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#1 Vom Gesehen werden

Inhaltswarnung: Dieser Text erwähnt missbräuchliches und gewaltvolles Verhalten. Es werden aber keine Details besprochen, es bleibt bei einer bloßen Erwähnung.

Kolumne vom 18.02.2024

Bis vor ein paar Jahren, gehörte das Schreiben zu meinem Leben wie das Atmen. Seitdem ich 9 Jahre alt war, schrieb ich regelmäßig Tagebücher, als ich älter wurde Geschichten und Gedichte. Mit 13 fing ich an Bücher zu schreiben, aber nie fertig (neurospicy authors – wie macht ihr das?) und mit Anfang 20 mit Slam Poetry. Ich weiß noch, dass ich diesen berühmten Julia Engelmann Text gesehen habe und sofort anfing auch so einen Text zu schreiben. Ich wusste nicht, dass DAS auch Gedichte sein dürfen.

Sehr viel in meiner Vergangenheit drehte sich darum: Um das dürfen. Darf ich mich so anziehen, so etwas sagen, so etwas denken, so etwas sein? Sehr oft war die Antwort „nein“. Als neurodivergentes, queeres und als weiblich kategorisiertes Kind, war das eine alltägliche Erfahrung. Ich war zu viel von allem und gleichzeitig zu wenig, also begann ich zu studieren, wie ich sein soll. Es war meine einzige Mission. Bis ich älter und davon krank wurde. Einzig in meinen Tagebüchern ließ ich es zu, ich selbst zu sein – doch auch das nur sehr behutsam. Alles andere war zu gefährlich.

Als ich mit Poetry Slam begann, war es für mich wie eine Tagebuch Lesung, die nicht mehr nur für mich blieb. Es war der Beginn mich zu zeigen. Zuerst habe ich nur vertrauten Personen meine Texte vorgelesen, dann immer öfter auch nicht so vertrauten. Ich habe bemerkt, dass meine Worte nicht nur ankamen, sondern auch gehört wurden und in besonderen Fällen auch mit anderen Menschen resonierten. Für diesen Moment entstand eine Verbindung. Meine Erfahrung war nicht mehr „meine“, sie war eine „unsere“ und der Beweis: ich war damit nicht mehr allein. Ich habe mich offenbart, manchmal kryptisch versteckt hinter sich reimenden Phrasen, doch klar genug, um zu erahnen, was ich meine und manchmal direkt genug, um das zu sagen, was ich sagen musste. Denke ich mir zumindest. Ich stellte mich auf eine Bühne, zeigte mich, und wurde gesehen. Ich war ein real existierender Mensch, mit einer Geschichte, mit einer Sprache. Und für 7 Minuten, durfte ich sprechen und von mir erzählen.

Gesehen zu werden ist existenziell, denn es bezeugt unsere Existenz. Wirklich gesehen zu werden ist eine Anerkennung des eigenen in-der-Welt Seins. Dabei geht es nicht nur um die eigene Identität, sondern

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