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On Wednesdays We Wear Belts

Wieso JRPG-Fashion Sinn ergibt, über Milchbubi-Pinocchio und die Meme-Timeline.

Soulslike ohne Fashion ist kein Soulslike. So lautet sinngemäß Florians Definition (Öffnet in neuem Fenster) von einem sonst eigentlich kaum definierbarem Subgenre (Öffnet in neuem Fenster): dem Soulslike. Wir sprachen in der neuen Folge des Lost Levels Podcast darüber, weil ich die Demo von Lies of P vorgestellt habe. Die sehr gut ist, aber wichtiger ist die Fashion.

Style ≠ Fashion ≠ Schönheit

Ich möchte ein paar wichtige Unterscheidungen machen, bevor wir uns Pinocchios Drip ansehen.

1. Schönheit ist eine Ansammlung gesellschaftlich akzeptierter Normen, die sich meist auf den Körper statt Kleidung beziehen und sich ständig wandeln. Das einfachste Beispiel ist die Entwicklung von "Heroin Chic (Öffnet in neuem Fenster)" zu "BBL (Öffnet in neuem Fenster)" und der Einfluss von Kim Kardashian. Schönheit ist ein nie erreichbarer Zustand, dessen Erreichbarkeit in Werbung und Social Media suggeriert wird. Jemanden schön zu finden ist immer an der Schnittstelle zwischen Subjektivität und Sozialisierung.

2. Style hingegen ist absolut subjektiv und viel mehr als die Einhaltung aktueller Trends. Style (zu haben) ist zeitlos und ausdauernd. Er bezieht sich nicht nur auf Kleidung.

3. Fashion, zu guter Letzt, ist kollektiv und temporär.

Und genau deshalb kann man Fashion auch so gut analysieren. Wie sich Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt gekleidet haben, was in war, sagt viel über die jeweilige Zeit und Gesellschaft aus. Denn Fashion passiert nicht in einem Vakuum. Sie ist oft Reaktion auf politische und gesellschaftliche Ereignisse (Öffnet in neuem Fenster). Wie wir uns anziehen, was wir mögen und wo wir unsere Kleidung kaufen, ist nur bis zu einem gewissen Grad eine bewusste und autarke Entscheidung. Dazu gucken wir uns kurz das hier an:

https://www.youtube.com/watch?v=Ja2fgquYTCg&ab_channel=Movieclips (Öffnet in neuem Fenster)

Von Pink zu Pinocchio

Kleidung ist Ausdruck deiner Identität oder der der Gruppe, der du angehörst. Und nirgends erlebt man das besser am eigenen Leib als in der Pubertät. Als ich gerade anfing in die Pubertät zu kommen, erschien Mean Girls. Dieser Film hat mich beeinflusst und zeigte alles, was meinen Schulalltag ausmachte: Das Selbstbewusstsein, das ich wollte, die Burn Books, die wir hatten, die Fashion, der ich nacheiferte. ~Goals~

Der Film ist auch ein hervorragendes Beispiel dafür, dass context matters und Fashion ein Kommunikationswerkzeug ist. Wie gut das funktioniert, analysiert Modern Gurlz in folgendem Video.

https://www.youtube.com/watch?v=UcvKdNiA7uc&ab_channel=ModernGurlz (Öffnet in neuem Fenster)

Harter Cut und wir kommen von Miniröcken zu Matrosenuniformen (Öffnet in neuem Fenster). Selbige ist eines der freischaltbaren Outfits in der Demo von Lies of P. Das P steht für Pinocchio, den wir im Spiel steuern.

Die Puppe kommt im postindustriellen Krat an, wo mechanische Puppen wie er selbst als Gegner durch die Straßen streifen. Wir erfahren von einer seltsamen Krankheit und dem Aufstand der Puppen, die die Stadt verwüstet haben.

Auf den ersten Blick wirkt die Fashion im Spiel europäisch. Ein bisschen so, als sei Pinocchio gerade noch Passant in Assassin's Creed Unity gewesen. Tatsächlich lassen sich viele Teile seiner Kleidung relativ genau datieren und einer (zugegeben großen) Region zuschreiben: Frankreich und England, kurz vor der französischen Revolution in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Öffnet in neuem Fenster).

Gehen wir das mal von oben bis unten durch:

  • Rüschen auf der Brust, der Hals wird von einem Tuch bedeckt. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts gab es zum Beispiel die cravatte und es wurde deutlich mehr Stoff um den Hals gewickelt. Auf anderen Screenshots sehen wir, dass Pinocchio nur ein gefaltetes Tuch trägt.

  • Die Knöpfe der Weste enden an der Taille, was erst nach 1720 verbreitet war. Vorher war die Weste länger, was dazu beitrug, dass alles voller und aufgebauschter wirkte. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ändert sich die Silhouette drastisch.

  • Der Mantel wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert unten offener (Öffnet in neuem Fenster), als wehe er wie von selbst zur Seite.

  • Breeches (Kniebundhosen) werden im Verlauf des Jahrhunderts tighter und bleiben am Start.

  • Schnallen auf den Schuhen werden mit Beginn der Revolution 1789 weniger häufig getragen, da sie mit Aristokratie assoziiert werden.

Alles was fehlt, ist die Perücke, um Pinocchio zum perfekten englischen oder französischen Adligen im 18. Jahrhundert zu machen.

Man kann jetzt vermuten, dass die französische Revolution eine bewusste Assoziation ist. Wobei Pinocchios Fashion schon recht englisch (Öffnet in neuem Fenster) ist. Von dort kamen viele Einflüsse nach Frankreich und es war auch der spätere König Englands, Eduard VII. (1841-1910), der die Matrosenuniform für Kinder populär machte. Das bringt unsere kleine Analyse ein wenig durcheinander, aber wir haben ja schonmal festgestellt: der Vibe zählt.

Werbeblock

Wieso war Solitär auf jedem Windows-Rechner? Wieso hat der Entwickler nur acht Cent dafür bekommen? Wieso hat das Kartenspiel den Ruf, Menschen von der Büroarbeit abzuhalten und wie alt genau ist Solitär eigentlich? Antworten auf all das habe ich für Superlevel recherchiert.

Solitär-Likes gibt es mittlerweile zu Hauf und ich bin grundsätzlich Fan. Ich habe von 40 Stunden Spielzeit in Shenzhen I/O 39 Stunden mit Solitär verbracht. Grund genug endlich mal den deep dive zu wagen und alles darüber in Erfahrung zu bringen, was mich schon immer interessierte. Dich vielleicht auch.

https://www.superlevel.de/reportage-solitaire-wes-cherry-microsoft/ (Öffnet in neuem Fenster)

Außerdem neu: für die aktuelle GEE habe ich über Virtual Reality in Therapie und Pflege geschrieben und dafür mit einer Klinik in Berlin und einem Forschungsteam in Hamburg gesprochen. Den Text und die passende Fotostory gibt es in Heft 72 (Öffnet in neuem Fenster).

(Dead Space Demake, Fraser Brumley)

Ein paar Seiten weiter findet Ihr meinen Artikel über Demakes. Ich sprach mit Fraser Brumley, dem Entwickler des Dead Space Demake. Es ging um schlimme Industrie-Standards und Playstation 1-Look. Eines der erhellendsten und witzigsten Interviews, die ich je geführt habe.

Virtuelle Ikone

Richtig spannend wird es, wenn man Fashion und Games außerhalb des Spiels zusammenbringt. Anlässlich der diesjährigen Met Gala habe ich Outfits gematcht. Der Thread ist ein masterpiece, if I do say so myself (Öffnet in neuem Fenster).

https://twitter.com/chrissikills/status/1653792491886313473 (Öffnet in neuem Fenster)

Wir konnten auf der Met Gala dieses Jahr viel Chanel sehen. Nicht verwunderlich, Karl Lagerfeld war das Motto und von 1983 bis zu seinem Tod 2019 war er Kreativdirektor des französischen Labels. Die Namen kennt man, auch wenn man sich wenig für Haute Couture interessiert. Man kommt dieser Tage auch schwer an Louis Vuitton vorbei. Literally, vor dem Laden im Neuen Wall in Hamburg warten regelmäßig Massen an potenziellen Kund:innen. Vermutlich liegt es aber nicht an dieser Kampagne (Öffnet in neuem Fenster):

Lightning aus Final Fantasy 13 als Model für Louis Vuitton. Sie trägt eine rosa Jacke und zeigt eine schwarze kleine Handtasche in die Kamera.Lightning trägt ein silbernes und goldenes A-Linien-Kleid, das metallisch schimmert. Dazu eine schwarze Handtasche mit Louis Vuitton-Logo.

(Lightning aus Final Fantasy 13 als Model für Louis Vuitton)

I mean?! Die Kampagne lief 2016 und stand ganz unter dem Motto der Heldin (Öffnet in neuem Fenster). JRPG-Charaktere als Models waren seitdem leider nicht mehr populär. Was vielleicht daran liegen mag, dass JRPG-Fashion oft missverstanden wird.

Gute Outfits 🤝gutes Spiel

In ihrem GDC Talk 2019 argumentiert Victoria Tran (Öffnet in neuem Fenster), dass Fashion in Spielen am besten funktioniere, wenn sie "expressive", "informative" und "fun" sei. Also eine Möglichkeit sich auszudrücken, aber auch auf einer Linie mit dem Spiel, der Stimmung, der Figur und natürlich soll es Spaß machen.

Sie zeigt viele Negativbeispiele. Zum Beispiel krampfhaft sexy gekleidete weibliche Figuren, während ihre männlichen Gegenstücke pragmatisch gekleidet sind – oder überhaupt bekleidet. Oder Final Fantasy, wo die Outfits der Charaktere so lächerlich erscheinen, dass epische Bosskämpfe einfach nicht mehr denselben Vibe hätten.

Da werde ich natürlich hellhörig. Und meine erste Reaktion ist "Nein!" Nach meiner Recherche kann ich euch auch erklären, wieso ich absolut anderer Meinung bin und Final Fantasy-Fashion kulturell bedeutend ist.

Jenna Stoeber und Reggie Casual untersuchen in diesem Video (Öffnet in neuem Fenster) real life Einflüsse auf Final Fantasy. Stoeber nennt Art Noveau und Ukiyo-e als Inspirationen für die ersten Designs. Viel Stoff, viele Accessoires und vor allem viele Muster. Mit dem 7. Teil der Spielereihe kam Tetsuya Nomura als Designer und mit ihm Streetwear. Wir sehen Hip Hop, Punk und viele 90er Trends, die er in seinen Designs verarbeitet. Vor allem ist er für seine Gürtel (Öffnet in neuem Fenster)bekannt.

Richtig offensichtlich wird der Einfluss von Fashion auf Videospiel-Fashion, wenn man sich Rei Kawakubo ansieht. Sie schafft unter dem Label Comme des Garçons avantgardistische Kleidung, die wenig praktisch, dafür intellektuell ist. Und niemand kann mir erzählen, dass das nicht 1 zu 1 ein JRPG-Outfit sein könnte.

Model, das ein schwarzes Outfit mit vielen Schichten auf dem Laufsteg trägt.

(Comme des Garçons Fall 2019 Ready to Wear, Vogue)

Glaube, Liebe, JRPG

JRPG-Fashion ist nicht willkürlich. Die Referenzen sind da, man muss sie halt erkennen. Wir erinnern uns außerdem an obiges Argument, context matters. Wenn man weiß, woher eine Figur innerhalb der Spielwelt sein soll, was diese Welt ausmacht und wie sie repräsentiert wird, welchen sozioökonomischen Status eine Figur haben soll und welche Referenzen aus Film, Fashion und Co. dafür herangezogen werden, dann ergeben selbst die vermeintlich lächerlichsten Outfits einen Sinn. Halt innerhalb ihrer Welt.

Das ist letztendlich der ganze Punkt von suspension of disbelief (Öffnet in neuem Fenster). Weshalb wir ja auch Zauberei und Übernatürliches in Geschichten akzeptieren können. Solange es innerhalb der Geschichte logisch ist.

Einige der Referenzen nennt ThorHighHeels in diesem Video, das gleich mehrere Charaktere genauer unter die Lupe nimmt und erklärt, wieso die Outfits Sinn ergeben. Beispielsweise Vaan aus Final Fantasy 12 (Öffnet in neuem Fenster), dessen Outfit die JRPG-sierung des Disney Aladin ist. Beide streifen als Diebe durch die Straßen einer vage orientalischen Stadt und sind unscheinbare Himbos.

https://www.youtube.com/watch?v=x3Yl0Moy_ic&ab_channel=ThorHighHeels (Öffnet in neuem Fenster)

Man muss JRPG-Fashion nicht schön finden. Aber zu behaupten, es sei keine Fashion, ist einfach falsch.

Meme der Woche

Gibt es Memes überhaupt noch? Alles, was mir in den letzten Wochen begegnet ist, waren Titanic (Öffnet in neuem Fenster) Tik Toks und Ukulele Nonpology (Öffnet in neuem Fenster) Parodien. Immer als Video. Auch 9gag, einige kennen die Website vielleicht noch, zeigt fast ausschließlich Bewegtbilder. Sind wir in der Meme-Timeline jetzt in einer neuen Ära angekommen?

Der MDR nennt in diesem Beitrag (Öffnet in neuem Fenster) Trollface, Rickrolling und Lolcats – also zehn Jahre alte Trends, 100 Jahre in Internetjahren. Aber es wird auch über Tik Tok gesprochen. Dort sind es Sounds, manchmal auch Ausschnitte aus anderen Videos, die den nötigen Wiedererkennungswert haben. Sie werden in anderen Kontexten benutzt, was dann witzig ist.

Beispielsweise ein Bild des verschollenen Titanic-Uboots mit einem lieblos hineinkopierten Diamantohrring. Der Witz entsteht, wenn man dann den Sound von Kim Kardashian (Öffnet in neuem Fenster) darüberlegt, wie sie um ihren im Ozean verloren gegangenen Diamantohrring weint. Eine weitere Ebene öffnet sich dadurch, dass es in beiden Fällen um rich people doing rich people things geht. Man kann diese Schadenfreude und Sensationsgier taktlos finden oder als Symptom spätkapitalistischer Misere der Massen ablegen.

Memes sind eigentlich das perfekte Medium, solche gesamtgesellschaftlichen Gefühle auszudrücken. Vielleicht verändern sich Memes gerade organisch und es passiert einfach zu schnell für mich. Vielleicht bin ich das Problem und nicht das Internet.

So oder so würde ich gerne folgende Timeline für den Meme-Kanon vorschlagen:

Die Meme-Timeline

Wir starten relativ willkürlich 2003. Um 2010 dann spielt sich das meiste auf 4chan und 9gag ab: Rage Comics, Advice Animals und lauter Figuren wie Scumbag Steve und Bad Luck Brian. Es geht um mehr oder weniger nachvollziehbare Alltagssituationen, vor allem aber Abgrenzung. Hier wird klar, dass Memes eine eigene Sprache sind. Im Verlauf der letzten zehn Jahre werden Reaction GIFs immer beliebter, es geht weniger um selbstgemachte Templates als Vorlagen aus Popkultur, die in humoristischer Art und Weise die eigene Gemütslage darstellen sollen. Mittlerweile sind wir endgültig bei Bewegtbild und Sound angelangt. Menschen stellen sich und "echte" Situationen zur Schau, unterlegt mit dem jeweils trendigen Sound, der dann zeigt, wie up to date man ist.

Ich fand viele U-Boot-Memes witzig, bin aber ausgelaugt von all den Videos und Sounds, die jeden Tag auf mich einprasseln. Memes sind weniger gewitzte Kritik als Mittel zur Viralität geworden. Aber vielleicht war das schon immer so und wirkte weniger aufdringlich, als wir noch weniger Social Media-Kanäle hatten, die unseren Alltag dominierten.

Spoken like a true millenial.

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Ciao Kakao.

Eure Christina

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