niederländischer (Talk-)Shows aus den Jahren 2008, 2013 und 2018 analysiert. Das Ergebnis: Von insgesamt 6.129 Gästen hatten nur 66 eine Behinderung und diese waren zu einem Großteil dazu eingeladen, um über das Thema Behinderung zu sprechen.

Genau das will Sophie-Anne Onland ändern. Inzwischen ist sie neben ihrer Tätigkeit als Rednerin auch Botschafterin bei der Organisation „Mentelity“, die nach der bereits verstorbenen niederländischen Paralympics-Athletin Bibian Mentel benannt ist und regelmäßig Sport-Events für Kinder und Erwachsene mit Behinderung organisiert. Durch „Mentelity“ hat Onland mit Crossfit angefangen, um anderen zu zeigen, was sie alles leisten kann. „Ich will, dass die Welt sieht, dass wir viel mehr sind als nur unsere Behinderung“, sagt sie.

Durch ihre Präsenz in der Öffentlichkeit will sie heute für Mädchen und Frauen mit Behinderung das Leitbild sein, nach dem sie selbst so lange suchen musste. Auch „Miss Journey“ hat schon jetzt nachweislich einen positiven Effekt auf Mädchen. So schrieb ein Vater Helen Pink kürzlich: „Miss Journey gibt meinen Töchtern die Vorbilder, mit denen sie nie gerechnet hätten. Ich frage sie, was sie werden wollen, wenn sie einmal groß sind. Dann drucke ich die Bilder aus und lege sie auf ihre Nachttische. Jetzt bin ich mir sicher, dass sie nichts mehr aufhalten kann.“

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