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Doktrine statt Demut

Wenn katholische Krankenhäuser mit Frauenleben spielen

Katholische Krankenhäuser in den USA dürfen aufgrund ihrer religiösen Richtlinien bestimmte Dienste wie Abtreibung oder Verhütungsmittel verweigern. Die meisten Patient*innen wissen nichts davon. Insbesondere Frauen leiden darunter.

Von Marinela Potor, Cincinnati

Als Katherine Stewart im Dezember 2003 plötzlich stark zu bluten beginnt, weiß sie: Etwas stimmt nicht mit ihrem Baby. Die Journalistin ist in der 13. Schwangerschaftswoche und spürt starke Krämpfe, ihr ist sehr kalt und schwindelig. Sie ruft einen Krankenwagen, der sie – wie das Gesetz in den USA es verlangt – in das nächstgelegene Krankenhaus bring: St. Vincent im New Yorker West Village.

„Sie brachten mich in die Notambulanz und ließen mich dann stundenlang allein in einem Bett und nichts passierte. Ich blutete stark, doch das Krankenhauspersonal wechselte nur meine blutigen Laken. Das ergab keinen Sinn.“ Schließlich sah Katherine Stewart eine Ärztin und flehte sie an, sie zu untersuchen: „Ich habe eine zweijährige Tochter, sie braucht ihre Mutter. Ich war so schwach, dass ich kaum um mein eigenes Leben bitten konnte“, erinnert sie sich.

Später erfuhr sie, dass sie eine Gebärmutterausschabung benötigte, um die Fehlgeburt abzuschließen, die ihr Körper nicht selbstständig beenden konnte – keine ungewöhnliche Behandlung in der frühen Schwangerschaft. Doch da Katherine Stewart in einem katholischen Krankenhaus war, verweigerte das Krankenhaus diese Prozedur zunächst. Denn sie verstößt gegen die ethischen und religiösen Richtlinien, die „Ethical and Religious Directives“, (Öffnet in neuem Fenster)kurz ERDs. Dieser von der US-Katholischen Bischofskonferenz erlassene Leitfaden bestimmt seit 1948, welche medizinischen Verfahren in katholischen Krankenhäusern in den USA erlaubt sind – und welche nicht.

Religiöse Tradition statt medizinische Standards

Demnach gilt jede Form von Eingriff in eine Schwangerschaft, auch das Einleiten oder Beschleunigen einer Fehlgeburt, als Abtreibung. Und zwar ab der Empfängnis. So besagt etwa Richtlinie Nummer 45 wörtlich:

„Ein Schwangerschaftsabbruch (d. h. der unmittelbar beabsichtigte Abbruch einer Schwangerschaft vor der Lebensfähigkeit oder die direkt beabsichtigte Zerstörung eines lebensfähigen Fötus) ist niemals erlaubt. Jeder Eingriff, dessen einziges Ziel die Beendigung der Schwangerschaft vor der Lebensfähigkeit ist, ist ein Schwangerschaftsabbruch, der in seinem moralischen Kontext die Zeit zwischen der Empfängnis und der Einnistung des Embryos einschließt.“

Auch Sterilisation und Verhütungsmittel sind untersagt, wenn sie eine Schwangerschaft verhindern sollen. Seit ihrer Einführung hat sich an diesen Richtlinien kaum etwas geändert, erklärt John Brehany vom „National Catholic Bioethics Center“, einer katholischen Organisation, die das Ethikkomitee der US-Bischofskonferenz in Fragen rund um die ERDs berät. Seit 1998 habe es drei größere Revisionen gegeben, so Brehany. Die Tatsache, dass sich die „ethischen und religiösen Direktiven“ in rund 25 Jahren kaum verändert haben, sieht er als Qualitätsmerkmal. Zitat: „Unsere ethischen Standards sollten klar und beständig sein.“

Neuerungen dieser Richtlinien müssen demnach einen langen Prozess durchlaufen und vom Vatikan genehmigt werden. Medizinischen Rat von außen holen sich die US-Bischöfe dafür nicht, erklärt Brehany. „Wir bitten säkulare Organisationen oder Interessengruppen nicht um ethische Beratung. Wir konzentrieren uns auf Ethik und nicht auf die besten medizinischen Verfahren oder darauf, was 90 Prozent der Ärzte tun.“

In der Praxis kann dies zu Situationen wie bei Katherine Stewart führen, dass etwa aufgrund dieser Direktiven eine Notfallbehandlung der schwangeren Person so lange verzögert wird, bis ihr Leben in Gefahr ist. Erst dann dürfen Ärzt*innen eingreifen. Auch Stewart musste erst 40 Prozent ihres Blutes verlieren, bis sie ärztliche Hilfe erhalten konnte. „Sie haben mit meinem Leben gespielt“, sagt Stewart rückblickend. Katherine Stewart ist kein Einzelfall.

Kaum Wahl bei Krankenhäusern

Da viele Frauen jedoch zu traumatisiert sind, um nach ihren Erfahrungen Beschwerde einzulegen oder gar vor Gericht zu gehen, sind nur vereinzelt Fälle dokumentiert. Stewart war erst viele Jahre nach ihrer Fehlgeburt bereit, öffentlich darüber zu sprechen. So hat sie unter anderem gemeinsam mit der Menschenrechtsorganisation ACLU in einem Bericht namens „Gesundheitsversorgung verweigert“ (Öffnet in neuem Fenster)  zahlreiche Beispiele zusammengetragen, die zeigen: Frauen sind in katholischen Krankenhäusern in den USA einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt, weil ihnen häufig medizinische Hilfe aus ethischen Gründen verweigert wird.

Anders als in Deutschland, haben Patient*innen in den USA aber auch abseits von Notfällen oft keine Wahl, in welchem Krankenhaus sie behandelt werden, weil die öffentliche Versorgung viel lückenhafter ist. Insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen sind nicht-staatliche Einrichtungen die einzigen Optionen. „In den USA gibt es keine zentralen politischen Richtlinien, die das Gesundheitswesen im Land regeln“, erklärt Lois Uttley von „Community Catalyst“, einer Interessengruppe, die sich für faire Gesundheitsversorgung in den USA einsetzt.

Die Lücken in der öffentlichen Gesundheitsversorgung werden daher oft von privaten Organisationen geschlossen. Darunter dominieren katholische Krankenhäuser. „Jedes sechste Hospitalbett in den USA ist in katholischen Händen“, so Uttley. In einigen Regionen wie etwa Washington State oder Alaska machen katholische Träger sogar mehr als 40 Prozent der Krankenhauslandschaft aus. Das liegt nach Einschätzung von ihm auch an der langen Tradition der katholischen Kirche in diesem Bereich.

„Zum einen ist die Versorgung der Armen und Kranken Teil der katholischen Tradition. Zum anderen wurden Katholiken in den USA vor allem im 19. Jahrhundert stark diskriminiert. So verweigerten Krankenhäuser ihnen die Behandlung und katholische Ärzte durften nicht immer praktizieren.“ Das hat dazu geführt, dass sich ein unabhängiges katholisches Gesundheitssystem entwickelt hat. Es gibt zwar auch Krankenhäuser anderer Glaubensrichtungen, die teilweise ähnliche Einschränkungen in der Versorgung haben. Doch keine andere private Organisation dominiert die Gesundheitslandschaft so stark wie die katholische Kirche.

Frauen erfahren erst spät von Einschränkungen

Als religiöse Träger genießen sie unter der Religionsfreiheit der US-Verfassung zudem viele Vorteile, die sekuläre Organisationen nicht haben. Dazu gehört auch das Privileg, aufgrund des eigenen Glaubens verschiedene Behandlungen zu verweigern. Das Personal muss zwar nicht der jeweiligen Glaubensrichtung angehören, sich aber an die Vorlagen halten. Andernfalls droht die Kündigung. Das gilt auch dann, wenn das Verweigern einer Maßnahme später zu Komplikationen führen kann, sagt Katherine Stewart. „Es ist so absurd. Denn wenn Ärzt*innen die Behandlung einer Schwangeren verweigern, um angeblich das Recht auf Fruchtbarkeit nicht zu verletzen, steigt dadurch beispielsweise das Infektionsrisiko. Das kann wiederum schneller zu Unfruchtbarkeit führen.“

Was aber noch problematischer ist: Viele Patient*innen sind sich der Auflagen in der Gesundheitsversorgung in der katholischen Gesundheitsversorgung nicht bewusst. Denn diese werden häufig nicht transparent vermittelt. Das „National Catholic Bioethics Center“ ermutigt die Gesundheitsinstitutionen, die ERDs etwa auf die Website zu stellen. Doch Formulierungen wie „Wir folgen katholischen moralischen Prinzipien“ lassen für viele Patient*innen nicht unbedingt Schlüsse darauf zu, welche Einschränkungen dies mit sich bringt.

Hier sieht John Brehany vom „National Catholic Bioethics Center“ in erster Linie die behandelnden Ärzt*innen in der Verantwortung: „Organisationen informieren ihre Kunden selten darüber, was sie nicht anbieten. Wer in ein deutsches Restaurant geht, erwartet schließlich auch keine ausdrückliche Erklärung, dass es hier kein asiatisches Essen gibt.“

Tatsächlich gibt es in den USA in den meisten Bundesstaaten keine rechtliche Verpflichtung für Gesundheitsinstitutionen, ihre Dienste und Einschränkungen zu veröffentlichen. Genau das möchte Jamie Manson ändern und eine öffentliche Diskussion rund um katholische Werte anregen. Sie ist die Vorsitzende von „Catholics for Choice“, einer Organisation, die die Rechte von Frauen an ihrem eigenen Körper unterstützt. Manson ist überzeugte Katholikin und setzt sich seit rund 20 Jahren für Frauen- und LGBTQ-Rechte in der katholischen Kirche ein.

Das bringt ihr naturgemäß viel Kritik ein. „Auf Twitter nennt mich fast jeden Tag jemand Dämon.“ Doch das stört Manson nicht sonderlich. Ihr ist es viel wichtiger, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass extreme Standpunkte wie etwa die „ethischen und moralischen Direktiven“ nicht die Mehrheit der katholischen Gläubigen vertreten. „56 Prozent der Katholiken in den USA sagen, dass Abtreibung in fast allen Fällen erlaubt sein sollte und 98 Prozent der katholischen Frauen haben schon mal verhütet.“

Jahrzehnte der Gehirnwäsche durchbrechen

Doch aufgrund des Tabus der katholischen Kirche um Themen wie Abtreibung, Geburt oder Verhütung trauen sich viele nicht, ihre Meinung öffentlich zu sagen oder wissen oft gar nicht genau, wo sie moralisch stehen. Rein medizinische Argumente von säkularen Organisationen fruchten daher bei vielen Gläubigen nicht. Genau hier setzt Jamie Manson an und sagt: „Die katholische Kirche bestraft und grenzt Menschen aus, wenn diese nicht die gleichen Ansichten zu Sexualität haben. Wir möchten aber zeigen, dass Katholizismus und das Recht, über seinen eigenen Körper zu entscheiden, sich nicht ausschließen.“

Das zu vermitteln sei aber nach „Jahrzehnten der Gehirnwäsche“ gar nicht so leicht, erzählt Manson. Darum hat sie mit ihrem Team verschiedene Informationsmaterialien rund um Frauengesundheit und Sexualität herausgebracht. Sie organisiert ebenfalls Workshops und Diskussionsveranstaltungen im ganzen Land. Darüber hinaus betreibt „Catholics for Choice“ auch politische Lobbyarbeit. „Wir leisten Überzeugungsarbeit, in einer Gemeinschaft nach der anderen.“ So hofft Manson, das schambehaftete Schweigen zu brechen und eine Debattenkultur anzuregen.

Abschließend sagt sie: „Ich möchte der Mehrheit der moderaten Katholiken im Land eine Stimme geben und ich hoffe, dass die katholische Führung sich die Geschichten dieser Menschen anhört und merkt, dass nicht alles so schwarz-weiß ist. Hört uns die katholische Führung? Ich weiß es nicht. Aber jemand muss ihnen die Wahrheit sagen!“

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