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Warum Produktivitäts-Apps alles noch schlimmer machen 

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute leihe ich den Newsletter meiner Krautreporter-Kollegin Theresa Bäuerlein aus, weil sie weiß, wann Produktivitäts-Apps uns helfen – und wann nicht. 

Kennst du die Serie „The Mind, Explained“ auf Netflix? Es sind etwa 20 Minuten lange Folgen, die je einen bestimmten Aspekt unseres Gehirns, Denkens und Geists erklären. Die Sprecherin ist übrigens die Schauspielerin Julianne Moore und ihre Stimme fühlt sich an wie ein Samtvorhang, der leise über den Boden streicht. Man kann hervorragend dazu einschlafen. Aber das nur nebenbei.

Die erste Folge ist eine der besten. Sie heißt “How to Focus”, es geht also um Konzentration. Und um die Tatsache, dass nicht stimmt, was oft behauptet wird: Die Konzentrationsfähigkeit der Menschen heute sei fundamental beschädigt, unsere Aufmerksamkeitsspanne mittlerweile schlechter als die von Goldfischen. Es gibt keine echten Belege dafür – oder überhaupt dafür, dass unsere Konzentrationsfähigkeit heute grundsätzlich schlechter ist als vor 100 Jahren.

Aber natürlich ist es heute viel einfacher, sich abzulenken. Wir haben also nicht die Fähigkeit zum Fokussieren verloren. Wir machen es nur selten.

E-Mails beantworten ist nicht wie Radieschen pflanzen

Unzählige Produktivitäts-Tipps, -Methoden und Apps wollen uns dabei helfen. Ihre Inhalte lassen sich laut der Autor:innen der Netflix-Serie zu wenigen, sehr simplen Grundsätzen zusammenfassen:

1. Bau dir eine Struktur für deinen Tag, sodass du weniger Zeit damit verbringst, darüber nachzudenken, was du tun musst. Und mehr Zeit damit, tatsächlich etwas zu tun.

2. Mache regelmäßige Pausen.

3. Schaue nicht dauernd in deine E-Mails und in Social Media, sondern, wenn möglich, nur zweimal am Tag zu festen Zeiten.

Das sind gute Regeln, die Menschen tatsächlich helfen können, etwas produktiver zu arbeiten. Aber – wenn man zu Stress neigt, können diese Tipps das sogar schlimmer machen. So lautet zumindest das Ergebnis dieser Studie (Öffnet in neuem Fenster).

Gleichzeitig – und das ist der Punkt, bei dem für mich persönlich eine Glühbirne über meinem Kopf angegangen ist – sorgt effizienteres Arbeiten nicht dafür, dass die Arbeit weniger wird. Zumindest dann nicht, wenn man kein greifbares Produkt herstellt, sondern der Job vor allem in Kopfarbeit besteht.

Je mehr Arbeit ich schaffe, desto mehr Arbeit kommt rein

Wenn ich Radieschen pflanzen will, ist der Job dann getan, wenn alle Radieschen-Samen in der Erde sind, die mir zur Verfügung steht, und ich mein Arbeitsgerät weggeräumt habe. Wenn mein Job darin besteht, E-Mails zu beantworten, Informationen zu besorgen und Produktstrategien mit Kolleg:innen zu koordinieren, ist nicht die Menge der Arbeit begrenzt, sondern meine Kapazität, sie zu schaffen. Sofern ich das möchte oder muss, kann ich auch noch um Mitternacht im Bett E-Mails schreiben.

Das aber führt zu einem Teufelskreis: Je mehr Arbeit ich schaffe, desto mehr Arbeit kommt auch rein. Wenn ich mehr und schneller E-Mails beantworte, bekomme ich mehr und schneller Antworten darauf. Mehr noch: Ich bekomme den Ruf, dass ich Mails schnell beantworte und so entsteht die Erwartung, dass ich das auch tue. „Die Belohnung für gutes Zeitmanagement ist noch mehr Arbeit“, sagt der Produktivitäts-Experte Oliver Burkemann.

Burkemann vergleicht die Wirkung von Produktivitätsstrategien mit Autobahnen, die man verbreitert, um Staus aufzulösen. Wenn es weniger Staus gibt, wird die Strecke für Fahrer:innen attraktiver, dadurch entsteht mehr Verkehr – und über kurz oder lang gibt es wieder Staus auf der Strecke.

Hocheffizient unwichtigen Kram machen

Daher ist es wichtig, nicht mehr Arbeit zu tun, sondern die richtige Arbeit zu erledigen. Es geht nicht darum, dauernd beschäftigt zu sein, sondern seine Arbeit in die Aufgaben zu stecken, die wirklich wichtig sind. Wir wissen alle, dass man sonst den ganzen Tag damit verbringen kann, hocheffizient unwichtigen Kram zu machen.

Produktivität bei Kopfarbeit ist also nicht das Gefühl, beschäftigt zu sein. Sie misst sich an Qualität, nicht an Quantität.

Wenn man das weiß und seine Prioritäten klar hat, können Produktivitäts-Apps tatsächlich hilfreich sein. Für diesen Newsletter habe ich das Pomodoro-Plugin für Chrome benutzt. Im Grunde ist das eine To-Do-Liste mit einem Timer. Man schreibt seine Aufgaben rein und wie viel Zeit man dafür braucht. Der Timer unterteilt diese Zeit in 25-Minuten-Häppchen, dazwischen gibt es immer fünf Minuten Pause. Nach zwei Stunden kriegt man jeweils eine längere Pause von 15-30 Minuten.

Was das mit Tomaten (Pomodoro auf italienisch) zu tun hat? Ganz einfach: Der Student, der die Methode Ende der 1980er erfunden hat, Francesco Cirillo, hat dafür ursprünglich eine Eieruhr in Form einer Tomate benutzt.

So eine Eieruhr würde ich ständig zu Hause vergessen (Konzentrationsprobleme …), daher bin ich froh, dass es das Pomodoro-Plugin gibt. Und zwar hier (Öffnet in neuem Fenster). Und eine Liste weiterer nützlicher Tools, die beim Arbeiten und Konzentrieren am Computer helfen, findet ihr hier (Öffnet in neuem Fenster).

In ihrem Krautreporter-Newsletter "Was ich gelernt habe" schreibt Theresa jede Woche über die wichtigsten Dinge, die sie gelernt hat. In der ersten Staffel des Newsletters geht’s ums Arbeiten: um Stress und das Ende des Burnouts, den Sinnkult und den Produktivitätskult. Beruhend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, ihrer Erfahrung und mithilfe von Expert:innen. Hier kannst du ihren Newsletter abonnieren (Öffnet in neuem Fenster) – komplett kostenlos. Ich empfehle ihn sehr.

Hat noch nie eine Produktivitäts-App ausprobiert, gesteht: Euer Bent 🧠✌️

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