Wovon deine Willenskraft abhängt
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über Zucker, Selbsteinschätzung und Dinge, die keinen Spaß machen.
Du nimmst an einem Experiment teil, bei dem es um Geschmackswahrnehmung geht. Du betrittst den Raum. Auf einem Tisch stehen zwei Schüsseln. In der einen liegen Schokokekse; sie glänzen, die Schokostückchen quillen heraus, sie sehen saftig aus. Der ganze Raum duftet nach ihnen. Und in der anderen Schüssel liegen, naja, Radieschen.
Der Wissenschaftler, der das Experiment leitet, fordert dich auf, von den Radieschen zu essen – und zwar nur von den Radieschen. Die Kekse waren für dich tabu. Das ist natürlich hart für dich. Du liebst Kekse. Du darfst sie zwar nicht essen, aber von riechen war nicht die Rede, also nimmst du dir ein, zwei Kekse und riechst an ihnen. Hmm … lecker!
Anschließend legt der Wissenschaftler dir Stift und Papier vor die Nase. Deine Aufgabe ist es, ein Rätsel zu lösen: Du sollst bestimmte geometrische Figuren zeichnen, ohne dabei den Stift abzusetzen. Was du nicht weißt: Das Rätsel ist unlösbar. Und bei dem Experiment geht es auch nicht um Geschmackswahrnehmung, sondern um Willenskraft.
Denn natürlich wurde dieses Experiment genauso durchgeführt (sonst würde ich dir ja nicht davon erzählen), und zwar Ende der 1990er-Jahre. Und tatsächlich rochen einige Radieschen-Esser sehnsüchtig an den Keksen.
Das Ergebnis der Studie (Öffnet in neuem Fenster): Die Schokoladenkeksesser hielten mehr als doppelt so lange durch und machten fast doppelt so viele Versuche bei dem eigentlich unlösbaren Rätsel wie die Radieschengruppe. Sie waren noch motivierter als eine Kontrollgruppe, die weder Schokolade noch Radieschen bekommen hatte.
Und deshalb ist das Learning der heutigen Ausgabe: Hab am besten immer eine Tupperdose mit Keksen dabei, dann kommst du besser durchs Leben! Bis nächste Woche!
…
Okay, das ist natürlich Quatsch. So einfach ist es nicht. Zum ersten Mal las ich von diesem Experiment in einem Artikel (€) (Öffnet in neuem Fenster), den meine Kollegin Theresa Bäuerlein bei Krautreporter geschrieben hatte. Sie beschäftigt sich in ihm intensiv mit dem Zusammenhang von Zucker und Willenskraft, aber auch mit der Frage, wovon Willenskraft noch abhängt – und ob man sie trainieren kann. Darum geht es heute.
Klar ist: Wenn du zufällig mal in einem Magnetresonanztomographen liegen solltest, solltest du auf eine Region besonders achten.
Willenskraft ist teilweise genetisch bedingt
Fangen wir mit einem Test an, den ich hier schon mal erwähnt hatte: den Marshmallow-Test. Man gab Kindern einen Marshmallow und versprach einen zweiten, wenn sie den ersten 15 Minuten lang nicht aßen. Dann verließen die Forscher:innen den Raum. Der Test war berühmt, weil man lange Zeit davon ausging, durch diesen Test der kindlichen Willenskraft bzw. Selbstkontrolle voraussagen zu können, wie intelligent oder erfolgreich man als erwachsene Person mal werden würde.
Zum Glück wiederholten Wissenschaftler:innen diesen Test und fanden heraus: So einfach ist das nicht. Denn wie sich herausstellte, konnten Kinder aus reichem Elternhaus besser auf die Marshmallows warten als Kinder mit armen Eltern. Kinder aus ärmeren Verhältnissen haben tendenziell größere Schwierigkeiten, sich bei Süßigkeiten zu beherrschen, weil sie Mangel gewöhnt sind. Eine Metaanalyse (Öffnet in neuem Fenster) von 2019, die mehr als 30.000 Zwillinge betrachtet hat, kam zu dem Schluss, dass die Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Willenskraft teilweise genetisch bedingt ist.
Gib dem Affen Zucker
Nachdem das ganz oben erwähnte Experiment Ende der 90er veröffentlicht wurde, begannen Wissenschaftler:innen anders über Willenskraft nachzudenken. Zuvor war sie als Persönlichkeitsmerkmal angesehen worden, das man entweder hat – oder eben nicht. Doch auf einmal schien es so, als könne man Willenskraft beeinflussen.
Schnell lag der Fokus auf Zucker. Davon braucht das Gehirn einiges, denn Aufgaben, die uns beanspruchen (egal, ob Willenskraft, konzentrierte Arbeit oder hitziges Diskutieren), sind körperlich zehrend, wir verbrauchen dabei ziemlich viel Energie, das senkt den Blutzuckerspiegel (Öffnet in neuem Fenster).
Eine Studie (Öffnet in neuem Fenster) von 2011 fand ich besonders ausgefuchst: Dort mussten mussten die Teilnehmer:innen Selbstkontrollaufgaben durchführen, wie den ziemlich schweren Stroop-Test. Falls du ihn nicht kennst: Im klassischen Experiment werden Probanden Wörter präsentiert, deren Farbe sie benennen sollen. Typisches Ergebnis: Handelt es sich dabei um Farbwörter, die nicht ihrer Druckfarbe entsprechen, steigen Reaktionszeit und Fehlerzahl.
Hier ein Beispiel:
Ein Teil der Teilnehmenden bekam nach der Selbstkontrollaufgabe ein zuckerhaltiges Getränk, die anderen einen süß schmeckenden, aber zuckerfreien Placebotrunk. Anschließend mussten sie weitere Aufgaben bearbeiten, die starke kognitive Kontrolle erforderten.
Das Ergebnis: Wer Zucker getrunken hatte, schnitt bei den anschließenden Tests besser ab.
Glaubst du, dass du willensstark bist?
Theresa hat noch einen weiteren Faktor recherchiert, der unsere Willenskraft beeinflusst. Und ich muss sagen: Damit hätte ich nicht unbedingt gerechnet. Deshalb erstmal, wie sollte es anders sein, eine Studie:
Bei einem Experiment (Öffnet in neuem Fenster) bekamen die Teilnehmer:innen entweder eine einfache Aufgabe (sie mussten etwa alle „e“-Buchstaben in einem Text durchstreichen) oder eine schwierige Aufgabe, für die sie sich stark konzentrieren mussten und keine Fehler machen durften.
Anschließend bekamen sie weitere Aufgaben.
Das Erstaunliche: Wenn die erste Aufgabe vergleichsweise leicht war, schnitten die Teilnehmer:innen bei der schwierigen Aufgabe gut ab. War die erste Aufgabe jedoch schwierig, machten sie bei der nächsten viel mehr Fehler – jedoch nur dann, wenn sie davon überzeugt waren, dass ihre Willenskraft begrenzt war. Wenn Teilnehmer:innen das nicht glaubten. machten sie auch bei der zweiten Aufgabe nur wenige Fehler.
Carol Dweck, die an der US-amerikanischen Universität Stanford Psychologie lehrt, und die Studie durchgeführt hat, sagt: Willenskraft ist eine begrenzte Ressource, aber nur, wenn man dran glaubt.
Aus dieser Erkenntnis ergibt sich auch eine erste Methode, wie man seiner Willenskraft einen Boost geben kann. Einen, den Dweck in einer weiteren Studie nachgewiesen hat.
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