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Mähfreier Mai: Gute oder schlechte Idee?

Der Mai ist da – und plötzlich schweigen die Rasenmäher. Warum? Weil viele dem Aufruf zum „No Mow May“ folgen und ihre Rasenflächen wachsen lassen. Doch was bringt das wirklich? Ich zeige dir, warum der mähfreie Mai zwar ein guter Anfang ist, aber noch nicht ausreicht. Und wie du stattdessen langfristig Lebensräume für Insekten und andere Gartengäste schaffen kannst.

Ein Morgen im Mai. Feiner Tau überzieht die Halme, die sich dem Himmel entgegenstrecken. Ungewohnte Stille liegt über dem Viertel, denn das sonst übliche Knattern der Rasenmäher bleibt aus. Stattdessen entfaltet sich ein zartes Konzert der Natur: das tiefe Summen einer Sandbiene an der Margerite, das leise Rascheln eines Rotkehlchens, das zwischen den Löwenzahnblüten nach Nahrung sucht. Darüber ein vielstimmiges Zwitschern: Blau- und Kohlmeisen beschimpfen einander aus den blühenden Obstbäumen, ein Gartenrotschwanz setzt scharfe, einzelne Pfeiftöne dazwischen, während hoch oben die Mauersegler in weiten Bögen ihre Bahnen ziehen und ihr charakteristisches Sriii-Sriii durch die Luft schallen lassen. Hach!

Normalerweise würde genau heute, an einem normalen Samstag, dieses Ritual beginnen: Garagentor hoch, Benzinkanister holen, Seilzug ziehen, Motorstart. Brrrrrrrrrrrrrrr! Aber es gibt eine Alternative – und um die soll es im heutigen Artikel gehen.

Der klassische Rasen als ökologische Wüste

Werfen wir zunächst einen Blick auf den Standardrasen. Der kurz geschorene „englische“ Rasen hat eine lange Karriere als Statussymbol hinter sich. Schon im 18. Jahrhundert demonstrierten britische Herrenhäuser mit makellos einheitlichen Rasenflächen, dass sie auf Gemüsebeete, Nutztiere und Obstgärten verzichten konnten und einfach nur Rasen hatten, zum, äh, Lustwandeln und so, was man halt als reicher Adliger im Garten so trieb. Viele Fürsten und Könige haben das natürlich auch schon lange so gehandhabt, man denke nur an das Schloss Versailles von Louis XIV (1638 - 1715). Im 20. Jahrhundert wurde diese aristokratische Ästhetik jedoch demokratisiert: Rollrasen, Kunstdünger und immer effizientere Benzin- und Elektromäher machten es möglich, selbst handtuchgroße Vorstadtgärten in Mini-Golfplätze zu verwandeln. Langweilige Rasenflächen für alle, yay!

Foto: Daniel Watson

Ökologisch bleibt eine solche Fläche aber eine Monokultur und ist ziemlich wertlos. Das einzig Positive ist, dass sie wenigstens nicht versiegelt ist und das Wasser abfließen kann. 

Bei uns in Deutschland dominieren in den Vorgärten drei Grasarten: Deutsches Weidelgras, Wiesenrispengras und Rotschwingel, das ist sozusagen der Otto-Normal-Standardrasenmix. Diese Arten vertragen häufigen Schnitt, sie verdecken das Licht für Konkurrenten, sodass andere Pflanzen nicht gut wachsen können, und sie bilden eine dichte Wurzelmatte. Sie sind also sehr konkurrenzstark. Die Folge: Die Pollen- und Nektarproduktion auf diesen Flächen geht gegen Null, die Samen von Wildblumen werden vorzeitig entfernt. Forschende sprechen deshalb von einer „ökologischen Wüste“; Untersuchungen zeigen auf intensiv gemähten Flächen weniger als zwei Einzelinsekten und 0,3 Blüten (lol) pro Quadratmeter.

Der hohe Ressourcenverbrauch bei der Rasenpflege macht das alles auch nicht besser. Weltweit verbrennen Mäher Milliarden Liter Benzin, setzen Klimagase frei, und synthetische Dünger spülen überschüssigen Stickstoff in Grund- und Oberflächengewässer. Bewässerungssysteme kompensieren die geringe Trockenstresstoleranz kurzer Gräser und verlangen in heißen Sommern bis zu 800 l Wasser pro 100 m² und Woche.

In Deutschland werden jährlich rund 5 000 t Herbizide im Haus- und Kleingartenbereich verkauft, ein erheblicher Teil entfällt auf Rasenpflege.

Zudem: Auch der Einsatz von Giften ist Standard: In Deutschland werden jährlich rund 5 000 t Herbizide im Haus- und Kleingartenbereich verkauft, ein erheblicher Teil entfällt auf Rasenpflege. Wirkstoffe wie 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure, die man in “Rasenunkrautvernichter” findet, schädigen Regenwürmer und andere Kleinlebewesen und reduzieren die Aktivität der kleinen mikrobiologischen Helfer im Boden (und dann wird wieder geheult, dass der Rasen scheiße aussieht … argh! Komisch, I wonder why). Außerdem setzt jeder Liter Benzin im Mäher etwa 2,37 kg CO₂ frei. Hochgerechnet auf die 17 Mio. Privatgärten in unserem Land entsteht eine Emission in der Größenordnung eines mittelgroßen Kohlekraftwerks. Kurzrasen ist damit nicht nur ökologisch, sondern auch klimapolitisch, mh, nicht ideal. Vorsichtig ausgedrückt.

Foto: Rémi Müller

Und akustisch macht das alles ja auch keinen Spaß: Rasenmäher, Freischneider und Co. erreicht 75–95 dB Lautstärke, und richtig prima kommt es ja besonders, wenn mehrere Nachbar:innen gleichzeitig mähen. Für viele Brutvogelarten liegt die Stressschwelle bereits bei 70 dB – wird die erreicht, verfallen die so in Stress und Panik, dass sie ihre Nester aufgeben und die Eier oder Jungvögel absterben.

Was für ein Desaster, oder? Wenn es da doch nur was dagegen gäbe … Ach, Moment, ist ja gerade: Der No Mow May, aka mähfreier Mai!

Was bringt der mähfreie Mai konkret?

Die Idee hinter No Mow May ist einfach: Vier Wochen Mähpause verschieben den ersten Schnitt so weit, dass eine Generation heimischer Frühblüher ihre Blüten öffnen kann. Gänseblümchen, Weißklee, Gundermann, Löwenzahn, Ehrenpreis oder Goldnessel erscheinen in dichter Folge – prima! In Dänegart haben wir in dem Teil, der das ganze Jahr ungemäht bleibt (= Frogland) gerade eine große Löwenzahnblüte, wovon etliche Tiere profitieren:

Vier Wochen Mähpause verschieben den ersten Schnitt so weit, dass eine Generation heimischer Frühblüher ihre Blüten öffnen kann.

Natürlich gibt es viele tolle Effekte, wenn man es schafft, den Rasenmäher im Schuppen zu behalten:

  • Mehr Blüten = mehr Insekten. Wildbienen wie die Gehörnte Mauerbiene fliegen schon bei kühlen Temperaturen, finden aber in Ziergärten oft nichts Essbares. In siedlungsnahen Gärten, die seltener als viermal jährlich gemäht werden, konnten Forschende bis zu 247 Wildbienenarten nachweisen – fast ein Drittel aller in Deutschland vorkommenden Arten. Wenn du also Bock auf Insekten hast, würde ich mich vom Englischen Rasen verabschieden, just saying.

  • Mehr Insekten = mehr Vogelbrut. Eine Kohlmeisenfamilie benötigt rund 6000 Raupen für die Aufzucht. Beobachtungen zeigen, dass extensiv (also seltener) gemähte Gärten im Schnitt 30 % mehr Brutpaare von verschiedenen Gartenvögeln wie beispielsweise Haus- und Feldsperling aufweisen. Gerade Letzterer wird immer seltener, und der NABU hat tatsächlich auch eine Aktion, bei der man Sichtungen melden soll. Das kannst du hier machen» (Öffnet in neuem Fenster)

  • Auch dein Gartenboden profitiert. Höhere Vegetation beschattet den Oberboden, verringert Verdunstung, reduziert den Abfluss des Wassers bei Starkregen und steigert das organische Material um bis zu 30 %. Soll heißen: Dein Rasen (ok, deine Wiese ab jetzt, he he) verdorrt nicht so schnell im Sommer! Je kürzer dein Gras, umso schneller verbrutzelt dir alles, es sei denn, du bewässerst 3 Mal am Tag. Und uff, wer macht denn bitte sowas? Also außer Fußballvereine.

  • Nicht zuletzt verbessert weniger Mahd auch unser Wohlbefinden: Die ätzende Lärmbelastung sinkt, es ist kühler und angemehmer im Garten, und das Betrachten abwechslungsreicher Grünflächen fördern nachweislich die psychische Erholung und lindern deinen Stresspegel. Ich schau halt auch echt lieber auf sowas, als auf einen grünen einfarbigen Teppich, der vom Look her genau so gut Plastik sein könnte:

Warum ich den No-Mow-May für nur bedingt sinnvoll halte

Ich finde, dass der mähfreie Mai hilft, auf das Thema Umweltkatastrophe Rasenpflege aufmerksam zu machen, das funktioniert wirklich gut. Was in meinen Augen noch nicht so gut klappt: Dass die Leute denken, am 31. Mai kann man dann einfach den Rasenmäher wieder anwerfen und die Kurzhaarsaison beginnt. Wenn du vier Wochen einen schönen Lebensraum für die Tierchen schaffst, durch den du dann am Ende mit dem Rasenmäher pflügst und die Tiere quasi in die Falle und in ihr Verderben gelockt hast, dann ist das nicht gut. Gar nicht gut.

Auf einer solchen Fläche wieder zum Standardkurzrasen zurückzukehren, zerstört die frisch angelegten Wildbienennester, verletzt Igel und Amphibien und zerhäckselt alle Insekten, die sich dort so treuherzig niedergelassen haben. Die Mahd auszusetzen und einen Monat später eine Totalmahd durchzuführen, ist also in meinen Augen deutlich schlimmer, als alles beim Alten zu belassen.

Schau ihm in die Augen – bringst du es übers Herz, ihn und seine Freunde zu häckseln? :(

Zudem stößt so ein festes Kalenderdatum an phänologische Grenzen (Öffnet in neuem Fenster): In Gebirgslagen blühen Löwenzahn & Co. beispielsweise erst Mitte Mai, am Oberrhein schon Anfang April. Ein starres Datum ist daher sowieso schwierig, weil die Natur nicht überall gleich weit ist.

Was ich sinnvoller finde: Dauerhafte Strukturen schaffen

Dennoch finde ich die Aktion zum Aufmerksamkeit generieren wie gesagt gut. Aber ich würde dir eine andere Herangehensweise empfehlen: Nutze jetzt den Mai dafür, dauerhafte Strukturen zu schaffen. So können deine Kids weiter auf dem Rasen Fußball spielen und die kleinen Tiere haben ein dauerhaftes Habitat. So geht’s:

  • Wilde Ecken und Säume: Das sind Bereiche, die ganzjährig unberührt bleiben. Du kannst beispielsweise auf einer Seite deines Rasens einen 50 cm langen Streifen stehen lassen und nur im Herbst mal runtermähen.

  • Mosaikmahd: Abschnittsweises, zeitversetztes Mähen hält unseren kleinen vielbeinigen Freunden Ausweichflächen frei. Auf nicht gemähten Feldern können Insekten ihren Zyklus vollenden, während frisch gemähte Streifen Insekten auch ein bisschen Sonne zum Aufwärmen bieten. Ist ne gute Kombi.

  • Staudeninseln im Rasen: Heimische Arten wie Wiesenknopf, Wilde Möhre, Flockenblume oder Johanniskraut schaffen Staffelblühen und eine echt hübsche vertikale Struktur. Überwinternde Stängel bieten Hohlräume für Wildbienen, in denen sie sich in Ruhe entwickeln können, da du das ja nicht abmähst.

Wenn du nicht einfach alles abmähst, sondern ein bisschen mit System ran gehst, entstehen Trittsteinbiotope und du hast dennoch einen Rasen zum Spielen und für Freizeitaktivitäten. Win-Win!

Bis zum nächsten Mal!
Jasmin :)

Falls du ein bisschen Inspiration für Staudeninseln in deinem Rasen, beziehungsweise überhaupt insektenfreundliche Pflanzen für deinen Garten suchst, empfehle ich dir diesen Artikel aus meinem Gartennewsletter:

https://steadyhq.com/de/hortarium/posts/6f18b4e9-0be4-430b-b7bd-84541e06c370 (Öffnet in neuem Fenster)

Hier findest du auch einen neuen Artikel, der dir beim Thema Schnecken ein wenig unter die Arme greift:

https://steadyhq.com/de/hortarium/posts/8d4c4248-ad0a-4269-997c-e0069e2a6820 (Öffnet in neuem Fenster)

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Quellen/Material

DIE WELT. 2025. Artenvielfalt: Warum die 17 Millionen Gärten in Deutschland wichtige Lebensräume sind. May 3, 2025. https://www.welt.de/wissenschaft/article250153128/Artenvielfalt-Warum-die-17-Millionen-Gaerten-in-Deutschland-wichtige-Lebensraeume-sind.html (Öffnet in neuem Fenster).

Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. 2020. „Wie viel CO₂ steckt in einem Liter Benzin?“ January 8, 2020. https://www.helmholtz.de/newsroom/artikel/wie-viel-co2-steckt-in-einem-liter-benzin/ (Öffnet in neuem Fenster).

Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen. 2023. Lärmschutz im Garten: Rasenmäher, Laubbläser & Co. LANUV-Info 60. https://www.lanuv.nrw.de (Öffnet in neuem Fenster).

NABU – Naturschutzbund Deutschland e. V. 2025. Mähfreier Mai – NABU BW. May 3, 2025. https://baden-wuerttemberg.nabu.de/umwelt-und-leben/umweltbewusst-leben/naturgarten/gartenpflege/34894.html (Öffnet in neuem Fenster).

Porcedda, Giada. 2019. Effects of Anthropogenic Noise on Reproductive Success and Communication of European Bird Species. PhD diss., Manchester Metropolitan University.

Umweltbundesamt. 2016. 5-Punkte-Programm für einen nachhaltigen Pflanzenschutz. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/5-punkte-programm-fuer-einen-nachhaltigen (Öffnet in neuem Fenster).

Zentrale für Kleingartenwesen und Biologische Vielfalt. 2024. Gärten ohne Pestizide – Kleingärten für biologische Vielfalt. June 25, 2024. https://kleingaerten-biologische-vielfalt.de/gaerten-ohne-pestizide/ (Öffnet in neuem Fenster).

Kategorie Garten

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