Zum Hauptinhalt springen

Über Wintertiefs und den Tanz der Intimität

Wie wahrscheinlich einige von uns befinde ich mich gerade in einem Wintertief. Die Beantwortung dieses Briefes hat mir dabei ein wenig geholfen

Dear all,

ich befinde mich gerade in einem kleinen Wintertief, das sich nur schlecht abschütteln lässt. Dieses Tief hat auch dafür gesorgt, dass der zweite Januar-Newsletter ausgefallen ist – wofür ich mich nur entschuldigen kann.

Ich kenne diese depressiven Phasen gut. Über die Jahre legt man sich einen kleinen Werkzeugkasten zu, den man dann hervorholt, wenn sie sich am Horizont ankündigen. Das macht es etwas einfacher. Ich mache wieder etwas Yoga und gehe mit einem Freund laufen, plane schöne Dinge für die nächsten Monate, schaue mehr amerikanische Krankenhausserien als sonst und versuche vor allem, diesem Tief mit einer gewissen Gelassenheit und einer gewissen Akzeptanz zu begegnen. Ich fühle mich nicht so schlecht wie zu früheren Gelegenheiten und bin dankbar dafür – und ich weiß, dass auch diese schwierige Phase vorbeigehen wird. Irgendwann tut sie das immer.

Wenn man zu sehr in den eigenen Tiefen und Untiefen versunken ist, hilft es meistens, aus seinem eigenen Kopf herauszukommen, wie auch immer man das tut. Den folgenden Brief zu beantworten, hat genau das für mich erreicht. Er stammt von Sabrina, der es schwerfällt sich zu öffnen. Dann lernt sie einen Mann kennen, mit dem ihr es gelingt, sich zu zeigen. Nachdem diese in vieler Hinsicht komplizierte Beziehung zu Ende geht, möchte es ihr nicht gelingen, mit der Sache abzuschließen. Es ist ein berührender Brief über ein Thema, bei dem die meisten von uns immer wieder an unsere Grenzen stoßen: Den Tanz, das Glück und die Gefahren von Intimität.

Ich hoffe, dass ihr alle halbwegs gut durch den Winter kommt – und dass ihr, falls ihr auch eine Phase wie ich durchmachen solltet, diesem Tief auch irgendwie begegnen könnt, indem ihr etwas improvisiert, indem ihr Dinge ausprobiert, auf euren kleinen Werkzeugkasten zurückgreift und vor allem, dass ihr euch dafür nicht verurteilt. Denn das macht, wie wir wissen, alles nur noch schlimmer.

Alles Liebe, Daniel

P.S. Nach dem letzten Newsletter haben einige von euch gefragt, wann es wieder einen Schreibworkshop gibt. Die neuen Termine findet ihr auf Instagram bei @salonfestival und @agentur_gegensaetze – ich würde mich freuen, wenn ihr dabei seid.

"Wie kann ich mich in Zukunft auf neue Menschen einlassen?"

Dear Daniel,

ich hatte schon immer Probleme, Menschen näher kennenzulernen. Es fällt mir schwer, mich zu zeigen, ich bin oft so gehemmt, dass ich mich kaum zu äußern und zu positionieren wage. Manchmal glaube ich, von anderen als „Mensch ohne Eigenschaften“ wahrgenommen zu werden.

In den letzten Monaten habe ich einen Mann gedated, der von Anfang zu cool, zu attraktiv und vor allem zu offen für mich schien. Ich bin mit dem Ansatz an diese Bekanntschaft gegangen, mich selbst einmal so offen und authentisch wie möglich zu geben und erst gar nicht zu versuchen, ihm zu gefallen, ich dachte, nichts zu verlieren zu haben.

Er meinte, gerade das habe ihm dann gefallen und wir sind vom ersten Treffen an in unseren Gesprächen in die Tiefe gegangen, inklusive Austausch über diverse Unsicherheiten und Brüche im Leben. So tief, dass ich verunsichert war von dieser schnellen Nähe und Vertrautheit. Teils hat er mich sowohl mit seinen Erzählungen als auch mit seinen Fragen an mich überfordert. Aber ich habe mir vorgenommen mich auf sein „Alles auf den Tisch legen“ einzulassen.

Ich habe Vertrauen gefasst, viel von mir preisgegeben und wir sind uns auch körperlich nähergekommen. Dann spürte ich plötzlich eine Distanz bei ihm, die nicht zu der vorherigen Vertrautheit passte, auch wurde er in der Kommunikation zwischen den Treffen deutlich stiller, die Abstände länger.

Auch darüber haben wir schließlich lange geredet und beide weitere emotionale und psychische Probleme zugegeben. Als Erklärung für den Rückzug hat er mir beschrieben, wie er nach einigen Wochen „kalte Füße“ bekomme, aus Angst davor, dass es an einem bestimmten Punkt „weitergehen“ müsse. Ich habe ihm erklärt, dass mich sein Verhalten triggert und an eine sehr schmerzhafte frühere Beziehung erinnert, sodass ich schon nach kurzer Zeit emotional an meine Grenzen gestoßen bin. Um mich nicht völlig in diese für mich ungesunde Beziehung zu steigern, haben wir an dieser Stelle einen Cut gemacht, sind dabei mit Verständnis füreinander und im Guten auseinandergegangen.

Doch es fällt mir unendlich schwer, mit der Sache abzuschließen. Ich bin nach wie vor verletzt und verwirrt und werde wohl noch eine ganze Weile brauchen, um darüber hinwegzukommen. Am schlimmsten ist neben dem Gefühl des Verlusts einer möglichen Beziehung auch der Verlust dieser Person in meinem Leben, die ich so schnell in so vielen Facetten kennengelernt habe. Es fällt mir schwer, mich von einem Menschen zu lösen, von dem ich vermeintlich so viel weiß, dessen ausführlich erzählte Lebensgeschichte nun wie ein Film in meinem Kopf abläuft.

Wie kann man ich mich von dieser Person und ihrer Lebensgeschichte lösen, die so viel Eindruck auf mich gemacht hat? Und wie kann ich mich in Zukunft auf neue Menschen einlassen und mich selbst zeigen, ohne Angst, wieder in diese Falle zu tappen?

Herzliche Grüße
Sabrina

Liebe Sabrina,

vielen Dank für deinen Brief, der mich sehr berührt hat, nicht zuletzt, weil er mich an Erfahrungen erinnert hat, die ich selbst gemacht habe. Wahrscheinlich wird er viele Menschen an eigene Erlebnisse erinnern. Denn ich habe den Eindruck, dass du darin eine ganz grundsätzliche Herausforderung im Leben beschreibst, etwas, das beglückend und schmerzhaft zugleich sein kann: Das Ringen um Intimität. Aber dazu später mehr.

Erst einmal möchte ich sagen, wie leid es mir tut, dass du gerade um das Ende der beginnenden Beziehung und wahrscheinlich auch um die damit für dich verbundenen Zukunftshoffnungen trauerst. Um verlorene Beziehungen zu trauern ist häufig viel schwerer, als man denkt oder denken möchte. Für die Intensität dieser Trauer ist es in der Regel egal, ob es sich dabei um eine gerade begonnene oder eine langjährige Beziehung handelt. Es ist so ein Konglomerat von Dingen, durch das man sich da hindurcharbeiten muss – ein Konglomerat von Gefühlen, Ängsten, Hoffnungen, von möglichen und möglicherweise neuen Versionen des Ichs und nicht zuletzt von gesellschaftlichen Ideen und Zuschreibungen. Das braucht Zeit und diese Zeit musst du dir geben, ob du es möchtest oder nicht. Es ist wichtig, auch die schwierigen Gefühle dieser Trauer zu erfahren, man kann ihnen nicht ausweichen. Ich würde mir für dich wünschen, dass du diese Trauer zunächst einmal ganz grundsätzlich annehmen könntest, ohne dich gegen sie zu wehren, ohne sie zu unterdrücken und vor allem ohne dich dabei zu bewerten oder zu verurteilen.

Womit wir beim eigentlichen Thema wären, dem „Tanz der Intimität“, wie die amerikanische Psychologin Harriet Lerner es in ihrem gleichnamigen, lesenswerten Buch nennt. Dieser Tanz ist in der Regel ambivalent – Glücksgefühle des Erkannt-Werdens, der Nähe und der Leichtigkeit sind darin ebenso angelegt wie schmerzhafte Gefühle des Nicht-Verstanden-Werdens, der Zurückweisung und der Verletzung. Er ist immer mit einem Risiko verbunden.

In einem gewissen Sinne zeigt die Schwere deiner Gefühle an, wie nachhaltig dich du diesem Mann geöffnet hast, wie nahe ihr euch gekommen seid und wie viel diese Begegnung in dir ausgelöst hat. Das ist auch etwas sehr Schönes, selbst wenn du es jetzt vielleicht noch nicht so sehen kannst. Womit wir beim eigentlichen Thema wären, dem „Tanz der Intimität“, wie die amerikanische Psychologin Harriet Lerner es in ihrem gleichnamigen, lesenswerten Buch nennt. Dieser Tanz ist in der Regel ambivalent – Glücksgefühle des Erkannt-Werdens, der Nähe und der Leichtigkeit sind darin ebenso angelegt wie schmerzhafte Gefühle des Nicht-Verstanden-Werdens, der Zurückweisung und der Verletzung. Er ist immer mit einem Risiko verbunden.

Du beschreibst dich als ein Mensch, dem es sehr schwerfällt, sich zu öffnen und sich zu zeigen. Vielleicht hast du bestimmte Erfahrungen gemacht, die dir dieses „Sich-Zeigen“ erschweren. Ja nach biografischen und psychologischen Voraussetzungen fällt es vielen von uns schwer, die Risiken des Intimitäts-Tanzes einzugehen. Allerdings sind ohne diese Risiken auch die schönen Gefühle nicht zu haben, die beiden Seiten bedingen einander. Und es ergibt sich allenfalls eine vermeintliche Sicherheit, wenn man diesen Risiken ausweicht. Nichts ist einsamer als die Einsamkeit des Nicht-Gesehen-, des Nicht-Erkannt- und Nicht-Verstandenwerdens.

Vielleicht wird es dir mit einem größeren zeitlichen Abstand gelingen, deine Erfahrung, die du in diesem Brief beschreibst, anders zu lesen. Denn im Grunde erzählst du von einer großen Erfolgsgeschichte: Du bist deine Ängste angegangen und hast etwas geschafft, wovon dich verschiedene persönliche Faktoren immer wieder abhalten. Das ist eine unheimliche, wirklich großartige Leistung. Du bist über dich hinausgewachsen, hast dich auf etwas eingelassen und bist das Risiko eingegangen, dich einem anderen Menschen wirklich zu zeigen – obwohl du das sonst kaum machst. Ich finde, darauf solltest du wirklich stolz sein. Das ist das, was du aus dieser Episode deines Lebens mitnehmen solltest. Wenn dir das gelingt, wird es dir in Zukunft sicherlich auch etwas leichter fallen, dich, so wie du bist, mit deiner ganzen Person zu zeigen und vielleicht wirst du auch feststellen, dass dein ganz eigener Intimitätstanz etwas spielerischer, leichter, eben tänzerischer wird. Dass es einfacher für dich wird, ihn zu tanzen und dabei deiner Intuition zu folgen, dass es einfacher für dich wird, ihn zu genießen.

Ich habe den Eindruck, liebe Sabrina, dass du dich der neuen Person, die gerade in der entsteht, öffnen, dass du sie willkommen heißen, sie umarmen solltest. Sie weiß etwas, dass die Person, die sich verstecken muss, noch nicht wusste. Sie ist die Person, mit der du den nächsten Abschnitt deines Lebens bewältigen wirst. Vermutlich ist sie auch einfach sehr gute Gesellschaft.

Ein Problem von Trauer um verlorene Beziehungen besteht darin, dass sich ihre Gefühle manchmal wie eine Bestrafung anfühlen – wie eine Bestrafung für das Sich-Zeigen und des Eingehens der Risiken von Nähe. Ich habe die Vermutung, dass es gerade auch dir so geht, dass du den Schmerz deiner Trauer intuitiv als eine Bestrafung dafür verstehst, dass du dich geöffnet hast. Vielleicht könntest du versuchen, dich daran zu erinnern, dass das innere Versteck, in dem du dich befandst, kein schmerzfreier Raum war. Dass es auch jetzt nur eine vermeintliche Sicherheit verspricht und letztlich mit Gefühlen von Einsamkeit verbunden ist. Trauer geht damit einher, dass man sich verändert. Sie macht einem zu einer anderen Person als der, die man zu ihrem Beginn war. Ich habe den Eindruck, liebe Sabrina, dass du dich der neuen Person, die gerade in der entsteht, öffnen, dass du sie willkommen heißen, sie umarmen solltest. Sie weiß etwas, dass die Person, die sich verstecken muss, noch nicht wusste. Sie ist die Person, mit der du den nächsten Abschnitt deines Lebens bewältigen wirst. Vermutlich ist sie auch einfach sehr gute Gesellschaft.

Ich wünsche dir alles, alles Gute auf deinem Weg. Pass auf dich auf!

Liebe Grüße, Daniel

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Dear Daniel und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden