“Exklusiv weiße, männliche Innerlichkeit”
Legitimation durch Gefühle - Legitimation von Gefühlen - Legitime Gefühle
In der Tradition politischen Denkens, in der ich mich bewege, stehen meist Begründungsfragen hinsichtlich der Legitimation von und durch Verfahren im Mittelpunkt. Nicht nur juristischer oder demokratischer, sondern auch medialer und künstlerischer Praxen. Dass Gründe alleine oft nicht motivieren können, Gefühle und Bedürfnisse hingegen schon, erscheint dabei als ein alter Hut in den mir bekannten Diskussionen - ein Klischee und doch wahr.
Ein weitere Prämisse, die meine Weltsicht prägt, ist zudem: Emotionen haben immer auch Urteilscharakter . Sie bewerten Zustände in der Welt - diese Situation fühlt sich gut an, jene nicht. Dieses Bild spricht mich an, weil es etwas in mir emotional triggert, was mit meinen Erfahrungen korrespondiert. Jener Film hingegen weckt in mir Erinnerung an Diskriminierungserfahrungen, die ich machte - deshalb mag ich ihn nicht.
Gefühle konstituieren Präferenzsysteme von Individuen, an deren Leitfaden sie durch die Welt navigieren. Das tauchte auch in der Auseinandersetzung mit Brian Eno auf dieser Steady-Seite auf als zentrale Funktion der weit verstandenen Künste - Präferenzen schaffen Orientierungen.
Parallel dazu formiert sich angesichts der Dominanz der Neuen Rechten in vielen gesellschaftlichen und medialen Zusammenhängen eine neue politische Philosophie der Emotionen. So erschien im letzten Herbst ein Band der großen US-Philosophin Martha C. Nussbaum bei Suhrkamp, in dem sie die Ignoranz von Emotionen in der liberalen Tradition des Denkens zu korrigieren versucht (Öffnet in neuem Fenster): “Politische Eomotionen.”
Am 4. April veröffentlichte Johannes Hillje bei Piper zudem „Mehr Emotionen wagen - Wie wir Angst, Hoffnung und Wut nicht dem Populismus überlassen (Öffnet in neuem Fenster)" . In einem vorab bei den “Blättern” veröffentlichten Text, überschrieben mit „Mit Emotionen gegen den Populismus", skizziert er Teile seines Programms. Er führt aus, wie die Rechtsextreme Emotionen gezielt nutzt, um Erfolge zu erzielen:
Auf Volksfesten ähnlichen Veranstaltungen im Zuge von Wahlkämpfen setze sie nicht auf Argumente, sondern auf emotionalisierendes Storytelling und damit korrespondierende Bildwelten - häufig aus der KI-Produktion. Politiker wie Friedrich Merz versuchten, diese Strategie zu kopieren mit Anekdoten von „kleinen Paschas" und angeblich nicht mehr erhältlichen Zahnarzt-Terminen.
Eine Adaption rechter Gefühlskosmen mit korrespondierenden Mythen sei jedoch ein denkbar schlechtes Mittel in der Gegenwehr angesichts der Dominanz der Neuen Rechten, so Hillje - ebenso wenig, wie sich als Olaf Scholz bedächtig, rational und realistisch zu inszenieren. Auch „Betonen wir doch das Positive!", also „Zuversicht" im Falle Robert Habecks, könne dieses permanente Anfüttern von köchelnder Wut, Frustration und der Suche nach Schuldigen für diese Affekte nicht überschreiben. Schon gar nicht dann, wenn die Gegenseite gezielt mit Fakes, Fehlinformationen und Lügen arbeitete, um zur Herrschaft zu gelangen und diese mittels KI und mit Hilfe von Musik in sozialen Medien unters Volk bringe.
Hillje identifiziert vier Strategien undemokratischer Emotionalisierung:
die Dehumanisierung zu tilgender Bevölkerungsteile
Feindmarkierung
Wahrheitsmonopolisierung - durch Lügengeschichten ist die Gegenseite an allem schuld und die eigene Formation Hüter der Wahrheit (MAGA baut anhand dieser Strategie gerade die komplette Wissensproduktion in den USA um (Öffnet in neuem Fenster))
Verächtlichmachung demokratischer Institutionen - was auch immer demokratisch entschieden wird, sei Zeichen einer Diktatur.
Hillje weicht sodann aus auf George E. Marcus und dessen „Theorie der affektiven Intelligenz", die emotionale Intensitäten untersucht und kommt zu dem Schluss:
„dass demokratische Kräfte alle drei Emotionskategorien besetzen müssen, wenn sie Menschen für sich gewinnen wollen. Das heißt auch, mit Ängsten und Wut umgehen zu müssen, sie zu integrieren statt kleinzureden."
Das Problem dabei ist jedoch, dass progressive Kräfte bereits zum Beispiel im Falle der Klimakatastrophe intensiv mit Ängsten arbeiten und damit trotzdem nicht durchdringen. Zu stark sind die ökonomischen Interessen der fossilen Industrien, denen es zudem gelungen ist, sich als Bewahrer von Traditionen zu inszenieren.
Die Agitation sowohl der “Liberalo-Konservativen” als auch der Rechtsextremen richten sich so konsequent gegen all die Milieus, die seit den „Neuen Sozialen Bewegungen" der 60er und 70er Jahre entstanden sind: Bürgerrechts- und Antivietnamkriegs-Bewegung nicht nur in den USA, Black Panther, Schwulenbewegung, Frauenbewegung, Öko-Bewegung, auch alles, was sich rund um „Psycho-Diskurse" wie „Selbstverwirklichung" gruppierte.
Diese Feindbilder bespielt intensiv auch die neue Bundesregierung. Das speist sich m.E. daraus, dass lange dominante Gruppen, die ökonomisch wie politisch als auch medial bestimmten, wo es lang geht, sich in ihrer Hegemonie bedroht sehen - eben weiße, heterosexuelle cis Männer. Ihnen wird per Sozialisation beigebracht, dass vor allem ihre Bedürfnisse zählen und Anderen (von der Ehefrau bis zu Angestellten) befriedigt werden sollten - je höher das Einkommen, desto ausgeprägter dieser Anspruch.
In den USA ist die Festigung dieser Bastion mittlerweile Teil der Regierungspolitik (Öffnet in neuem Fenster). Diese agiert offen vernichtungswillig und radiert alles aus, was ihr widersteht - auch deshalb, weil in manchen gesellschaftlichen Bereichen die Emanzipation zuvor Marginalisierter weiter fortgeschritten war als hierzulande. In Deutschland wirkt dafür ergänzend die narzisstische Kränkung sich als Elite wähnender, weißer Männer, 16 Jahre lang von einer klugen, moderaten und teilweise liberalen Frau wie Angela Merkel regiert worden zu sein, umso stärker.
Der rechtskonservative wie auch der rechtsextreme Komplex ist ergänzend häufig an Formen der Misogynie geknüpft. Diese bekämpft Frauen, die sich selbstbewusst behaupten, verbal schlagfertiger sind als ihre männlichen Konkurrenten und nicht klassischen Vorstellungen von wahlweise Mütterlichkeit oder Sexyness entsprechen.
Es sind eben diese affektiven Dimensionen von Politik - an männlich-heterosexuelle Dominanz und die Kränkung der selbstverständlich in Anspruch genommenen Legitimität emotionaler Erfüllung durch Andere geknüpft - die sich politisch als aktuell mächtigste Kraft behaupten und alles bekämpfen, was sich dem widersetzt.
Rechte Gefühle und digitale Radikalisierung
Einen beinahe schon Klassiker zur Analyse der dahinter stehenden, emotionalen Struktur verfasste Simon Strick mit „Rechte Gefühle (Öffnet in neuem Fenster)".
Ich bekenne, das Buch noch nicht gelesen zu haben, habe in Social Media jedoch bereits viel mit ihm diskutiert und wage es deshalb, hier vor allem auf eine Rezension von Roland Meyer (Öffnet in neuem Fenster) zu verweisen.
Strick analysierte Memes und Onlinekommunikation als Bodensatz dessen, was die Erfolge der Rechten anstachelt. Er zeichnet nach, wie sich rund um eine im Netz häufig zu findende Zeichnung namens „Wojak (Öffnet in neuem Fenster)" eine Radikalisierung ablesen ließe:
Gefühle der Isolation, narzisstische Kränkung, also gefühlte Erniedrigung durch Frauen und Minderheitenperspektiven, unbefriedigte männliche Bedürfnisse münden so in den Trumpismus männlicher Haltungen.
Die emotionale Grundierung formiert sich Strick zufolge nicht im Rahmen ideologischer Großerzählungen, eher im Zuge der Affektstimulation durch soziale Medien und führt erst zu digitaler Rudelbildung, dann zu Troll-Armeen. Sie findet Anknüpfungspunkte im Alltagserleben von Menschen, die zumindest gefühlte, imaginierte, teils tatsächliche Degradierungserfahrungen durchliefen. Nach Herstellung rechtsextremer Gefühlsdispositionen schieben die so Konfigurierten, wie die verstrahlten Nazi-Kids nicht nur im Osten, zum Beispiel gegen CSD-Demos ihre frustrierten Leiber auf die Straßen und entfalten hohes Gewaltpotenzial.
Im Netz versuchen sie ergänzend, „diskursive Wetterzonen" herzustellen, „in denen sich gesellschaftliche Mehrheiten als diskriminierte Minderheiten fühlen können (Öffnet in neuem Fenster)."
Das betrifft dann auch die ganze Schiene von Édouard Louis/Didier Eribon bis hin zu Nancy Fraser.
Klassische Ideologiekritik verfehlt das Phänomen rechter Gefühle.
Legitime Gefühle - Illegitime Gefühle
Auf diesem Wege landet man dbei der Frage, wie man dagegen politisch Affekte mobilisieren kann, die im Sinne progressiver Politik wirken könnten. Vermutlich ist da die Reaktivierung von „Klassenkampf light" nicht die dümmste Idee - die Affekte wieder auf zu hohe Mieten, zu geringe Gehälter und soziale Ungerechtigkeit zu lenken.
Das übersieht allerdings, dass auf diesem Umwege die alte Legitimationsfrage wieder aufbricht - die zu Beginn dieses Textes skizzierte.
Statt „welche guten Gründe sprechen in normativen Zusammenhängen für die Ehe für alle" tritt nun in den Mittelpunkt von Legitimationsfragen: “Welche und wessen Gefühle sind legitim, um mit ihnen Politik zu begründen?”
Seitdem der Topos des „besorgten Bürgers" in den Mittelpunkt medialer und politischer Diskussionen gerückt ist - auch „die Leute" oder „die Menschen" genannt, und die sind dann wahlweise überfordert von Migration, haben die Veganer satt oder wollen nicht zur Wärmepumpe gezwungen werden - findet zugleich eine flächendeckende Delegitimierung von abweichendem Gefühle statt.
Jenen Bevölkerungsgruppen, die sich nicht der Affektmobilisierung der Incels (Öffnet in neuem Fenster)und der durch Merkel Gekränkten bis in die Bundesregierung hinein anschließen, wird schlichtweg abgesprochen, überhaupt noch fühlen zu dürfen oder dass die ihren Relevanz hätten. BPoC, Migranten und Migrantisierte, Queers, Frauen, Menschen, die Angst vor der AfD haben und Junge, die sich vor der Klimakatastrophe fürchten.
Deren Gefühle wurden zunächst als Panikmache oder auch Weichei-Terror angesichts deutscher Kunst- und Literaturgeschichte verunglimpft und von Peter Hahne bis Harald Martenstein multimedial attackiert, als Bilder stürmende Terrormeute überempfindlicher, auf Triggerwarnungen fixierter Neurotiker diskreditiert - und werden sie Opfer von Gewalttaten, dann interessiert das nur, wenn Islamisten oder Migranten Täter waren. Bei anderen Tätern gilt es als Einzelfall und irrelevant.
Ansonsten sei, was sie fühlen, wahlweise hysterisch, übertrieben, unanständig, gemeingefährlich oder schlicht egal. Während die Gefühle ohnehin schon dominanter Gruppen tatsächlich Legitimation in Verfahren stiften. Sie gelten als gute Gründe.
Das Ergebnis ist eine asymmetrische Affektpolitik, flächendeckend, die selektive Empathie organisiert. Wie ein parallel geltendes Grundgesetz, das Affekte der einen nicht zur Kenntnis nimmt, um die der anderen zu bespielen.
Wie kommt man dagegen an? Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung.