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Wie Freundschaften dein Gehirn verändern

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über synchronisierte Gehirne und wie du Freund:innen findest (auch als Erwachsener).

Ich bin im Dezember von Berlin nach Hamburg gezogen. Lange tat ich mir schwer mit dieser Entscheidung. Ich arbeite festangestellt beim Onlinemagazin Krautreporter und unsere Redaktion ist nunmal in Berlin. Ich konnte mir lange nicht vorstellen, nicht mehr jeden Tag morgens mit dem Rad in die Redaktion fahren zu können. Andererseits wohnen einige meiner engsten Freund:innen in Hamburg. Die Aussicht, mit ihnen in einer Stadt zu wohnen – das konnte ich mir gut vorstellen.

Ich wohne zwar erst seit sechs Wochen hier, aber ich kann jetzt schon sagen: Einige der engsten Freund:innen so nah bei sich zu haben, verändert vieles. Sie sogar innerhalb weniger Fahrradminuten besuchen zu können? Mega.

Als ich heute Morgen darüber nachgedacht habe (ja, viele meiner Newsletter-Ideen entstehen erst am Tag der Veröffentlichung), habe ich mich an zwei Studien (Öffnet in neuem Fenster) erinnert, über die ich mal gestolpert bin. Sie stammen aus dem Jahr 2008. Dort baten Psychologen die Versuchspersonen, die Steilheit eines Hügels einzuschätzen. Einmal, während sie tatsächlich vor einem Hügel standen, und einmal, als sie sich einen Hügel anschauten. Dass nicht jeder Mensch jeden Hügel gleich steil empfindet, weiß ich spätestens seit meinem letzten Wanderurlaub mit einer Freundin (LG, Lea). Man ist unterschiedlich fit, man ist unterschiedlich alt, sowas wirkt sich auf das subjektive Empfinden aus.

Aber bei den Studien ging es um etwas ganz anderes. Die Wissenschaftler:innen fanden nämlich heraus: Diejenigen, die von einem guten Freund oder einer guten Freundin begleitet wurden, bewerteten den Hügel als weniger steil als Personen, die allein waren. Freundschaften können unsere Wahrnehmung verändern. Freundschaften können unsere akademische Leistung steigern, uns helfen, mit Rückschlägen umzugehen, und sogar unsere Gesundheit verbessern. Lasst uns heute schauen, was dabei im Gehirn passiert. Und was die Wissenschaft darüber weiß, wie man Freund:innen findet (auch als Erwachsener).

Wie viele Freund:innen hast du noch aus deiner Jugend?

Kommt es dir auch so vor, als seien die Freundschaften, die du noch aus deiner Jugendzeit hast, etwas Besonderes? Als seien sie besonders wertvoll? Nun, das liegt daran, dass sie es sind. Freundschaften in der frühen Kindheit, im Jugendalter und im Erwachsenenleben äußern sich jeweils auf unterschiedliche Weise, teilweise weil das Gehirn in diesen Lebensphasen unterschiedlich funktioniert.

Die Jugend ist eine besondere Phase, in der Gleichaltrige in den Mittelpunkt rücken, die Familie ist auf einmal uncool und langweilig. Weil sich das Gehirn verändert, verändert sich auch die Weise, wie man Freund:innen wertschätzt. Wissenschaftler:innen beschreiben die Jugend als eine Phase der sozialen Neuorientierung, in der Jugendliche anfangen, genauso viel oder sogar mehr Zeit mit ihren Freund:innen als mit ihren Eltern zu verbringen.

Warum ist das so? Die Eltern werden sich ja nicht sonderlich verändert haben. Der Drang, so viel mit Freund:innen abzuhängen, könnte auf Veränderungen im Belohnungszentrum des Gehirns zurückzuführen sein, dem sogenannten ventralen Striatum. Dessen Aktivierung macht das Zusammensein mit anderen angenehm und motiviert dazu, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen. Bildgebende Verfahren zeigen, dass diese Region in den Teenagerjahren besonders aktiv ist.

Dein Gehirn, wenn du Freud:innen siehst

Diese Studie (Öffnet in neuem Fenster) untersuchte mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI), welche Gehirnregionen aktiviert werden, wenn Menschen mit Freund:innen interagieren. Die Forscher:innen entwickelten eine soziale Interaktionsaufgabe, bei der 28 Teilnehmende Bilder von Freund:innen, Prominenten und neutralen Personen sahen und darauf reagieren sollten (Annähern, Vermeiden oder neutral bleiben).

Die Ergebnisse zeigten eine stärkere Aktivierung in drei wesentlichen Hirnregionen, wenn die Personen mit Freund:innen interagierten. In der Amygdala und im Hippocampus, beides ist verbunden mit emotionaler Verarbeitung und dem Gedächtnis. Im Nucleus Accumbens – ein Kerngebiet des Belohnungssystems. Und im ventromedialer präfrontaler Kortex (vmPFC), der wichtig ist für Empathie und soziale Bindungen. Freundschaften sind also nicht nur sozial wichtig, sondern beeinflussen auch neurobiologische Prozesse, die mit Empathie und Belohnung verknüpft sind. Kein Wunder, dass wir ihnen gerade in unserer Jugend so viel Platz einräumen.

Es gibt aber noch weitere Gründe. Zum Beispiel können Freundschaften Stress abbauen, auch sichtbar im Gehirn. Diese Studie (Öffnet in neuem Fenster) beispielsweise untersuchte, wie positive soziale Interaktionen zwischen Freund:innen im Jugendalter das Gehirn beeinflussen. Dazu wurden 48 Jugendliche (14 bis 18 Jahre) während eines Gesprächs mit ihrem besten Freund oder ihrer besten Freundin gefilmt. Später wurden ihnen während eines fMRI-Scans einerseits Clips dieser Interaktion und andererseits ähnliche Clips mit unbekannten Gleichaltrigen gezeigt.

Die Forschenden fanden heraus: Jugendliche, die mit ihren Freund:innen stärkere positive Emotionen empfanden, zeigten weniger Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Kortex – eine Region, die oft mit kognitiver Kontrolle und Stressbewältigung in Verbindung gebracht wird. Außerdem war eine höhere positive Affektivität im Alltag mit geringerer Insula-Aktivierung verbunden, wenn sie ihre Freund:innen sahen. Das deutet darauf hin, dass Freundschaften Stress dämpfen und das emotionale Wohlbefinden verbessern können.

Die Gehirne von dir und deinen Friends feuern im Gleichschritt

In den engsten Freundschaften kann es sich fast so anfühlen, als sei man metaphysisch verbunden – zwei Körper und Gedanken, die perfekt synchronisiert sind. Und dahinter steckt tatsächlich Wissenschaft! Die Fähigkeit, sich mit anderen zu verbinden, hängt zum Teil von der Koordination von Handlungen, Emotionen, Physiologie und Gedanken ab. Dies wird von Psychologen als „interpersonale Synchronie“ bezeichnet. Und die kann man messen.

Diese Studie (Öffnet in neuem Fenster) untersuchte zum Beispiel, ob Freundschaften durch ähnliche Gehirnreaktionen auf Umweltreize geprägt sind. Dafür wurden Teilnehmer:innen gescannt, während sie sich Filme ansahen, und ihre neuronalen Aktivitätsmuster wurden mit denen ihrer Freund:innen verglichen, die die gleichen Filme sahen.

Die Ergebnisse zeigten: Freund:innen hatten ähnlichere Gehirnreaktionen auf visuelle Reize als Fremde. Diese Ähnlichkeit nahm ab, je weniger die Menschen miteinander befreundet waren. Es könnte also sein, dass Menschen nicht nur Freund:innen auswählen, weil sie ähnliche Interessen haben, sondern dass sich Freundschaften auch in der Art und Weise widerspiegeln, wie das Gehirn Informationen verarbeitet.

Nur wie findet man Freund:innen?

Die Freund:innen, die man in der Jugend gefunden hat, sind also auch wissenschaftlich belegt besonders. Aber heutzutage bleiben viele nicht an dem Ort, an dem sie aufgewachsen sind. Wir leben plötzlich in einer anderen Stadt und die Freund:innen von damals sieht man nur noch zweimal im Jahr. Ohne Freund:innen geht es aber nicht. Nur wie findet man Freund:innen, wenn man über 30 und in einer fremden Stadt ist? Für die Antwort habe ich zwei wirklich spannende Mechanismen gefunden – und eine Lese-Empfehlung.

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