“Identifikation und Empowerment” - zu Wolfgang Ullrichs neuestem Werk, ausgehend von Jeff Koons
Bevor Jeff Koons auf Interviewfragen antwortet, setzt er eine Maske auf. Keine buchstäbliche. Es geht ein kurzer Ruck durch seinen Körper, ein einnehmendes Lächeln erscheint. Selbst das ist Teil der Künstler-Performance; Ironie schwingt mit. Die Aura von Höflichkeit, Aufmerksamkeit, Eleganz und Stolz auf den eigenen auch ökonomischen Status - sein Haus präsentiert sich als beeindruckende und ausgefeilte Inszenierung, er erläuterte mir die Details wie auch die Geschichte dieses Immobilien-Bühnenraums inmitten New Yorks, mehr darf ich nicht erzählen - weicht einem mehrfach codierten Interviewgesicht.
Blake Gopnik, Autor der wohl besten Warhol-Biografie, sagte mir später beim Interview im Londoner Barbican-Centre im Rahmen desselben Projektes, dass er bei Koons nie wisse, ob der ernst meine, was er sage. Das ist Teil seines Spiels.
Wir räumten sein in einer Mischung aus Kunst und Kitsch, angereichert mit Zitaten aus amerikanischen Vorstellungen von Reichtum und europäischer Kunst, eingerichtetes Wohnzimmer um. Weil wir Koons mit seinem Einverständnis vor einer in seinem Besitz befindlichen Roy Lichtenstein-Skulptur platzierten. Er ließ es zu, machte vorher noch ein paar Fotos mit dem Smartphone, dass seine Angestellten es wieder identisch herrichten könnten. Das Interview führte ich für eine ARTE-Dokumentation zum 100. Geburtstag von Roy Lichtenstein. Koons beruft sich explizit auf ihn.
KUNST ALS ERFAHRUNG
Bis heute erstaunt mich, wie schnell ich eine Zusage für dieses Gespräch erhielt - dass ein Künstler seines Ranges derart prompt auf eine Mail mit einer GMX-Adresse aus Deutschland reagierte. Ich vermutete, es könne daran liegen, dass ich nicht nur "Filmmaker" in meiner Email-Signatur stehen habe, sondern auch "Philosopher". Er bekam die Fragen vorab zugesandt und bereitete sich gut vor. Gleich in der ersten Antwort interpretierte er "Kunst als Erfahrung" des Philosophen (hier ein kurzes Video von mir mit einem Dewey-Zitat (Öffnet in neuem Fenster)) in seinem Sinne.
Eben nicht Kunst als Selbstausdruck, als Auseinandersetzung mit Kunstgeschichte, mit Konzepten und deren Destruktion, mit Originalität oder Material wie Farbe, sondern als Erfahrung. Kunst ist das, was Erfahrung mit Werken initiieren kann. Eine Praxis, die eine offene Wahrnehmung ermöglicht. Das sah er auch als Zentrum dessen, was Lichtenstein schuf - eine Spiel mit und rund um Wahrnehmung. In dessen Fall zunächst von Massenkultur, Unkunst, Schmutz und Schund wie Comics. Diese erwähnte Koons jedoch gar nicht - anders als alle anderen Interviewpartner. Es ging ihm um die Wahrnehmung als solche.
"Kunst als Erfahrung" bildet auch das Zentrum von Martin Seels "Die Kunst der Entzweiung", einst mein Philosophie-Prüfer und Gutachter meiner Magisterarbeit. Bei Seel formt ästhetische Rationalität die Erfahrung mit Kunst, macht sie erst zur Erfahrung. Sie erzeugt Kriterien für die Kunstbetrachtung, die Künstler und Kritiker gleichermaßen anleiten und Urteile über Kunst begründen helfen.
Das meinte Koons nicht. Manche Kritiker amüsieren sich darüber, dass Koons manchmal reden würde wie ein Esoterik-Papst. Man sollte auch nicht unterschätzen, wie viel "selbstermächtigende" neue Spiritualität in den USA bis in die New York-Times-Bestsellerlisten und die Show von Opra Winfrey im allgemeinen Diskurs zirkulieren, Eckhart Tolle nur einer von vielen prominenten Namen.
Koons Ansatz schien mir eher diesen oft indische oder chinesische Weisheitslehren aneignenden Sichtweisen zu folgen, allerdings ohne Anleihen bei Spiritualität. Er wolle, da knüpft Wolfgang Ullrich in "Identifikation und Empowerment" an, auf den ich zusteuere, den Betrachtern die Angst vor der Kunst nehmen. Die spiegelnden Flächen bezögen sie ein, wenn sie die Tulpen aus reflektierendem Stahl und den Balloon Dog betrachten, ebenso den sie umgebenden Raum. Sie verfremdeten ihn und veränderten so die Selbstwahrnehmung wie auch die der Umgebungen, in denen Werke präsentiert werden.
Der Farbhaufen (wenn man hier runterscrollt, kann man ihn sehen (Öffnet in neuem Fenster)), den er, in der Umsetzung fast Ingenieurskunst, aus einer Knete modellieren ließ, verändert die Wahrnehmung vom Material Farbe - keine geheimnisvolle Alchemie mehr in der Kombination von edlen Pigmenten und allerlei Lösungs- und Verbindungsmitteln mehr wie auf Tizians Palette, sondern ein übergroßer Haufen bunt, der zugleich an die Knete in Kinderzimmern erinnert.
Ich bin aufrichtig Jeff Koons-Fans, weil sich zumindest in den früheren Werken eine irrwitzige Komik findet; allerdings keine, die Kunst als Kunst aufheben würde. Es blitzte auch bei seinen im Interview geäußerten Anleitungen zur Lebenskunst mittels eine offener Wahrnehmung das Amusement auf, dass da nun ein europäischer TV-Dokumentarist ihm gegenübersitzt und er John Dewey referiert; nicht zufällig der gleiche Nachname wie jener Ralph Dewey, bei dem er die Ballon-Kunst abguckte. Er setzte sie jedoch in einem Material um, Metall, chromglitzernd, das mit schwebenden Elementen auf Jahrmärkten nichts mehr zu tun hat.
Wolfgang Ullrich zitiert in den Anmerkungen ein Statement von Koons, in dieser äußert, bei den Balloon-Dogs ginge es um Atem. Wieder eine Anspielung auf "fernöstliche" Weisheiten. In Meditationen führt die Konzentration auf den eigenen Atem zur Erkenntnis der Einheit mit dem Göttlichen. Der ironische Stachel einer solchen Deutung des eigenen Werkes verschwindet gerade nicht; dass eine Stahl-Skulptur mit dem Atem als göttlich gestiftetem Leben rein gar nichts mehr zu tun hat, ist auch Thema des Werkes.
Die doppelcodierte Maske der Interview-Persona Koons brach ein einziges Mal auf, als ich ihn fragte, ob der Kunstmarkt nicht auch seine Schattenseiten habe. Dann z.B., wenn man sich die irrwitzigen Summen ansehe, die für Lichtensteins Gemälde gezahlt werden. Er verstand diesen "kommerzkritischen" Ansatz gar nicht wirklich, glaube ich. Sonderlich amerikanisch ist der auch nicht. Alle US-Interviewpartner amüsierten sich eher über die selbstreflexive Business-Haltung amerikanischer Kunst spätestens seit der Pop Art, wo noch der Verkaufserfolg der Werke aus Lichtensteins erster Ausstellung in der Galerie von Leo Castelli als Teil des Gesamtkunstwerks verstanden wurde; ein gleichzeitig affirmatives und selbstironisches Amüsement.
Vielleicht wird diese Dimension in Europa zu wenig verstanden und sollte gerade von progressiven Kräften ernster genommen werden. Geld kann buchstäblich empowern. Muss das in allen Fällen schlimm sein? Koons antwortete außerhalb seiner TV-Rolle plötzlich mit demselben Gesichtsausdruck, den er zuvor trug, als er mir seine Kunstsammlung zeigte, dass doch gerade Lichtenstein durch die Etablierung seiner Kunst auf dem Markt und die daraus resultierenden Mechanismen ihm, Koons, überhaupt erst die Chance ermöglicht habe, in diesem Segment mitspielen zu können - dem Patti Smith-Fan aus der Provinz, der sich im CBGB herum trieb.
Koons formulierte Haltung zur Welt incl. Pop und Massenkultur war schlicht: wenn man seine Wahrnehmung urteilsfrei öffne, auch wieder ein "fernöstlicher" Einfluss, löse Dich von Bewertungen, könne ALLES empowern.
Wir drehten dazu Bilder von dem gesamten Extrem-Kitsch in den Touri-Shops rund um den Times-Square; würde man sich hinsetzen und die Objekte zeichnen (sie sind in diesem Video zu sehen (Öffnet in neuem Fenster)), dann würden auch sie schön, guckt man einfach genau hin und bewertet nicht.
DO IT YOURSELF: WOLFGANG ULLRICHS "IDENTIFIKATION UND EMPOWERMENT"
Die Balloon Dogs von Koons kann man im Miniaturformat auch in Touri-Shops auf der Reeperbahn kaufen. Hier knüpft Wolfgang Ullrich an. Sie werden - wie schon die Sonnenblumen Van Goghs als Reproduktion bei Ikea - Teil der eigenen Lebenswelt. Und laden ein zu "imitatio et aemulatio", imitiere und ahme nach; eine Formel, die Ullrich in "Identifikation und Empowerment" das ganze Buch hindurch anwendet und variiert. Als Praxis kann sie Teil der Künstler*innenausbildung sein; man gehe in den Louvre und kopiere die Meister, um zu lernen, wie sie gearbeitet haben. Für Ullrich ist diese Formel zentral im identifikatorischen Prozess in der Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie. Über Identifikation mit Kunstwerken und auch den sozialen Positionen, die sich in ihnen zeigen, z.B. Minderheitenpositionen, erfolge Empowerment. Das hat eine schwarze Künstler*in gemalt, dann ist das etwas, woran ich mich in meinen Praxen orientieren kann, um weiße Dominanz zu zerstören. Koons Balloon-Dogs konnten Empowerment, Selbstermächtigung, initiieren, weil sie adaptierbar sind. In Ullrichs Buch sind gehäkelte und gestickte Versionen ebenso zu bewundern wie Tattoos und Ballons-Dogs aus Weintrauben, allesamt gepostet bei Instagram. Die Angst und Ehrfurcht, die Koons Rezipient*innen von Kunst nehmen wollte, sie wich tatsächlich in einem lustvollen Spiel rund um seine Objekte, das längst ein Eigenleben gewonnen hat.
Identifikatorische und empowernde Praxen sind dabei für Wolfgang Ullrich etwas, das in der Kunstgeschichte immer schon aufzufinden war - betrachtet man alleine die christliche Ikonographie, die zwar auch Erhabenes inszeniert, aber auch allerlei Kitsch wie Madonnenstatuen auf Nachttische in katholischen Ländern manövriert und dabei zur Identifkation mit dem Glauben einlädt. Wie auch die mit dem Leben und Leiden Jesu selbst.
Die "autonome Kunst" der westlichen Moderne sei eher ein Spezialfall. Picasso hat allerdings auch in seinem Stil "Las Meninas" von Valesquez adaptiert, Van Gogh mit den "Kartoffelessern", auch anderen ländlichen Lebensformen wie dem Sämann, Empowerment für jene betrieben, die sonst eher nicht als Motiv in den Galerien der Reichen und Mächtigen sich zeigten. Deren für die städtischen Eliten empowernde Wirkung zerlegt Sartre bei seinem Gang durch das bürgerliche Kunstmeuseum einer Hafenstadt in "Der Ekel" wundervoll.
Ullrich rekonstruiert anhand eines Portraits Rubens' des spanischen Königs Phillip IV., wie dieser Gemälde Tizians von Phillips Ahnen kopierte (S. 101 ff.). Die Produktion dieses Bildes war eingewoben in ein Netz diplomatischer Beziehungen; Kunst vor der Moderne zeigte sich selten als zweckfrei, bildete ein Element in einem Netzwerk aus gesellschaftlichen Funktionen und diente immer auch der Repräsentation von Macht. Wie heute noch, wenn Reiche die Originale der Künstler für Abermillionen erwerben. Warhols initiierte eine Reihe lukrativer Gags, indem er als Auftragsarbeit Bilder von Prominenten im Stile seiner Marilyn-Reihe transformierte. Unter den Kunden fand sich u.a. Franz Beckenbauer. Was diesen empowerte, wie auch Historiengemälde jene, die sich mit der dargestellten Geschichte identifizierten. Inszenierungen heterosexueller Liebe festigen immer auch heteronormative Schemata. Wenn Schwule es dann auch so machen, dann gilt das plötzlich als "Identitätspolitik".
Solche sieht Ullrich auch bei Verteidigern der "autonomen Kunst" wirksam bis aggressiv sich behauptend - sie seien:
"vor allem um eine Absicherung der eigenen Identität bemüht(...). Da gibt es keinen Wunsch nach Veränderung, und man will sich nicht von etwas Fremdem herausfordern und inffrage stellen lassen." (S. 154)
Das zeige sich auch in Programmen des rechten Populismus. Der sei nix als ein "aktives, aggressives Sich-Wehren gegen Veränderung", einen "Triumph des Identifkatorischen in der Politik" (S. 155). Weil alles aus Minderheiten Stammende harsch bekämpft wird, manche schon verkrampfen, wenn ein schwarzer Nebendarsteller in einem Krimi auftaucht und keinen Verbrecher oder Serienvergewaltiger spielt oder eine Oper das ihr inhärent Queere, und das ist Oper IMMER, auch explizit zeigt.
Ullrich unterscheidet dabei drei Phasen von Empowerment (zusammenfassend auf Seite 156): eine erste,, in der es um Selbstermächtigung zu mehr Selbstvertrauen ging, eine zweite, im Paradigma des "progressiven Neoliberalismus", in dem an ökonomische Prozesse gekoppelt eine Konkurrenzfähigkeit auf Märkten durch Selbstoptimierung hergestellt würde. Die dritte münde in eine Selbstbehauptung durch die Kultivierung negativer Emotionen, die, permanent den Feind suchend und ihn in sozialen Medien auch findend, dann als Interventionsmaschinerien nur noch aggressiv die Attacke suchten.
Ich empfand die Kritik von Letzterem zugleich teilweise plausibel als auch reduktiv. Wenn in Bautzen Neonazis gegen CSD-Demos auflaufen, muss man die nicht erst in sozialen Medien suchen, um sich an Feindbildern abzuarbeiten. Mag auch in der Kunst es noch einigermaßen kultiviert zugehen, so lebt man in einer permanenten Konfrontation mit der Macht der Mehrheitsgesellschaft auch dann, wenn man sie gar nicht sucht, sondern nur einfach existiert. Z.B. in Auseinandersetzung mit WDR-Redaktionen, die queere Themen erst ab 23 h senden wollen - wegen des konservativen Publikums.
Auch Wut bildet in anderen Künsten eine treibende Ausdrucksform, so im Punk oder im Hip Hop. Rückbezogen auf die Ausführungen von Mittwoch (Öffnet in neuem Fenster) entstehen Künste immer und notwendig in einem lebensweltlichen Kontext und finden Wege, sich so oder so kreativ zu ihm zu verhalten. Pollocks Action-Painting-Energie, frei gesetzt in beinahe performativen Praxen, entlud sich nicht zufällig zum durch und durch sozial situierten Bebop. Den hörte er beim Spritzen, Gießen, Tropfen. Wenn Mark Rothko sich dem entziehen konnte, dann auch, weil er die von afrikanischen Rhythmen durchsetze Virtuosität eines Charly Parker oder Dizzy Gillespie nicht nötig hatte. Sie übertrumpften auf diese Art mit Witz und Können ihre weißen Kollegen, während sie in manchen Landstrichen noch nicht einmal das gleiche Clo benutzen durften. Man sucht auch nicht das Feindbild AfD in Sozialen Medien, wenn dieses ganz real politisch fordern, Geflüchtete von Volksfesten auszuschließen. Die machen ganz von selbst auf sich aufmerksam. Auch im Kunst- und Kulturkontext.
Klar, bei der Fokussierung auf diese "Feinde" stehen zu bleiben, das nagelt am Gegner fest, bleibt auf ihn bezogen.
DESIDENTIFIKATION, DECODING, CAMP
Meine These ist somit, dass man die am Mittwoch hier referierten Praxen (Öffnet in neuem Fenster)der Desidentifikation und des Encoding-Decoding nicht ignorieren sollte. Sonst entgeht einem auch die Ironie, die in Künsten von Marginalisierten sehr tief drinsteckt. In einer Passage in dem Buch von Ullrich taucht der Gedanke auf, Ironie sei out. Das mag in vielen Bereichen aktivistischer Kunst so sein und verdankt sich einer immens brutalen Gegenwart. Eine ironische Haltung zum Massensterben im Mittelmeer gelingt mir auch nicht.
Gerade im HipHop als nicht bildender, aber eben auch Kunst, steckt nicht nur, wie derzeit überall erwähnt wird, in manchen seiner Bereiche voller Antisemitismus - was leider der Fall ist. Auch auf Sexismus können diese Praxen nicht reduziert werden, mag er zweifelsohne eine Rolle spielen. Er artikluliert eine in vielen Bereichen irrwitzige Ironisierung der Ghettoisierung von Schwarzen in den USA - bei ICE T oder Snoop Dogg zum Beispiel. Letzterer spielt in einer Radikalität mit Klischees, die Weiße als Sozialisierunginstanz im Bezug auf Schwarze eingehämmert bekommen, dass man nicht mehr weiß, ob man lachen oder weinen soll. In der schier unfassbar virtuosen Performance von Anderson Paak bei den Tiny Desk-Konzerten (Öffnet in neuem Fenster)wechselt dieser fortwährend zwischen Selbstironie und intensiver, aufrichtiger Emotion und reflektiert noch den eigenen Sexismus so, wie Weiße das schon deshalb gar nicht könnten, weil sie sich in anderen sozialen Zusammenhängen bewegen. Dieses Vexierspiel scheint mir konstitutiv für viele Praxen aus Black Communities zu sein. Die Aneignung dessen verändert den Inhalt, löst sie sich von der sozialen Positionierung, wie nirgends deutlicher wird als beim N-Wort.
Für queere Kunst ist bis heute Camp konstitutiv - ein durch und durch auch, aber nicht nur ironisches Spiel, das allenfalls vollständig verbürgerlichte Künstler*innen bleiben lassen. Da ist immer auch Pastiche, ein Spiel mit Klischees nicht der Identifikation, sondern der Desidentifkation von Sichtweisen der Mehrheitsgesellschaft wirksam. Eine Als-Ob-Ästhetik, die alles durchdringt und umcodiert.
KOONS ANEIGNUNG VON CAMP
Gerade auch Jeff Koons als Vater von 6 Kindern, der sich einst mit seiner Pornostar-Gattin Cicciolina alias Ilona Staller in der "Made in Heaven (Öffnet in neuem Fenster)"-Serie medienwirksam inszenierte, arbeitet durchgängig mit Camp. Die "Made in Heaven"-Reihe sieht nicht zufällig so aus wie die Werke von "Pierre & Gilles (Öffnet in neuem Fenster)", die schon zuvor aktiv waren. So absurd sich das liest: die Kunst von Koons ist stockschwul. Das Spiel mit Oberflächen - weil wir einst das, was wirklich in uns vorging, zu verbergen hatten - stammt aus diesem Zusammenhang. Was bei Lichtenstein als Hetero-Künstler noch mit einem kritischem Stachel arbeitete, den Comic-Vorbildern Ausdruck und Emotion im Abmalen zu rauben, mündet bei Warhol in reine Affirmation, wenn er seine silbernen Ballons in Galerien schweben ließ. Vermutlich auch das ein Vorbild für Koons.
Die überdimensionierten Hummelfiguren (Öffnet in neuem Fenster) - um sie herstellen zu können, reiste Koons nach Bayern, weil er die Herstellung von Rokoko-Elementen in dortigen Kirchen studierte - hätten als Brachialkitisch auch genau so gut von schwulen Freunden von mir gesammelt werden können. Sie sind so furchtbar und drüber, dass sie schon wieder gut sind. In "Männerliebe" von Kraushaar/Frings, einem der wenigen schwulen Bücher in einem Großverlag in den frühen 80ern, sitzt Corny Littmann vor einer solche Figurensammlung. Ich finde das Buch gerade nicht und weiß nicht mehr, welche es waren, ob Gartenzwerge oder Stoffhasen, aber es hätten auch Hummelfiguren sein können. Und dann noch so übergroß in den Raum gestellt. Ich glaube auch nicht, dass Koons in der Werkphase seiner Banalities-Reihe Sammler von Hummelfiguren empowern wollte (oder Michael Jackson (Öffnet in neuem Fenster)). Klar, bei ihm weiß man nie, was er meint. Aber ich bezweifele, dass es ihm in diesem Tweet einfach nur um Empowerment ging:
Dass Empowerment besteht darin, dass Figuren aus einem Kontext außerhalb der Kunst als Kunst aufgeblasen wurden. Wie das Urinal von Duchamp, wenn es vergrößert worden wäre. Die Radikalität von Koons besteht darin, das, was an kunsthandwerklicher Produktion am quersten zu allem stand, was mit Coolness, Stil und diesen ganzen 80er-Jahre-Haltungen in Verbindung gebracht werden konnte, im Kunst-Zusammenang präsentierte. Er raubt - anders als beim Balloon-Dog - diesen Figuren aber nicht die Scheußlichkeit, sondern lässt sie ins Monströse wachsen. Das ist - wie bei Lichtenstein - Anti-Kunst in dem Sinne, dass der Provinzler den New Yorkern (und Kölnern, da wurden sie auch ausgestellt) das in der Galerie positionierte, was seine Nachbarn auf ihren Kaminsimsen stehen hatten oder in hübsch inszenierten Setzkästen an deren Wand hing. Daneben standen aber auch Skulpturen von zerteilten Frauen (Öffnet in neuem Fenster).
In dem Tweet mit Bär und Polizist, das auch Wolfgang Ullrich in seinem Buch abdruckt, geht es Koons aber meines Erachtens nicht primär um Empowerment. Ich lese es eher als Witz darüber, dieser Skulptur diese Art politisierter Interpretation angedeihen zu lassen. Wie alles bei ihm artikuliert er sich mehrfach codiert. Was ich persönlich sehr lustig finde.
FAZIT ZU "IDENTIFIKATION UND EMPOWERMENT" VON WOLFANG ULLRICH
Das Buch von Wolfgang Ullrich ist definitiv sehr lesenswert. Es liegt in sehr vielem sehr richtig, ist kunsthistorisch belehrt, wie ich als Pop-Heini das nie sein werde, zeigt viele aktuelle Praxen auf, von denen ich noch nie gehört habe. Man kann die 3 Phasen des Empowerments als Strukturmodell sehr gut diskutieren. Ullrich macht selbst mit feiner Ironie deutlich, wie gerade konservativ gewordene Verteidiger der "autonomen Kunst" genau das machen, was sie den "Bilderstürmern" vorwerfen - rund um dieses Thema sind spannende und ausführlich Passagen in "Identifikation und Empowerment" arrangiert, auf die ich hier nicht eingehe. Viele der nicht sonderlich subtilen aktivistischen Empowerment-Praxen analysiert er treffend, aber ich bin mir nicht sicher, ob er deren lebensweltliche Verortung in jedem Fall richtig begreift.
Das Buch zeigt sich jedoch hier und da meines Erachtens vereindeutigend in den Fällen, in denen es um Praxen des Umcodierens und der Mehrfachcodierung wie auch der Desidentifikation geht. Dabei bilden diese gerade dann, wenn sie aus marginalisierter Sicht erarbeitet werden, einen ausdifferenzierten Raum, der auch sehr lustig und gar nicht nur wütend sein muss, voller Selbstironie steckt. Das hätte vertieft werden können.
Es lebe Camp!
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