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Lieber Kai,

Ich hoffe dir geht es gut in diesen kalten und regnerischen Tagen. Mittlerweile habe ich meinen Eskapismus in die Welt der Serien wieder ein wenig abgelegt, andere Aufgaben erfordern meine Aufmerksamkeit. Dennoch fängt mein heutiger Brief wieder einmal mit einer Serie an. Kennst du die britische TV-Drama Series Broadchurch

In der  Serie, die 2013 erschien, geht es um den (fiktiven) Mord an einem elfjährigen Jungen Danny Latimer und die anschließenden Mordermittlungen in einer beschaulichen britischen Küstenstadt. Die Beschreibung der Serie als klassische Whodunit-Story à la Tatort gibt die Vielschichtigkeit dieser Serie nicht wieder, in denen sich über acht Folgen die Zeit genommen wird, die Auswirkungen des Mords am kleinen Jugend zu zeigen: Innerhalb der Kleinstadt, innerhalb seiner Familie des toten Jungen, bei dessen Freunden (Öffnet in neuem Fenster). Für mich gehört es zu den berührendsten und tragischsten Serien, die ich je geguckt habe.

Die Hauptrollen der ermittelnden Kommissare spielen David Tennant (u.a. Doctor Who, Jessica Jones) und Olivia Colman, die seit ihrem Oscar-Gewinn für The Favourite und durch ihre Rolle als Queen in The Crown mittlerweile endlich den Ruhm und die Anerkennung bekommt, die sie schon damals verdient hätte. 

Warum ich die Serie erwähne? Weil ich mich immer wieder dabei erwische, mich an eine bestimmte Szene dieser Serie zurück zu erinnern, wenn meine Frustration über die Medien gerade besonders groß ist. Hier ist sie.

Was war zuvor passiert? Ein lokaler junger Newsreporter mutmaßt über die Identität des verstorbenen Jungen und veröffentlicht diese auf Twitter. Ein Grund für den neuen Kommissar (David Tennant) der Stadt, seiner Mannschaft eine saftige Standpauke zu halten, mit schottischem Akzent und beginnend mit dem unwiderstehlichen Ausruf: Bloody Twitter. 

https://www.youtube.com/watch?v=bz51vNYH1SA (Öffnet in neuem Fenster)

Diese Serie zeigt hier ein gutes altes Beispiel von voreiligem Sensationsjournalismus und dessen Folgen, gepaart mit Twitter als Möglichkeit, immer von überall sich (vorschnell) mitteilen zu können. Solche Beispiele sind immernoch aktuell (Öffnet in neuem Fenster), bei mir kommt dieser schottische Wutausbruch auch zu allgemeineren Situationen in den Kopf, wenn es um Medienkritik geht. Was ich genau meine?
Dafür muss ich jetzt etwas ausholen, angefangen von deinem Brief von letzter Woche, in dem du über das Gespräch zwischen einer taz Redakteurin und einer Impfgegnerin schreibst:

Deren Gesprächsstrategie ist allerdings bisweilen in etwa so schlüssig wie die eines Kindes, das zu allem, was man ihm näherzubringen versucht, sagt: Dahinter steckt doch die Schulbuchmafia! Die Wurzel aus 49 ist 7? Schulbuchmafia! Die Punischen Kriege trugen sich zwischen 264 und 164 vor Christus zu? Schulbuchmafia!! Die Goldkröte gehört zur Gattung der Amphibien, die sich nur in Gewässern fortpflanzen können? SCHULBUCHMAFIA!!! (Öffnet in neuem Fenster)

Ich musste schmunzeln bei diesem Absatz und verstehe diese Überspitzung. Gleichzeitig ließ es aber auch ein leeres Gefühl bei mir zurück. Es mag ein wenig sensibel klingen, gerade in unserem höchst (!) privaten Briefaustausch hier. Aber ich merke, dass diese überspitzte, simplifizierte Darstellung einer Meinung oder einer Situation medial immer mehr zunimmt und ich das immer mehr als störend empfinde. 

Ich sehe darin ein Teil des Problems, weswegen sich die gesellschaftlichen Fronten verhärten: Die rhetorisch gute Simplifizierung von Positionen anderer Personen. Witze zu machen über das, was die andere Seite sagt oder denkt und dadurch dafür zu sorgen, dass das Missverstehen beider Seiten zunimmt. Dies beginnt innerhalb der Zwitscherwelt der 280 Zeichen und findet sein komplettes Ausmaß in der TV-Landschaft der Late Night Comedy Formate. 

Dabei müssen wir in Bezug der TV-Welt einen Unterschied machen zwischen dem, was wir im deutschen und amerikanischen Fernsehen zu sehen bekommen. Der Unterschied ist wichtig, um zu verstehen, wo das Ganze hingehen kann.

Die deutsche TV-Comedy Landschaft, mit ihren bekanntesten Vertretern heute show, ZDF Magazin Royale und extra 3 legen sehr gerne den Finger in die Wunde. Sie interpretieren ihre Rolle nicht nur als reine Unterhalter, sondern scheinen auch einen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen zu wollen, auf Missstände aufmerksam zu machen und / oder über die Politik zu schimpfen.

Wie hier die heute show vor einer Woche.

https://www.youtube.com/watch?v=VFVM0rJPeQ8 (Öffnet in neuem Fenster)

Da wird sich über die neue Impfkampagne lustig gemacht, über den Etat von 60 Millionen für die Impfkampagne aufgeregt, die Ankündigung von Bundeskanzler Scholz 30 Millionen Impfungen bis Ende Januar umzusetzen durch den Kakao gezogen - ich sehe das alles und bin ziemlich genervt davon. Was dieser Clip durch die Simplifizierung der Sachverhalte für mich hauptsächlich schafft, ist Politikverdrossenheit zu fördern. Die heute show hat sich meiner Meinung nach immer mehr in eine Sendung entwickelt, die nur darüber funktioniert, komplexe Situationen zu vereinfachen und damit Politik und Politiker:innen an den Pranger zu stellen. Sie müssen nicht für durchdachte Lösungen sorgen, deswegen ist hier vieles möglich.

Da wird sich in diesem Clip also darüber aufgeregt, wie die Impfkampagne aussieht. Wie dröge, langweilig, wie der 50 Cent Sanifair Bon meint Jan Böhmermann (Öffnet in neuem Fenster). Ja, Deutschland so grau, so langweilig. Das alte Lied.
Aber geht es bei dieser Werbekampagne darum, den hippen Großstädter mit einem witzigen Werbeslogan dazu zu bekommen, die neue vegane Bratwurst zu kaufen? Glaubt wirklich jemand, es braucht markige Werbesprüche (Öffnet in neuem Fenster) um Impfskeptiker:innen zu überzeugen, wie wir sie in Frankreich sehen? Ich habe die Kampagne hier in Berlin in mindestens vier anderen Sprachen gesehen, was meiner Meinung nach mehr Sinn ergibt, als sich in Sachen Kreativität mit dem nächstbesten Schokoriegel zu messen.
Für die Impfung zu werben heißt in dieser Hinsicht zu diesem Zeitpunkt besonders Aufklärung, nicht Augenzwinkern. Alle, die man durch einen hippen Werbespruch überzeugen kann, sind glaube ich schon geimpft, alleine schon, um über die anderen hippen Werbesprüche sich wieder in der nächstbesten Bar austauschen zu können.

Auch finde ich es gut, dass Scholz ein Ziel von 30 Millionen Impfungen für den Januar ausgerufen hat, auch wenn das nicht erreicht wird. Sind das nicht die Art Ziele, die wir gerne mal klar formuliert von der Politik sehen wollen? Etwas, woran wir die Politik messen können?
Ich könnte jetzt noch länger so weitermachen und natürlich gibt es auch etliche Menschen, die da anderer Meinung sind. Auch die heute show und co haben ein Recht darauf, das anzuprangern. Und wahrscheinlich würden auch viele mir sagen: Sven, das ist Comedy. COMEDY. Das kannst du nicht mit Journalismus oder ausgewogener Berichterstattung vergleichen.

Meine Antwort wäre: Ja und nein. Denn Sendungen wie die heute show oder das ZDF Magazin Royale spielen für ein großes junges Publikum eine große Rolle bei der Wahrnehmung und Einordnung des politischen und gesellschaftlichen Tagesgeschehens, ohne aber den Auftrag zu verfolgen, ein ausgeglichenes oder balanciertes Bild abzugeben. Was wir hier also stattdessen sehen, sind Shows, indenen Showmaster dreißig Minuten ihre Meinung abgeben können, mit teilweise guter, teilweise schlechter Recherche und entsprechendem Informationsgehalt. Und obwohl ich inhaltlich ja meist sogar nicht widersprechen kann, bleibe ich nach diesen Shows immer öfter genauso leer zurück, als hätte ich dreißig Minuten Bild TV geguckt. Immer wieder geht es darum, billige Pointen zu nutzen, für den nächsten kurzen Lacher. Dass die Sachverhalte teilweise unterkomplex dargestellt werden, ist da zweitrangig. Ist ja Comedy. Damit verdienen sie ihr Geld.

Es geht mir hier nicht darum, zu sagen, wie es gehen soll, was also die Alternative wäre. Ich sehe nur, wie diese Sendungen immer öfter daran versuchen, Meinungsmache zu betreiben, ohne sich aber in dieser Rolle selbst ernst zu nehmen, sondern immer wieder hinter dem Satz zurückziehen können "Wir sind Comedy". Und das ist mir zu einfach, denn das wird nicht dem gerecht, wie diese Sendungen landläufig wahrgenommen werden. 

In den USA sehen, wohin diese Art Comedy noch hingehen kann und in welche Richtung sich auch hier diese Sendungen bewegen.
Als Donald Trump vor vier Jahren Präsident wurde, hatte ich folgenden Kommentar dafür auf Facebook übrig. 

Und das hat sich auch bewahrheitet. Donald Trump war für die Late Nite Comedians (John Oliver, Stephen Colbert, Jimmy Kimmel, Jimmy Fallon, Seth Meyers, Trevor Noah) eine nicht endende Quelle an Witzvorlagen. Die US-Late Night Comedy Szene ist in den Bush Jahren zu einer wichtigen Instanz innerhalb des progressiven Flügels gewachsen, zum gemeinsamen Lagerfeuer. Diese Art von Polit-Comedy ist mittlerweile breiter aufgestellt, politisch aber monothematischer geworden. Anti-Trump war Grundtenor fast aller Beiträge von 2017 bis 2021. Und ja, wir haben alle viel gelacht, selbst wenn es nur darum ging, den US-Präsidenten möglichst kreativ zu beleidigen. 

https://www.youtube.com/watch?v=Ml5qULGjbno (Öffnet in neuem Fenster)

Doch wäre ich Republikaner und würde diese Sendungen sehen, Tag ein, Tag aus, die praktisch nichts Anderes beinhalten, als sich über 'meinen' US-Präsidenten und meine Partei lustig zu machen - hätte ich da ein Interesse, die Seiten zu wechseln? Hätte ich da ein Interesse, einzugestehen, dass ich vielleicht falsch liege, wenn die andere politische Seite (zu der die US-Late Night Szene einfach dazu gehört) jeden Abend sich stundenlang über uns / mich lustig macht? Ist es da nicht einfacher, sich tiefer in seiner Meinung zu versteifen? 

Wer über die Radikalisierung der Parteilinien in den USA spricht, lässt gerne Schlagwörter wie QAnon oder Fox News fallen. Die progressive Arroganz der US-Medienunterhaltung ist aber die Kehrseite der gleichen Medaille. Die abfälligen, oft sehr witzigen Wortspiele und Kommentare auf Twitter, die bissige Berichterstattung mancher Comedy Shows - ja, das ist alles gute Unterhaltung.
Aber wenn wir darüber sprechen, Brücken bauen und die andere Seite wieder an einen Gesprächstisch bringen zu wollen, dann helfen uns diese Witze nicht. Dann sollten wir stattdessen damit aufhören, diese Quellen als eine Informations- oder Hauptargumentationsplattform  zu nutzen oder deren Stil für öffentliche Kommunikation auf sozialen Plattformen zu kopieren. Denn wie diese Akteure alle selbst sagen: Sie wollen nur unterhalten, es geht immer nur um den nächsten Witz. Und aus dieser Ausrichtung folgt etwas Anderes als sozialer Zusammenhalt oder eine Geste des gegenseitigen Verständnisses. Das ist nämlich nicht witzig und lässt sich auch nicht in eine 280-Zeilen Punchline verpacken.

Natürlich kann es das alles geben. Und die Witze und Kommentare werden uns auch in Zukunft unterhalten. In unseren progressiven Elfenbeinturm wird es weiter Anklang finden und Spaß machen, sich über den nächsten noch so kleinen Fehltritt von der anderen politischen Seite lustig zu machen.
Sie werden uns darin bestätigen, was wir glauben. Es kann nur sein, dass wir beim nächsten Lachanfall mit Tränen in den Augen über einen lustigen Tweet mal kurz einen Blick aus unserem Turm wagen und dann feststellen, dass die restliche Welt lichterloh brennt. 

Liebe Grüße

Sven

https://www.youtube.com/watch?v=ZlEgaEmRhp8 (Öffnet in neuem Fenster)

(Palatine - Baton Rouge)

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