Zum Hauptinhalt springen

Wie umgehen mit dem 0-1-Dilemma in der Klimapolitik? Mein Plädoyer zur #BTW25

Das Klimaschutzgesetz verpflichtet dazu, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu mindern und legt durch sektorenbezogene Jahresemissionsmengen die bis dahin geltenden Reduktionspfade fest (§ 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2). (…) Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt. Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folgt auch aus dem Grundgesetz.

Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021 (Beschluss vom 24. März), aus dem Robert Habeck von Bündnis90/Die Grünen am 11.2.2025 in seiner letzten Rede im 20. Bundestag zitierte. (Link Beschluss (Öffnet in neuem Fenster), Link Rede Habeck (Öffnet in neuem Fenster))

Einsicht in die Notwendigkeit

Kein Zweifel: diese Bundestagswahl hat es in sich. Politisch engagierte Menschen wie ich schielen auf das zu erwartende Chaos nach der Wahl und fürchten uns jetzt schon vor den Wahlen danach. Dieses Gefühl ist neu. Für mich (als Politikwissenschaftlerin und langjährige, wissenschaftlich motivierte Begleiterin von Veränderungsprozessen) signalisiert dieses Bauchgrummeln auch, dass es um mehr geht als sonst. Daher habe ich mir mit diesem Text vorgenommen, auf den Grund meiner Irritation zu schauen. Denn für mich persönlich sind die politischen Entscheidungen, die zu treffen wären, klar: die Transformation in eine Wirtschaft und Gesellschaft, die imstande ist, die Klimakrise zu bremsen.

Ich bin ehrlich traurig darüber, dass die “Fortschrittskoalition”, die alle wesentlichen politischen Positionen zur Aushandlung eines innovativen, grünen und gerechten Übergangs in eine klimaneutrale (soziale Markt-)Wirtschaft vereint hat, so krachend gescheitert ist. Nun stehen wir vor einem Scherbenhaufen, bei dem es sich an manchen Tagen so anfühlt, als gäbe es eine Zwangsläufigkeit, in eine autokratisch geprägte Zeit hineinzustürzen wie unsere alte brotherhood, die USA, brutal, rassistisch, Naturgesetze und Menschlichkeit verachtend. Gleichzeitig spüre ich entschiedene Gegenwehr, nicht nur in mir. Wenn ich die schrillen Kanäle abschalte, ins direkte Gespräch gehe, wenn ich zuhöre oder einen längeren Text lese, wenn ich in von mir kuratierte Feeds und ausgewählte Gruppen gehe, dann sehe ich schnell, wie groß die Sehnsucht einer erquicklichen Zahl Menschen ist, eine gemeinsame Zukunftsvision zu entwickeln.

Genau dazu sind Demokratien in der Lage. Demokratien sind anderen Staatsformen überlegen, weil sie dazulernen können. Das ist die Position, aus der heraus dieser Text entsteht - ein Versuch, einige alte Tugenden politischen Handelns zurückzuholen.

Beginnen wir mit den demokratischen Tugenden:

Freiwilligkeit. Sie ist ein hohes Gut in demokratischen Gesellschaften. Zwang ist, nicht nur psychologisch, ein schlechtes Mittel, um zu überzeugen. Ich durfte mitwirken an einem Projekt, das untersucht hat, wie Mobilitätsverhalten nachhaltiger werden und welche Rolle Kommunikation dabei übernehmen kann. Persuasion, nicht Manipulation, war ein wichtiger Rat der Wissenschaft. Ein anderer, dass Veränderungsimpulse dann verfangen, wenn der Vorher-Nachher-Vergleich positiv ausfällt. Die banale Frage: Lohnt sich das für mich?, ist präsenter als manche im politischen Betrieb sich das wünschen.

Das macht Demokratien aber nicht zu Serviceanstalten. Denn zur demokratischen Tugend zählt auch die Einsicht. “Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit”, wusste schon Friedrich Hegel. Die Einsicht in die Notwendigkeit ist Teil der Job Description als Bürger*in in einer Demokratie. Auch wenn radikale Parteien anderes suggerieren wollen: es gibt keinen zumutungsfreien Zustand in einer Demokratie. Insbesondere nicht in Krisenzeiten.

Kontinuität und Wandel

Eine Meta-Krise besonderer Art ist die Klimakrise. Bewältigen wir sie nicht, geht die Welt, wie wir sie kennen, unter. Selbst der Bundesnachrichtendienst sieht die Klimakrise als Sicherheitsrisiko. (Link (Öffnet in neuem Fenster)) Die Erderhitzung ist der Prüfstein unserer Wandlungsfähigkeit, weil sie sich als schiere Naturgewalt, als Empirie, ungefragt und ungeniert in unser Bewusstsein, unser Leben drängt. Nach zahlreichen Verzögerungstaktiken waren wir zuletzt auf einem guten Weg. Die Einsicht in die Notwendigkeit war, so schien es, gelungen. Mehr oder weniger seufzend haben wir die Notwendigkeit von "hohe Spritpreise" und "Stau" (so viel zum Thema: früher war alles besser) gegen die Notwendigkeit von "Bahnverspätung" und "im Regio stehen" getauscht. Wir haben "teuren Hauskauf" gegen "teure Sanierungskosten" getauscht und einige Findige auch "hohe Cholesterinwerte" gegen "vegane Wurst essen". Unternehmen haben begonnen, ihre strategischen Entscheidungen auf Klimatauglichkeit zu überprüfen. Die CSRD-Richtlinie mit ihren verschiedenen Berichtspflichten soll dafür europaweit Vergleichbarkeit schaffen und die Frage klären, wo der Fokus klimaneutralen Wirtschaftens liegen sollte. So weit so klar.

Weil Politik ihre Vorbildfunktion in den letzten zwei (mehr war’s nicht!) Jahren vorschnell aufgegeben hat, taumeln Menschen und Unternehmen, die die neuen Notwendigkeiten gerade begonnen haben, zu akzeptieren, wieder. Das Notwendige erscheint doch zu unbequem. Sie haben das Gefühl, etwas Besseres mit etwas Schlechterem getauscht zu haben. Was auf dem Weg hin zum Neuen ja oftmals stimmt. Steffen Mau (Mau, Steffen: Keine Zeit - Zum Verhältnis von politischen Entscheidungen und sozialem Wandel in: Merkur, Heft 907, Dezember 2024, 78. Jahrgang, S,5-23) beweist in seinem lesenswerten Aufsatz mehr Langmut mit den “Nachzüglern” (12) als ich. Politik, so Mau, müsse mit diesen “temporale[n] Ungleichzeitigkeiten” umgehen: “Auf die Langsamen warten verprellt die Schnellen; die Schnellen den Takt vorgeben zu lassen, kann Reaktanz und Bremsverhalten auslösen, was die ganze Entwicklung ins Schlingern bringt …”. (22) Aber auch Mau sagt, dass Politik eben nicht “statischer” sein dürfe als die Gesellschaft, Politik müsse sie “zukunftsfähiger machen und gesellschaftliche Veränderungskompetenzen stärken”. Er schließt:

“Die Kontinuitätsbedürfnisse der Gesellschaft sollen zwar in der Politik einen Adressaten haben, die Politik darf aber nicht in ihnen aufgehen.”

Steffen Mau (2024, 23)

Diese Aussage ist insofern bedeutsam, dass ich den Eindruck habe, die meisten Parteien hätten diese hehre, wichtige Aufgabe in diesem kurzen, heftigen Wahlkampf dreingegeben. Vielleicht fehlte die Zeit, sich klarzumachen, was auf dem Spiel steht? Es ist, als sei den meisten Spitzenkandidierenden die Vision der Welt abhanden gekommen sei. Der Paritätische Wohlfahrtsverband gibt aktuell einen guten Überblick über Positionen der Parteien in der Klimapolitik (und lässt konsequenterweise die AfD weg, eine Haltung, die ich ausdrücklich unterstütze): Link (Öffnet in neuem Fenster). Der Ehrgeiz ist, freundlich formuliert, bei den meisten Parteien verhalten. Aktiv zur Sprache bringen es in Gestalt Robert Habecks in diesem Wahlkampf nur Bündnis 90/Die Grünen.

Klimakrise: 0 oder 1

Auf eine Person wie mich, Mau würde mich wohl “Pionierin” nennen, wirken die meisten klimapolitischen Agenden, naja, mau. Die Klimakrise ist schließlich eine echte Systemkrise. Wir haben ein Experiment gestartet, dessen Versuchsaufbau wir gerade erst verstehen (wollen). Die Konsequenzen lassen sich für viele erstaunlicherweise immer noch ausblenden. Gut, wir als Menschen können nicht sonderlich mit der unsichtbaren Gefahr umgehen, wie schon Ulrich Beck in seinem Hauptwerk “Risikogesellschaft” 1986 feststellte. Das gilt nicht nur für Atomkraft oder Viren, sondern auch für wirr klingende Ankündigungen von radikalen Politiker oder dräuende Naturkatastrophen. Die Klimakrise fordert antizipierendes Verhalten, kein opportunistisches Reagieren. Es drohen Naturkatastrophen, Klimaflüchtlinge, die Vernichtung von Eigentum und Lieferketten gefährdet Wirtschaft und Gesellschaft. Es mag sein, dass reiche Staaten sich selbst mit teuren Maßnahmen vor den Extremwetterereignissen schützen können, aber gegen die Flüchtlingsströme und zusammenbrechende Lieferketten und gegen die durch das Verschweigen der Realitäten eintretende diplomatische Krise ist kein Kraut gewachsen. Ein stabiles Klima bedeutet eine stabile Gesellschaft (für alle). Die Klimakrise einzudämmen, schützt die Demokratie

Die Klimakrise ist eine "0 oder 1"-Frage.

Irritierenderweise wird die Klimakrise vermehrt als verhandelbare Tatsache dargestellt. Von rechten Parteien wird sie kurzerhand in die progressive Arena verschoben, zu den ganzen anderen "hippen" Themen. Es wirkt, als ob mit dem Pariser Klimaabkommen 2015 und den darauffolgenden Selbstverpflichtungen von Ländern und Regionen (EU Green Deal 2019) der Höhepunkt der Vernunft erreicht worden wäre. Heute, im Jahr 2025, haben gerade einmal zehn von knapp 200 Staaten einen Klimabericht bei der UNO-Klimakonferenz eingereicht.

Das Pariser Klimaabkommen machte die Klimakrise endlich zur “0 oder 1”-Frage. Akzeptieren wir, dass wir auf eine Klimakatastrophe zurasen und nur eine Änderung unseres Lebensstils sie verhindern kann? (1) Oder ignorieren bzw. negieren wir ihre Auswirkungen auf unser System - und damit auch die Rationalität unseres Handelns, die Wissenschaften, die Fähigkeit, das noch Unsichtbare zu berücksichtigen? (0). Es ist eine Ja-Nein-Frage. 200 Staaten sagten: Ja (1).

Daher ist die Ver-Optionalisierung der Klimapolitik so tragisch. Im Wahlkampf blenden auch die Parteien, die grundsätzlich pro Klimaschutz sind, das Thema zunehmend aus. Das "Kanzler-Duell" von Scholz und Merz war ein unrühmlicher Tiefpunkt eines politischen Diskurses. Die Klimapolitik-Kommunikationsverweigerer berufen sich auf Rückfrage auf externe Gründe:

  • die Desinformation über Social Media habe die Menschen gegen nachhaltige Politik aufgestachelt,

  • die schlechte politische Kommunikation (derer, die doch hauptberuflich verantwortlich seien dafür seien, dass die Klimakrise ordentlich kommuniziert wird, also diese Grünen) habe Wunden hinterlassen,

  • das fossile Oligarchat stachele alle gegen die auf, die laut Klima sagten.

Ihnen seien gerade die Hände gebunden, sorry. Aber grundsätzlich sei man dafür, auf jeden Fall!!!

Dem Teufelchen ein Schnippchen schlagen

Bloß: Teufelchen gab's schon immer! Jene Stimme, die uns einredet, dass nichts tun besser wäre, Ausreden erfindet, uns vom Guten abhalten will. In der "Einsicht in die Notwendigkeit" steckt schon der Kampf gegen das Teufelchen. Der Witz ist, dass wir als aufgeklärte, demokratische Gesellschaft in der Lage sind, der ewigen Versuchung, die ins eigene Verderben führt, am Ende zu widerstehen. Weil wir genug kollektive Intelligenz haben, um einen Schritt weiterzudenken, uns gegenseitig zu korrigieren, auf Spur zu halten. Die Folgekosten unseres Handelns mit zu bedenken. Die USA ist ein schreckliches gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn man das Schlunzig-Einfache der Wahrheit vorzieht. Übrigens lügen die Teufel in all den Märchen, Mythen und Theaterstücken nie, wenn sie Kosten für den schnellen Druckausgleich avisieren - wer weichgespülten Klima-Populismus liebt, sollte bis zum Ende zuhören (oder Goethes Faust nochmal lesen). Gute Politik ist es, diese Kosten der Klimaleugnung nachdrücklich zu benennen - falls einem keine eigene Vision einfällt.

Nach Osten schauen

Andere Staaten, die weniger sentimental sind als wir oder nichts zu verlieren haben, sind mutiger. Sie haben den Versuchsaufbau nüchtern analysiert. Gerade die "bösen Buben" investieren derzeit entschieden derzeit in die grüne Technologien, das war mein Take Away aus meinem Besuch der COP29 in Baku (Link Podcast (Öffnet in neuem Fenster)). Das hart verhandelte Petrolgeld wird für grüne Innovationen genutzt. Das ist für uns im Westen misslich. Denn die Geschwindigkeit, mit der China oder die arabischen Länder ihre sauberen Visionen (Neom City, White City Baku, Fusionsreaktorforschung China) vorantreiben, hat auch mit dem stummgestellten Megaphon dort zu tun. Dort hat man alle Zeit, weil Politik den Wandel Top-Down verordnen kann, Freiwilligkeit oder gar Einsicht wird erzwungen statt ausgehandelt.

Umso wichtiger ist es für demokratische Staaten, den klugen Kern der grünen Transformationen zu verstehen. Autokratisch regierte Länder handeln zum eigenen Vorteil, eine planetare Verantwortung interessiert sie wenig. Den normativen Impetus, das Richtige tun zu wollen, zeichnet gute demokratische Politik aus. Nutzt ihn!

Denn die Veränderung, sie läuft ja längst.

Transformation: by design or by desaster?

Mit der nächsten Bundestagswahl entscheiden wir in Deutschland als Wirtschaft und Gesellschaft de facto nur noch: Wirds eine transformation by design or by desaster? Setzen wir uns der Klimakrise aus, indem wir sie so gut wie möglich ignorieren (desaster) oder beeinflussen wir den Versuchsaufbau nun mit möglichst vielen Partnern, nun da wir verstanden haben, worum es geht (design)?

Vielleicht hilft es, zu wissen, dass in jeder "transformation by design" auch ein bisschen Desaster liegt. Das liegt an den Notwendigkeiten - sie nerven immer. Das liegt am Trial and Error im Wandel. Das liegt daran, dass Veränderungen eine Zeitlang schmerzen, bis wir sie verinnerlicht haben. Dass liegt daran, dass eine Transformation erstmal Visionen sind. Weil es dauert, bis sichtbar ist, wovon wir reden.

Mit der nächsten Bundestagswahl entscheiden wir in Deutschland nur noch: Ist es eine transformation by design or by desaster? Setzen wir uns der Klimakrise aus, indem wir sie so gut wie möglich ignorieren (desaster) oder beeinflussen wir den Versuchsaufbau nun, da wir verstanden haben, worum es geht (design)?

Visionen sind im Grunde unbegreiflich, vor allem sind sie nicht operationalisierbar. Visionen sind Interpretationsräume, Möglichkeiten, Zukünfte. Leider haben wir im eilfertigen Designen und Managen den visionären Kern unseres Arbeitens, Fühlens und Handelns vernachlässigt (Das geht schon länger so: “Wer Visionen hat, kann zum Arzt gehen”, sagte schon Helmut Schmidt). Daher gibt es auf dem Markt der Visionen gerade nur Dystopien zu kaufen. Die letzte gesellschaftspolitische Vision in Deutschland ist rund 20 Jahre her: Die Agenda 2010 - ein großer sozialer Wandel, der nicht ohne Zumutungen auskam. Aber sie wurde als große Schicksalsentscheidung erzählt - und gelang schlussendlich.

Deutschland allein wird die Klimakrise nicht lösen, stimmt! Als wirklich große Volkswirtschaft und heimlicher Zampano in Europa haben wir aber (noch) eine Vorbildfunktion die wir nutzen können. Und für unser Ego wäre es ja auch ganz gut, wenn wir wieder “wer sind”.

Bloß kein zäher Kaugummi

Haben wir überhaupt noch Zeit? Das böse Wort von der Reaktanz taucht immer dann auf, wenn jemand sagt: los jetzt!

Was Handlungsdruck unter Zeitnot kaputt machen kann, haben wir in der Pandemie erlebt. Die Dringlichkeit hat dazu geführt, dass viele die Macht des Staates zum ersten Mal gespürt haben. Die Freiwilligkeit war effektiv eingeschränkt. Die Einsicht in die Notwendigkeit wurde zu Beginn noch in den Blick genommen (Merkels erste Coronarede 2020), aber eine Situation, die zäh ist wie ein Kaugummi, bleibt zäh wie ein Kaugummi, wenn wir immer den gleichen Kaugummi angeboten bekommen. Am Ende blieben nur die Notwendigkeiten, die Einsicht dafür wurde strikt eingefordert. Ein Staat, der im Normalfall abstrakt (unsichtbar) war, stand plötzlich an jeder Ecke. Ich verstehe schon, dass Menschen mit DDR-Biographie ein schlimmes Deja-vù erlebt haben, als der Staat sich als Mikromanager unseres Privatlebens gerierte.

Mein Learning aus Corona? Ich denke, die politischen Akteuren haben, selbst unter starkem Druck, keine gute Figur gemacht. Es gab wenig Raum zum Nachdenken und keine Worte dafür, dass wir nun mal Teil eines Live-Experiments sind, in dem wir gemeinsam lernen! Der Staat muss künftig und das gilt auch für die Klimakrise wesentlich sorgfältiger umgehen mit seiner Superkraft, den Laden zusammenhalten zu dürfen (Leviathan, Hobbes). Eine sorgfältigere Kommunikation statt Kaugummi-Rhetorik sind angebracht, wenn es um eine sichtbare, harte Veränderung von Alltagsroutinen geht. Denn Zeit allein hilft uns hier nicht - sie wird ja auch vom Teufelchen genutzt, um sich in Stellung zu bringen. Das zeigen gerade die Verläufe klimapolitischer Maßnahmen: Wir starten energisch und bremsen dann hart oder lassen nach ersten Erfolgen den Ehrgeiz fahren (Erneuerbare Energien, Verbrenner-Aus). Ob der sehr lange Zeitraum bis zum Kohleausstieg klug ist, bezweifle ich. Zu viel Zeit für Widerspruch.

Das heißt, wir haben gerade zu viel und zu wenig Zeit. Einerseits sind wir noch geschwächt von der druckreichen Coronapolitik und empfindsam gegenüber neuen Zwängen in der Klimapolitik. Andererseits läuft unser Leben noch so normal weiter, dass wir Zeit genug haben, die Maßnahmen als solche anzugreifen. Das führt dazu, dass sich die Klimapolitik wie die schiere Fortsetzung der Coronapolitik anfühlt. Nach dem Arm zum Impfen werden nun, so heißt es, andere hautnahen Themen angegriffen: das "heiligs Blechle" Auto und die "eigene Scholle" Haus. Eigentum verpflichtet - ja, aber soo doch nicht!

Die Frage ist: Wie ändern wir die Perspektive? Wie erhöhen wir die Einsicht in die Notwendigkeit (wieder)?

Lernzeit

Dass wir an den Dingen hängen und sie unsere Gegenwart genauso mitgestalten wie Menschen, ist ein interessanter Nebenbefund der Klimadebatte. Sie kann helfen, die politische Klimarhetorik achtsamer zu gestalten. Man muss aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und sagen: ach so, das wollt ihr nicht. Ne, dann lassen wir es ganz (CDU-Wahlprogramm 2025, Abschaffung Heizungsgesetz). Warum? Weil Mobilität, fossile Energien und Bauen dicke Klimakiller sind und ohne Lösungen bei diesen Bereichen keine Klimapolitik gelingen kann. Wenn sie weder bei der Mobilität noch bei den fossilen Energien und dem Bauen CO2 sparen möchte - wo sparen wir dann? Das sind die Fragen, auf die Parteien eine Antwort geben müssen und auf Basis dessen wir ihre Politik beurteilen. "Nichts machen" ist bei einer Systemkrise keine gute Antwort. Der branchenübergreifende Appell von Wirtschaftsverbänden, der eine Politik möchte, die sich an ihre eigenen Regeln hält, ist vielleicht keine Ohrfeige, aber eine kleine Schelle ist es schon: Link (Öffnet in neuem Fenster).

Lernfähigkeit ist sowieso wichtig. Politik, die sagt: das war nicht gut, das können wir besser, ist sympathisch. In einer Welt, die ins Autokratische neigt und deren Führungen alles andere als selbstkritisch sind, muss man das nochmal betonen. Auch die Ampelpolitik ist an sich selbst gescheitert. Die Gemeinsamkeiten zu pflegen und neue Wege zu erproben, wäre der bessere Weg gewesen statt die gesamte Bevölkerung in die Kampfarena einzulassen (Themen durchstechen, Kompromisse öffentlichkeitswirksam wieder aufkündigen, du bist doof-Sprüche).

Die dringend nötige Selbstkritik von wichtigen Akteuren ist derzeit leider nicht in Sicht. Empfindsame Menschen scheiden aus der Politik aus. Fast überall haben sich die schwächeren Kandidaten zum Spitzenpersonal krönen lassen und dieser erschlaffte Ehrgeiz ist eben auch in der angekündigten Klimapolitik spürbar.

Meine Einsichten:

  1. Klimapolitik ist Wandelpolitik und Entscheidungsträger*innen sind Vorbild

  2. Allianzen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft helfen, mehr Einsicht in die Notwendigkeit zu erzeugen

  3. der verrohte Politikstil schadet der Demokratie, vertreibt gutes Personal und führt insgesamt zu einer schlechteren Politik (der Angst)

Delta für alle

Andererseits - nichts ist statisch. Das Teufelchen mag hoch aktiv sein derzeit, aber auch das Böse kann über die Stränge schlagen. Dann wird es selbst dem Erschöpften zu viel. Das kann die Einsicht in die Notwendigkeit befördern. Die schlechten Wirtschaftsdaten etwa lassen sich nicht mehr einfach als Ergebnis einer "falschen" grünen Transformation verkaufen, die "der schlechteste Wirtschaftsminister aller Zeiten" angestoßen habe (da fallen mir persönlich wirklich andere ein). Die drohende De-Industrialisierung, die hohen Strompreise, eine unausgegorene Fachkräftesituation - sind sie nicht eher Ergebnisse einer verpennten Transformation?

Die Wirtschaft hat einen großen Brocken Arbeit vor sich, in der Tat. Sie muss exnovieren, also klimaschädliche Produkte, Aktivitäten und Prozesse abstellen zugunsten klimafreundlicher - darf, kann und soll aber zugleich ihren eigenen Zweck als Wirtschaft: profitorientiert zu arbeiten, nicht aus dem Blick verlieren. Das klingt nach der Quadratur des Kreises. Andererseits ist das Thema schon lange bekannt: Wenn schon nicht der Club of Rome 1972, wenn schon nicht das Kyoto-Protokoll 1992, wenn schon nicht das Pariser Klimaabkommen 2015, so war doch spätestens der EU Green Deal 2019 der entscheidende Fingerzeig für alle, die es hören wollten in der Wirtschaft: Let's go green!

Verständlich ist, das politische Hin und Her der letzten Zeit zu kritisieren. Ich denke aber auch: Jedes Unternehmen kann sich jederzeit freiwillig entscheiden, in die grüne Transformation zu investieren. Es gehört auch zu den Mythen über die neuen europäischen “Berichtspflichten”, dass sie übertriebener Selbstzweck seien. Die Berichte dokumentieren lediglich, was das Unternehmen macht und was nicht. Und es gibt gute Vorschläge, wie sie verbessert werden könnten (Link (Öffnet in neuem Fenster)Sustainable Finance-Beirat). Trial and Error - so läuft das mit jeder Neuheit. Ich glaube, es ist vor allem eher ungewohnt, als Unternehmen über etwas zu berichten, das noch nicht so gut läuft.

Allerdings erwartet derzeit niemand, dass ein Unternehmen perfekt sei. Gründer und Geschäftsführer der Butterfly Effect Consulting GmbH, Dr. Martin Bethke erwähnt in unserem Podcast über nachhaltiges Wirtschaft kürzlich (Link S2E5 20blue hour (Öffnet in neuem Fenster)) , dass die Green Claim Directive zwar dazu geführt habe, dass Unternehmen ihre ehrgeizigen Nachhaltigkeitsziele kassiert haben. Aber das würde eben auch zu mehr Realismus untereinander führen. Daher seien vergleichbare Standards für die sowieso anstehende Transformation am Ende eher hilfreich als belastend. Niemand erwartet, dass ein Unternehmen wegen des Reportings seinen Geschäftszweck aufgibt oder aufhört, erfolgreich sein zu wollen. Und: auch die Konkurrenz muss durch.

Erst neu, dann Struktur

Raus also aus der Verbissenheit! Ich habe kürzlich den Begriff des "Joy Leaderships" aufgebracht, weil ich dem nachhaltigen Wirtschaften gern das Stigma der schlechten Laune nehmen möchte. Einen Plan für das Neue zu entwickeln, bringt Laune. Und nirgendwo sonst ist die Formel vom “Weg ist das Ziel” gültiger als beim nachhaltigen Wirtschaften. Ich möchte nicht verschweigen, dass loslassen wohl die schwierigste Übung bei der grünen Transformation ist. Aber auch darauf kann man sich vorbereiten. Für freudvolle Transformationsarbeit können Sie sich übrigens gern an uns von Fit for CSRD (Öffnet in neuem Fenster) wenden.

Die Transformation ist unvermeidlich. Und die, die früh dran waren, genießen jetzt schon den Standortvorteil. Unternehmen wie Vaude, follow food, nextcloud ... geht es denen schlecht? Haben sie schlechte Laune? Sorgen sie sich um die Zukunft? Nein, sie springen von Awards zu Umsatzsteigerungen zu Expansion. Sie profitieren ökonomisch (weil sie als innovativ gelten), ökologisch (weil sie schlechte und deshalb zumeist teure Pfade korrigiert haben) und sozial - weil Menschen lieber in zukunftsfitten Unternehmen arbeiten als unter Druck.

Manchmal habe ich den Eindruck, Unternehmen haben ein Brett vor dem Kopf, als ob ihre Entscheidung, sich nachhaltig nach vorne zu entwickeln, ausschließlich von politischen Entscheidungen abhinge. Von der normativen Ebene - willst du Teil des Problems oder der Lösung sein? - mal ganz abgesehen, bestimmt die Politik ja nicht über den Erfolg des Unternehmens. Die Lieferketten baut man sich immer noch selbst, seine Mitarbeitenden rekrutiert man selbst, seine Märkte definiert man selbst. Nicht zu vergessen: andere Länder sind viel weiter als wir. Warum also der Verzug?

Das Delta ist es. Auch darüber habe ich mit Martin Bethke im Podcast unterhalten. Große Investitionsentscheidung zahlt sich nicht sofort aus. Oft erst nach Jahren. Dazwischen liegt ein Delta, das man klug bewirtschaften muss, ökonomisch wie psychologisch. Kreative Brückenlösungen müssen her. Weniger Struktur- und mehr kreatives Denken in Unternehmen scheint mir immer noch ein offenes Thema. Das Neue kommt zuerst und danach die Struktur (lest Schumpeter). Politik muss besser kompensieren, aber Wirtschaft wird mittelfristig nicht um die Frage herumkommen: Passt unser Wirtschaftsdenken noch? Ist die KPI “x% MEHR als letztes Jahr” noch zeitgemäß? Ergeben absolute Werte in einer Übergangsphase von Alt zu Neu überhaupt Sinn? Ich verstehe, dass Wirtschaftsakteure sich von der Politik nicht vorschreiben lassen wollen, wie sie zu denken haben (das Geschrei von Planwirtschaft halte ich allerdings für stark übertrieben). Gleichzeitig ist es eine Aufgabe für die Wirtschaft insgesamt, sich mit diesen Fragen intensiv auseinanderzusetzen. Alter Wein in neuer Schläuchen ist zu wenig für diese systemische Transformation. Wirtschaft muss sich zusammensetzen und ihre Visionen diskutieren. Als Brückenkompetenz bis dahin glaube ich im Übrigen, dass das Engagiertsein, das Passionierte, das Herzwarme wieder wichtiger werden. In unübersichtlichen Zeiten braucht es ansprechbare Chefinnen und Vorstände.

Re-Fresh

Wir haben also alle Aufgaben:

  • Wir als Menschen: akzeptieren, dass Klimaschutz eine dieser staatsbürgerliche Notwendigkeit ist.

  • Die Politik: Fokus darauf, freiwillige Einsicht in die Notwendigkeit klimafreundlichen Handelns zu erzeugen und sich dabei klug zu verbünden.

  • Die Wirtschaft: praktikable Klimapolitik einfordern, aber auch in medias res gehen, um einzelne Aspekte des Wirtschaftens (Wachstumsdoktrin) kritisch zu überprüfen

Eine nachhaltige Welt bietet viele schöne Visionen: Städte für alle, biodiverse Naturschutzgebiete, saubere Flüsse. Eine Gesellschaft, der die nachhaltige Transformation gelungen ist, produziert mit Sicherheit die besseren Bilder als eine, die sich “mit aller Macht” dagegen stemmt.

Stellen wir uns das vor. Und:

Schlucken den Ärger hinunter, wenn etwas nicht so toll läuft. Die inhärenten Widersprüche von Demokratie müssen wir aushalten . Das Teufelchen auf der Schulter werden wir aushalten müssen. Ein Leben in Freiwilligkeit zu führen bedeutet, dass wir unsere Notwendigkeiten auswählen können, nicht, dass wir keine haben.

Ein hörenswertes Beitrag zu den notwendigen Zumutungen einer Demokratie gibt’s im aktuellen Podcast von Lage der Nation #LDN417 (Kapitel-Link (Öffnet in neuem Fenster)).

Fazit: Wir brauchen eine Auffrischung in der Erkenntnis, dass die Klimakrise kein verhandelbares Gadget einer progressiven Demokratie ist. Sondern eine globale Bedrohungslage, gegen die wir mit aller Macht und möglichst gemeinsam vorgehen müssen. Allen, denen es möglich ist, besonders aber die wichtigen Entscheidungsträger*innen müssen ihr Versprechen erneuern, die Klimakrise als Systemkrise zu behandeln. Wir Bürger*innen müssen neu verstehen, wie wichtig die Bewältigung dieser Krise ist.

Am besten gelingt all das, wenn wir gemeinsam eine positive Vision einer Welt mit bewältigter Klimakrise entwickeln. Die Alternativen dystopischer Klimaignoranz sind ja schon zu besichtigen - es möge uns motivieren, in Deutschland und Europa anders zu handeln.

Kategorie Blog: Politik

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Anja Mutschler und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden