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Ich hab da was im Orr

Storm Trooper mit Mayo.

Star Wars vs. Essen-Schonnebeck

Wer zu viel Star Wars konsumiert, versinkt irgendwann im Wörtersumpf. Spoiler für Star Wars Jedi Survivor: Bei der Suche nach Tanalorr trifft Cal Kestis auf Dagan Gera. Das sind alles Namen. Gera liegt hier ganz in der Nähe.

Eine Agentur musste lange forschen, um auf den enttäuschenden Namen „Kelts“ für ein alkoholfreies Bier zu kommen. Ich weiß nicht mehr, ob das stimmt. Die Information rumort dunkel in meinem löchrigen Gedächtnis herum.

Sie wohnt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Cal Kestis.

Ich habe Star Wars Jedi Survivor durchgespielt. Das Spiel will, glaube ich, einfach „Jedi Survivor“ heißen. „Star Wars“ steht immer davor, irgendwann sprechen es alle aus, und das trägt dazu bei, dass sich kein Mensch diesen mehrgliedrigen Staffeltitel merken kann.

Aber er passt auch zu einem Spiel, das sich bei aller Liebe in bedeutungsschwer ausgesprochenen, aber völlig nichtssagenden Silbenhaufen verirrt.

Es hat schon 2019 dazu gepasst, dass Cal Kestis von Bracca flieht, sich mit Cere und Greez anfreundet, um dann nach dem Holocron zu suchen. Der Holocron ist ein MacGuffin (Öffnet in neuem Fenster), lebenswichtig, gerade richtig, um dafür mehrere Hundert Fußsoldaten plattzuwalzen, aber dann am Ende von Star Wars Jedi Fallen Order (Spoiler) doch nicht mehr so wichtig. Er sieht aus wie ein Würfel, er hätte auch ein USB-Stick sein können; ist der Holocron da, wird er ganz schnell abmoderiert. Und was machen wir jetzt, fragt am Ende von Fallen Order ein erleichterter Cal in die Runde. Und da stehen sie alle an Bord der Mantis, Cere, Kelts, Merrin und Greez.

In diesem Jahr ist dann Survivor erschienen, die Fortsetzung von Fallen Order. Natürlich gibt es damit ein neues Objekt, um das sich alle prügeln: Tanalorr.

Dieses völlig normale Wort kennen hier alle

Tanalorr sticht den Holocron, weil ein Planet aufregender ist, als ein Leuchtwürfel. Aber der Effekt bleibt derselbe. Die Musik schwillt dunkel an, die Pupillen der geheimen Botin verengen sich, und dann flüstert sie die verbotenen Silben:

Schonnebeck.

Das Ergebnis ist fast immer ein unfreiwilliger Witz. Beim Versuch, einen beliebigen Namen mit Bedeutung aufzuladen, passiert das Gegenteil: Ich werde daran erinnert, wie beliebig nicht nur der Name ist, sondern alles, was ihn berührt. Ich sehe nicht mehr Cal Kestis, sondern Cameron Monaghan, bewaffnet mit einer abgeschnittenen Schwimmnudel (Öffnet in neuem Fenster).

Das Kernproblem teilen sich alle Fantasiestoffe, die eine eigene Welt aufbauen wollen. Sie müssen den Dingen Namen geben, die irgendwie plausibel klingen, die in ihre Welt passen, und die nicht miteinander verkleben. Meistens fällt es mir schwer, die Versuche ernst zu nehmen.

Kichern muss ich anfangs auch, wenn ich das erste Mal kuriose Wörter aus dem geheimen Wortschatz irgendwelcher Fachsprachen höre; wenn die Bache auskragt. Doch Fachsprachen normalisieren sich mit der Benutzung und sie haben den Vorteil, dass sie auf Dinge verweisen können, denen ich immer wieder begegne. Irgendwann ist es ganz normal, wenn etwas auskragt.

Bei Fantasiewörtern spüre ich eher, wie Autor*innen versuchen, mich von etwas zu überzeugen, dass sie sich ausgedacht haben. Wenn ich die Wörter regelmäßig benutzen würde, könnten auch sie sich irgendwann real anfühlen. Aber ich kann mir das Leben in Mittelerde oder Aventurien nicht mehr leisten, auch wenn ich da immer noch gern Urlaub mache.

Chewbacca sitzt auf dem Gepäckträger

Jede Einführung eines neuen Namens ist heikel. Sätze bleiben mir im Hals stecken, wenn sie mit Quatschwörtern vollgeschlumpft wurden. Auch in den besten Fantasiewelten sehe ich beliebige, unübersichtliche Silbenhaufen, die unmöglich ein Mensch lesen können will. Selbst wenn dahinter Literaturwissenschaftler stehen, die mit professionellem Ernst halluzinieren.

Den Herrn der Ringe habe ich ca. mit 13 gelesen, deswegen bleibt er für mich normal. Das Silmarillion kann ich trotzdem nicht lesen, ohne zu lachen. Silmaril, Feanor, Aman, Arda, Melkor, Eldamar, Fingolfin, Finwe, Valar, Tirion, Tusch. Bei Tolkien klingen die Namen ähnlich und verschieden, ein tiefes System steckt dahinter, er hat sich das über Jahrzehnte ausgedacht, aber es geht einfach nicht. Es ist mir zu viel.

Jedes Wort muss sich den Platz in meinem Gedächtnis hart erarbeiten. Es muss für eine zentrale Person oder ein wichtiges Konzept in einer guten Geschichte stehen. Dass ich die Kicherschwelle irgendwann überwunden habe und immer noch weiß, wer Cal und Merrin sind, ist quasi schon ein Kompliment an Survivor.

Die Hürde ist hoch, und mir fehlt die Sprungkraft. Selbst die liebevoll ausgesuchten Namen echter Menschen kann ich mir schlecht merken. Ich weiß dann nicht mehr, ob es Carsten oder Stefan war, und es tut mir leid. Wenn Menschen mich Johannes oder Björn nennen, habe ich Verständnis.

Dagegen fühlt es sich unangemessen an, wie viele Namen aus Jedi Survivor ich noch kenne. Ist Bode Akuna mir wichtiger,  als Carsten/Stefan? Ich will es nicht wahrhaben, aber mein Unterbewusstsein schafft Fakten. Das liegt freilich auch am Kontext.

Ich habe die Originaltrilogie von Krieg der Sterne im Kernzielgruppenalter gesehen, ich habe Chewbacca erst gefürchtet, dann geliebt, und deswegen vergesse ich Chewbacca nie. Und so horche ich immer noch auf, wenn schon wieder irgendwas mit Star Wars angekündigt wird. Ich habe als Kind gelernt, dass Star Wars wahr und wichtig ist. Während ich das Fahrradfahren langsam wieder verlerne, bleibt Chewbacca bei mir.

Besser als The Mandalorian, Staffel 2

Grundsätzlich bin ich also Teil der Zielgruppe, die mit ihren nostalgischen Gefühlen die aktuelle Star-Wars-Schwemme am Laufen hält. Trotzdem nehme ich die Schwemme wahr, und sie reicht mir irgendwann. Mein Kinderwunsch nach unendlich viel Mayo hat sich erfüllt. Ich ertrinke in Mayonnaise.

Deswegen hat Jedi Survivor bei aller Liebe einen faden Beigeschmack. Gelegentlich will es sich nah und persönlich anfühlen, aber es bleibt ein extrem teures, glänzendes und spiegelndes Unterhaltungsprodukt. Es schwimmt in einer Welle von Titeln, die etwas schlechter, aber ähnlich sind, und von denen ich viele bereits kenne.

Mein kindlicher Blick nutzt sich ab und wird zynisch. Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, ich müsste mich doch stärker freuen. Grundsätzlich freue ich mich! Dass wir uns nicht falsch verstehen – ich habe Jedi Survivor freiwillig durchgespielt. Es ist ein sehr gutes Spiel.

Mit Einschränkungen.

Die Kämpfe nehmen in solchen Spielen immer überhand. Sie zerstören den narrativen Zusammenhalt, weil sie immer noch ein paar langwierige Eskalationsstufen extra zünden müssen und dabei Variationen von Gegnern auf mich loslassen, die ich alle schon einmal besiegt habe. Und das halbgottähnliche Abschlachten ganzer Bataillone passt nicht so recht zum Problem vom Maß halten und Mensch bleiben, mit dem Cal als Jedi angeblich ringt.

Super ist dagegen das Erkunden fantastischer Alien-Planeten, das Suchen, Turnen und Rätseln. Dabei verschwimmt Cal zeitweise mit Lara (Öffnet in neuem Fenster) und Link (Öffnet in neuem Fenster), aber das ist nicht schlimm. Das sind schließlich gute Vorbilder. Und Cal kann sich zumindest barttechnisch von der Konkurrenz absetzen. Dass er besser geschrieben und gespielt ist als jede Lara und jeder Link der Vergangenheit, hilft auch. Ist aber auch keine hohe Hürde.

Aber nach zwei Dritteln Survivor, während der dritten Pflichtrunde durch nicht ganz neue Planeten, habe ich eine gewisse Ermüdung gespürt. Schuld ist die Wiederholung. Fallen Order ist ein paar Jahre her, aber mein letztes Single-Player-Action-Adventure mit Logikrätseln und narrativem Fokus liegt nie weit zurück. Aus Nostalgie und Gewohnheit greife ich zur Mayo, auch wenn ich mich dann beim Essen ärgere.

Und mein letzter Versuch, mir Folgestaffeln vom Mandalorian schönzuschauen, liegt auch nicht weit zurück. So bin ich am Ende erleichtert, froh, dass ich bei Cal und Merrin geblieben bin; dass ich nicht zwischendurch ausgestiegen bin, was ich einerseits ständig und überall tue, was sich andererseits hier wie ein Verrat an Charakteren angefühlt hätte, die mir ans Herz gewachsen sind.

Spiele, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat

Das Problem von Jedi Survivor ist heute allgegenwärtig. Es gibt mehrere bezugsfertige Markenuniversen. In ihnen lebt es sich wie in der eintönigen Idylle eines Bungalowparks.

Die Herausforderung liegt dann darin, mal rauszuschauen. Wer eine coole Sci-Fi-Geschichte mit weniger Kampf spielen will, der hat The Gunk (Öffnet in neuem Fenster), oder Deliver Us Mars (Öffnet in neuem Fenster), oder Citizen Sleeper (Öffnet in neuem Fenster), oder Observation (Öffnet in neuem Fenster). Und ich freue mich auf The Invincible (Öffnet in neuem Fenster).

Vielleicht trägt auch die Fachpresse mit ihrer finanziell gebotenen Hinwendung auf die Superhits zum Gefühl der Übersättigung bei. Ein Spiel wie Jedi Survivor dröhnt mit all seinem überflüssigen Vorab-Hype und kleinteiligen Spieltipps wochenlang durch die Kanäle.

Das riesige Team hinter einer Mammutproduktion wie Jedi Survivor ist kaum Schuld daran; höchstens, dass sie sehenden Auges einen Titel für ein überfülltes Markenuniversum produzieren. Aber das Spiel ist super. Ich würde es wahrscheinlich noch besser finden, hätte es nichts mit Star Wars zu tun.

Doch gute Geschichten stehen für sich. Cals Freundeskreis ist nicht originell, funktioniert aber als ein lebendiger Haufen mit Herz und Reibungswärme. Wenn ich mich erholt habe, besuche ich die gerne mal wieder. Beim nächsten Star Wars Jedi werde ich wahrscheinlich immer noch wissen, wer welche Namen hatte. Ich werde alle auf ein Kelts in mein Wohnzimmer einladen.

 

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