Sprache und Gewalt

Von Tina Steiger
Frauen? Gestrichen, wenn es nach der neuen Sprachordnung in den USA geht. Frauen, Diversität und viele mehr. Sprache formt unsere Realität. Wie wir sprechen, welche Worte wir verwenden und welche wir nicht mehr verwenden dürfen, formt die Welt und wie wir sie wahrnehmen. Als Sprachwissenschaftlerin wird mir diese Tatsache beim Blick auf das Weltgeschehen täglich mehr bewusst. Betrachten wir Sprache bei Gewalt, aber auch bei Unterdrückung, Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch, dann erleben wir oft Formulierungen die besonders einer Gruppe dienen: den Tätern.
Sie wurde vergewaltigt.
Sie wurde geschlagen.
Häusliche Gewalt.
Gewaltbeziehung.
Sexuelle Handlungen.
Missbrauchsbeziehung.
Paarkonflikt.
Elternebene.
Diese Formulierung haben alle eine Gemeinsamkeit. Genau genommen sind darin sogar gleich mehrere Ebenen derselben Sache vereint. Sie sind passiv formuliert. “Ihr passiert etwas”. Täterlos. Zugleich machen sie das Opfer zum Teil des Problems. “Gewaltbeziehung. Paarkonflikt…” So als hätte sie ihren Anteil daran. Und: Diese Formulierungen nehmen den Täter komplett aus der Handlung. Von wem wurde sie vergewaltigt? Wer nahm sexuelle Handlungen vor? Wer übt “häusliche Gewalt” aus? Das Haus? Wohl kaum.
Als Gesellschaft haben wir uns sehr daran gewöhnt, bei Gewalt (gegen Frauen) eine Sprache zu akzeptieren und teilweise auch selbst aktiv zu verwenden, die Täter aus dem Fokus nimmt, ja sogar aus der Verantwortung. “Sie flieht aus häuslicher Gewalt”. Aber selbstverständlich darf sie ihn bis zu einer Verurteilung, die oft mangels Zeugen und Beweisen, nie kommt, niemals einen Täter nennen.
Nicht das Haus verübt die Gewalt
Der Begriff häusliche Gewalt ist dabei vielleicht die plakativste Art, Gewalt zu depersonalisieren. Häusliche Gewalt will (harmlos und neutral) suggerieren, dass die Taten im Privaten stattfinden und dass diese Formulierung daher ihre Berechtigung hat. Doch hier finden sich gleich mehrere problematische Hürden für den Gewaltschutz. Der Gedanke einer Parität will weder männliche noch weibliche Täter:innen nennen. Oder eben beide gleichberechtigt. Doch so einfach ist es nicht. Häusliche Gewalt an Frauen ist in einem so hohen Ausmaß gestiegen innerhalb der letzten Jahre, dass das Bundeskriminalamt 2024 erstmals ein eigenes Lagebild nur zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen herausgab. Es stellt sehr klar, die Täter sind in erster Linie männlich, das nicht erfasste Dunkelfeld enorm.
Dennoch lassen Medien und die öffentliche Berichterstattung den Begriff “Männergewalt an Frauen” vermissen. Es ist nicht häusliche Gewalt. Denn es ist ebenfalls keine Privatsache, wenn Männer Frauen schlagen, einschüchtern, terrorisieren und töten. Es sind Straftaten von öffentlichem Interesse und für eine große Mehrheit der Frauen in Deutschland ein reales Lebensrisiko. Es ist ein Thema der inneren Sicherheit für Frauen. Insbesondere dann, wenn Täter wegen fehlenden Beweisen (weil privat!), fehlenden Zeugen (weil zuhause!) und einer grundsätzlichen Unschuldsvermutung (=Gesetzgebung, die Männer bei Gewalt und Missbrauch an Frauen schützt), nie verurteilt werden.
Der Begriff häusliche Gewalt impliziert neben dem Privaten auch, dass alles, das im eigenen Zuhause stattfindet, eine Art “kleine Gewalt” darstellt. Wird eine Frau beim Joggen oder anderswo im öffentlichen Raum angegriffen, ist die mediale Aufmerksamkeit groß. Der Aufschrei gewaltig. Doch passiert es zuhause, hört man nichts. Und es passiert inzwischen in Deutschland fast jeden zweiten Tag, weiß die BKA-Statistik. Hinter dem fehlenden Interesse für diese Taten durch den eigenen Partner steht gleich eine Vielzahl von Gründen. Einer davon ist ein Anspruch an Täterschutz. Zum Boateng-Prozess 2023 ließ Thomas Tuchel, seinerzeit Trainer beim FC Bayern, verlauten, das sei “Privatsache”. Sich raushalten aus “Paarstreitigkeiten” gehörte schon immer zum guten Ton. Umgekehrt wurden diejenigen verunglimpft, “die schmutzige Wäsche waschen”. Doch wenn wir uns fragen, wem das eigentlich nützt, dann sind es nur die Täter. Wenn Frauen sich trennen, greifen so ziemlich alle abwertenden Begriffe von der Bitteren, der Lügnerin, der Abzockerin, der Ehebrecherin. Sie sei schamlos, wenn sie über die Taten ihres Ex-Mannes spricht, sie lügt, sie will ihm nur schaden. Das ist es, das seit Jahrhunderten den Nährboden für Scham und Schuld bereitet, über Taten zu sprechen. Das ist zudem die Basis für tief sitzende misogyne Vorurteile gegenüber Frauen, die offen über Tätergewalt sprechen.
Ist der Täter ein Fremder, will es jeder wissen. Das begründet sich in der Sensationsgier des Menschen, aber auch in der Tatsache, dass hier psychologisch größtmögliche Distanz erlaubt ist. Für potentielle Opfer und Täter. Wenn ich als Frau nicht im Dunkeln einsame Gassen durchlaufe, bin ich vermeintlich sicher und nie “so fahrlässig” wie dieses Opfer. Ein Mann kann sich über den fremden Täter, der nachts Frauen im Park überwältigt, versichert sein, dass er einer “von den Guten ist”. Selbst wenn ihm dann und wann “im Affekt die Hand ausrutscht”.
Taten im Privaten dagegen sind ein Spiegel.
Es könnte jede treffen. Es könnte jeder sein.
Die Formulierung häusliche Gewalt will uns eigentlich sagen, die Opfer sollten sich in Schweigen hüllen. Denn, wenn sie es wagen und über die “Männergewalt ihrer Partner an ihnen” sprechen, dann will ihnen meist niemand glauben. Männergewalt ist medial in Deutschland kein Begriff. Zu heikel in Zeiten von Parität und Gleichstellungsbeauftragten.
Auch Paarkonflikt, Elternebene, missbräuchliche Beziehung oder Partnerschaftsgewalt dienen eben diesem Zweck. Hier wird Parität angenommen, wo keine ist. Hier wird 50/50 impliziert, wo eine Opfer und nur einer (gemäß der BKA-Statistik) Täter ist.
Sie wurde geschlagen, sie wurde vergewaltigt… Das rückt den aktiv zuschlagenden und vergewaltigenden Täter so weit aus dem Blickfeld, dass es kein Wunder ist, dass gesellschaftlich die ganze Verantwortung für Straftaten, die ihnen angetan werden, bei den Frauen und nicht den Männern liegt. Frauen werden gefragt, warum sie nicht (sofort) gegangen sind. Aber kaum jemand fragt ihn sofort, warum er denn wiederholt zuschlägt?
Seine Frau? So ein Drama. Warum es Femizid heißen muss.
Sprache schafft auch Zuordnungen, Abhängigkeiten und Macht. “Er tötete seine Frau aus Eifersucht.” “Familiendrama. Er übergoss sie mit Benzin, weil sie ihn verlassen wollte”. Sprache wie diese entschuldigt Männer für ihre Taten und macht sie emotionaler", als sie sind. Männer töten nicht aus Liebe, Eifersucht und emotionaler Not. Männer töten, weil sie die Kontrolle über Frauen verlieren, die sie als ihren Besitz verstehen. Sie töten, weil ihr Ego verletzt ist und sie Macht einbüßen. Deshalb töten auch viele dieser Täter ihre eigenen Kinder. Weil auch diese zu seinem Königreich gehören, das zerstört werden muss, wenn er keinen Zutritt mehr bekommt. Seine Kinder, seine Frau – für deutsche Medien ist das oft ein Drama. Auch wenn es eigentlich Mord kaltblütiger Täter ist.
Morde an Frauen, weil sie Frauen sind, genau deshalb als Femizide zu benennen, und, wie in Italien, als einen eigenen Straftatbestand anzusehen, macht ebenfalls genau deshalb einen Unterschied. Dann kann auch aufhören, dass Medien mehr Mitleid mit den Tätern suggerieren, wenn diese anschließend Suizid ausüben. Dann wäre es nötig, die Kaltblütigkeit und Berechnung der Tat aus Macht- und Kontrollverlust beim Namen zu nennen.
Auch der Kinderschutz verlangt nach einem Täter
Ist eine Frau Mutter und flieht vor Gewalt, so ist für die meisten deutschen Jugendämter und Familiengerichte alles nur ein Paarkonflikt auf Elternebene. Er hat versucht, sie zu töten? Ihr den Kiefer und ein paar Rippen gebrochen? “Aber er hat doch die Kinder nie geschlagen”, heißt es dann wie aus Reflex. Wer sein Wissen vertiefen will, sollte einen Blick in die Rubrik Kinderschutz hier im Magazin werfen und lesen, warum und wie genau (Studien über Studien in einer Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste der Bundesregierung) Gewalt an der Mutter immer gleichermaßen Gewalt am Kind ist. Das betrifft Gewalt an der Mutter in jeder Form.
Dennoch handhaben Gerichte und Jugendämter die Thematik fast immer genauso wie oben beschrieben. Ein Grund dafür ist auch hier, dass sprachlich ein Täter fehlt. “Die häusliche Gewalt” schadet Kindern, heißt es oft in der Kinder- und Jugendhilfe. Und meist werden dann kurzerhand die Mütter, die gerade so mit dem Leben davongekommen sind, zu Co-Täterinnen am Kind erklärt. Sie haben die Kinder schließlich einem Klima “streitiger Eltern” ausgesetzt. Wenn es so schlimm war, warum ist sie dann nicht gegangen? Wir brauchen hier mehr als dringend eine Veränderung der Sprache hin zu Täter und Opfern.
Ein Mann, der Gewaltformen ausübt, ist ein Täter. Noch bevor er Vater sein könnte. Die Frau, die er schlägt, ist sein Opfer, noch bevor es eine Rolle spielt, ob sie die Mutter ist. Kinder, die miterleben, dass ihre Mutter geschlagen, gestoßen, stranguliert und terrorisiert wird, sind direkte Gewaltopfer.
Nicht häusliche Gewalt ist hier tatursächlich, sondern der Täter. Wenn wir uns das alle so sagen trauen, dann verbietet es der gesunde Menschenverstand im Sinne falsch verstandener Parität, von der Mutter Kooperation mit dem Täter “zum Wohle der Kinder zu fordern.
Patriarchale Sprachbarrieren
Doch wir sagen das nicht so. Wir nicht als Gesellschaft, Medien, Jugendämter und auch Familiengerichte nicht. Auch dann nicht, wenn Kinder geschützt werden sollten. Obwohl die Wissenschaft weiß, wie schwer sich Taten auswirken. Warum also nicht? Die unbequeme Wahrheit ist, weil Sprache auch soziale Realitäten erhält. Männliche Täter benennen, wenn wir über horrende Zahlen von Gewalt gegen Frauen sprechen. Was würde das ändern? Vielleicht alles? Vor allem dann, wenn wir uns besusst machen, dass diese Männer Frauen im eigenen Zuhause töten. Dass sie sie als Besitz verstehen und nicht als gleichberechtigte Individuen. Würde das die Debatte um eine echte Gleichstellung in eine völlig neue Dimension erheben? Müssten wir uns eingestehen, dass wir es 2025 noch immer zulassen, dass die Ehe als Märchen für Frauen beworben wird, während Männer in ihr oft vor allem eine machtvolle Zuordnung sehen, in der jemand für sie sorgt, ihre Kinder bekommt und erzieht und ihr Leben sowie ihre Karriere einfacher macht? Mit einem nicht angezeigten, aber angenommenen Dunkelfeld von Frauen, die in Deutschland quer durch alle Milieus Gewalt erfahren, müssten wir von bis zu einer Million Frauen und Millionen von mitbetroffenen Kindern sprechen. Personen, für die weder Schutzrechte noch Menschenwürde gelten, mitten in Deutschland.
Aber das tun wir nicht. Weil wir dann auch darüber reden müssten, wie zeitgemäß Ehegattensplitting, Teilzeitarbeit für Frauen und Steuervorteile für Ehepartner wirklich sein können, wenn sie Abhängigkeiten erzeugen, die Frauen wahlweise gefügig oder später altersarm machen. Wir müssten uns auch ehrlich machen und uns eingestehen, dass wir keine real gleichberechtigte Gesellschaft darstellen., sondern dass Männer insbesondere nach einer Eheschließung noch immer einen Vertrauensvorschuss des Staates und besondere Rechte erhalten.
Stattdessen werden selbst Gender-Gegner:innen beim Wort Täter:innen ganz emsig. Sie finden, das müsse man schon gleichberechtigt schreiben. Täter schreiben? Nein, das geht nicht. Bloß nicht Männern hier verbal auf die Füße treten. Wenn wir sehen, wie ungern manche Gruppen außerdem das Wort Mutter verwenden, sollten wir ebenfalls hellhörig werden. Es ist legitim, wenn gewaltbetroffene Mütter mit ihren gewaltbetroffenen Kindern als schützenswerte Einheit benannt werden. Doch es passiert nicht. Weil es nicht gewollt ist. Weil Mutter-Vater-Kind die Norm sein soll. Und wenn schon nicht das, dann gleichberechtigte Elternschaft und das Bild engagierter Väter. Täterbewusstsein, bitte nicht! Erst recht nicht Alleinerziehende, autonome Frauen stärken. Wo kommen wir denn da “gesellschaftlich” hin? Konservative Sorgen. Wir sehen derzeit in den USA in Echtzeit, was hier folgen kann. Begriffe, die auf Frauenrechte, Kinderschutz, Gewaltschutz, Menschenrechte und Minderheitenrechte hindeuten, also alles, was konservativen Männern mit Machtanspruch ein Dorn im Auge ist, werden eliminiert. “Achtet auf die Sprache”, sagte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal. “Denn die Sprache ist sozusagen die Vorform des Handelns”. Eine gerechte Gesellschaft, die Frauen und Kinder vor Gewalt schützen will und die Menschenrechte für alle achtet, muss Täter und Taten benennen, muss auf die Sprache achten und sie korrigieren. Nur so kann eine gerechte Verantwortungsübernahme stattfinden.