Digital Tutorial Nr. 6 – Digitale Meta-Politik
Ein Eule-Newsletter von Philipp Greifenstein

Herzlich Willkommen!
Nach einer kurzen Unterbrechung über den Jahreswechsel setzen wir das „Digital Tutorial“ fort. In den vergangenen Wochen sind so viele News zu Digitalisierung und insbesondere den Verwerfungen auf Social-Media-Plattformen im Zuge der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten aktenkundig geworden, dass es nicht nur schwerfällt, den Überblick zu behalten, sondern überhaupt den Mut und die Lust nicht zu verlieren, sich mit unserem Leben im Netz und in der Digitalität zu befassen.
Sei’s drum!
Diese Ausgabe des „Digital Tutorial“ bietet schon aus motivatorischen Gründen keinen Überblick über die Katastrophenmeldungen der vergangenen Wochen von X, Meta und Google, über die sog. „KI“ und Social-Media-Plattformen. Auch wenn ich persönlich den Eindruck habe, dass davon noch viel zu wenig Menschen in den Kirchen eine Ahnung haben. Lasst mich gerne wissen, ob mein Eindruck täuscht oder zutrifft!
Stattdessen will ich ganz knapp auf ein aktuelles Beispiel des politischen, anwaltschaftlichen Handelns der Kirchen in der digitalisierten Gesellschaft hinweisen – und damit mittelbar auch auf einen aktuellen Essay von mir in der Eule (Öffnet in neuem Fenster).
Der Titel dieser Ausgabe „Digitale Meta-Politik“ ist recht hübsch mehrdeutig: Es geht um die Plattformen als Ganzes und ihre Regulierung als (Vor-)Bedingung unseres Lebens auf und mit ihnen. Es geht dabei natürlich um die großen Tech-Giganten wie z.B. den Meta-Konzern, zu dem u.a. Facebook, Instagram, Threads, WhatsApp und Meta-AI gehören. Und es geht um politisches Handeln in der Digitalisierung und die Kirchen als politische Akteurinnen.
Denn eines dürfte, ja: müsste jede:r Nutzer:in in den vergangenen Wochen noch einmal klar geworden sein: Unser Leben in der Digitalität, mit den Tech-Giganten und auf Social-Media-Plattformen ist immer politisch.
Ich freue mich auf Eure Rückmeldungen und Hinweise!
Viel Freude bei der Lektüre!
Philipp Greifenstein
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Onlineplattformen brauchen Kontrolle
Die Liste der Organisationen und Bündnisse ist lang und beindruckend: Mehr als 75 Vereine und Initiativen aus Zivilgesellschaft und Kirchen wenden sich mit einem Offenen Brief an die Sondierer:innen von CDU/CSU und SPD, berichtet u.a. Leon Kaessmann für ZEITonline (Öffnet in neuem Fenster). Sie fordern eine bessere Regulierung von Online-Plattformen und eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung.
Unterzeichnet haben den Offenen Brief, der hier als PDF (Öffnet in neuem Fenster) zu finden ist, auch Organisationen aus dem Raum der Kirchen, z.B. das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt, die Diözesankommission für Umweltfragen des Bistums Trier und die Evangelische Kirche der Pfalz. Landeskirchenrat Jan-Dirk Döhling vom Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) erklärt:
„Freiheit, die den Namen verdient, ist auch im Netz nicht Willkür. Sie braucht Regeln, die sich an der Menschenwürde und den Menschenrechten orientieren. Die konsequente Durchsetzung bestehenden EU-Rechts, das Schließen regulatorischer Lücken und die gezielte Stärkung gemeinwohlorientierter Plattform-Alternativen sind hierfür wichtige Schritte.“
Da der Offene Brief selbst nur 2 ½ Seiten lang ist, spare ich mir an dieser Stelle eine umfassende Paraphrase. Stattdessen habe ich drei Kritikpunkte, die den Unterzeichnenden wichtig sind, und ihre drei zentralen Forderungen ausgewählt:
Drei Kritikpunkte:
Dass die Kommunikation auf den (großen) Plattformen „polarisiert und antidemokratische Kräfte beflügelt“, sei „kein unglücklicher Zufall, sondern Programm“: „Algorithmische Empfehlungssysteme, die das Extreme, Emotionalisierende und Spaltende fördern, sind ein höchst lukratives Geschäftsmodell.“
„Die Marktmachtkonzentration und die Kontrolle der Plattformen durch einige Wenige, insbesondere die Abhängigkeit von Tech-Unternehmen aus den USA und China, sind ein Risiko für Europas digitale Souveränität, Wohlstand und Demokratie.“
Die Unterzeichner:innen beklagen, dass „große Tech-Unternehmen ihre Allianz mit politischen Kräften ausnutzen, um die Regulierung von Plattformen in ihrem Interesse zu beeinflussen“.
An dieser Stelle könnte man wohl noch deutlicher werden, als es der Offene Brief schafft, der ja auf Wohlwollen auch bei den konservativen Sondierer:innen treffen soll. Social Media steht im Zentrum des aufziehenden Handelskrieges der EU mit den USA unter Donald Trump. Bereits bestehende Regulierungen und EU-Gesetze werden zur Verschiebemasse, insofern ihre Durchsetzung – oder vielmehr: Nicht-Durchsetzung – als politisches Kapital genutzt wird, z.B. bei der Abwendung von Zöllen für EU-Produkte.
Mit der erneuten Wahl Donald Trumps und in den ersten Wochen (!) seiner zweiten Amtszeit erleben wir einen nie dagewesenen Kotau der großen US-Plattformen und des Silicon Valley (Öffnet in neuem Fenster) unter die MAGA-Ideologie, die Diversität und den Schutz von Minderheiten bekämpft, und die „America First“-Politik der US-Regierung, die internationales Recht zu ihren Gunsten biegen und brechen will.
Das Problem ist nicht allein Elon Musk oder X! Alle US-Techgiganten haben sich mal mehr (Meta, Musk) oder etwas weniger (Alphabet und Microsoft) dem neuen Kurs angepasst. Ziel ist auch hier der Erhalt ihrer lukrativen Geschäftsmodelle. Besonders heftig mischt mit: Die fast vollständig am Risikokapital hängende „KI“-Industrie. Und besonders alarmierend ist die Bedienung von niedersten Instinkten, antisemitischen Verschwörungsmythen (Öffnet in neuem Fenster) und rechtsradikalen Ideologemen durch „Silicon Valley“-Pioniere, denen auch aus Deutschland bisher vor allem zugejubelt wurde.
Drei Forderungen:
„Die neue Bundesregierung hat die Aufgabe, EU-Gesetze wie den Digital Services Act und Digital Markets Act wirkungsvoll umzusetzen. Der Druck aus den USA und von großen Tech-Konzernen darf nicht dazu führen, dass Europa einknickt.“
„Das wichtigste Ziel ist, mehr Transparenz bei den algorithmischen Systemen von Plattformen zu erwirken. Weiterhin muss die Einhegung der problematischen Geschäftsmodelle und Praktiken von Plattformen, beispielsweise von tracking-basierter Online-Werbung und suchtförderndem Design, den Weg für gemeinwohlorientierte Alternativen ebnen.“
„Gemeinwohlorientierte digitale Plattformen aufbauen und stärken: Dazu gilt es, auf europäischer Ebene die Debatte über demokratisch kontrollierte, gemeinwohlorientierte und souveräne digitale Infrastrukturen voranzutreiben. Bestehende gemeinwohlorientierte Projekte wie das dezentral organisierte Fediverse sollten von der neuen Bundesregierung gestärkt werden.“
Gemeinwohlorientierung, sinnvoller Jugendschutz, der nicht einer kulturkämpferischen Agenda entspringt, und Fediverse & Co. liefen bisher unter „Gedöns“. In einer Zeit allerdings, in der das transatlantische Bündnis zwischen Europäischer Union und USA in Frage steht, erhalten diese Forderungen eine neue Dringlichkeit. Nicht umsonst wird in diesen Tagen von einer Zeitenwende 2.0 gesprochen. Plattformsouveränität und Netzneutralität, an sich alte Forderunger auch des kirchlichen anwaltschaftlichen Lobbyismus, werden drängend.
Zeitenwende 2.0
In der Eule habe ich in dieser Woche unter der Überschrift „Zeitenwende in der digitalen Kirche?“ (Öffnet in neuem Fenster) darüber geschrieben, dass sich die digitale Kirche in Deutschland nach „Zeitenwende“, Corona-Pandemie und Trump-Wiederkehr vom Silicon Valley lösen muss, d.h. nicht nur von den Plattformen, sondern auch vom ideologischen Mindset.
Es stehen Alternativen zur Verfügung! Die europäische digitale Zivilgesellschaft, aber auch die öffentlich-rechtlichen Mediensysteme in ihrer europäischen Vielfalt bieten Anknüpfungspunkte. Nicht allein der Offene Brief zeigt auch: Die Kirchen sind keineswegs alleine unterwegs mit ihren Anliegen.
In meinem Essay komme ich an zwei Stellen auf das neue Buch von Ingo Dachwitz und Sven Hilbig „Digitaler Kolonialismus: Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen“ (C.H. Beck 2025 (Öffnet in neuem Fenster)) zu sprechen. Eine wirklich anregende, zuweilen aufwühlende Lektüre! Dachwitz und Hilbig zeigen, auf wessen Kosten wir unser Leben in der Digitalität jetzt schon gestalten. Und man ahnt, welche drastischen Probleme ein data colonialism der US-Techgiganten erst noch generieren wird, wenn er auf die Unterstützung des US-Regierungsapparats zählen kann – oder richtiger: von der mutwilligen Zerstörung von Konsumentenrechten und Schutzmechanismen in den USA profitieren kann, die allein in den ersten Wochen der Trump-Präsidentschaft 2.0 gewaltige Ausmaße angenommen hat.
Auch wenn das Problem viel größer als KI ist, hier noch ein Hinweis: OpenAI-CEO Sam Altmann gestand gerade erst ein (Öffnet in neuem Fenster), dass das Geschäftsmodell nicht nur seines „KI“-Unternehmens davon abhängt, auch urheberrechtlich geschützte Trainingsdaten zu gebrauchen. Die „KI“-Unternehmen haben sich in den vergangenen beiden Jahren über zahlreiche Gesetze bereits hinweggesetzt. Von der US-Regierung erhofft sich Altmann nun, dass sie OpenAI in den USA – und machen wir uns nichts vor: auf dem Weg von Handelskriegen auch weltweit – den Weg frei räumt. (Auch in Großbritannien läuft die Debatte bereits intensiver (Öffnet in neuem Fenster) als in Deutschland.)
Nicht nur die Politik und das Feuilleton in Deutschland, sondern auch der #digitaleKirche-Diskurs in Deutschland müssen endlich aufschließen! Leider erwischt uns diese Großdebatte um die Zukunft der Digitalität gerade in einer Phase der Ernüchterung der Digitalisierung in den Kirchen, wie ich im Essay beklage. Auf spannende Debattenbeiträge und Perspektiven aus der „Digital Tutorial“-Leser:innenschaft“ freue ich mich deshalb ganz besonders!
Die Regulierung von Plattformen und „KI“ muss auf die Agenda nicht nur der neuen Bundesregierung, sondern der öffentlichen Debatte, steht sie doch mit den politischen Prozessen in einer starken Wechselwirkung. So stellen Lena Ulbricht (Öffnet in neuem Fenster) und Simon Egbert (Öffnet in neuem Fenster) zum Schluss ihrer Untersuchung „In Palantir we trust? Regulation of data analysis platforms in public security“ (Öffnet in neuem Fenster) fest:
„Platform regulation is a political process and it depends upon healthy democracies—and in the same way, healthy democracies depend on functioning platform regulation.“
Empfehlungen
Eule-Podcast (38): Die Kirchen und der Datenschutz – Michael Greder im Gespräch mit Felix Neumann (Die Eule) (Öffnet in neuem Fenster)
Für den „Eule-Podcast“ hat Podcast-Host Michael Greder bereits zur Jahreswende mit Felix Neumann über den Datenschutz in den Kirchen gesprochen. Das Gespräch ist im Magazin (Öffnet in neuem Fenster) und auf zahlreichen Podcast-Plattformen erschienen. Kaum ein anderes #digitaleKirche-Thema regt Menschen so stark auf wie der Datenschutz. Welche Plattformen und Werkzeuge dürfen in den Kirchen überhaupt benutzt werden? Was ist der Zweck von Datenschutz und Datenschutzgesetzgebung in der Kirche? Welche Reformen am Datenschutzrecht sind gerade aktuell?
Felix Neumann ist Journalist und Redakteur bei katholisch.de. Auf seinem Blog artikel91.eu (Öffnet in neuem Fenster) schreibt er über den Datenschutz in den Kirchen - und leistet damit einen wertvollen Beitrag für die Transparenz kirchlicher Gesetzgebungsverfahren.
Michael und Felix sprechen darüber, ob man nun in der Kirche WhatsApp nutzen darf und welche Schwierigkeiten es bei der Umsetzung von Datenschutzregeln in Kirche und Gesellschaft gibt. Was bedeutet der Datenschutz für Mitgliederkommunikation und die Digitalisierung in den Kirchen? Reinhören! (Öffnet in neuem Fenster)
Kolumne „Degitalisierung“ von Bianca Kastl (netzpolitik.org) (Öffnet in neuem Fenster)
In ihrer monatlichen Kolumne „Degitalisierung“ beim ohnehin stets empfehlenswerten netzpolitik.org (Öffnet in neuem Fenster) (bei dem auch Ingo Dachwitz beschäftigt ist) schreibt Bianca Kastl kluge, manchmal sehr ausführliche Texte über Digitalisierung, wie z.B. diesen hier über die Digitalisierung im Gesundheitswesen (Öffnet in neuem Fenster). Nicht nur für Menschen mit Bezug zu Diakonie und Caritas eine interessante Lektüre!
So weit für diese Ausgabe des „Digital Tutorial“. Ich freue mich auf Rückmeldungen, Kritik und Hinweise, gerne per E-Mail (Öffnet in neuem Fenster) an die Redaktion oder auf Bluesky und Mastodon!
Bis zur nächsten Ausgabe!
Philipp Greifenstein
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