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Über Weihnachten und das zweite Trauerjahr. Über das Loch in meiner Schulter und den Raum darin.

Ich treffe mich eher unregelmäßig, aber eigentlich wöchentlich mit zwei Frauen aus dem Trauerdorf.

Kurzer Einschub: Das Trauerdorf (Öffnet in neuem Fenster) ist ein online Angebot von Alexandra Kossowski (Öffnet in neuem Fenster)für trauernde Frauen und beinhaltet wöchentlich stattfindende Trauercafés, gemeinsame Jahreskreisfeste und eine Onlinebibliothek, in die jeden Monat ein neues Experteninterview einzieht, das Alex mit anderen Frauen zu verschiedenen Aspekten und Themen von Trauer führt. Außerdem kann jederzeit Kontakt über die Palttform slack zu anderen Dorfbewohnerinnen gesucht werden und gemeinsamer Austausch über einen Zoomraum, der immer offen ist, stattfinden. Ab Januar nimmt das Trauerdorf neue Frauen auf: Guckt mal hier (Öffnet in neuem Fenster), wenn es euch interessiert.

Wir alle drei haben alle unsere Kinder verloren. Alle im selben Jahr und aus ganz unterschiedlichen Gründen. Unsere Kinder waren ganz unterschiedlich alt und uns eint, dass sie für immer fehlen. Nach einem halben Jahr in dieser gemeinsamen Dreierrunde, haben wir heute viel darüber gesprochen, was sich verändert hat.

Das zweite Trauerjahr.
Das zweite Mal Weihnachten ohne unser verstorbenes Kind. Im Sommer war ich mir noch sicher, dass es für mich nicht stimmen kann, dass dieses zweite Jahr viel schlimmer sein soll als das erste. Das sagen ganz viele und ich konnte das nicht so sehen. Heute im Austausch in unserer Kleingruppe habe ich erkannt, dass das jetzt anders ist.

Ich bin seit Wochen krank und ich habe gar keine Ressourcen für den Weihnachtstrubel da draußen. Ich sage ganz bewusst “da draußen”, denn meine Welt ist seit Wochen begrenzt auf unsere Wohnung.
Ich liege auf dem Bett oder auf der Couch. Ich schaffe es für eine halbe Stunde auf einen Stuhl in der Küche - ich hab einmal ein Nudelgericht aus der Tiefkühltruhe in der Pfanne zubereitet.
Ich habe bis zu 15 Mal am Tag ein Medikament eingenommen, mein Handy erinnert mich regelmäßig daran, Sauerstoff, Blutdruck und auch Puls zu messen. Ich bin noch weit entfernt davon, wieder zu arbeiten und ich habe große Angst davor, dass jemand aus meiner Familie hier wieder Corona einschleppt.

Ich habe keine Ressourcen, die Vorweihnachtszeit in den Schulen der Kinder mitzuerleben und ich habe heute erkannt, dass das eine Wohltat ist.
Ich habe Pause.
Pause davon, zu sehen, dass mein kleinstes Kind fehlt.
Dass es nicht im Kindergarten mit den anderen Weihnachtslieder singt und draußen im Schnee spielt. Ich muss nicht miterleben, wie wir zum Adventsabend der Schule gehen, an dem das älteste Böckchen seinen ersten Theaterauftritt hat und das kleinste nicht auf meinem Schoß sitzen und klatschen wird.

Ich habe Trauerpause im Außen.
Und ich habe heute erkannt, dass das sowohl eine Wohltat ist als auch eine ganz natürliche Phase im Laufe des Trauerprozesses. Vielleicht.


Seit Fritzi tot ist, ist in mir ein Loch. In meiner Schulter und es tut so weh, dass ich sicher bin, dass man hindurchsehen kann.
Ein großer, glatter Durchstoß von einem Bolzen.
Nach dem ersten Schock kam die Blutung.
Ich war sicher, ich könnte sie nicht stoppen, aber das stimmte nicht.
Ich habe ein Jahr lang nach Fäden und Nadeln gesucht und seine Ränder vernäht. Ich habe die Ränder gepflegt und nach ihnen gesehen. Sie neu verbunden und gecremt und an manchen Tagen hält die Naht vielleicht nicht an jeder Stelle gut, aber dann weiß ich, was ich dann tun muss, damit sie nicht wieder vollständig aufreißt.

Im ersten Trauerjahr bin ich zu meiner eigenen Wundschwester geworden und ich kann das ziemlich gut. Nicht nur bei mir selbst - auch bei den Kindern.
Ich weiß, wann ihre Wut eigentlich Trauer ist und wann eine ihre Ruhe braucht. Ich weiß, welcher Song die Tränen fließen lässt und welche Routinen wichtig sind, damit sich die andere auch wirklich sicher fühlt.

Und seit dem ersten Todestag ist ein weiteres halbes Jahr vergangen.
Und ganz still und heimlich, und eine der Mütter in meiner kleinen Austauschgruppe hat es noch vor mir auch bei sich selbst bemerkt,
hat sich etwas verändert.

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