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14:07

(Ich trau mich einfach nicht, in den Dialogteil einzusteigen, ich hab da gerade sehr viel Respekt vor: wie sich die Figuren in ihren eigenen Worten herausschälen. Dialoge sind etwas, das mir nicht leicht von der Hand geht, da muss ich denken und fühlen und nachkucken. Ich mach nächste Woche einen neuen Versuch, mich darauf einzulassen, manchmal braucht sowas ja auch einfach Zeit. Bis dahin gehen wir hoch in den vierten Stock, wo Pierre wohnt, er hört gerade Brel, Fernand, und schreibt dazu diesen Text für ein linkes Magazin, das diesen Text aber ablehnen wird, zu persönlich, zu unpolitisch, außerdem verkauft sich Pandemie nicht mehr und obendrein ist es zu onesided.)

// et maintenant, bon dieu, tu vas bien rigolé et mainetant, bon dieu, maintenant, je vais pleurer

Über mich ist dir Geschichte hinübergefahren als wäre ich schon tot. Über Leute wie mich wird nur noch spekuliert. Ich trage Maske, das heißt: ich werde auch ständig nach meiner Diagnose gefragt. Die Leute wolle sicherstellen, dass sie nicht haben, was ich habe. Ich kann alle beruhigen: was ich habe, ist sehr selten. Wenn ich es euch erklärte, würdet ihr es eh nicht verstehen. Sonst würdet ihr gar nicht erst fragen. Meine Diagnose ist folgende: ich werde sterben, wenn ich es kriege. Mit es meine ich Corona. Ich habe es geschafft vier Jahre nicht infiziert zu werden, was eine Art der Leistung ist, die ohnehin nie anerkannt werden wird. In der Zwischenzeit habe ich mehrere Dinge gemacht – ich habe Menschen betreut, Kinder großgezogen, Leuten Schreiben und Lesen beigebracht, ich habe zwischenzeitlich eine demente Frau ein Jahr lang betreut, nicht nur zwischenzeitlich, sondern ein Jahr lang jeden Tag vierundzwanzig Stunden am Stück – aber vor allem war ich krank. Ich durfte und darf den Scheiß den nicht kriegen, sonst verrecke ich. Wie ich verrecke, weiß ich auch, ich hab das sogar schon gesehen. Ich hab Leute ersticken sehen, nicht an Covid, aber an Influenza. Ersticken ist kein schöner Tod, wenn ich schon sterben muss, dann bitte nicht so: man liegt in seinen Laken, man schwitzt, es ist anstrengend zu atmen, aber man will atmen, unbedingt will man atmen, aber es kommt keine Luft mehr rein, es kommt nichts mehr durch, man zieht immer tiefer immer tiefer immer und immer tiefer und der Sauerstoff findet einfach keinen Weg. Es ist so scheiße anstrengend immer weiterzuatmen aber wenn man aufgibt ist alles vorbei: will man das? Es ist klar dass es enden wird aber wann, nachts oder am späten Nachmittag, darauf hat man noch Einfluss, mit dem bisschen Willen, den man noch hat. Das wird mein Ende sein: nachts oder am späten Nachmittag. My choice. Wie lange quäle ich mich. Leute wie mich gibt es nicht mehr. Leute wie ich einer bin sind gestorben in den letzten Jahren, still und unbehandelt. Ich weiß, wie sie gestorben sind, ich habe sowas schon begleitet, sie sind erstickt. Sie haben bis zuletzt um jeden Atemzug gerungen, sie haben sich aufgeworfen und haben geschnappt nach ein bisschen Luft. Sie sind gestorben im Schweiße ihres Angesichts, alles in ihrem Körper hat gebrannt, sie sind gerade eine Etappe der Tour de France gefahren, es wird niemanden geben, der ihren applaudiert, es wird kein Abklingbecken geben, in den sie ruhen können. Viele sind so gestorben. Wir sind diejenigen, die die Mehrheitsgesellschaft bereit war zu opfern, um eine Normalität zu leben, die es nicht mehr gibt. Ich trage überall Maske, um zu bestehen: selbst das gesteht mir kaum jemand zu. Ich werde deswegen bespuckt und beschimpft, zweimal habe ich deswegen aufs Maul bekommen. Nur um leben zu dürfen, nur um nicht innerlich zu verbrennen. Es macht keinen Spaß, am Leben zu bleiben, wenn es den meisten egal ist, ob man am Leben ist, und einem Teil sehr wichtig, das man stirbt. Ich weiß wohl, das mein Leid nicht interessant ist: die Einsamkeit, die Angst. Das will sich ja keiner erzählen lassen. Der Triumph, noch am Leben zu sein: selbst der nivelliert sich. Ich hatte sieben Aufträge im Ausland, ich sollte einen Film im Mali drehen. Mein Leben wäre sehr viel besser, wäre ich nicht am Leben. Ich könnte auch die viel wilderen Geschichten erzählen. Aber es gibt nichts zu erzählen, ich warte ab. Wie lange, weiß ich nicht. Wahrscheinlich bis ich tot bin. Schlecht, dass ich zwischenzeitlich Vater wurde und deswegen gerne noch 19 Jahre durchhalten würde: das darf man eigentlich nicht erwarten, dass man so lang leben darf, wenn man so ist wie ich. Wir werden halt am Wegesrand aufgegeben, und das ist keine Wendung, die ich mir ausgedacht habe, sondern das hat der wichtigste US-amerikanische Experte, Anthony Fauci, gesagt: We are going to loose some on the wayside, das werde früher oder später ich sein vermutlich, macht das beste aus meinem Opfer, was soll ich euch sagen. Mein Verlust ist eingepreist, Pech. Stehste halt dumm da, gerade, wenn Du dämlich genug warst, Vater zu werden. Muss die Kleine, die gerade gelernt hat, Papa zu sagen, eben kucken, wie sie zurechtkommt. Noch halte ich durch. Das es keine Unterstützung aus der Politik gibt: okay. Was habe ich erwartet. Dass es aus der Linken derart viel Applaus für die Enden der Lockdowns gab; auch das verstehe ich. Ich verstehe alles, nur dass ich sterben muss, das verstehe ich nicht. Wenn ich der Herrgott wäre, weiß Gott, ich hätte Gewissensbisse. Aber den Herrgott gibt es nicht, nur euch.

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