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Liebe Leserin, lieber Leser,

wir sprechen meist leichtfertig über Freundschaft. In vielerlei Hinsicht: So werden Menschen schnell, vielleicht allzu schnell zu „Freunden.“ Auch Gott nennen wir „unseren Freund;“ heißen Jesus unseren ständigen Begleiter, der uns an der Hand nimmt. Was bedeutet Freundschaft aber eigentlich? Wie können wir Freundschaft mit einem Gott schließen, der uns häufig fern und unnahbar scheint? Das heutige Evangelium versucht eine Antwort auf diese existenzielle Frage.

II.

Im Rahmen seiner zweiten Abschiedsrede am Gründonnerstag, die bereits in der letzten Woche als Vorwegnahme einer göttlichen Ökonomie diskutiert wurde, kommt Jesus mit eindringlichen Worten auf sein Verhältnis zu den Jüngern und das hier aufscheinende Verhältnis Gottes zur Schöpfung zu sprechen:

„Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe.“ (Joh 15,9-12)

Die göttliche Ökonomie wird auf diese Weise durch den Heiland zu einer Ökonomie der Liebe radikalisiert. Die Schöpfung ist mithin von einer erotischen Grammatik durchzogen, die die Geschöpfe an ihren Schöpfer und an die anderen Lebewesen bindet. Nur in der Ausrichtung des eigenen Begehrens auf Gott, des Begehrens auf den Anderen ist Geschöpflichkeit denkbar. Eine Ökonomie, die nicht voluntaristisch gestiftet und wieder aufgelöst werden kann, sondern durch Gnade auf Dauer gestellt wird. Eine Ökonomie, die aber wiederum nicht allein Gottes Werk ist, sondern die Geschöpfe zur tätigen Teilhabe auffordert, ihre Antwort als an den Geboten orientierte tätige Liebe erwartet. Christusnachfolge wird auf diese Weise zu einem Liebesdienst, der den Einzelnen im Verweis auf den zum Dienst am Anderen auffordert. Die Liebe ist - wie Paulus später im Römerbrief ausführen wird - eine „Erfüllung des Gesetzes“ (Röm 13,10), die alle Weisungen Gottes im doppelten Sinne des Wortes aufhebt. Allerdings geht Jesu Erörterung über diese Verkündigung des Liebesgebotes hinaus und verschärft dieses entscheidend:

„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“ (Joh 15,13-15)

Die Liebe ist damit auf den „Ernstfall“ (Hans Urs von Balthasar) ausgerichtet. Sie nimmt den Tod in Kauf, um den Anderen vor Schaden zu bewahren. Nur in der Tat kann sie sich endgültig beweisen. Dieser Ernst der Liebe führt auch eine ontologische Wende herbei, die über eine Einbindung des Menschen in die erotische Ökonomie Gottes hinausgeht. Der Einzelne wird aus dem Status des Sklaven - die Vulgata ist hier wieder einmal deutlicher - erlöst und zum Freund gemacht. Obwohl diese Erhebung nicht als Vergöttlichung verstanden werden darf, bedeutet sie für das Christentum eine Neuausrichtung alter Gottesbilder. Der Mensch ist im Lichte dieser Erörterungen nicht nur Staub, sondern „cooperator veritatis“, ein Mitarbeiter der Wahrheit, der zur Teilhabe am göttlichen Liebeswerk, das sich an der gesamten Schöpfungsökonomie erfüllt, berufen ist. Diese Teilhabe wird durch Wissen bezeugt: Indem die Jünger durch Jesus in die kommenden Dinge eingeweiht werden, wird die gesamte Schöpfung in die göttlichen Geheimnisse einbezogen. Die Freundschaft ist damit nicht nur eine Form der tätigen Liebe, die sich am Anderen entlädt, sondern auch eine besondere Beziehung zum Geheimnis, die durch Teilhabe am Wissen Gemeinschaft stiftet. Diesen Gedanken führt die die dem heutigen Evangelium beigesellte Lesung aus dem ersten Brief des Johannes weiter aus:

„Geliebte, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe. Darin offenbarte sich die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben.“ (1 Joh 4,7-9)

Die Liebe wird in Umkehrung der durch Jesus im Johannesevangelium entwickelten Liebeslehre zum Schibboleth wahrer Christen. Nur jemand, der Liebe tätig übt, kann Gemeinschaft und Wissen Gottes beanspruchen - eine Freundschaft, die zwar nie in einem strengen Sinne gleichberechtigt sein kann, aber auf reziproken Formen des Gebens beruht.

III)

Auch der hl. Thomas von Aquin (1225-1274) preist in seiner Summa theologiae im Geist der antiken Philosophie die Freundschaft als höchste Form der Liebe:

„Ich antworte, nicht jede Liebe sei nach Aristoteles Freundschaft, sondern es sei dies eine mit Wohlwollen verbundene Liebe; wenn wir nämlich jemanden in der Weise lieben, daß wir sein Wohl wollen. Wollen wir aber nicht das Wohl der geliebten Gegenstände, sondern das, was ihr Wohl ausmacht, für uns, wie wir den Wein, das Pferd u. s. w. lieben, so ist dies die Liebe der Begierlichkeit. [...] Da nun eine Gemeinschaft mit Gott besteht, insofern Er dem Menschen seine Seligkeit mitteilt, so muß sich auf diese Gemeinschaft die Freundschaft gründen. Über diese Gemeinschaft sagt Paulus 1. Kor. 1.: „Getreu ist Gott, durch den ihr berufen seid in die Gemeinschaft mit seinem Sohne.“ Die Liebe nun, welche sich auf solche Gemeinschaft gründet, ist die heilige Liebe. Also ist letztere offenbar eine gewisse Freundschaft des Menschen mit Gott.“ (S. th. II-II, q. 23, a. 1, ad 2)

Carlo Crivelli, Altar von San Domenico in Ascoli, 1476 (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:St-thomas-aquinas.jpg)

Die zuvor geschilderte christliche Freundschaftskonzeption wird durch diesen Rekurs auf aristotelische Argumente in besonderer Weise qualifiziert. Nicht nur impliziert sie eine mit Wissen verbundene tätige Selbstaufgabe, sondern auch den völligen Verzicht auf einen von Begierden getriebenes Wollen. Im Anderen soll der Einzelne nicht primär seinen eigenen Nutzen erkennen oder suchen. Vielmehr muss vorzüglich das Wohl des Anderen im Mittelpunkt stehen und gefördert werden. Der Aquinat überträgt diese spezifische Form der Liebe wiederum auf Gott: Die Beförderung göttlicher Ordnung und die von Gott mitgeteilte Gnade ergänzen sich zu einem die jeweils Anderen verbindenden Liebesband.

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Herzlichst

Louis Berger

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