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Immersion ist eine Illusion

Ein Spiel ist kein Gelee.

Seit 2023 ist Gestalter:in für immersive Medien (Öffnet in neuem Fenster) ein anerkannter Ausbildungsberuf. Die Definition von “immersive Medien” scheint aber nicht allen klar zu sein. Manche behaupten, der Begriff bezeichne hauptsächlich Virtual Reality. Andere verstehen darunter digitale Kommunikation, die die Rezipient:innen besonders geschickt umwickelt.

Immer…was?

Immersion ist einer dieser Begriffe, die umso häufiger verwendet werden, je weniger Leute sie verstehen. Ich würde behaupten, dem liegt eine Faszination zugrunde, die einen Namen brauchte und dieser bot sich an. Ein Wort, das das beschreibt, was man erlebt, wenn man sich all diesen Neuerungen des rasanten technologischen Fortschritts aussetzt, während die Reflektion dieses Erlebnisses nicht hinterherkommt.

Computer, Tastatur, Gameboy, Kassetten auf einem Bild

Foto von Lorenzo Herrera auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)

In der Spielebranche wird Immersion inflationär als Gütesiegel benutzt. In den Game Studies findet sich wiederum eine der ersten und brauchbarsten Definitionen:

“[immersion] is the pleasure of being transported to another place, of losing our sense of normal reality and extending ourselves into a seemingly limitless, enclosing, other realm, where we move and act under different and often magical rules.” (Janet Murray & Henry Jenkins. “Before the Holodeck. Translating Star Trek into Digital Media” (Öffnet in neuem Fenster). On a Silver Platter. New York UP, 1998.)

Darauf haben unzählige Forscher:innen aufgebaut, zum Beispiel Laura Ermi und Frans Mäyrä, die ein “gameplay experience model” (Öffnet in neuem Fenster) erstellten. Sie beschreiben unter anderem, welche Mechanismen und Aspekte einen Einfluss darauf haben, wie immersiv wir etwas wahrnehmen (Öffnet in neuem Fenster).

Es ist nicht bloß die Tatsache, dass wir interaktiv eine Welt mitgestalten können (oder uns das zumindest vorgegaukelt wird). Immersion braucht auch den richtigen Grad an Herausforderung, ein Zusammenspiel von auditiven und visuellen Impulsen, einen Zusammenhang zwischen unseren tatsächlichen Aktionen und deren Darstellung im Spiel und so weiter…

Du bist keine Murmel

Das einfachste Bild, um Immersion zu beschreiben, ist eine Murmel in einem Glas voller Gelee. Im Idealfall sind wir die Murmel, die vollkommen von dieser anderen, dargestellten Welt umgeben ist und voll und ganz in ihr aufgeht. Das Bild ist so einfach wie es falsch ist.

Immersion ist ein nie zu erreichender Zustand. Eine Illusion. Ein Begriff, den wir nutzen, wenn wir kurz verdrängen, dass wir nicht selbst das Schwert schwingen, sondern nur Knöpfchen drücken. Diese Verdrängung ist aber immer beschränkt und immer temporär.

Murmeln

Foto von Nick Fewings auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)

Wir können uns Immersion höchstens annähern. In der Definition oben wird das angedeutet (“losing our sense of normal reality” könnte als Prozess verstanden werden, weil das -ing Indikator für das present progressive ist und etwas beschreibt, das gerade passiert, also nicht unbedingt einen Start- oder Endpunkt haben muss. Das ist aber Wortknusperei.).

Immersion ist wie exponentieller Zerfall (Öffnet in neuem Fenster): Etwas reduziert sich, sagen wir pro Jahr, um, sagen wir 10%. Das geht immer so weiter und es ist immer weniger da, das sich um 10% reduzieren kann. Aber es ist nie nichts. Der Wert wird nie die Null erreichen, sondern sich ihr nur annähern. Genauso werden wir nie Immersion erreichen, sondern stetig neue Wege finden Unterhaltungsmedien noch unterhaltsamer zu machen. Aber, und das ist meine These: Wir werden nie vergessen, dass wir gerade etwas spielen und nicht selbst in der fiktiven Welt unterwegs sind.

(Ich würde so gerne Mathe können, wie geil ist es bitte, dass da ein System ist, das dir literally alles erklären kann, aber ich V E R S T E H E es einfach nicht.)

Ergo-Empathie

Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass wir Empathie nur bedingt durch den Konsum digitaler Spiele lernen können. Wenn überhaupt. Let me explain:

Mitte der 2010er, als die ersten Virtual Reality-Angebote für viel Geld massenhaft in heimischen Wohnzimmern stattfinden konnten, kam jemand auf die schlaue Idee, Empathie ins Spiel zu bringen. Metaphorisch gesprochen. Verkürzt lautete das Argument der “empathy machine”: “Du hast den totalen Perspektivwechsel, denn du bist die Spielfigur und deshalb fördert VR Empathie”.

Das gleiche Argument funktioniert theoretisch mit Immersion: Du bist umgeben von einer anderen Welt, du existierst in dieser anderen Welt und vergisst deine eigene. Das ist wieder ein totaler Perspektivwechsel, der dich zur Empathie befähigt. Ludo ergo sentio (oder so ähnlich).

Ein Glas Milch

Foto von an_visionauf Unspl (Öffnet in neuem Fenster)ash (Öffnet in neuem Fenster)

Absolut (Öffnet in neuem Fenster)er Quark, wie Robert Yang schon herausstellte (Öffnet in neuem Fenster). Wenn du erst Technologie brauchst, um andere Meinungen zu verstehen, deine Perspektive zu wechseln und dich in andere hineinversetzen zu können, ist Technologie nicht die Lösung. (Sondern du das Problem).

Die Darstellung anderer Lebensrealitäten kann bestimmt einen Perspektivwechsel anregen. Aber wenn ich immer meine eigenen Erfahrungen und Assoziationen mit ins Spiel nehme und was ich weiß, denke und fühle immer Einfluss auf meine Wahrnehmung des Spiels hat, weil ich eben nicht komplett immersed sein kann, dann ist auch das Ausmaß begrenzt, in dem ich mich in andere hineinversetzen kann.

Sprich: Beim Spielen ist zu viel von mir selbst dabei, als dass ich tatsächlich eine andere Lebensrealität erfahren könnte.

Und hier kommen wir zu meinem Lieblingsthema:

Kontextualisierung (Öffnet in neuem Fenster)

Denn wir können ja durchaus das, was wir sehen, verarbeiten. Wir können es reflektieren und Schlüsse daraus ziehen. Letzteres funktioniert am eigenen Beispiel immer am besten. Was wäre, wenn ich in dieser Situation wäre? Was wäre, wenn meiner Freundin das passiert? Was wäre, wenn so etwas in unserem Ort passiert?

Solche Fragen kann man sich selbst stellen. Wenn es um die Vermittlung von etwas konkretem geht, helfen pädagogische Konzepte. Im Museum werden zum Beispiel Spiele oder generell interaktive Formate genutzt, um einen anderen Zugang zum Thema zu ermöglichen.

Eingangshalle des Kunsthistorischen Museums Wien

Da ist der Wurm drin

Ich war vor einigen Wochen im Kunsthistorischen Museum in Wien. Das ist generell eine GANZ große Empfehlung. Für die Ausstellung “Holbein. Burgkmair. Dürer. Renaissance im Norden” gab es ein hervorragendes digitales Angebot. In einem Raum abseits der Ausstellung standen viele gemütliche Sofas, vor jedem ein Tablet mit diesem Inhalt (Öffnet in neuem Fenster).

Ein Kapitel ist ein Spiel für Kinder, die in einem der Gemälde der Ausstellung einen Wurm finden müssen. Wenn sie ihn finden, zoomt die App heran, erklärt, was in dem Bildausschnitt zu sehen ist und verbindet es mit dem, was Kinder kennen.

Ich finde das alles ganz zauberhaft und wünsche mir mehr davon.

Meme der Woche

Wartender Mann und der Text when you order food online and keep checkinf if it's arrived

Ist das hier lustig? Oder einfach relatable? Wird ein Meme lustiger, wenn es relatable ist? Was ist eine sinnvolle Übersetzung für relatable?

Memes sind eine gemeinsame Sprache im Internet. Schon durch das simple Verstehen eines Memes ist man zugehörig. Weshalb also die extra Schippe Zugehörigkeit, indem man eine Alltagssituation darstellt, mit der sich viele identifizieren können?

Sind wir am Ende doch alle einsam und Memes ein globaler Versuch Zustimmung, Anerkennung und Zugehörigkeit zu finden?

Danke

Danke, dass du auch heute wieder eine Email von mir geöffnet hast. Ich freue mich, dass wir schon über 70 sind! :)

Fragen, Anregungen, Lob und Kritik verschickst Du am besten über das Kommentarfeld, Discord oder die Social Media-Plattform deiner Wahl an @chrissikills.

Wir sehen uns nächsten Monat an gewohnter Stelle.

Ciaovapcici,

Christina

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