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Late To The Party #4

Liebe Abonnent*innen vonn Late To The Party,

ich würde an dieser Stelle wirklich gern verkünden, dass ich "Anna Karenina" inzwischen geschafft habe. Aber es fehlen immer noch zwanzig Seiten bis zum Schluss. Eine Abonnentin hat mir nach dem letzten Newsletter den Tipp gegeben, die Hörbuchfassung von Ulrich Noethen zu hören. Darauf hatte ich im ersten Moment auch total Lust, aber dann kam es mir doch so vor wie Aufgeben. Nachdem ich schon sooo viel geschafft habe! Vielleicht will ich aber auch einfach unterbewusst nicht, dass es zuende geht, immerhin begleitet mich dieses. Buch jetzt schon eine ganze Weile. Ist euch das auch schon mal so gegangen?

Ich schätze, ich werde noch bis zur nächsten Ausgabe dieses Newsletters brauchen, bis ich es geschafft habe. Währenddessen überlege ich schon, was ich als nächstes lesen soll. Nach der Podcastfolge mit Nele Pollatschek hab ich mir "Middlemarch" von George Eliot gekauft, aber ich glaube, ich will mich nach "Anna Karenina" nicht gleich wieder in so ein langes Buch stürzen. 

Kurze Frage zwischendurch

Ich überlege schon die ganze Zeit, in "Das Lesen der Anderen" noch eine Art Untermieter-Podcast einzubauen. In dem würde ich dann gern mit Autor*innen über ihre Bücher und die Themen darin sprechen, also nicht so sehr über die Bücher, die sie geprägt haben. Ich merke immer wieder, dass ich, wenn jemand Schreibendes zu Gast ist (im Gegensatz zu Musiker*innen, Politiker*innen etc.), dass ich sehr gerne mit den Leuten auch darüber sprechen möchte. Ich versuche es meist eher kurz zu halten, weil es ja das Format sprengt. Aber was würdet ihr von Sonderfolgen halten? Nicht ganz so lang wie eine reguläre DLDA-Folge, dafür aber konzentriert auf ein aktuelles Buch. Hättet ihr Lust?

 Die letzten Folgen

Jochen Schmidt (Öffnet in neuem Fenster) ist einer meiner liebsten deutschen Schriftsteller. Seinen Roman "Schneckenmühle" kann ich sehr empfehlen. Mit ihm habe ich unter anderem über Astrid Lindgren, Marcel Proust und Hergé gesprochen. 

Gerade aktuell ist die Folge mit der Kolumnistin, Autorin und Medienkritikerin Samira El Ouassil (Öffnet in neuem Fenster). Samira ist zweisprachig aufgewachsen, entsprechend gibt es auch Frankophones auf ihrer Bücherliste, nämlich von Montesquieu und Baudelaire. 

Die nächste Folge...

...erscheint mit ein bisschen Verspätung, und zwar kommende Woche. Zu Gast ist dann der Musiker, Entertainer, Komiker und Autor Rocko Schamoni. Hier sehrt ihr ihn bei der Remote-Aufzeichnung unterm Dach in seinem Haus an der Ostseeküste. 

Das Lesen von Euch

Mich interessiert nicht nur, was bekannte Menschen lesen und welche Bücher sie geprägt haben. Ich bin auch neugierig auf Euch, die Hörer*innen von "Das Lesen der Anderen" und Abonnent*innen dieses kleinen Newsletters. Deshalb gibt es jetzt diese Rubrik. Da lerne ich Euch besser kennen. Und ihr die anderen Menschen, die sich für diesen Podcast interessieren. In jeder Ausgabe des Newsletters stelle ich eine Person mit ihren prügenden Büchern vor.

Philip Behrendt (Öffnet in neuem Fenster) ist Literaturwissenschaftler. Er arbeitet als Sammlungsmitarbeiter beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum. Neuerdings interessiert er sich neben Literatur, Industriekultur und Kuchen für die Kunst des Linolschnitts.

In meinem bisherigen Leben haben sich immer wieder Phasen des exzessiven Lesens mit Phasen des Nicht- oder Weniglesens abgewechselt. Als Christian mich gefragt hat, ob ich für seinen Newsletter nicht drei für mich prägende Bücher vorstellen will, habe ich mir gedacht, dass es doch ganz passend wäre, drei Bücher zu wählen, die exemplarisch für drei Viellesephasen stehen.

Die erste Phase hatte ich in meiner Kindheit, irgendwie so Grundschulalter, genau weiß ich es beim besten Willen nicht mehr. Auf jeden Fall bekommt man ja, wenn man endlich lesen gelernt hat, zu allen möglichen Gelegenheiten Bücher geschenkt: Christine Nöstlinger, Astrid Lindgren, die üblichen Verdächtigen. Wie ich mich erinnere, habe ich von vielen Büchern nur das Cover angeschaut, der Inhalt hat mich oft nicht so richtig interessiert. Keine Ahnung, was das mit diesem Gurkenkönig sollte.

Anders war es, als ich das erste Mal ein Buch von Erich Kästner in der Hand hatte. „Das fliegende Klassenzimmer“, „Emil und die Detektive“, da steckte für mich eine gewisse Faszination drin. Ich erinnere mich gut, wie ich einmal in der lokalen Buchhandlung stand, und Erich Kästners Bearbeitung des Don Quichottes kaufen wollte, weil ich die Werbung hinten in einem anderen Kästner-Buch gesehen hatte. Die Buchhändlerin hat zwar, warum auch immer, versucht, mir die Originalerzählung aufzuschwatzen, aber ich war als Kind schon Fanboy: Es musste Kästner sein.

Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war

Jetzt sollte ich aber vielleicht endlich mal zum Punkt kommen: Das erste Buch, das ich vorstellen will, ist Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“. Leider habe ich das Buch nicht mehr - es ist entweder irgendwo bei meinen Eltern auf dem Dachboden oder mal auf dem Flohmarkt gelandet - deshalb kann ich zum Inhalt nicht mehr so wahnsinnig viel erzählen. Nur so viel: Kästner erzählt aus seiner Kindheit am Beginn des 20. Jahrhundert. Was mich damals, so glaube ich im Rückblick, so begeistert hat, war die Echtheit dieser Geschichten. Das hatte sich Kästner nicht ausgedacht, das ist ihm wirklich passiert. Als Literaturwissenschaftler weiß ich natürlich, dass sich der junge Philip mit dieser Vorstellung eher auf dünnes Eis begeben hat, trotzdem war es wohl die Unmittelbarkeit, die mich damals extrem fasziniert und dieses Buch nicht nur einmal hat lesen lassen. Möglicherweise hat diese Erfahrung früh eine merkwürdige Begeisterung für (Auto-)Biographien in mir eingepflanzt. Verratet es nicht weiter, aber in meinem Bücherregal finden sich unter anderem die Lebenserzählungen von David Beckham, Dieter Bohlen, Eminem, Otto Schily und Harald Schmidt. Erich Kästner trägt die Schuld.

Benjamin von Stuckrad-Barre: Soloalbum

In der frühen Jugend habe ich im Grund überhaupt nicht mehr gelesen, bis ich irgendwann „Soloalbum“ von Benjamin von Stuckrad-Barre in die Hände bekam. Da muss ich 16 oder 17 gewesen sein und ich hatte ja keine Ahnung. Ich kannte die Traurigkeit zwar gut, allerdings bisher nur die, der unerfüllten Liebe. Trotzdem dachte ich, ich verstehe diesen Typen, der in einer Trennung unterzugehen droht. Auch diesen Roman habe ich mehrfach gelesen, und dann verliehen: Ihr müsst dieses Buch lesen! (So sieht mein Exemplar heute auch aus.) Leider fanden meine Freunde nicht so einen Gefallen daran, und stempelten Stuckrad-Barres Protagonisten knallhart als jammerlappigen Loser. Da wussten sie noch nicht, dass es mich später mal viel schlimmer erwischen sollte.

"Soloalbum" hat auf jeden Fall meine Lesephase in der späten Jugend eingeleitet. Ich habe danach alles von Stuckrad-Barre bestellt und gelesen, dann Christian Kracht, Thomas Brussig, Alexa Hennig von Lange, Nadja Sennewald und so weiter (herzlichen Dank an dieser Stelle an den Algorithmus von ihr wisst schon wem). In der Schule hat mich die im Deutsch-LK verordnete Lektüre (Parizival, die Buddenbrooks, Faust) äußerst spärlich interessiert, ich habe stattdessen unterm Tisch meine eigenen Bücher gelesen. Das war eine gute Idee. Und eine Schlechte.

Martin Becker: Marschmusik

Später habe ich dann in Bochum Literaturwissenschaft studiert und auf diesem Weg bin ich in ein Projekt zum Thema Literatur des Ruhrgebiets geraten, das so einiges an Folgeprojekten nach sich zog. Mit einer Freundin habe ich mich beispielsweise dann mit der Literatur am Ende der Steinkohlenförderung befasst und dabei die Romane „Wie hoch die Wasser steigen“ von Anja Kampmann und „Marschmusik“ von Martin Becker in den Fokus genommen. Da mein Schwerpunkt hier auf dem Roman von Martin Becker lag, bleibt meine Liste leider männlich dominiert, was mir ein bisschen leidtut.

Martin Becker erzählt in seinem Roman die Geschichte einer Familie, die mit dem Bergbau und dem Ruhrgebiet stark verwoben ist und deren Auflösungserscheinungen durch den Tod des Vaters und die Erkrankung der Mutter genau in die Zeit der letzten Tage der Steinkohle fällt. Becker erzählt in diesem Roman sehr atmosphärisch von der Suche nach der Geschichte der Familie und dem Versuch, das bereits Verschwindende irgendwie festzuhalten.  Dabei taucht man nicht nur in die Familiengeschichte sondern auch in die Geschichte des Ruhrgebiets der 1950- und -60er Jahre ein.

Das Senden woanders

Wie einige von Euch wissen, mache ich ja nicht nur Podcasts, sondern arbeite auch fürs Radio, vor allem für WDR 3, das Kulturradio des Westdeutschen Rundfunks. Unter anderem gestalte ich dort regelmäßig als Redakteur und Moderator das Literaturmagazin Gutenbergs Welt. 

Die vorletzte Ausgabe drehte sich um das Thema "Schreiben und Lesen".

https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-gutenbergs-welt/vom-schreiben-und-lesen-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

Unter anderem mit einem Interview mit der Literatursoziologin Carolin Amlinger zur Entwicklung des Literaturbetriebs und das Schreiben als Beruf. 

Die letzte Ausgabe hat mir besonders Spaß gemacht. Nicht nur wegen des Themas "Schluss, Aus, Ende?"...

https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-gutenbergs-welt/schluss-aus-ende-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

...sondern vor allem wegen eines Interviews mit Dietmar Dath zu seinem wieder veröffentlichten Debutroman "Cordula killt dich!". Außerdem gab es eine schöne Glosse von Jochen Schmidt über letzte Sätze und das Beenden von Romanen. 

Hin und wieder moderiere ich beim Deutschlandfunk Kultur das Philosophiemagazin "Sein & Streit". Zuletzt konnte ich mich mit der Medientheoretikerin und Spieleforscherin Natascha Adamowsky über die Philosophie des Spielens unterhalten. 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/adamowsky-spielen-games-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

So, das war es für diesmal von mir. Ein bisschen sehr late kam der Newsletter diesmal. Dafür mit besonders viel Inhalt! Hat jemand von Euch Lust, beim nächsten Mal mit seinen drei Büchern dabei zu sein? Dann schreibt mir einfach, ich freue mich!

Macht's gut, herzliche Grüße von

Christian

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