Kann eine Beziehung zu harmonisch sein? (Artikel aus 2017)
Vor 4 1/2 Jahren waren mein damaliger Verlobter und ich mit Freunden in der Toskana. Wir feierten eine Hochzeit und waren einige Tage davor und danach noch da. Eines Abends fand ich mich mit zwei der Frauen auf dem Balkon bei einer Zigarette wieder und irgendwann kamen wir auf die Themen Männer, Frauen und Beziehung. Plötzlich sagte die eine Frau, die ich erst ein paar Tage kannte, zu mir: "Also so eine harmonische Beziehung führen wie ihr, das könnte ich ja nicht." Das kam wie aus dem Nichts für mich und übermittelte mir gleich mehrere Informationen. 1) Mein (noch nicht) Mann und ich hatten eine bestimmte Außenwirkung. 2) Man machte sich Gedanken über diese Außenwirkung. 3) Unsere Art, eine Beziehung zu führen, ist nicht nachahmenswert?
Ich antwortete nur knapp: "Äh, okay?" So ganz wusste ich nichts zu erwidern. "Ne, ernsthaft, ihr seid immer so nett zueinander und ihr seid immer einer Meinung." Ich war mir immer noch keiner Schuld bewusst. "Bei euch reibt sich gar nix, streitet ihr eigentlich auch mal?" So langsam dämmerte mir, in welche Richtung das Gespräch ging.
Meine beste Freundin, deren Hochzeit wir auch feierten, stimmte ihr zu. "Ja stimmt, bei denen ist immer alles nett und freundlich und die motzen sich nie an. Das könnte ich ja nicht, ich brauche es, dass die Fetzen fliegen, sonst ist es langweilig. " Ein bisschen geriet ich schon Richtung Abwehrhaltung. Mich für meine gut funktionierende Beziehung entschuldigen zu müssen, war mir zuvor auch nicht untergekommen.
Aber die beiden hatten Recht. Obwohl wir da erst ein starkes Jahr zusammen waren, fügte sich bei uns vieles fast von allein. Nach ein paar Monaten Fernbeziehung zogen wir zusammen und verlobten uns zwei Monate später. Im Herbst 2013 heirateten wir, wurden Kollegen und starteten die Familiengründung. 2 Fehlgeburten, 2 Kinder, eine Trisomie 21-Diagnose, einige wunderschöne Urlaube, einige Trauerfälle, einen Hauskauf und ein paar Krankenhausaufenthalte später sind wir nun hier angekommen.
Ich weiß nicht, ob man uns auch heute noch als harmonisch bezeichnen würde, aber unsere Beziehung hat nichts von dieser damaligen Substanz eingebüßt. Mein Mann und ich sprechen immer noch freundlich, höflich und liebevoll miteinander und voneinander. Kommunikation wird bei uns groß geschrieben, nicht zuletzt, weil mein Mann ganz am Anfang den Satz "Nichts unausgesprochen lassen" geprägt hat. Dies gilt für Ärger, Wut, Enttäuschung sowie für alle positiven Gefühle. So kann es schon mal vorkommen, dass mein Mann im Auto zu mir und den Kindern sagt "Ach, ich lieb euch halt einfach so."
Und natürlich streiten wir. Aber eigentlich eher selten. Und wenn, dann liegt es an schlechter Laune, an stressigen Umständen oder weil einer von uns wirklich Mist gebaut hat. Aber auch Letzteres ist immer Ansichtssache. Eigentlich messen wir alle Streitereien an DEM großen Streit vor genau zwei Jahren, als wir uns uneinig waren, ob die Schränke über dem Babybett hängen bleiben oder nicht. Wir erinnern uns deswegen so gut daran, weil der Streit sich vom Vortag unseres Hochzeitstages in den nächsten Tag reinzog und ich auf sein fröhliches "Happy Hochzeitstag" ein mürrisches "Dir auch" raus brachte. Nach dem Frühstück montierte er die Schränke ab (Anmerkung: er montierte die Schränke ab, weil er sich von mir überzeugen ließ, nicht weil ich mürrisch war).
Die Beziehung zu meinem Mann ist das, was ich mir mein Leben lang gewünscht habe. Vertrauen und Vertrautheit werden von gleichen Lebenseinstellungen und Interessen komplettiert. Und dann ist da noch was, was sich so gar nicht in Worte fassen lässt. Diese Vollständigkeit und gleichzeitige Individualität; ich spüre uns und gleichzeitig mich. Als Vater ist er großartig, was sich auch auf unsere Ehe positiv auswirkt, denn sein größter Wunsch ist es, dass ich und die Kinder glücklich sind. Gleichzeitig möchte ich ihm immer etwas Gutes tun. Manchmal reicht es aus, ihn zu fragen, wie es ihm geht; manchmal muss ich ihn dafür in die Sauna schicken, damit er abschalten kann.
Zwischendurch kann ich es immer noch nicht fassen, wie viel Glück wir gehabt haben, einander gefunden zu haben. Nach fast 15 Jahren in verschiedenen Beziehungen, die von viel Wut, Eifersucht, Mißtrauen, passiver Agressivität und auch Gleichgültigkeit gefüllt waren, ist es immer noch einfach einfach, ihn zu lieben (Anmerkung: auch drei Kinder und eine Pandemie haben nichts daran geändert). Und irgendwie begann ab da auch eine neue Zeitrechnung. Wir sind erst seit 5 1/2 Jahren zusammen und trotzdem fühlt es sich schon so lang an, weil wir schon so viel erlebt haben. Gleichzeitig fangen wir doch auch grad erst an.
Manchmal scherze ich und sage "Und falls du dich mal scheiden lässt, will ich aber das Sofa. Das kannst du dann aber erst in frühestens 10 Jahren, da haben wir dann auch XY abbezahlt." Dann schaut er unverständlich, als könne er mit meinen Worten nichts anfangen. Aber wir beide wissen, dass nichts von all dem, was wir leben, selbstverständlich ist; nicht die Gesundheit unserer Familie, nicht das gute Miteinander, das Geld auf unserem Konto, das (meist) saubere Haus. Wir arbeiten (in doppelter) Hinsicht für alles und an allem und sind dankbar, dass es uns so gut geht. Und all das resultiert in einer harmonischen Beziehung, für die ich mich auch nach 4 Jahren Ehe überhaupt nicht rechtfertigen muss.
Und weil ich weiß, dass du das hier liest:
"Dieser eine Ring, bedeutet Entscheidungen niemals alleine treffen zu müssen, voll und ganz zu dir zu gehören......Und das ist es, was ich mir für den Rest des Lebens wünsche: dich und mich (und die Jungs), das Echte, das Unperfekte.
Hyvää Houmenta, elämäni rakkaus!"
(Anna Mendel, im Herbst 2013)