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Wann deine Selbstkontrolle außer Kontrolle gerät

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute in Teil 1 meiner  Selbstkontrolle-Serie: Alienss, Überwachungskameras und was deine Selbstkontrolle damit zu tun hat.

Um drei Uhr nachts stehen auf einmal kleine, grüne Außerirdische neben deinem Bett. Sie wecken dich auf und nehmen dich mit. Auf ihr Raumschiff, in dem sich ein hochmoderner OP-Saal für Neurochirurgie befindet. Dort liegst du nun und die Aliens müssen entscheiden, welches ihrer Experimente sie an dir durchführen wollen, bevor sie dich wieder auf die Erde schicken: Entweder verändern sie dein Gehirn so, dass du dauerhaft alle Impulse, Triebe, Wünsche und Emotionen verlierst – oder so, dass sie all dies zwar intakt lassen, dir aber die Fähigkeit nehmen, sie zu kontrollieren.

Eine schwierige Entscheidung. Logisch. So schwierig, dass deine kleinen, grünen Freund:innen netterweise dir die Wahl überlassen. Uff. Wie würdest du dich entscheiden? Gegen deine Emotionen und Impulse oder gegen die Fähigkeit, diese zu kontrollieren?

Du würdest versuchen zu fliehen, okay. Das Raumschiff befindet sich aber auch in einer Höhe von mehreren Kilometern. Also: Was wäre dir wichtiger?

Nach kurzem Überlegen wäre meine Wahl klar: Scheiß auf Selbstkontrolle. Die Folgen wären krass, ich würde mich nach meiner Rückkehr zur Erde regelmäßig blamieren, mein Verhalten wäre peinlich. Aber was wäre ich ohne meine Emotionen und Impulse? Wäre ich noch ich selbst? Wahrscheinlich nicht. Woher sollte ich wissen, was ich will? Wonach würde ich mein Handeln steuern, Entscheidungen treffen? Emotionen stechen Selbstkontrolle.

Aber Moment. Bevor sie die Operation durchführen, perfektionieren die Aliens plötzlich ihre neueste Technologie (auch das noch). Durch sie können sie nicht nur dein Gehirn verändern, sondern die Gehirne der Menschen einer ganzen Stadt – und das während sie schlafen! Aber du hast Glück, die Außerirdischen entscheiden: Du darfst beides behalten, Emotionen und Selbstkontrolle. Keine Ahnung, warum die so sprunghaft sind. Sind halt Aliens.

Bevor du gehen darfst, musst du noch eine schwierigere Entscheidung treffen: Sollen alle Menschen deiner Stadt Emotionen und Impulse verlieren, oder die Fähigkeit, sie in Schach zu halten? Wie auch immer du entscheidest, es wird alle betreffen. Du kommst also entweder zurück in eine Stadt voller hochimpulsiver, emotionaler Menschen – oder in eine voller nicht-impulsiver, immer kontrollierter Menschen.

Meine Entscheidung wäre wieder klar, aber dieses Mal anders, als wenn sie nur mich betreffen würde. Ich würde nicht in einer Stadt leben wollen, in der die Leute einfach wahllos Dinge zerschlagen, wenn sie wütend sind. Oder ihre Chefin schubsen, weil sie Kritik geäußert hat. Das wäre ätzend und gefährlich. Ein bisschen so, als würdest du im großen Festzelt des Oktoberfests wohnen. Will man nicht.

Genug Alien-Gedankenspiele. Diese zwei Szenarien zeigen etwas Wichtiges: Selbstkontrolle ist mir bei anderen Menschen wichtiger als bei mir selbst. Andersherum stimmt das auch: Anderen Menschen ist es wichtiger, dass ich meine Emotionen im Griff habe, als dass sie ihre eigenen in Schach halten. Von meiner Selbstkontrolle profitieren vor allem sie.

Noch nie wurde das so deutlich wie während der Corona-Pandemie. Die Plädoyers von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ernsten Ansprachen ans Volk, die Aufforderungen der Ministerpräsident:innen, der Hashtag #staythefuckhome – all das appellierte an unsere Selbstkontrolle. 

Nur: Wie schaffen wir das? Warum gelingt das einigen besser als anderen? Was hat es mit Selbstkontrolle auf sich? Ich würde den falschen Newsletter schreiben, wenn ich die Antworten nicht in der Hirnforschung suchen würde. Und weil die Antworten nicht trivial sind, gibt es dazu jetzt eine Mini-Serie; das hier ist Teil 1. 

Wie sind besessen davon, alles in der Hand zu haben 

Was genau Emotionen und Impulse sind, ist kompliziert zu definieren. Unsere Fähigkeit zur Selbstkontrolle kann man einfacher zusammenfassen: Es ist der Konflikt zwischen einem übergeordneten und einem untergeordneten Ziel, zwischen dem Vorsatz, sich gesund zu ernähren (übergeordnetes Ziel) und dem fetten, cremigen Eis, das dein:e Partner:in mitgebracht hat (untergeordnetes Ziel: Genuss!). Obwohl du Lust hast, das Eis zu essen, wäre es eigentlich das „richtigere“ (zielführende) Verhalten, es nicht zu tun.

Selbstkontrolle, das sagt ja der Name schon, scheint viel mit uns selbst zu tun zu haben. Und damit, ob wir unsere Gelüste unterdrücken können, um ein größeres Ziel zu erreichen. In der westlichen Welt sind wir besessen davon, unsere Ziele zu erreichen und vor allem davon, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, dass es klappt. Wir sind auch überzeugt davon, dass wir Kontrolle über unsere Entscheidungen haben.

Meistens fühlt es sich so an, als sei unser Selbst eine verschlossene Schatztruhe, zu der nur wir selbst Zugang haben und die nur von uns selbst beeinflusst werden kann. (Ich meine: Du hast dich jawohl selbst dazu entschieden, diesen Newsletter zu lesen, oder?) Das will ich dir gar nicht absprechen. Obwohl, doch: zum Teil. Denn wie wir uns in Situationen der Selbstkontrolle entscheiden, hängt erschreckend oft gar nicht von uns selbst ab.

Echte Brains erfahren hier, warum ihre Selbstkontrolle oftmals gar nichts mit ihnen selbst zu tun hat. Werde Mitglied und lies direkt weiter!

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Kategorie Selbstkontrolle & Gehirn

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